Urteil des VG Mainz vom 20.04.2005

VG Mainz: prüfer, neubewertung, zivilrecht, staatsprüfung, wohnraum, formvorschrift, rechtsnachfolger, kontrolle, kauf, präsident

Justizprüfungsrecht
Sonstiges
VG
Mainz
20.04.2005
7 K 932/04.MZ
1. Eine Beteiligung anderer Prüfer kommt vor dem Hintergrund des das Prüfungsrecht beherrschenden
Grundsatzes der Chancengleichheit nur in Betracht, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass der bisherige
Prüfer dem Prüfling nicht (mehr) unvoreingenommen gegenüber steht. Dies ist nicht schon dann der Fall,
wenn der Prüfer in Kenntnis der Einwendungen des Prüflings bei seinem Votum bleibt.
2. Für eine Ermessensentscheidung nach § 9 Abs. 7 Satz 2 JAPO 1993 / § 9 Abs. 7 Satz 2 JAPO 2003 ist
kein Raum, wenn der Präsident des Landesprüfungsamtes nach der Überprüfung der Einwendungen des
Prüflings durch den Prüfer einen Bewertungsfehler für ausgeschlossen hält.
Verwaltungsgericht Mainz
7 K 932/04.MZ
Urteil
wegen Nichtbestehens der Ersten Juristischen Staatsprüfung
hat die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. April
2005, an der teilgenommen haben
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten über das Nichtbestehen der Ersten
juristischen Staatsprüfung.
Im Frühjahr 2004 unterzog sich die Klägerin der Ersten juristischen Staatsprüfung. In dem Zeitraum 01.
März 2004 bis 12. März 2004 fertigte sie acht Aufsichtsarbeiten an, in denen sie folgende Ergebnisse
erzielte:
Aufsichtsarbeit 01: Wahlfach 06,00 Punkte Aufsichtsarbeit 02: Zivilrecht 01,00 Punkte Aufsichtsarbeit 03:
Zivilrecht 04,00 Punkte Aufsichtsarbeit 04: Zivilrecht 05,00 Punkte Aufsichtsarbeit 05: Strafrecht 02,50
Punkte Aufsichtsarbeit 06: Strafrecht 05,00 Punkte Aufsichtsarbeit 07: Öffentliches Recht 04,00 Punkte
Aufsichtsarbeit 08: Öffentliches Recht 04,00 Punkte Summe: 31,50 Punkte
Gesamtnote der schriftlichen Prüfung: 3,93 Punkte
Mit Bescheid vom 18. Juni 2004 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass sie von der mündlichen Prüfung
ausgeschlossen sei, weil die Gesamtnote der schriftlichen Prüfung geringer als 4,00 Punkte sei. Der
Bescheid wurde der Klägerin am 22. Juni 2004 zugestellt.
Mit ihrem am 02. Juli 2004 erhobenen Widerspruch trug die Klägerin vor, sie wende sich gegen die
Bewertung der Aufsichtsarbeit 02 (Zivilrecht) durch den Erstprüfer. Auf Seite 7 ihrer Arbeit habe sie die
Form des Mietvertrags geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass M und V den Mietvertrag nicht
schriftlich hätten abfassen müssen. Der Erstprüfer habe hierzu mit Randbemerkung „§ 566?“ und in
seinem Votum bemerkt, „zur Wirksamkeit des Mietvertrags argumentiert im Blick auf die Schriftform falsch.
Die Voraussetzungen des § 566 werden nicht weiter problematisiert“. Die Korrektur gehe dabei
offensichtlich davon aus, dass die Form des Mietvertrags der Bestimmung des § 566 BGB unterliege.
Dabei kritisiere der Erstkorrektor das Nichteinhalten einer Norm, die nach den Bearbeiterhinweisen nicht
zugrunde zulegen gewesen sei. Die Form des Mietvertrags richte sich nach den ursprünglich geltenden
Bestimmungen in der Tat nach § 566 BGB; diese Bestimmung sei jedoch nach den Bearbeiterhinweisen
hier nicht anwendbar gewesen. Die nach geltender Fassung zu prüfende Norm des § 566 BGB zum
Problemkreis „Kauf bricht nicht Miete“ werde von ihr auf Seite 8 der Arbeit korrekt geprüft und festgestellt.
Es sei in jedem Fall als Beurteilungsfehler zu bewerten, wenn der Erstkorrektor einer der Bewertung nicht
zugrunde zu legende Formvorschrift heranziehe und die Argumentation zur Wirksamkeit des Mietvertrags
im Hinblick auf die Schriftform als „falsch“ bezeichne. Die Anwendung unzutreffender Normen begründe in
jedem Falle einen Beurteilungsfehler, der sich auch auf die vom Erstkorrektor vorgenommene Bewertung
ausgewirkt habe.
Nach Einholung einer Stellungnahme des Erstprüfers der Aufsichtsarbeiten 02 wurde der Widerspruch der
Klägerin durch Widerspruchsbescheid der Präsidentin des Landesprüfungsamtes für Juristen vom 16.
September 2004 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass
Bewertungsfehler nicht ersichtlich seien. In seiner ergänzenden Stellungnahme habe der Erstprüfer der
Aufsichtsarbeit 02 die vergebene Punktzahl umfassend, sachlich zutreffend und nachvollziehbar
begründet. Der Erstprüfer habe in seiner Stellungnahme klargestellt, dass die Korrekturanmerkung der
falschen Argumentation in Bezug auf die Schriftform des Mietvertrags im Hinblick auf §§ 578 Abs. 2, 575
BGB zu verstehen sei (Abschluss des Mietvertrags auf unbestimmte Zeit beruht auf § 550 BGB und nicht
auf § 575 Abs. 1 Satz 2 BGB), und dass der Hinweis auf die fehlende Problematisierung des § 566 BGB
nicht im Zusammenhang mit dem Schriftformerfordernis stehe. Vielmehr sei die Anmerkung hinsichtlich
des § 566 BGB dahingehend gemeint, dass die Klägerin einerseits nicht dargelegt habe, dass das
Schriftformerfordernis auch dazu diene, einem Rechtsnachfolger die Mietbedingungen erkennbar zu
machen, und dass sie andererseits keine juristische Einzelsubsumtion unter dem Tatbestandsmerkmal
des § 566 BGB vorgenommen und die generelle Anwendbarkeit von § 566 BGB bei Geschäftsraummiete
nicht geprüft habe. Der Erstprüfer habe darüber hinaus auch nochmals dargelegt, dass die vorgenannten
Kritikpunkte für die Bewertung der Arbeit mit ungenügend (0 Punkte) nicht entscheidend gewesen seien,
sondern dass die Benotung vielmehr darauf beruhe, dass die Klägerin bei der Bearbeitung
grundlegenden Missverständnissen unterlegen habe, so z.B. der mehrfachen Verkennung des
Abstraktionsprinzips.
Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids am 23. September 2004 hat die Klägerin am 06. Oktober
2004 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Sie bezieht sich zur Begründung im
Wesentlichen auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, die im Rahmen des
Widerspruchsverfahrens eingeholte Stellungnahme des Erstprüfers der Aufsichtsarbeit 02 überzeuge
nicht. Es sei keinesfalls eine „Selbstverständlichkeit“, dass der Erstprüfer – möge er auch mietrechtliche
Bestimmungen kommentieren – im Rahmen einer Klausurbewertung stets – und ohne Ausnahme –
fehlerfrei korrigiere. Es sei vielmehr gerade nachvollziehbar, dass bei der langjährigen Anwendung
vertrauter Normen „automatisch“ die entsprechenden Vorschriften zitiert würden, auch wenn diese
gegebenenfalls nicht mehr aktuell seien. Dies liege hier insbesondere nahe und werde auch nicht durch
die weitere Argumentation des Erstprüfers in seiner Stellungnahme entkräftet. Dass der Hinweis auf § 566
BGB auf Seite 7 der Bearbeitung in der Verdeutlichung der Mietbedingung für einen Rechtsnachfolger
liegen solle, sei nicht nachvollziehbar und widerspreche dem Kontext, da sie auf Seite 7 ihrer Arbeit
ausdrücklich von Formvorschriften spreche. Dies sei § 566 BGB zweifelsohne nicht. Demgemäß könne
auch der Erwähnung des § 566 BGB nicht im Nachhinein ein weitergehender evident ursprünglich nicht
angedachter Sinn zugemessen werden. In der Konsequenz liege in jedem Fall ein Beurteilungsfehler vor,
da der Erstprüfer eine der Bewertung nicht zugrunde legbare Formvorschrift herangezogen und ihre
Argumentation zu der Frage der Formwirksamkeit des Mietvertrags explizit als „falsch“ bezeichnet habe.
Da der Erstprüfer gleichwohl bei seiner Auffassung geblieben sei, habe der Beklagte von der in § 9 Abs. 7
Satz 2 JAPO ausdrücklich vorgesehen Möglichkeit Gebrauch machen müssen, einen anderen,
naturgemäß weniger voreingenommenen Prüfer mit einer Neubewertung zu beauftragen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 18. Juni 2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 16. September 2004 zu verpflichten, die Aufsichtarbeit 02 durch einen
anderen Erstprüfer unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut bewerten zu lassen,
hilfsweise, die Aufsichtsarbeit 02 durch den Erstprüfer unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts erneut bewerten zu lassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und tätigt
im Einzelnen Ausführungen zu den im gerichtlichen Verfahren seitens der Klägerin gemachten
Einwendungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten in
den Gerichtsakten verwiesen. Die Prüfungsakten des Beklagten sowie das Klausurenheft der Klägerin
liegen dem Gericht vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat weder mit dem Haupt-, noch mit dem Hilfsantrag in der Sache Erfolg. Die Klägerin
hat keinen Anspruch auf Neubewertung der Aufsichtsarbeit Nr. 2 (Zivilrecht) durch einen anderen
Erstprüfer (1), hilfsweise auf Neubewertung der vorgenannten Aufsichtsarbeit durch den selben Erstprüfer
(2).
Nach § 9 Abs. 4 Satz 1 der Juristischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung
– JAPO – vom 29. Dezember 1993 (GVBl. 1994, S. 37) in ihrer bis zum 30. Juni 2003 geltenden Fassung
(im Folgenden: a. F.) – diese ist gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 des Landesgesetzes über die juristische
Ausbildung – JAG – vom 23. Juni 2003 (GVBl. S.116) anzuwenden, da die Klägerin vor dem 01. Juli 2003
ihr Studium aufgenommen und sich bis zum 01. Juli 2006 zur Ersten juristischen Staatsprüfung gemeldet
hat (Studienbeginn: 01. April 1999, Anmeldung zur Ersten juristischen Staatsprüfung: 09. Dezember 2003,
vgl. Blatt 1, 2 Rückseite der Prüfungsakten) – nimmt der Prüfling nicht mehr an der mündlichen Prüfung
teil, sondern hat die Erste juristische Staatsprüfung nicht bestanden, wenn mehr als vier Einzelnoten oder
die Gesamtnote der schriftlichen Prüfung jeweils geringer als 4,00 Punkte sind. Da die Klägerin nur eine
Gesamtnote von 3,93 Punkten (31,50 Punkte) erzielen konnte, wurde sie durch den Bescheid vom 18.
Juni 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Präsidentin des Landesprüfungsamtes für Juristen
16. September 2004 zu Recht von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen. Sie hat die Erste juristische
Staatsprüfung damit (im ersten Versuch) nicht bestanden.
(1) Soweit die Klägerin mit ihrem Hauptantrag die Neubewertung der Aufsichtsarbeit 02 (Zivilrecht) durch
einen anderen Erstprüfer begehrt und hierzu auf die Vorschrift des § 9 Abs. 7 Satz 2 JAPO a. F. verweist,
deren Voraussetzungen nach ihrer Ansicht vorlägen (vgl. insoweit Seiten 6, 7 der Klagebegründung, Blatt
36, 37 der Gerichtsakten) vermag sie hiermit nicht durchzudringen, und zwar unabhängig davon, ob ein
Bewertungsfehler bei der vorgenannten Aufsichtsarbeit besteht oder nicht. Nach § 9 Abs. 7 Satz 2 JAPO a.
F. kann der Präsident des Landesprüfungsamtes in den Fällen, in denen der Prüfer bei seiner Bewertung
bleibt, einen anderen Prüfer mit der Neubewertung beauftragen, sofern er einen Bewertungsfehler
weiterhin für nicht ausgeschlossen hält. Diese Vorschrift, die insoweit dem Beurteilungsspielraum des
Prüfers im Prüfungsrecht Rechnung trägt, als sie es dem Präsidenten des Landesprüfungsamtes als
Widerspruchsbehörde (§ 3 Abs. 4 Satz 2 JAG in der bis zum 30. Juni 2003 geltenden Fassung – im
Folgenden: a. F. –) – der grundsätzlich die Befugnis zu Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle des
angefochtenen Verwaltungsaktes zusteht – verwehrt, seine eigene Bewertung an die Stelle der
Bewertung eines Fachprüfers zu setzen, ist nämlich vor dem Hintergrund des das gesamte Prüfungsrecht
prägenden Grundsatzes der Chancengleichheit zu sehen. Dieser gebietet es grundsätzlich, dass eine
etwa gebotene Nachkorrektur und/oder Neubewertung einer Prüfungsleistung in aller Regel von den
Prüfern oder dem Prüfungsausschuss vorgenommen wird, die die beanstandete frühere Bewertung
vorgenommen haben. Hierdurch lässt sich nämlich am besten gewährleisten, dass dieselben Maßstäbe,
Vorstellungen und Erfahrungen zugrunde gelegt werden wie bei der Erstbewertung. Allenfalls dann, wenn
sich die ursprünglichen Prüfer bereits dahingehend festgelegt haben, dass eine Änderung der Note nicht
in Betracht kommt, kann eine Neubewertung einer Prüfungsarbeit durch neue Prüfer bzw. einen neuen
Prüfungsausschuss geboten sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1993 – 6 C 38.92 – NVwZ 1993,
686, 688). Insbesondere lässt allein der Umstand, dass Prüfer eine Prüfungsleistung wegen einer
etwaigen Beanstandung ihrer ersten Bewertung als rechtsfehlerhaft erneut bewerten müssen, nicht ohne
weiteres den Schluss auf ihre Voreingenommenheit zu. Auch kann aus einer früheren Befassung mit der
Prüfungsleistung für sich genommen nicht gefolgert werden, der Prüfer habe sich hinsichtlich des
Bewertungsergebnisses bereits endgültig festgelegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1993, a.a.O. S.
688; Urteil vom 30. Juni 1994 – 6 C 4.93 –, S. 10, 11 des Urteilumdrucks); vielmehr bedarf es hierfür
weiterer Anhaltspunkte, die den Schluss rechtfertigen, der Prüfer könne der Prüfungsleistung nicht mehr
objektiv gegenüber treten. Hiervon ausgehend kommt somit die Befassung anderer Prüfer mit der
Prüfungsleistung des Prüflings regelmäßig nur in Betracht, wenn Anzeichen für eine Befangenheit oder
Vorgenommenheit bei den bisherigen Prüfern bestehen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Juli
1997 – 2 A 11341/97.OVG -). Hierfür ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich, und auch die Klägerin hat
nichts substantiiert dafür vorgetragen, was den Schluss rechtfertigen würde, bei dem betroffenen Prüfern
sei eine mögliche Befangenheit oder Voreingenommenheit der Klägerin gegenüber zu besorgen.
Soweit die Klägerin darüber hinaus geltend macht, der Beklagte habe in seinem Widerspruchsbescheid
den Charakter von § 9 Abs. 7 Satz 2 JAPO a. F. als Ermessensvorschrift verkannt, weshalb der Bescheid
des Beklagten schon wegen offenkundiger Ermessensfehlerhaftigkeit aufzuheben sei (vgl. Seite 7 der
Klagebegründung, a.a.O. Blatt 37 der Gerichtsakten, Seite 4 des Schriftsatzes vom 28. Dezember 2004,
Blatt 49 der Gerichtsakten), vermag sich die Kammer dem ebenfalls nicht anzuschließen. Denn insoweit
verkennt die Klägerin, dass eine Ermessensausübung im Rahmen von § 9 Abs. 7 Satz 2 JAPO a. F. erst in
den Fällen in Betracht kommt, in denen der Präsident des Landesprüfungsamtes bei unveränderter
Bewertung durch den Prüfer nach Befassung mit den Einwendungen des Prüflings weiterhin einen
Bewertungsfehler nicht für ausgeschlossen hält. Eine derartige Fallkonstellation ist im vorliegenden Fall
schon nicht gegeben, denn die Präsidentin des Landesprüfungsamtes geht in ihrem
Widerspruchsbescheid vom 16. September 2004 gerade davon aus, dass Bewertungsfehler nicht
ersichtlich seien und dass der betroffene Prüfer in seiner ergänzenden Stellungnahme die vergebene
Punktzahl umfassend, sachlich zutreffend und nachvollziehbar begründet habe. Geht aber die Präsidentin
des Landesprüfungsamtes für Juristen als Widerspruchsbehörde bereits davon aus, dass eine
Neubewertung der Aufsichtsarbeit der Klägerin auch im Hinblick auf deren Einwendungen nicht in
Betracht komme, braucht sie sich nicht mit der (weiteren) Frage zu befassen, wer dann gegebenenfalls
eine Neubewertung überhaupt vorzunehmen hätte.
(2) Auch der Hilfsantrag der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
Neubewertung der Aufsichtsarbeit 02 durch den bisherigen Erstprüfer. Dabei ist auf Folgendes
hinzuweisen:
Soweit sich die Klägerin gegen die Bewertung der genannten Aufsichtsarbeit durch den Erstprüfer
wendet, ist nicht erkennbar, dass dessen Bewertung auf Bewertungsfehlern beruht. Dies gilt zunächst
einmal für das Verfahren der Leistungsbewertung, für das bei berufsbezogenen Prüfungsverfahren nach
den Grundsätzen der Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991
– 1 BvR 419/81, 213/81 –, DVBl. 1991, 801 ff. = NJW 1991, 2005 ff.; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1993
– 6 C 35.92 –, BVerwGE 92, 132 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. November 1991 – 2 A
10800/91.OVG –, NVwZ 1992, 399) gefordert wird, dass neben dem Gerichtsverfahren ein behördliches
Abhilfeverfahren durchgeführt wird, in welchem die Prüfungsentscheidungen aufgrund der vom Prüfling
vorgebrachten Einwände nochmals überdacht werden. Dieses im Geltungsbereich des Beklagten als
Widerspruchsverfahren ausgestaltete behördliche Abhilfeverfahren, das nach § 3 Abs. 4 JAG a. F.
innerhalb eines Monats nach Abschluss des Prüfungsverfahrens vom Prüfling einzuleiten ist, hat die
Klägerin durchlaufen.
Hinsichtlich der Bewertung der einzelnen Klausuren ist von der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 13. Mai 1965 – 2 C 146.62 –, BVerwGE 21, 127, 130 m.w.N.)
in der Weiterführung, die sie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss
vom 17. April 1991, a.a.O.) erfahren hat, auszugehen. Danach unterliegt die Bewertung von
Prüfungsleistungen nur einer eingeschränkten Kontrolle. Dies ergibt sich daraus, dass es eine absolute
Objektivität einer Leistungsbeurteilung im pädagogischen Bereich nicht gibt, weil die Bewertung einer
Prüfungsleistung durch den Prüfer in aller Regel mit einem erheblichen Einschlag wertender Elemente
getroffen wird. Deshalb handeln die betroffenen Prüfer bei der Bewertung von Prüfungsleistungen in
Wahrnehmung einer ihnen grundsätzlich zustehenden Beurteilungsermächtigung. Für die Beurteilung
einer Prüfungsarbeit nach fachlich-pädagogischen Kriterien steht dem Prüfer (und nicht den
Verwaltungsgerichten) die Befugnis zur
(letzt-) verbindlichen Einstufung der Prüfungsleistung zu. Dies bedeutet, dass die gerichtliche Überprüfung
von prüfungsspezifischen Wertungen dort ihre Grenze findet, wo der Beurteilungsspielraum des Prüfers
beginnt. Die gerichtliche Überprüfung hat sich demnach darauf zu beschränken, ob der Prüfer
anzuwendendes Recht verkannt hat, ob er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, ob er sich
von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder sonst willkürlich gehandelt hat oder ob er allgemein
gültige Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet hat. Demgegenüber sind fachliche
Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfer und Prüfling der gerichtlichen Kontrolle nicht generell
entzogen. Die Prüfungsentscheidung ist aufzuheben, wenn in Fachfragen eine vertretbare und mit
gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung als falsch bewertet worden ist (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 17. April 1991, a.a.O. S. 804; BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 1992 – 6 C 3.92 –,
BVerwGE 91, 262, 266). Der so umrissene, gegen den Bewertungsspielraum des Prüfers abzugrenzende
sog. „Antwortspielraum“ des Prüflings darf indessen nicht überdehnt werden. So gehören die
Einschätzungen des Schwierigkeitsgrades der Prüfungsaufgabe, die Beurteilung, ob und in welchem
Maße der Prüfling seine Antworten und Begründungen sorgfältig aufbereitet und überzeugend dargelegt
hat, die Bewertung der Art der Darstellung, die Bildung des Vergleichsrahmens, die Wertung, welche
Leistung noch als „durchschnittlich“ zu betrachten ist und darüber hinaus überhaupt Benotungsfragen zu
den prüfungsspezifischen Wertungen, die grundsätzlich allein dem jeweiligen Prüfer zustehen (vgl. VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. August 1992 – 4 S 11065/92 –, VBlBW 1993, 143, 144). Soweit
ein Prüfling versucht, einzelnen Prüfern ihrerseits gedankliche Fehler oder Widersprüche zwischen deren
ursprünglichen Voten und etwaigen ergänzenden Stellungnahmen nachzuweisen, verkennt er zudem den
Prüfungsgegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Das Gericht hat nicht etwa zu prüfen, ob die
Würdigung des Prüfers vertretbar und deshalb nicht zu beanstanden ist, sondern ob die vom Prüfling
jeweils vertretene Auffassung zutreffend oder jedenfalls fachlich vertretbar war und deshalb nicht als
falsch hätte bewertet werden dürfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1993 – 6 C 12.92 –, Buchholz
421.0 Prüfungswesen Nr. 320).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze muss dem Begehren der Klägerin auf Neubewertung der Erfolg versagt
bleiben, denn insoweit hält der Bescheid des Beklagten vom 18. Juni 2004 einer rechtlichen Überprüfung
stand. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Neubewertung der Aufsichtsarbeit 02 durch den Erstprüfer
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen geltend, sie habe auf Seite 7 der
Aufsichtsarbeit 02 die Form des Mietvertrags geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass M und V
den Mietvertrag nicht schriftlich hätten abfassen müssen. Der Erstprüfer habe hierzu mit Randbemerkung
„§ 566?“ und in seinem Votum bemerkt, „zur Wirksamkeit des Mietvertrags argumentiert im Blick auf die
Schriftform falsch. Die Voraussetzungen des § 566 werden nicht weiter problematisiert“. Die Korrektur
gehe dabei offensichtlich davon aus, dass die Form des Mietvertrags der Bestimmung des § 566 BGB
unterliege. Dabei kritisiere der Erstkorrektor das Nichteinhalten einer Norm, die nach den
Bearbeiterhinweisen nicht zugrunde zu legen gewesen sei. Die Form des Mietvertrages richte sich nach
den ursprünglich geltenden Bestimmungen in der Tat nach § 566 BGB; diese Bestimmung sei jedoch
nach den Bearbeiterhinweisen hier nicht anwendbar gewesen. Die nach geltender Fassung zu prüfende
Norm des § 566 BGB zum Problemkreis „Kauf bricht nicht Miete“ werde von ihr auf Seite 8 der Arbeit
korrekt geprüft und festgestellt. Deshalb sei es in jedem Fall als Beurteilungsfehler zu bewerten, wenn der
Erstkorrektor eine der Bewertung nicht zugrunde zu legende Formvorschrift heranziehe und die
Argumentation zur Wirksamkeit des Mietvertrags im Hinblick auf die Schriftform als „falsch“ bezeichne (vgl.
Seite 3 der Widerspruchsbegründung vom 26. August 2004, Blatt 33 der Prüfungsakten, Seite 4 bis 6 der
Klagebegründung, Blatt 34 bis 36 der Gerichtsakten). Dem vermag sich die Kammer nicht anzuschließen.
Denn der Erstprüfer hat in seiner ergänzenden Stellungnahme (vgl. Blatt 39, 40 der Prüfungsakten) – die
zusammen mit dem eigentlichen Votum eine Bewertungseinheit bildet (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil
vom 16. August 2001 – 2 A 10441/01.OVG –, Seiten 9, 10 des Umdrucks) – in nachvollziehbarer und
rechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise ausgeführt, dass die Bemerkung im Votum „zur
Wirksamkeit des Mietvertrages argumentiert im Blick auf die Schriftform falsch“ darauf beruhe, dass die
Klägerin das Ergebnis eines Mietvertrags auf unbestimmte Zeit nicht aus der nicht eingehaltenen
Schriftform abgeleitet, sondern damit begründet habe, der Grund der Befristung sei nicht einseitig
mitgeteilt worden, wobei übersehen worden sei, dass V keine Wohnung vermietet habe, und dass für die
Vermietung von Geschäftsräumen § 575 BGB gemäß § 578 Abs. 2 BGB nicht gelte (vgl. Blatt 39 der
Gerichtsakten). Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden, denn auf Seite 7 ihrer Arbeit führt die
Klägerin zunächst aus, dass es für die Vermietung von Wohnraum keine besonderen Formvorschriften
gebe, um dann unter Anwendung von § 575 BGB den Abschluss eines Zeitmietvertrags festzustellen, der
mangels schriftlicher Mitteilung über den Grund der Befristung gemäß § 575 Abs. 1 Satz 2 BGB als auf
unbestimmte Zeit abgeschlossen gelte. Diese Argumentation ist in der Tat falsch, denn § 575 BGB steht in
dem Abschnitt über Mietverhältnisse über Wohnraum (Buch 2 „Recht der Schuldverhältnisse“, Abschnitt 8
„Einzelne Schuldverhältnisse“, Titel 5 „Mietvertrag, Pachtvertrag“, Untertitel 2 „Mietverhältnisse über
Wohnraum“), während nach dem Sachverhalt die in Rede stehenden Räumlichkeiten von V dem Arzt M
vermietet wurden, der dort eine Praxis betreiben will. Nach § 578 Abs. 2 BGB sind aber auf
Mietverhältnisse über Räume, die keine Wohnräume sind, neben den in § 578 Abs. 1 BGB genannten
Vorschriften nur die in Absatz 2 explizit genannten Vorschriften entsprechend anzuwenden. § 575 BGB ist
aber weder in § 578 Abs. 1 noch in § 578 Abs. 2 genannt, so dass diese Vorschrift vorliegend auf
Mietverhältnisse über Geschäftsräume nicht anwendbar ist. Ergänzend führt der Erstprüfer zu der
Randbemerkung „§ 566?“ auf Seite 7 der Arbeit aus, dass dieser Hinweis verdeutlichen solle, dass
faktisch der alleinige Sinn des in der Arbeit hier nicht erkannten Schriftformerfordernisses gerade darin
gesehen werde, für einen möglichen Rechtsnachfolger die Mietbedingungen erkennbar zu machen, da
nach dem Sachverhalt die Rechtsnachfolge durchaus eine Rolle spiele (vgl. Blatt 39 der Gerichtsakten).
Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund der Konstellation in dem der Aufsichtsarbeit zugrunde
liegenden Sachverhalt nachvollziehbar und in sich schlüssig. Soweit demgegenüber die Klägerin die
Stellungnahme des Erstprüfers nicht für nachvollziehbar halte und diesem quasi unterstellt, er habe bei
der Bewertung der Arbeit quasi automatisch auf alte Vorschriften zurückgegriffen, handelt es sich um eine
reine Spekulation, für die jeglicher objektiver Ansatzpunkt fehlt. Soweit die Klägerin des Weiteren den
Ausführungen des Erstprüfers in seinem Votum „Die Voraussetzungen des § 566 werden nicht weiter
problematisiert“ mit der Begründung entgegen zu treten versucht, die nach geltender Fassung zu prüfende
Norm des § 566 BGB zum Problemkreis „Kauf bricht nicht Miete“ werde von ihr auf Seite 8 der Arbeit
korrekt geprüft und festgestellt, vermag dies ebenfalls nicht überzeugen. Denn abgesehen davon, dass
der Erstprüfer mit seinen Ausführungen im Votum durchaus zum Ausdruck gebracht hat, dass die Klägerin
die Vorschrift gesehen hat, ist es nicht zu beanstanden, wenn der Erstprüfer in seiner ergänzenden
Stellungnahme die betreffenden Ausführungen im Votum dahingehend konkretisiert, dass diese sich
darauf bezögen, dass sich die Ausführungen der Klägerin zu diesem Punkt in dem Satz „Gemäß § 566
BGB tritt G an die Stelle des Vermieters V und übernimmt damit dessen Rechte und Pflichten“ (vgl. Seite 8
der Aufsichtsarbeit) erschöpften und dass weder untersucht werde, ob diese Norm für einen
Geschäftsraummietvertrag gelte, noch dass eine Einzelsubsumtion unter die verschiedenen
Tatbestandsmerkmale vorgenommen werde (vgl. Blatt 39 der Gerichtsakten). Dies ist rechtlich nicht zu
beanstanden, zumal auch nach Auffassung der Kammer, insbesondere im Hinblick auf § 578 Abs. 2 BGB,
Anlass bestanden hätte, zur Anwendbarkeit von § 566 BGB – der ebenfalls in dem Unterabschnitt über
Mietverhältnisse über Wohnraum steht – Ausführungen über die Anwendbarkeit über einen
Geschäftsraummietvertrag zu machen.
Da somit die Einwendungen der Klägerin gegen die Bewertung der von ihr angefochtenen Aufsichtsarbeit
02 (Zivilrecht) durch den Erstprüfer insgesamt nicht zum Erfolg führen, war die Klage mit der Kostenfolge
aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167
Abs. 2 VwGO.
Beschluss
der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 20.04.2005
Der Streitwert wird auf 7.500 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 36.1 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327 ff.).