Urteil des VG Mainz vom 27.10.2010

VG Mainz: zahl, bebauungsplan, gebäude, satzung, grundstück, fahrbahn, aufwand, entwässerung, leitbild, ermessen

VG
Mainz
27.10.2010
3 K 1334/09.MZ
Erschließungsbeitragsrecht
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27. Oktober 2010, an der teilgenommen haben
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für Recht erkannt:>>
2010 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in einer der Kostenfestsetzung
entsprechenden Höhe vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen.
Sie ist Eigentümerin des in S. gelegenen Grundstücks Am R. XX, Flur XX Nr. XXX. Das Grundstück liegt im
Geltungsbereich des Bebauungsplans „P.-weg“ der Beklagten, welcher am 9. November 1995 in Kraft trat.
Am 17. Dezember 2008 beschloss der Gemeinderat der Beklagten die endgültige erstmalige Herstellung
und Widmung der Erschließungsanlage „P.-weg“ unter gleichzeitiger einer Erschließungseinheit im
Geltungsbereich des Bebauungsplans „P.-weg“.
Die Beklagte zog die Klägerin durch Erschließungsbeitragsbescheid vom 5. März 2009 zunächst zu
Erschließungsbeiträgen i.H. von 16.713,99 € heran. Hiergegen erhob die Klägerin am 19. März 2009
Widerspruch. Diesen nahm sie mit Schreiben vom 22. April 2009 zurück.
Mit Änderungsbescheid der Beklagten vom 30. März 2009 wurden die ursprünglich festgesetzten
Erschließungsbeiträge auf 13.880,30 € reduziert.
Hiergegen erhob die Klägerin am 21. April 2009 Widerspruch. Sie trug vor: Die Beitragserhebung sei
rechtswidrig. Die Beklagte habe einen Zuschuss i.H. von 50.000,00 € aus dem Investitionsstock 1998 des
Landes Rheinland-Pfalz erhalten, ohne dass dies zu einer Reduzierung des beitragsfähigen
Erschließungsaufwandes geführt habe. Die Gewährung eines solchen Zuschusses diene jedoch dem
Zweck, die Beitragspflichtigen zu entlasten. Sie sei bereits 1996 zu Beiträgen für die Kosten der
erstmaligen Herstellung der Abwassersammelleitungen im Baugebiet „P.-weg“ in S. herangezogen
worden. Dies habe zur Folge, dass die Einstellung der Position 11 „Investitionskosten Entwässerung“ i.H.
von 117.475,09 € in den umlagefähigen Aufwand eine unzulässige Doppelveranlagung darstelle.
Schließlich verstoße der Verteilungsmaßstab gegen den Gleichheitsgrundsatz. Dies ergebe sich daraus,
dass hinsichtlich der für die Beitragsveranlagung relevanten Vollgeschosse nach § 5 Abs. 5 der
Erschließungsbeitragssatzung die Anzahl der Vollgeschosse dergestalt fingiert werde, dass als Zahl der
Vollgeschosse die höchstzulässige Trauf- oder Firtshöhe, geteilt durch 2,8, gelte. Nach Ziffer 4.1. der
textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sei Bezugspunkt für die Ermittlung der Traufhöhe die dem
Gebäude zugeordnete Fahrbahn, gemessen an der mittleren Gebäudeachse. Da es sich bei dem
Baugebiet um ein stark hängiges Gelände handele, habe dies zur Folge, dass die Eigentümer der
einzelnen Abschnitte ungleich behandelt würden, obwohl die Ausnutzbarkeit der Grundstücke identisch
sei. So werde beispeilsweise ihr im Abschnitt D gelegenes Grundstück bei einer Traufhöhe von 6,50 m mit
zwei Vollgeschossen veranschlagt, während die Grundstücke im Abschnitt C bei einer Traufhöhe von 3,50
m lediglich mit einem Vollgeschoss berechnet würden. Dies verstoße gegen § 131 Abs. 2 BauGB, da die
Grundstücke bei identischem Erschließungsvorteil unterschiedlich veranlagt würden.
Der Widerspruch der Klägerin wurde vom Kreisrechtsausschuss A.-W. durch Widerspruchsbescheid vom
8. Oktober 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Kreisrechtsausschuss aus, der
Investitionskostenzuschuss des Landes sei allein auf den Gemeindeanteil anzusetzen und diene nicht der
Entlastung der Beitragspflichtigen. Die Position 11 „Investitionskostenanteil Entwässerung“ sei zu Recht in
den umlagefähigen Erschließungsaufwand mit einbezogen worden, da dieser die Kosten der von den
Verbandsgemeindewerken in Rechnung gestellte Straßenoberflächenentwässerung umfasse, die zum
beitragfähigen Aufwand gehörten. Die Verteilung des beitragsfähigen Aufwandes sei gemäß § 5 der
Satzung erfolgt.
Nach Zustellung des Widerspruchsbescheides am 13. Oktober 2009 hat die Klägerin am 12. November
2009 Klage erhoben.
Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen und verweist insbesondere darauf, dass die Verteilung des
beitragsfähigen Aufwandes auf die einzelnen Grundstückseigentümer gegen den Gleichheitsgrundsatz
des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Schließlich sei auch die Ermittlung der beitragfähigen Gesamtfläche zu
beanstanden, denn diese unterscheide sich signifikant von der Gesamtfläche, die der
Erschließungsbeitragsvorausleistung zugrunde gelegen habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des
Kreisrechtsausschusses A.-W. vom 8. Oktober 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor: Die Verteilung des
beitragsfähigen Aufwandes auf die einzelnen Grundstückseigentümer genüge dem Vorteilsprinzip. Die
Klägerin übersehe, dass die Erschließungsbeitragssatzung für das gesamte Gemeindegebiet gelte und im
Abgabenrecht Typisierungen zulässig seien, die im Einzelfall zur nicht optimalen Umsetzung des
Gerechtigkeitsgebotes führen könnten. Eine Vergleichsberechnung ohne Berücksichtigung des
Vollgeschosszuschlages führe nur zu einem unwesentlich geringeren Erschließungsbeitrag. Soweit
gegenüber der Erhebung der Erschließungsbeitragsvorausleistungen eine geänderte Gesamtfläche
zugrunde liege, beruhe dies darauf, dass bei der Vorausleistung Flächen nicht berücksicht worden seien,
die tatsächlich in die Abrechnung hätten eingestellt werden müssen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten in
den Gerichtsakten verwiesen. Die Kammer hat die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (3 Ordner) und
die Widerspruchsakten des Kreisrechtsausschusses (1 Heftung) sowie die Bebauungsplanakten zum
Bebauungsplan „P.-weg“ der Beklagten (3 Ordner) beigezogen. Diese wurden zum Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gemacht.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 30. März 2009 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses A.-W. vom 8. Oktober 2009 ist rechtswidrig und
verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ergibt sich daraus, dass die
Satzung der Beklagten Erhebung von Erschließungsbeiträgen (Erschließungsbeitragssatzung – EBS –)
vom 25. Juni 2008 in § 5 Abs. 5 Nr. 3 und Abs. 4 einen unwirksamen Verteilungsmaßstab enthält. Da dies
die Verteilung des beitragsfähigen Aufwandes und in der Folge das Entstehen sachlicher
Beitragspflichten hindert, ist die hier in Rede stehende Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten nicht
anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1978 – 4 C 70.75 –, juris [Rdnr. 9]; OVG Rheinland-Pfalz,
Urteil vom 22. Januar 2002 – 6 A 11252/01.OVG –; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8.
Auflage 2007, § 18 Rdnr. 2).
Gemäß § 132 Nr. 2 des Baugesetzbuchs – BauGB – regelt die Gemeinde zur Erhebung von
Erschließungsbeiträgen durch Satzung u.a. die Verteilung des Aufwandes auf die erschlossenen
Grundstücke. Verteilungsmaßstäbe sind gemäß § 131 Abs. 2 Satz 1 BauGB die Art und das Maß der
baulichen Nutzung, die Grundstücksfläche und die Grundstücksbreite an der Erschließungsanlage. Diese
Verteilungsmaßstäbe können miteinander verbunden werden (§ 131 Abs. 2 Satz 2 BauGB). Der
Gesetzgeber gibt keinen bestimmten Verteilungsmaßstab vor, sondern überlässt die Entscheidung dem
Satzungsgeber. Diesem ist bei der Aufstellung des Verteilungsmaßstabes ein weitgehendes Ermessen
eingeräumt, welches durch das sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG
abgeleitete Vorteilsprinzip eingeschränkt wird, das der Regelung des § 131 Abs. 3 BauGB zugrunde liegt
(vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1995 – 8 C11.94 –, BVerwGE 100, 104, 112).
Nach § 131 Abs. 3 BauGB sind die in § 131 Abs. 2 BauGB festgelegten Verteilungsmaßstäbe in Gebieten,
die nach dem In-Kraft-Treten des Bundesbaugesetzes erschlossen werden, und wenn eine
unterschiedliche bauliche oder sonstige Nutzung zulässig ist, in der Weise anzuwenden, dass der
Verschiedenheit dieser Nutzung nach Art und Maß entsprochen wird. Hieraus folgt die Verpflichtung der
Gemeinden, einen Verteilungsmaßstab festzulegen, der sich an der Höhe der Erschließungsvorteile
orientiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht der durch die Herstellung
einer beitragsfähigen Erschließungsanlage ausgelöste Erschließungsvorteil "auf der Möglichkeit der
Inanspruchnahme dieser Anlage", richtet sich "das Ausmaß des jeweiligen Erschließungsvorteils" nach
dem Ausmaß der von einem erschlossenen Grundstück aus zu erwartenden (wahrscheinlichen)
Inanspruchnahme der Anlage und ist diese abhängig von "dem Umfang der zugelassenen Ausnutzbarkeit
eines Grundstücks" (Urteil vom 8. Dezember 1995, a.a.O. S. 112 m.w.N.). Dies erfordert eine
Verteilungsregelung, die eine annähernd vorteilgerechte Verteilung des umlagefähigen
Erschließungsaufwandes in allen Gebieten ermöglichen muss, die in der betreffenden Gemeinde im
Zeitpunkt des Erlasses der Satzung vorhanden sind oder deren Entstehen aufgrund konkreter
Anhaltspunkte zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 1988 – 8 C 51.87 –, BVerwGE 80, 99,
103 f.). Da der Erschließungsvorteil allerdings keine Größe ist, die sich ziffernmäßig exakt ausdrücken
lässt, kann bei der Bemessung des Erschließungsvorteils angeknüpft werden an ein Merkmal, dass von
besonderem Aussagewert für den Umfang der wahrscheinlichen Inanspruchnahme der hergestellten
Anlage ist. Dies ist im Allgemeinen die bauliche Ausnutzbarkeit eines Grundstücks (vgl. Driehaus, a.a.O., §
18 Rdnr. 3 f.).
Vorliegend hat die Beklagte in § 5 EBS für die Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwandes
einen Verteilungsmaßstab gewählt, der ausgehend von der Grundfläche (§ 5 Abs. 1 und 2 EBS) die
unterschiedliche bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke nach dem Maß durch einen Zuschlag für
Vollgeschosse (§ 5 Abs. 4 EBS) abbildet. Ein solcher Verteilungsmaßstab ist unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der Beitragsgerechtigkeit grundsätzlich geeignet, den sich aus der unterschiedlichen
baulichen Ausnutzbarkeit der Grundstücke ergebenden Vorteil zu erfassen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz,
Urteil vom 15. November 2005 – 6 A 10398/05.OVG –, ESRIA). Insoweit sind jedoch immer
die konkreten Umstände des Einzelfalles in den Blick zu nehmen, die ihrerseits maßgeblich durch die
bauplanungsrechtlichen Vorgaben, wie sie der die Herstellung von Erschließungsanlagen
voraussetzende Bebauungsplan (§ 125 Abs. 1 BauGB) normiert, geprägt werden. Hiernach genügt der
gewählte Verteilungsmaßstab nicht dem Vorteilsprinzip, denn der Vollgeschosszuschlag spiegelt nicht
den sich aus der Ausnutzbarkeit der Grundstücke ergebenden Vorteil wieder. Dies ergibt sich aus
folgendem:
Nach § 5 Abs. 1 EBS wird umlagefähiger Erschließungsaufwand auf die erschlossenen Grundstücke
verteilt, wobei deren unterschiedliche Nutzung nach Art und Maß berücksichtigt wird. Zur Berücksichtigung
des Maßes der baulichen Nutzung wird die anrechenbare Fläche – dies ist im Geltungsbereich eines
Bebauungsplans die überplante Fläche (§ 5 Abs. 2 Satz 1 EBS) – mit einem Zuschlag für Vollgeschosse
vervielfältigt, dessen Höhe sich nach der Zahl der Vollgeschosse richtet (§ 5 Abs. 4 Satz 1 EBS). Wieviele
Vollgeschosse anzusetzen sind und wie hoch demnach der Vervielfältigungsfaktor nach § 5 Abs. 4 Satz 1
EBS ist, bestimmt sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplans nach § 5 Abs. 5 EBS. Diese Vorschrift
enthält – ausgehend von der Art der Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich des Maßes der
baulichen Nutzung – in den Nummern 1 bis 3 verschiedene Ansätze für die Ermittlung der Anzahl der
Vollgeschosse.
Im vorliegenden Fall ist dabei der Ermittlung der Anzahl der Vollgeschosse § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 EBS
zugrunde zu legen, denn der hier einschlägige Bebauungsplan „P.-weg“ der Beklagten setzt weder die
Anzahl der Vollgeschosse (§§ 16 Abs. 2 Nr. 3, 20 BauNVO) noch eine Baumassenzahl (§ 16 Abs. 2 Nr. 2
Alt. 3, 21 BauNVO), sondern in Ziffer 4.1 der textlichen Festsetzungen lediglich eine maximale Traufhöhe
fest. Die für die Bestimmung der Höhe des Vollgeschosszuschlags zu ermittelnde Zahl der (fiktiven)
Vollgeschosse ergibt sich daraus, dass die höchstzulässige Traufhöhe durch 2,8 geteilt wird (§ 5 Abs. 5
Satz 1 Nr. 3 Satz 1 EBS) und dabei ermittelte Bruchzahlen auf- oder abgerundet werden (§ 5 Abs. 5 Satz
1 Nr. 3 Satz 3 EBS). Gegen eine solche Bestimmung der Vollgesschosse nach der Traufhöhe ist dem
Grundsatz nach nichts einzuwenden (vgl. Driehaus, a.a.O. § 18 Rdnr. 38).
Dies vorausgesetzt ist der in § 5 Abs. 1, 2, 4 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 EBS enthaltene Verteilungsmaßstab
im vorliegenden Fall in Bezug auf den Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit als rechtlich unzulässig
einzustufen. Vor dem Hintergrund der Regelungen in Ziffer 4.1 der textlichen Festsetzungen des
Bebauungsplans „P.-weg“ der Beklagten führt eine Anwendung dieses Verteilungsmaßstabes dazu, dass
im Plangebiet befindliche Grundstücke bei im wesentlichen gleicher baulicher Ausnutzbarkeit in
unterschiedlicher Höhe zu Erschließungsbeiträgen veranlagt werden.
Der Bebauungsplan „P.-weg“ setzt ausweislich seiner Planurkunde vier Baufenster (A bis D) fest. Die
höchstzulässige Traufhöhe beträgt in den Baufenstern A und C jeweils 3,50 m, im Baufenster B 4,50 m
und im Baufenster D 6,50 m (Ziffer 4.1 Satz 1 der textlichen Festsetzungen in Gestalt der 1. Änderung des
Bebauungsplans). Bezugspunkt der Traufhöhen ist jeweils die dem Gebäude zugeordnete Fahrbahn,
gemessen an der mittleren Gebäudeachse (Ziffer 4.1 Satz 2 der textlichen Festsetzungen). Mit dieser
Traufhöhenfestsetzung ist beabsichtigt, in dem durch eine „exponierte“ Hanglage geprägten Baugebiet
die baulichen Anlagen zu vereinheitlichen (vgl. Ziffer 6.0 „Planung“ der Begründung des
Bebauungsplans). Damit verbunden wurde eine in etwa vergleichbare bauliche Ausnutzbarkeit der
Grundstücke. Denn auch wenn für Gebäude, die talseitig an die Erschließungsstraße angrenzen, eine
höhere Traufhöhenobergrenze festgesetzt ist, als für Gebäude, die bergseitig an die Straße angrenzen,
besteht wegen des vom Baufenster D zum Baufenster A hin abfallenden Geländes bei beiden Gebäuden
talseitig eine in etwa gleiche faktische Traufhöhe und damit vergleichbare bauliche Ausnutzbarkeit. In
erschließungsbeitragsrechtlicher Sicht werden die berg- und talseitig an die Straße angrenzenden
Grundstücke wegen des in Ziffer 4.1 Satz 2 der textlichen Festsetzungen normierten Bezugspunktes für
die Traufhöhe jedoch unterschiedlich behandelt. Während die Grundstücke in den Baufenstern A und C
nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 EBS mit einem Vollgeschoss zu Buche schlagen (3,50 m : 2,8 = 1,25 /
abgerundet 1 Vollgeschoss), werden die in den Baufenstern B und D liegenden Grundstücke als
zweigeschossig behandelt (4,50 m : 2,8 = 1,61 / aufgerundet 2 Vollgeschosse bzw. 6,50 m : 2,8 = 2,32 /
abgerundet 2 Vollgeschosse). Dies führt dazu, dass der Veranlagung der Grundstücke in den Baufenstern
A und C eine gewichtete Grundstücksfläche im Umfang der Grundstücksfläche (Vervielfältigungsfaktor 1,0
[§ 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EBS]) zugrundeliegt, während die Grundstücke in den Baufenstern B und D mit
einer gewichteten Grundstücksfläche von 130 % der Grundstücksfläche (Vervielfältigungsfaktor 1,3 [§ 5
Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EBS]) veranlagt werden, ohne dass sie in einem größeren Maße baulich ausnutzbar
sind als die Grundstücke in den Baufenstern A und C. Dies lässt sich auch aus den von dem
Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Lichtbildern
ungeachtet des Umstandes verdeutlichen, dass je nach Aufnahmeort die Perspektive verzerrt wirken
kann. In Anbetracht dieser Umstände erweist sich eine Veranlagung der Grundstücke im Plangebiet unter
Einbeziehung einer auf der Grundlage von § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 i.V. mit den Festsetzungen des
Einbeziehung einer auf der Grundlage von § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 i.V. mit den Festsetzungen des
Bebauungsplans ermittelten gewichteten Grundstücksfläche nicht als vorteilsgerecht und daher mit dem
Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit unvereinbar.
Entgegen der Auffassung der Beklagten erweist sich der Verteilungsmaßstab unter Heranziehung der
Traufhöhenfestsetzungen nach dem Bebauungsplan auch im Hinblick auf den Grundsatz der
Typengerechtigkeit nicht als rechtmäßig. Danach ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich gestattet, zu
verallgemeinern, zu pauschalieren, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen
Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juli 2010 –
2 BvL 13/09 –, juris [Rdnr. 38], und vom 18. Juli 2005 – 2 BvF 2/01 –, BVerfGE 113, 167, 236).
Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleichgeartete Lebenssachverhalte normativ
zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können
generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren
und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die
gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen
Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Insbesondere darf der
Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss
realitätsgerecht den typischen Sachverhalt als Maßstab zugrunde legen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.
Juli 2010, a.a.O. m.w.N.). Allerdings vermag der Grundsatz der Typengerechtigkeit die Gleichbehandlung
ungleicher Sachverhalte indessen nur so lange zu rechtfertigen, solange die durch jede typisierende
Regelung entstehende Ungerechtigkeit noch in einem angemessenen Verhältnis zu den
erhebungstechnischen Vorteilen der Typisierung steht und die Zahl der Ausnahmen gering ist (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 19. September 2005 – 10 BN 2.05 –, juris [Rdnr. 8]; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil
vom 10. Juni 2008 – 6 C 10255/08.OVG –, ESRIA). Hiervon kann im vorliegenden Fall nicht (mehr) die
Rede sein. Wie nämlich bereits der Bebauungsplanurkunde entnommen werden kann, liegt das
Verhältnis der bergseitig an die Straße angrenzenden Grundstücke zu den talseitig angrenzenden
Grundstücken bei annähernd 50 %, so dass in Hinblick auf die unterschiedliche Behandlung der
Grundstücke im Baugebiet hinsichtlich der für die Veranlagung bedeutsamen Vollgeschosse bei einer im
Wesentlichen gleichen baulichen Ausnutzbarkeit von einer geringen Zahl von Ausnahmen nicht
ausgegangen werden sein kann. Insoweit ist für eine durch den gewählten Verteilungsmaßstab bedingte
ungleiche Heranziehung der Grundstücke zu Erschließungsbeiträgen kein Raum.
Da § 5 EBS im vorliegenden Fall keinen weiteren Verteilungsmaßstab vorsieht, der geeignet ist, in
rechtlich nicht zu beanstandender Weise den durch das Maß der baulichen Nutzung aufgrund
Traufhöhenfestsetzungen begründeten Vorteil zu erfassen, und die Kammer wegen des der Beklagten
zustehenden Ermessens aus Rechtsgründen gehindert ist, einen eigenen Verteilungsmaßstab der
Veranlagung zugrundezulegen, ist die Verteilungsregelung unwirksam. Allerdings kann die Beklagte den
Mangel durch eine Änderungssatzung heilen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. März 2009 – 6 A
11135/08.OVG –).
Erweist sich der der Veranlagung zugrunde gelegte Verteilungsmaßstab als fehlerhaft, können
Erschließungsbeiträge nicht erhoben werden. Eine fehlerhafte und deshalb nichtige Verteilungsregelung
gestattet nicht die Aufteilung des Erschließungsaufwands in Beitragsbeträge. Bei fehlerhafter und deshalb
nichtiger Regelung der Herstellungsmerkmale kann eine Beitragsforderung gemäß § 133 Abs. 2 BauGB
nicht entstehen, weil eine Anlage, sei es als gesamte Anlage oder als Teilanlage, nur nach Maßgabe
einer rechtswirksamen Merkmalsregelung im Rechtssinne endgültig hergestellt sein kann. Der
angefochtete Beitragsbescheid ist deshalb aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167
VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
B e s c h l u s s
der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz
vom 27. Oktober 2010
Der Streitwert wird auf
13.880,30
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