Urteil des VG Köln vom 09.12.2010

VG Köln (aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, prüfung, wettbewerb, richtlinie, anordnung, verwaltungsgericht, vollziehung, zulassung, wirkung)

Verwaltungsgericht Köln, 18 L 1710/10
Datum:
09.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 L 1710/10
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des
Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50.000.- Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid
der Antragsgegnerin vom 14.10.2010 anzu- ordnen,
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hat keinen Erfolg.
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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende
Wirkung eines Widerspruchs anordnen, wenn das Interesse der Antragstellerin am
vorläufigen Aufschub der Vollziehung das öffentliche Interesse an der nach § 37 AEG
gesetzlich vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt. Dies ist der
Fall, wenn sich der Bescheid bei der im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5
VwGO gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist, da an
der sofortigen Vollziehung rechtswidriger Bescheide ein öffentliches Interesse nicht
bestehen kann. Die Frage der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts ist
jedoch regelmäßig nur insoweit zu berücksichtigen, als sie schon bei summarischer
Prüfung überschaubar ist. Eine abschließende Überprüfung des angefochtenen
Bescheides ist nicht gefordert.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.8.2000 - 20 B 959/00 - m. w. N.
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Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 14.10.2010 lässt sich bei
summarischer Prüfung nicht feststellen; vielmehr spricht alles für die Rechtmäßigkeit
dieses Bescheides.
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Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides erweist sich bei summarischer Prüfung als
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rechtmäßig.
Die getroffene Anordnung findet ihre rechtliche Grundlage in § 14 c Abs. 1 AEG. Die
Antragstellerin ist sowohl Eisenbahnverkehrsunternehmen ( EVU ) als auch -
hinsichtlich des Betriebs der Verladestationen - Eisenbahninfrastrukturunternehmen (
EIU ). Denn bei den Verladestationen handelt es sich um Betriebsanlagen der
Eisenbahnen und damit nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 3 AEG um Infrastruktur.
Dies hat zur Folge, dass die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin
Anordnungen nach § 14 c Abs. 1 AEG treffen darf.
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Die Voraussetzungen des § 14 c Abs. 1 AEG für ein Einschreiten der Antragsgegnerin
sind hier erfüllt, weil die getroffene Maßnahme der Beseitigung eines festgestellten
Verstoßes dient.
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Die Antragsgegnerin war berechtigt, von der Antragstellerin das Aufstellen von
Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen zu verlangen, denn die Antragstellerin
betreibt zur Überzeugung der Kammer Serviceeinrichtungen i. S. d. § 2 Abs. 3 c AEG
und hat bislang hierfür nicht gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1
Eisenbahninfrastrukturbenutzungsverordnung ( EIBV ) Nutzungsbedingungen
aufgestellt. Zwar ist der Antragstellerin einzuräumen, dass sie jeweils in Niebüll und in
Westerland nicht nur einen Personenbahnhof und nicht nur einen Güterbahnhof betreibt,
weil die jeweiligen Einrichtungen sowohl der Aufnahme von Personen als auch der
Verladung von Gütern dienen. Auch geht die Kammer mit der Antragstellerin im Ansatz
davon aus, dass die Aufzählung der Serviceeinrichtungen in § 2 Abs. 3 c AEG
abschließend ist. Jedoch ist die Kammer der Auffassung, dass nach dem
gesetzgeberischen Willen die Benennung der Serviceeinrichtungen in § 2 Abs. 3 c AEG
umfassend sein sollte, d. h. dass es nicht in § 2 Abs. 3 c AEG nicht genannte
Serviceeinrichtungen geben sollte. Dies lässt sich etwa auch aus der verhältnismäßig
unbestimmten Formulierung "andere technische Einrichtungen" in § 2 Abs. 3 c Nr. 7
AEG ableiten. Die in § 2 Abs. 3 c AEG enthaltene Aufzählung deckt sich vollständig mit
der Aufzählung in Anhang II Nr. 2 der Richtlinie 2001/14/EG. Soweit die Antragstellerin
dem gegenüber einwendet, in dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine
Richtlinie zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums vom
17.9.2010 seien nunmehr die Einrichtungen zur Brennstoffaufnahme nicht mehr als
Serviceeinrichtungen aufgeführt, was deutlich mache, dass auf europäischer Ebene
nicht von einem umfassenden Zugangsanspruch zu allen Serviceeinrichtungen
ausgegangen werde, betrifft diese Argumentation zunächst nur den vorgenannten
Entwurf. Auf der Grundlage der geltenden Richtlinie 2001/14/EG ist vielmehr davon
auszugehen, dass grundsätzlich von einem umfassenden Zugangsanspruch zu
Serviceeinheiten ausgegangen wird, der inhaltlich jedoch durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der
Richtlinie dahin konkretisiert wird, dass ein Zugangsbegehren im Einzelfall abgelehnt
werden darf, wenn für das EVU vertretbare Alternativen zu Marktbedingungen bestehen.
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Vor diesem Hintergrund führt die Tatsache, dass es sich bei den Verladestationen um
kombinierte Personen- und Güterbahnhöfe handelt, nicht dazu, dass diese um deswillen
nicht als Serviceeinrichtungen i. S. d. § 2 Abs. 3 c AEG zu qualifizieren sind. Denn diese
Verladestationen stellen sich in ihrer spezifischen Ausprägung sowohl als
Personenbahnhöfe als auch als Güterbahnhöfe dar. Die Kammer geht mit der
Antragsgegnerin davon aus, dass die Begriffe Personenbahnhof und Güterbahnhof i. S.
d. § 2 Abs. 3 c Nr. 2 und 3 AEG in einem funktionalen Sinne i. S. der Richtlinie 2001/14
EG ( Anhang II, Nr. 2 ) zu verstehen sind. Wegen der näheren Einzelheiten der
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Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem Bescheid vom 14.10.2010,
S. 5 unten f. Bezug genommen.
Selbst wenn man mit der Antragstellerin der Auffassung sein sollte, dass es sich bei den
Verladestationen nicht ( auch ) um Güterbahnhöfe handelte, ist jedenfalls davon
auszugehen, dass es sich um Personenbahnhöfe im funktionellen Sinne handelt, weil
von der Funktion her Personen befördert werden, die ihre Kraftfahrzeuge mit sich führen.
Die Tatsache, dass die Züge der Antragstellerin nur Abteilwagen für Motorradfahrer
mitführen, ändert an der Qualifizierung der Verladestationen nichts. Auch diesbezüglich
wird ergänzend auf die zutreffenden Ausführungen in dem Bescheid vom 14.10.2010, S.
6 Mitte Bezug genommen.
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Dieses Verständnis entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 AEG. Denn
wenn nach § 2 Abs. 3 c AEG i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 EIBV für jeden Güterbahnhof
und für jeden Personenbahnhof Nutzungsbedingungen zur Herstellung von Wettbewerb
aufzustellen sind, gibt es keinen nachvollziehbaren Grund dafür, für einen kombinierten
Personen- und Güterbahnhof Nutzungsbedingungen nicht erstellen zu müssen.
Anhaltspunkte dafür, dass der europäische und auch der nationale Normgeber diese
Einrichtungen wettbewerbsfrei hätten halten wollen, gibt es nicht.
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Auch soweit die Antragstellerin auf die tatsächlichen Gegebenheiten in Niebüll und vor
allem in Westerland hinweist, die die Zulassung von anderen EVU zu diesem Verkehr
nicht erlaubten, entbinden diese die Antragstellerin nicht von ihrer Verpflichtung,
Nutzungsbedingungen aufzustellen. Die Rechtspflicht zur Aufstellung von
Nutzungsbedingungen entfällt nicht deshalb, weil die Verladestationen aus baulichen
und betriebstechnischen Gründen für andere EVU nicht nutzbar wären. Eine
ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung dieses Inhalts lässt sich § 10 Abs. 1 Satz 1
EIBV nicht hinzufügen. Vielmehr handelt es sich bei der Problematik, wie ein
Wettbewerb um die Verladestationen konkret realisiert werden könnte, um eine
nachgelagerte Fragestellung. Eine normative Kraft des Faktischen des Inhalts, dass
etwa wegen der vorhandenen Fahrkartenautomaten der Antragstellerin oder wegen des
begrenzten Raums für wartende Kraftfahrzeuge andere EVU keinen Rechtsanspruch
auf Zulassung zu den Serviceeinrichtungen der Antragstellerin hätten, gibt es indes
nicht. Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren entfällt die
Verpflichtung der Antragstellerin zur Aufstellung von Nutzungsbedingungen für die
Verladestationen auch nicht mit Rücksicht auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie
2001/14/EG. Denn es ist nicht ersichtlich, dass es für andere EVU vertretbare
Alternativen zu den Verladestationen zu Marktbedingungen gäbe. Der Hinweis auf die
Möglichkeit, in der Örtlichkeit bestimmte Laderampen auszubauen, genügt hierfür
jedenfalls nicht.
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Da die Antragstellerin bislang Nutzungsbedingungen für die Verladestationen unstreitig
nicht aufgestellt hat, liegt ein Verstoß gegen Eisenbahnrecht vor.
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Die Antragsgegnerin hat mit der Entscheidung, die Antragstellerin zur Aufstellung von
Nutzungsbedingungen aufzufordern, das ihr eingeräumte Ermessen in rechtlich nicht zu
beanstandender Weise ausgeübt. Die angeordnete Maßnahme ist geeignet, erforderlich
und auch verhältnismäßig. Die angestellten Erwägungen sind sachgerecht und
tragfähig. Soweit die Antragstellerin dem gegenüber geltend macht, wegen der bereits
jetzt bestehenden maximalen Auslastung der Strecke Niebüll - Westerland führe die
Zulassung von anderen EVU lediglich zu einer Verlagerung, nicht jedoch zu mehr
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Wettbewerb, nimmt diese Argumentation nicht hinreichend in den Blick, dass die
Schaffung von Wettbewerb nicht notwendig eine zusätzliche Auslastung der
vorhandenen Infrastrukturkapazitäten voraussetzt.
Auch die der Antragstellerin gesetzte Frist von drei Monaten begegnet keinen
durchgreifenden Bedenken. Denn die Antragstellerin kann im Ansatz auf die
Nutzungsbedingungen anderer konzernverbundener EIU zurückgreifen.
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Die Anordnung in Ziffer 2 des Bescheides vom 14.10.2010 ist rechtlich nicht zu
beanstanden. Sie findet ihre rechtliche Grundlage in § 14 d Satz 1 Nr. 6 AEG.
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Schließlich begegnet auch die Androhung eines Zwangsgeldes in Ziffer 3 des
angefochtenen Bescheides nach Grund und Höhe keinen rechtlichen Bedenken.
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Auch die Interessenabwägung geht vorliegend nicht zugunsten der Antragstellerin aus.
Dabei ist die Kammer der Auffassung, dass wegen der gesetzgeberischen
Entscheidung in § 37 AEG, diese Maßnahmen der Antragsgegnerin sofort vollziehbar zu
machen, jedenfalls in den Fällen, in denen bei summarischer Prüfung die
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides festgestellt werden kann, für eine
Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches oder einer Klage
regelmäßig kein Raum ist. Vgl. zu dieser Problematik: OVG NRW, Beschluss vom
23.3.2010 - 13 B 247/10 -
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Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt zur Überzeugung der Kammer in
den Fällen, in denen sich die Rechtmäßigkeit des Bescheides bereits bei summarischer
Prüfung feststellen lässt, allenfalls dann in Betracht, wenn wegen ganz besonderer
Gründe ausnahmsweise der Sofortvollzug für die Antragstellerin eine unbillige, nicht
durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
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Vgl. ebenso Schoch/ Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 80 Rdnr. 262.
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Ein solcher Fall könnte etwa bei der Erhebung von öffentlichen Kosten, die ebenfalls
kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind, dann angenommen werden, wenn der
Kostenschuldner gerade und nur wegen der öffentlichen Kostenforderung in die
Insolvenz getrieben würde.
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Derartige besondere Härten für die Antragstellerin, die allein schon mit der Aufstellung
und Mitteilung von Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen verbunden wären,
lassen sich hier allerdings nicht feststellen. Soweit die Antragstellerin geltend macht, die
Versorgung der Insel Sylt sei gefährdet, wenn auch Wettbewerber zu der Verladestation
zugelassen werden müssten, ist dies für die Kammer zum einen nicht vollständig
nachvollziehbar, zum anderen ist nicht ersichtlich, dass bereits mit der hier nur
verlangten Aufstellung von Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen derartige
Nachteile verbunden sein könnten. Soweit die Antragstellerin darauf hinweist, dass im
Falle der Zulassung von Wettbewerb erhebliche bauliche Veränderungen
vorgenommen werden müssten, die ihr nicht zumutbar seien, handelt es sich ebenfalls
um Fragen, die erst nach Erstellung von Nutzungsbedingungen konkret zu entscheiden
sein werden. Auch soweit die Antragstellerin geltend macht, durch die sofortige
Vollziehung der Anordnung würden andere Ziele des § 1 Abs. 1 AEG, nämlich die
Sicherheit des Eisenbahnbetriebs und die Attraktivität des Verkehrsangebotes erheblich
beeinträchtigt, ist dies für die Kammer nicht plausibel. Vielmehr ist nach Aufstellung und
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Veröffentlichung von Nutzungsbedingungen zu klären, wie ein Wettbewerb auf der
Strecke Niebüll - Westerland in der Weise organisiert werden kann, dass auch die zuvor
genannten Ziele des § 1 Abs. 1 AEG erreicht werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts
folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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