Urteil des VG Köln vom 29.12.2010

VG Köln (antragsteller, schüler, errichtung, der rat, aufschiebende wirkung, schuljahr, schule, realschule, klasse, genehmigung)

Verwaltungsgericht Köln, 10 L 1604/10
Datum:
29.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 L 1604/10
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu je 1/3.
2. Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom 29.10.2010
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- 10 K 6696/10 - gegen den Errichtungs- und Auflösungsbeschluss des
Antragsgegners vom 06.10.2010 wiederherzustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Der Antrag ist zulässig.
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Die Antragsteller sind insbesondere entsprechend § 42 Abs. 2 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) antragsbefugt, denn sie können - jedenfalls - die
Möglichkeit der Rechtsverletzung in ihren Schülergrundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Verfassung für das Land Nordrhein-
Westfalen (LV) geltend machen.
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Der Antrag ist nicht begründet.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Errichtungs- und Auflösungsbeschlusses
gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist zunächst formell nicht zu beanstanden. Ihre
schriftliche Begründung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO,
indem sie auf den Einzelfall bezogene Ausführungen zum öffentlichen Interesse an der
sofortigen Vollziehung enthält. Die erforderliche schulaufsichtliche Genehmigung hat
die Bezirksregierung Köln inzwischen - am 17.12.2010 - erteilt. Dass die Genehmigung
erst nach der Anordnung der sofortigen Vollziehung erteilt wurde, führt nicht zur
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formellen Rechtswidrigkeit der Vollzugsanordnung; es reicht aus, wenn die
Genehmigung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren vorliegt,
vgl. auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW),
Beschluss vom 10.05.1991 - 19 B 787/91 -.
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Mit Rücksicht auf die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs überwiegt bei
der im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden
Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des
Ratsbeschlusses das private Interesse der Antragsteller an einem Aufschub der
Vollziehbarkeit. Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage wird voraussichtlich
ohne Erfolg bleiben. Die Antragsteller sind durch den in der Hauptsache angefochtenen
Errichtungs- und Auflösungsbeschluss des Antragsgegners nicht in ihren Rechten
verletzt.
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Die Antragsteller sind zunächst nicht in ihren Schülergrundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG
und Art. 8 Abs. 1 und 2 LV verletzt. Aus den Schülergrundrechten können sie allein die
Rechtsposition ableiten, eine Schule der gewünschten Schulform in zumutbarer
Entfernung besuchen zu können,
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vgl. OVG NRW, Urteile bzw. Beschlüsse vom 02.04.1984 - 5 B 403/84 -, vom
01.06.1984 - 5 A 736/84 -, vom 26.10.1984 - 5 A 1278/84 - und vom 28.06.1985 - 5
B 1006/85 -.
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Diese Rechtsposition ist durch den angefochtenen Errichtungs- und
Auflösungsbeschluss nicht beeinträchtigt. Die Antragsteller können auch nach der
Umsetzung des Beschlusses eine Realschule oder eine Hauptschule in zumutbarer
Entfernung besuchen, nämlich die ebenfalls im Gebiet der Stadt Sankt Augustin
gelegene und nach Aktenlage aufnahmefähige Hauptschule in Niederpleis bzw. die
Realschule in Niederpleis; hinzu kommt noch die ebenfalls zumutbar erreichbare
Realschule in Bonn-Beuel,
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siehe dazu bereits VG Köln, Beschluss vom 02.02.2010 - 10 L 110/10 -.
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Dass die Hauptschule im Schulzentrum Niederpleis als Ganztagschule geführt wird,
während die nach dem Ratsbeschluss zu schließende Gemeinschaftshauptschule
Menden im Halbtagsbetrieb geführt wird, führt zu keiner anderen rechtlichen
Beurteilung. Denn der Betrieb einer Schule als Ganztagsschule oder als
Halbtagsschule betrifft die innere Organisation der Schule nach Maßgabe von § 9 Abs.
1 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG) und nicht die
Schulform nach §§ 10 ff. SchulG. Ein Recht auf eine bestimmte innere Organisation der
Schule lässt sich aus den Schülergrundrechten nicht herleiten. Auch aus dem einfachen
Recht, demzufolge es in Nordrhein-Westfalen der Entscheidung des Schulträgers
obliegt, eine Schule als Ganztagsschule zu führen, wenn die personellen, sächlichen
und schulorganisatorischen Voraussetzungen vorliegen, lässt sich eine solches Recht
nicht ableiten,
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anders für das Schulrecht der Freien und Hansestadt Bremen - aufgrund anderer
landesrechtlicher Grundlagen zur Ganztagsschule - Oberverwaltungsgericht der
Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 07.09.2007 - 1 B 242/07 -; a. A. für das
SchulG NRW wohl auch Jehkul, SchulG NRW, § 9 Anm. 1.6 .
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Die Vorschrift des § 9 Abs. 1 SchulG ist eine allein an den Schulträger gerichtete, rein
schulorganisationsrechtliche Bestimmung, die nach Wortlaut, Zielrichtung und
systematischem Zusammenhang Schülern und Eltern keine subjektiv - öffentlichen
Rechte verleiht. Es kann daher offenbleiben, ob die im Halbtagsbetrieb geführte
Gemeinschaftshauptschule Am Römerkastell in Bonn für die Antragsteller noch in
zumutbarer Entfernung liegt, wie der Antragsgegner vorträgt.
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Ob die Antragsteller zu 1) und 3) als Schüler der 4. Klasse einer Grundschule, deren
Besuch einer Realschule oder Hauptschule als der gewünschten Schulform gesichert
ist, über ihre Schülergrundrechte hinaus Rechte aus den einfachgesetzlichen
Bestimmungen der §§ 78 Abs. 4, 81 Abs. 2 SchulG herleiten können,
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bejahend für Schüler des ersten durch die Auflösung betroffenen Schuljahres zur
Altregelung des § 8 des Schulverwaltungsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom
18.01.1985 aufgrund von Abs. 6 der Vorschrift: OVG NRW, Urteil vom 13.07.1984 -
5 A 1185/82 - und Beschluss vom 02.04.1984 - 5 B 403/84 -,
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und in welchem Verhältnis diese Rechte zu den Rechten der Eltern und Schüler mit
dem Schulformwunsch Gesamtschule stehen, kann vorliegend offenbleiben, denn diese
Vorschriften sind hier nicht verletzt. In formeller Hinsicht sind Bedenken gegen die
Rechtmäßigkeit des Ratsbeschlusses weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch
materiell-rechtlich ist die Errichtung der Gesamtschule und die damit verbundene
stufenweise Auflösung der Hauptschule und Realschule Menden nicht zu beanstanden.
Für die Errichtung der Gesamtschule in Sankt Augustin besteht ein Bedürfnis im Sinne
des §§ 78, 82 Abs. 1 SchulG, das den Rat zur Fassung des Auflösungs- und
Errichtungsbeschlusses berechtigt. Nach Auffassung der Kammer ergibt die im Mai
2009 durchgeführte Elternbefragung im Zusammenhang mit der
Schulentwicklungsplanung sogar ein sog. Vollbedürfnis (vgl. § 78 Abs. 4 Sätze 2 und 3
SchulG) auch für das Schuljahr 2011/2012,
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vgl. für das Schuljahr 2010/2011 bereits Beschluss vom 02.02.2010
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- 10 L 110/10 -.
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Von den dort befragten Grundschuleltern wurde für 66,1 % der Schüler der zweiten (jetzt
vierten) Klasse (in absoluten Zahlen: 290) und für 60,4 % der Schüler der ersten (jetzt
dritten) Klasse (in absoluten Zahlen: 223) die Gesamtschule als präferierte Schulform
angegeben, was die erforderliche Mindestzahl von 112 Schülern für den ersten
Jahrgang weit übersteigt und auch mittelfristig für den geordneten Unterrichtsbetrieb an
einer vierzügigen Gesamtschule ausreichen wird. Diese Zahlen können auch einer
Bedürfnisprognose für das Schuljahr 2011/2012 zugrunde gelegt werden. Dem steht
nicht entgegen, dass sich für das Schuljahr 2010/2011 von den 64,3% der Schüler der
damals dritten Klasse (in absoluten Zahlen: 274) im Anmeldeverfahren nur 110 Schüler
für die zu errichtende Gesamtschule in Sankt Augustin angemeldet haben. Der
Schlussfolgerung der Antragsteller, dass dies für das Schuljahr 2011/2012 lediglich zu
der Annahme eines sog. Teilbedürfnisses (vgl. § 78 Abs. 6 SchulG) führen könne, ist in
tatsächlicher Hinsicht bereits entgegenzuhalten, dass nach Abschluss des damaligen
Anmeldeverfahrens sechs weitere Schüler aus Sankt Augustin - erfolglos - die
Wiedereröffnung des Anmeldeverfahrens mit dem Begehren der Aufnahme in die
Gesamtschule im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes erreichen wollten (VG Köln,
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Beschluss vom 25.02.2010 - 10 L 221/10 -), es also tatsächlich mehr Bewerber mit dem
Wunsch der verbindlichen Anmeldung für die Gesamtschule in Sankt Augustin gab.
Ferner mögen die gegenüber der Elternbefragung geringeren Anmeldezahlen auch
darauf zurückzuführen sein, dass bei dem Anmeldeverfahren die rechtlichen
Möglichkeiten der Doppelanmeldung nicht ausgeschöpft wurden,
vgl. zur Zulässigkeit von Doppelanmeldungen OVG NRW, Beschluss vom
29.01.2010 - 19 B 41/10 - m.w.N.
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Unabhängig davon ist in rechtlicher Hinsicht zwischen dem - prognostischen -Bedürfnis
zum Zeitpunkt des Ratsbeschlusses (§ 78 Abs. 4 SchulG) und der Zahl der
Mindestanmeldungen (§ 82 Abs. 7 SchulG) zu unterscheiden. Dass die Zahl der bis zum
Ende des Anmeldeverfahrens eingegangenen Mindestanmeldungen von Schülern aus
Sankt Augustin im vergangenen Jahr knapp verfehlt wurde, lässt nicht das für den
vorliegenden Ratsbeschluss maßgebliche Bedürfnis entfallen. So soll der Rat nach
Punkt 2.1 d) des Runderlasses des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom
06.05.1997 zur Errichtung, Änderung und Auflösung von weiterführenden
allgemeinbildenden Schulen und Berufskollegs (BASS 2010/2011 10 - 02 Nr. 9, im
Folgenden: Runderlass) zur gesicherten Feststellung auch dann einen
Errichtungsbeschluss fassen, wenn die Nachfrage geringfügig unter der Zahl der
erforderlichen Mindestanmeldungen für die Errichtung liegt. In einem solchen Fall ist der
Ratsbeschluss nach dem Runderlass unter den Vorbehalt zu stellen, dass im
Anmeldeverfahren die Mindestschülerzahl erreicht wird. Einen solchen Vorbehalt
enthält auch der vorliegend angefochtene Auflösungs- und Errichtungsbeschluss.
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Die Elternbefragung und die Schulentwicklungsplanung aus dem Jahr 2009 sind auch
für das Schuljahr 2011/2012 als Grundlage der Bedürfnisermittlung hinreichend aktuell.
Weder aus dem Schulgesetz noch aus dem Runderlass ergibt sich die generelle
Verpflichtung zu einer jährlichen Erneuerung der Bedürfnisprüfung im Wege der
Elternbefragung; vielmehr hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, ob eine
Elternbefragung, die im Hinblick auf eine bereits für ein vergangenes Schuljahr geplante
Schulerrichtung durchgeführt wurde, aktuell noch herangezogen werden kann. Dies ist
hier der Fall: Der zeitliche Abstand zwischen Elternbefragung (Mai 2009) und
Errichtungsbeschluss (Oktober 2010) ist noch relativ gering und es wurden bei der
Elternbefragung ausdrücklich auch die Eltern der nunmehr für den ersten Jahrgang
maßgeblichen Schüler der - jetzigen - vierten Klassen der Grundschulen befragt.
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Die Planungen des Kreises zur Errichtung einer Kreisgesamtschule aufgrund der
lediglich subsidiären Verpflichtung nach § 74 Abs. 4 Satz 4 SchulG macht ebenfalls
nicht die Erneuerung der Schulentwicklungsplanung der im Falle eines
Vollbedürfnisses primär verpflichteten Gemeinde und die Erneuerung eines bereits
dahingehend ermittelten Elternwillens erforderlich, solange sich die Errichtung einer
Kreisgesamtschule noch im Planungsstadium befindet.
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Aus der auch im Übrigen nicht zu beanstandenden Elternbefragung und der
Schulentwicklungsplanung ergibt sich ferner, dass bei Errichtung der Gesamtschule das
Bedürfnis für eine - zweite - Realschule und Hauptschule neben den fortbestehenden
Schulen dieser Schulform am Schulzentrum Niederpleis entfällt,
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so bereits VG Köln, Beschluss vom 02.02.2010 - 10 L 110/10 -.
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Die Entscheidung des Antragsgegners, die Gesamtschule am Standort des
Schulzentrums Menden zu errichten, begegnet unabhängig von der Frage, ob die
Antragsteller insoweit überhaupt eine Rechtsverletzung geltend machen können,
ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken,
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siehe dazu bereits VG Köln, Beschluss vom 02.02.2010 - 10 L 110/10 -.
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Dem steht nicht entgegen, dass der Kreis das Schulzentrum Menden als Standort für die
Errichtung der Kreisgesamtschule abgelehnt hat. Die Standortentscheidung des
Kreises, der die Interessen der Schüler des gesamten Kreises zu berücksichtigen hat,
erfolgt aufgrund anderer Parameter und hat keinen Einfluss auf die Entscheidung der
Gemeinde.
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Aus § 81 Abs. 3 Satz 2 SchulG können die Antragsteller keine Rechte herleiten und
damit mit ihrem Vorbringen, der Stadt Sankt Augustin fehle es als Schulträger an der
erforderlichen Finanzkraft, nicht durchdringen,
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siehe dazu bereits VG Köln, Beschluss vom 02.02.2010 - 10 L 110/10 -.
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Die Kammer hat davon abgesehen, den im Betreff der Genehmigung der
Bezirksregierung neben der Antragstellung angeführten "weiteren Schriftverkehr"
beizuziehen, weil die der Kammer vorliegenden Verwaltungsvorgänge die
entscheidungserheblichen Tatsachen bereits vollständig enthalten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1
ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG, wobei die
Kammer für jeden Antragsteller für das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren
den halben Auffangwert von 2.500,00 Euro zugrunde legt.
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