Urteil des VG Köln vom 11.01.2011

VG Köln (cannabis, kläger, bundesrepublik deutschland, anbau, interesse, öffentliches interesse, versorgung, behandlung, erkrankung, ermessen)

Verwaltungsgericht Köln, 7 K 3889/09
Datum:
11.01.2011
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 3889/09
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 06. Dezember
2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2010
verpflichtet, den Antrag des Klägers vom 30.05.2007 unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Im Übrigen
wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Beklagte zu zwei Drittel und der
Kläger zu
einem Drittel zu tragen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die
Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwen-
den, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Der 1963 geborene Kläger leidet seit 1985 an Multipler Sklerose (MS)/Encephalonyelitis
disseminata. Seit Mitte der 90'Jahre besteht eine ausgeprägte Stand- und Gangataxie,
die sich inzwischen verschlechtert hat. Es besteht eine Tetraspastik, die mit einer
leichten Schwäche der Extremitäten- und Rumpfmuskulatur einhergeht, und eine sich
langsam verschlechternde Dysarthrie. Der Kläger hat sich im Laufe seiner Krankheit
selbst mit Cannabis therapiert und ist deswegen straffällig geworden. Zuletzt wurde der
Kläger mit Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 15.05.2003 vom Vorwurf des
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Besitzes und des Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen, da das Gericht die
Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB als gegeben
ansah.
Der Kläger stellte am 03.05.2000 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2
des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) zur Einfuhr, zum Erwerb und Besitz, hilfsweise
zum Anbau von Cannabis mit der Begründung, die Verwendung von Cannabis sei für
ihn medizinisch indiziert. Cannabisprodukte lösten bei seiner Erkrankung eine sehr gute
(zusätzliche) therapeutische Wirkung aus, die nicht durch andere Medikamente oder
Heilprodukte zu erzielen sei. Er legte seinem Antrag eine ärztliche Bescheinigung von
Dr. N. , Chefarzt der Klinik F. , vom 22.10.1999, eine fachärztliche Bescheinigung
betreffend die Behandlung mit Tetrahydrocannabinol von Dr. T. , Arzt für Neurologie und
Psychiatrie, vom 08.11.1999 und ein medizinisches Gutachten des
Vorstandsvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V., Dr. H. , vom
06.12.1999 bei.
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Das BfArM lehnte seinen Antrag mit Bescheid vom 31.07.2000 ab. Zur Begründung
führte es im Wesentlichen aus, die beantragte Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG liege
nicht im wissenschaftlichen Interesse und erfülle auch keinen öffentlichen Zweck. Die
nach dem BtMG erforderliche "notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung"
gebe dem Kläger kein subjektiv öffentliches Recht auf Erteilung der Erlaubnis, da beim
Kläger derzeit eine dem wissenschaftlichen Erkenntnistand entsprechende ärztliche
Versorgung mit Delta-9-THC durch die Anwendung eines verschreibungsfähigen
Cannabisprodukts (Dronabinol) möglich sei und daher kein Bedarf für die Versorgung
mit Cannabis im Wege der Einfuhr und des Erwerbs von illegalem Cannabis bzw.
dessen Eigenanbau bestehe.
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Die Beklagte wies den eingelegten Widerspruch des Klägers mit - undatiertem -
Widerspruchsbescheid, der am 08.01.2001 zuging, zurück.
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Das Landessozialgericht Baden-Württemberg wies mit Urteil vom 25.04.2003 - L 4 KR
3828/01 - die Klage des Klägers, Dronabinol-Tropfen als Sachleistung von der
Krankenkasse erstattet zu erhalten, ab. Die gegen die Nichtzulassung der Revision
erhobene Beschwerde wies das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom
06.01.2005 - B 1 KR 51/03 B - zurück.
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Die gegen die Bescheide des BfArM erhobene Klage wurde mit Urteil des
Verwaltungsgerichts Köln vom 17.02.2004 - 7 K 1023/01- mit der Begründung
abgewiesen, der Kläger bedürfe der Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nicht
ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder sonstigen im öffentlichen Interesse
liegenden Zwecken.
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Nachdem das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 19.05.2005 - 3 C
17.04 - in einem vergleichbaren Verfahren ein subjektiv öffentliches Interesse des an
einer schweren Erkrankung (MS) leidenden Beschwerdeführers bejaht hatte, hob die
Beklagte die vom Kläger angefochtenen Bescheide mit Aufhebungsbescheid vom
28.06.2006 auf. Daraufhin fand das Berufungsverfahren gegen das Urteil des VG Köln
vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) - 13 A
1534/04 - seinen Abschluss.
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Der Kläger begehrte mit Schreiben vom 30.05.2007 die Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2
BtMG beschränkt auf den Anbau von Cannabis. Er legte eine fachärztliche
Bescheinigung von Dr. Schobert vom 27.04.2007 vor, in der es heißt, seit Beginn seiner
Erkrankung konsumiere der Kläger mehr oder weniger regelmäßig Cannabisprodukte,
über lange Zeit in Form von Tabakbeimengungen, zwischendurch als Medikament
(Dronabinol-Tropfen), in den letzten Jahren überwiegend in der Form von Keksen.
Dieser Cannabiskonsum zeige einen günstigen Effekt auf die Ataxie des Klägers.
Auslassversuche in den neunziger Jahren hätten jeweils zu einer deutlichen
Verschlechterung der ataktischen Gangstörung, der Gleichgewichtsregulation geführt.
Medikamente, die bei Gleichgewichtsstörungen, Schwindel wirksam seien sollten, seien
in den neunziger Jahren versucht worden und ohne Effekt geblieben. Der Kläger
konsumiere durchschnittlich etwa 3 g getrocknete Cannabisblüten, 1 g in Form von
Keksen, etwa 2 g über einen Vaporizer inhalativ. Ohne Zweifel zeige Cannabis
nachweisbare Effekte auf die Ataxie. Seit ein regelmäßiger Cannabiskonsum erfolge,
seien Stimmungsschwankungen nicht mehr aufgetreten. Es sei eine deutliche
Verbesserung der Lebensqualität erzielt worden. Bis heute sei die Selbständigkeit des
Klägers weitgehend erhalten worden. Die gesundheitlichen Risiken in Bezug auf
mögliche Beeinträchtigungen kognitiver Funktionen seien in diesem Zusammenhang zu
vernachlässigen.
9
Der Kläger legte im Verwaltungsverfahren einen Bescheid der AOK Rhein-Neckar vom
28.09.2006 vor, mit dem sein Kostenübernahmeantrag für das Medikament Dronabinol
abgelehnt worden war.
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Auf das Angebot des BfArM, dem Kläger eine Erlaubnis zum Erwerb eines
standardisierten Cannabis-Extrakts gemäß den Dosierungsangaben des behandelnden
Arztes zu erteilen, ging dieser nicht ein, sondern bestand auf Bescheidung seines
Antrags zum Selbstanbau von Cannabis. Er habe aufgrund seiner prekären
wirtschaftlichen Lage ein erhebliches Interesse daran, seine Behandlung in der
bisherigen, erfolgreichen und ärztlich empfohlenen und überwachten Form weiterführen
zu können.
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Das BfArM lehnte mit Bescheid vom 06.12.2007 den Antrag des Klägers auf Erlaubnis
des Selbstanbaus von Cannabis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG ab, da die Erlaubnis nicht im
wissenschaftlichen oder anderen öffentlichen Interesse liege. Der Eigenanbau von
Cannabis sei zur medizinischen Versorgung des Klägers nicht nötig, da zwei
pharmazeutische Hersteller Delta-9-THC standardisierte Cannabisextrakte entwickelt
hätten. Bei einem zugrundegelegten durchschnittlichen Monatsbedarf von 500 mg
Delta-9-THC würden die Behandlungskosten pro Patient und Monat nur bei 150 Euro
liegen und damit weniger als die Hälfte der Kosten eines Dronabinol-
Rezepturarzneimittels von derzeit 350 Euro ausmachen. Es lägen die
Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 5 und 6 BtMG vor. Eine effektive Kontrolle des
Cannabiskonsums sei bei einem Eigenanbau praktisch nicht durchführbar. Die
Erlaubnis sei gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG zu versagen, da geeignete Räume,
Einrichtungen und Sicherungen für Anbau, Trocknung und Lagerung der Pflanzenteile
nicht nachgewiesen worden seien. Die Erlaubnis sei gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG zu
versagen, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht
gewährleistet sei.
12
Die Erlaubnis zum Erwerb sei zu versagen. Es sei derzeit nicht möglich,
Cannabisblüten in geprüfter pharmazeutischer Qualität in Deutschland zu erwerben.
13
Grundsätzlich möglich wäre die Einfuhr von Medizinalhanf der Niederlande. Die
Pflanzenteile wären dann nach den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes als
apothekenpflichtige Arzneimittel einzustufen, die von einer Apotheke unter Beachtung
der Bestimmungen des internationalen Suchtstoffübereinkommens von 1961 und von §
11 BtMG, die wiederum eine Erlaubnis nach § 3 BtMG voraussetze, nur mit einer für
jede einzelne Einfuhr erforderlichen deutschen Einfuhrgenehmigung und
korrespondierenden niederländischen Ausfuhrgenehmigung beschafft werden könnten.
Der Verwendung dieser Pflanzenteile sei jedoch aus pharmazeutischer und
medizinischer Sicht ein standardisierter Extrakt vorzuziehen. Da dieser inzwischen zur
Verfügung gestellt werden könne, sei gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG auch eine Erlaubnis
zum Erwerb von Pflanzenteilen zu versagen, weil sie für die medizinische Versorgung
nicht notwendig sei.
Der Kläger legte gegen den Bescheid am 08.01.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung
führte er aus, er sei aus finanziellen Gründen auf den Anbau von Cannabis angewiesen.
Er könne sich den Erwerb eines Cannabisextrakts finanziell nicht leisten. Er verwende
seit Jahren aus medizinischen Gründen etwa 100 g Cannabis pro Monat, das
entspreche 5000 bis 10.000 mg THC bei einem angenommenen THC-Gehalt zwischen
5 und 10%. Er komme also nicht mit einem Cannabisextrakt mit 500 mg THC pro Monat
aus. Die von der Beklagten für Dronabinol und den Cannabisextrakt festgelegte
monatliche Höchstmenge von 500 mg, entsprechend einer maximalen Tagesdosis von
16 mg THC, sei für ihn, aber auch viele andere Patienten deutlich zu niedrig. Die
Festlegung einer täglichen Höchstmenge von 16 mg entspreche nicht dem Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnis und müsse als willkürlich bezeichnet werden.
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Bei der von ihm mindestens benötigten Monatsdosis von 5000 mg THC, entsprechend
etwa 165 mg pro Tag, ergäben sich unter Zugrundelegung des vom BfArM festgelegten
Preises von 150 Euro je 500 mg THC monatliche Kosten von 1.500 Euro für den
Cannabisextrakt. Diese Kosten seien für ihn nicht tragbar, da er Bezieher einer
Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 860 Euro sei. Selbst bei einer - medizinisch nicht
vertretbaren - Reduzierung seiner Dosis auf 50 oder 100 mg pro Tag ergäben sich für
ihn monatliche Kosten von 450 bzw. 900 Euro.
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Die Frage einer Abhängigkeit von Cannabis stelle sich bei einem schwerkranken
Patienten, der Cannabis aus medizinischen Gründen benötige, grundsätzlich anders als
bei einem Freizeitkonsumenten. Das Leben vieler chronisch kranker Patienten hänge
von einer adäquaten Behandlung ab. Die Entwicklung einer Abhängigkeit von ärztlich
verordneten Medikamenten werde bei der Behandlung schwerer Erkrankungen
grundsätzlich in Kauf genommen.
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Die vom Kläger beabsichtigten Sicherungsmaßnahmen schützten den angebauten
Cannabis vor einer unbefugten Entnahme. Soweit die Beklagte den Anbau ablehne, da
selbst angebautes Cannabis wegen des schwankenden Wirkstoffgrades der Pflanzen
nicht sicher sei, könne der Gehalt an THC nach der Ernte durch Untersuchung einer
Probe in einem rechtsmedizinischen Institut bestimmt werden. Der Kläger beabsichtige
aber auch nicht, ein Produkt zu gewinnen, das den Standards eines zugelassenen
Arzneimittels genüge. Er wolle auch nicht am Betäubungsmittelverkehr teilnehmen,
sondern beabsichtige nur eine ärztlich begleitete Selbsttherapie. Der selbst angebaute
Cannabis habe beim Kläger in der von ihm verwendeten Dosierung seine Wirksamkeit
erwiesen, ohne relevante Nebenwirkungen zu verursachen. Es sei im Übrigen auch
nicht die Notwendigkeit zu erkennen, warum dem Kläger eine Findungsphase der
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Dosierung zugemutet werden sollte, obwohl er zurzeit mit Cannabis optimal therapiert
werde.
Nachdem das BfArM die vom Kläger gesetzten Fristen zur Entscheidung über seinen
Widerspruch hat verstreichen lassen, hat der Kläger am 20.06.2009 Untätigkeitsklage
erhoben.
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Mit Schreiben vom 26.02.2010 an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) trug
das BfArM vor, es erwäge, dem Kläger die beantragte Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG
zu erteilen. Es bitte um Zustimmung. Mit Schreiben vom 19.03.2010 versagte das BMG
diese Zustimmung.
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Das Gericht hat am 31.03.2010 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten
durchgeführt.
20
Daraufhin hat der Kläger seine Sicherungsmaßnahmen mit Schriftsatz vom 17.05.2010
näher erläutert und Unterlagen über das einzubauende Türschloss sowie die
Fenstergitter vorgelegt. Der Kläger hat zu den Sicherungsmaßnahmen im Einzelnen
ausgeführt, er beabsichtige den Anbau seiner Cannabispflanzen im kleinsten Raum der
Wohnung, dem Badezimmer, das von Fremden nicht frequentiert werde und das nur er
und seine Lebensgefährtin benutzten. Dieser Raum verfüge über ein
Doppelflügelfenster sowie eine Tür zum zentralen Wohnraum. Die Eingangstür der
Wohnung wie auch die Fenster der gesamten Wohnung verfügten über einen hohen
Einbruchschutz (wird im Einzelnen ausgeführt). Der Kläger plane zudem als zusätzliche
Sicherungsmaßnahme, die Zimmertür zwischen Badezimmer und zentralem Wohnraum
durch ein Fingerprintschloss zu schützen und das Flügelfenster zum Bad zusätzlich mit
verschließbaren Griffen zu versehen. Zusätzlich könne es auch mit einem Stahlgitter
geschützt werden. Die Tür zum Badezimmer und das Fenster sollten überdies mit einer
IT-Kamera überwacht werden. Die Kamera habe einen programmierbaren
Bewegungsmelder, der bei Bewegungen im Raum eine E-Mail mit Bildern an ein Handy
schicke, so dass in diesem Fall der Kläger sofort die Polizei benachrichtigen könne.
21
Die Aufzucht der Blühpflanzen erfolge in der Weise, dass die Mutterpflanze und die
Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) in einem kleinen Schrank aufbewahrt würden.
Bei der Ernte würden die Blüten abgeschnitten und auf den Sieben des
Trockenschranks zum Trocknen ausgelegt. Die Reste würden in einem speziellen
Küchenkomposter zu Kompost und Flüssigdünger für normale Gartenarbeiten
verarbeitet. Sollte der Ertrag nicht sofort verarbeitet werden, könnte der Überschuss in
einem Tresor, der bei Bedarf auch abschließbar sein könnte, gelagert werden.
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Die monatlichen Betriebskosten für den so entstandenen Eigenanbau für Cannabis
betrügen etwa 110 Euro (Kosten für Strom, Dünger, Erde, Anzuchterde, Anziehtöpfchen,
Gelbtafeln, Blautafeln und die anteiligen Kosten einer 400 Watt Lampe). Die
Investitionskosten für Sicherungsmaßnahmen erreichten je nach konkreter
Ausgestaltung der Sicherung eine Höhe von 400 bis 1.600 Euro. Der Eigenanbau sei
damit auch in Anbetracht der Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich preiswerter als ein
zu erwerbender Cannabisextrakt.
23
Da die Pflanzen aus Stecklingen gezogen würden, hätten sie bis zu mehreren Jahren
die gleiche Genetik und damit auch die gleiche Wirksamkeit. Es sei deswegen eine
einmalige Bestimmung des THC-Gehalts ausreichend. Eine weitere Bestimmung werde
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erst wieder bei Verwendung einer neuen Mutterpflanze erforderlich. Da Cannabis als
Medikament ungefährlich sei, bestehe hier keine Gefahr der Überdosierung, sondern
allenfalls der Unterdosierung, die aber dem Patienten sofort auffallen würde. Es spreche
nichts dagegen, nach Erlaubniserteilung den THC - Gehalt der verwendeten
Cannabispflanze eindeutig bestimmen zu lassen.
Das Einheits-Übereinkommen von 1961 (ÜK 1961) verlange nicht die Einrichtung einer
sogenannten Cannabis-Agentur. Dies ergebe sich aus Art. 23 Abs. 2 lit e S. 2 ÜK 1961.
Selbst wenn die Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis dem Einheits-
Übereinkommen entgegenstehen sollte, führe dies nicht zwingend zur Versagung des
Eigenanbaus. Es werde dann vielmehr ein - zudem noch weites - Ermessen nach § 5
Abs. 2 BtMG ausgelöst. Der Kläger hat hierzu ein Gutachten von Prof. Dr. M. C. vom
15.02.2009 vorgelegt.
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Nach Einholung einer Stellungnahme des United Nations International Narcotics
Control Board (INCB) vom 30.07.2010 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers
mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2010 als unbegründet zurückgewiesen. Zur
Begründung hat die Beklagte ausgeführt, der beantragten Erlaubnis ständen die
Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG entgegen. Vorliegend sei die
Erlaubnis zu versagen, da geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die
Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr nicht vorhanden seien (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG).
Für die Sicherung einer Cannabispflanzung seien die gleichen Maßstäbe anzuwenden,
die für die sichere Aufbewahrung anderer Betäubungsmittel der Anlage 1 des BtMG
dienten. Dabei seien die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von
Betäubungsmittelvorräten zu berücksichtigen. Hiernach seien zertifizierte
Wertschutzschränke mit einem Widerstandsgrad I oder höher nach EN 1143-1 zu
verwenden. Wertschutzschränke mit einem Eigengewicht unter 1000 kg seien
entsprechend der EN 1143-1 zu verankern. Sogenannte Einmauerschränke seien in
eine geeignete Wand fachgerecht einzubauen. Die Anordnung von
Nebenbestimmungen, insbesondere Auflagen, seien in einer Privatwohnung nicht
möglich, um eine effektive Kontrolle über den Umfang des Anbaus und der
Lagerbestände zu gewährleisten. Beim Anbau in einem einzigen Badezimmer einer
Zweizimmerwohnung sei ein Zugang Dritter unvermeidbar. Für jeden Besucher sei
dabei der Anbau unmittelbar ersichtlich und ein direkter Zugriff auf die angebauten
Pflanzen durch den Nicht-Erlaubnisinhaber möglich. Ob die geernteten und
getrockneten Pflanzenteile in einem Wertschutzschrank aufbewahrt würden, sei
demgegenüber nicht entscheidend. Für die Wuchs- und Anbauphase sei jedenfalls eine
entsprechende Raumsicherung nach der Richtlinie erforderlich. Der Empfang und die
Benutzung eines Badezimmers durch (künftigen) Besuch in der Privatwohnung könne
behördlicherseits nicht mittels einer Nebenbestimmung ausgeschlossen werden. Die
gelte auch im Hinblick auf die intensiver werdende Betreuung durch (externes)
Pflegepersonal. Der beantragte Eigenanbau in der Privatwohnung sei wegen der
erforderlichen Sicherungsmaßnahmen und deren Kosten sowie der erforderlichen
Aufwendungen für den Anbau (Saatgut, Energie) nicht kostengünstiger als der
Cannabis-Extrakt oder Dronabinol.
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Die Art des beantragten Verkehrs (Eigenanbau) sei zur Sicherstellung der
medizinischen Versorgung des Klägers ungeeignet (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Für das
durch Eigenanbau gewonnene Pflanzenmaterial bestünden keine Erkenntnisse über
den Wirkstoff, insbesondere den THC-Gehalt, und über das enthaltene
Alkaloidspektrum. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit beim Eigenanbau sei,
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anders als bei dem bereits erlaubten Erwerb niederländischen Medizinalhanfs, nicht
gewährleistet. Der Arzt verschreibe die selbst angebauten Pflanzenteile nicht, sondern
begleite lediglich die Selbsttherapie des Patienten mit Cannabis. Der Wirkstoffgehalt,
die Qualität und die Menge des vom Kläger anzubauenden und zu lagernden Stoffs
seien weder dem Kläger noch dem BfArM noch dem Arzt bekannt. Eine
Dosierungsempfehlung sei dem Arzt nicht möglich. Schwerwiegende Nebenwirkungen
könnten vom Arzt weder vorausgesehen werden noch könne therapeutisch zielgerichtet
auf unerwünschte Wirkungen reagiert werden.
Nach § 5 Abs. 2 BtMG könne die Erlaubnis u.a. versagt werden, wenn sie der
Durchführung der Internationalen Suchtstoffübereinkommen entgegenstehe. In dem Fall
des Klägers stünden der Erlaubniserteilung zwingende Versagungsgründe nach § 5
Abs. 1 BtMG entgegen. Die Beklagte habe das Einheits-Übereinkommen von 1961 über
Suchtstoffe zu beachten. Nach Art. 28 i.V.m. Art. 23 des ÜK 1961 habe die Gestattung
des Anbaus der Cannabis-Pflanze zur Gewinnung von Cannabis oder Cannabisharz
zur Folge, dass es der Anwendung des Kontrollsystems sowie der Einrichtung einer
staatlichen Stelle (sog. Cannabis-Agentur) zum Ankauf der Ernte nach Art. 23 Abs. 2 ÜK
1961 bedürfe. Das Einheitsübereinkommen von 1961 gelte ausnahmslos für alle Arten
des Anbaus, also auch im Falle einer Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis zu
medizinischen Zwecken. Das INCB habe mit Schreiben vom 30.07.2010 konkret
bezogen auf den Fall der Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis
für medizinische Zwecke unmissverständlich festgestellt, dass Deutschland in der
gegenwärtigen Rechtssituation bei Stattgabe des Erlaubnisantrages gegen seine
internationalen Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstoßen würde. Deutschland
verfüge aktuell nicht über eine staatliche Cannabis-Agentur. Die Einrichtung einer
solchen sei auch nicht geboten und bedürfe im Übrigen gesetzgeberischen Handelns.
Die Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis ohne Existenz einer sog.
Cannabis-Agentur könne nicht erfolgen. Bei der Ermessensausübung sei zu
berücksichtigen, dass Deutschland eng mit dem INCB zusammenarbeite. Die
Einhaltung der Konventionen durch den Vertragsstaat Deutschland und die verlässliche
Kooperation Deutschlands mit den internationalen Behörden sei unverzichtbar für eine
effiziente Überwachung und Kontrolle im Betäubungsmittelbereich sowie
Voraussetzung für einen ausgewogenen Ansatz in der Drogenpolitik. Bei der Art des
begehrten Betäubungsmittelverkehrs - Eigenanbau - sei die Sicherheit und Kontrolle
des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet. Eine effektive Kontrolle über den
Umfang des Anbaus und der Lagerbestände sei nicht möglich. Das Interesse des
Klägers an einer Versorgung und Behandlung mit selbst angebautem Cannabis in
seiner Privatwohnung müsse gegenüber dem Schutzinteresse der Bevölkerung
zurückstehen.
28
Doch selbst wenn - hypothetisch - unterstellt würde, dass keine Versagungsgründe im
Sinne von § 5 Abs. 1 BtMG vorlägen und auch das der Beklagten nach § 5 Abs. 2 BtMG
zustehende Ermessen im Sinne des Klägers auszuüben wäre, hätte der Kläger keinen
Anspruch auf Erteilung der beantragten Erlaubnis zum Erwerb und Besitz von
Cannabispflanzen für den Eigenanbau in seiner Privatwohnung. Selbst in diesem -
unterstellten - Fall stünde die Erteilung der Erlaubnis für die konkrete Art des
Betäubungsmittelverkehrs nach § 3 Abs. 2 BtMG im Ermessen der Beklagten. Dem in §
5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ausgesprochenen Gesetzeszweck, die notwendige medizinische
Versorgung der Bevölkerung auch im Einzelfall sicherzustellen, werde aber schon durch
die dem Kläger zur Verfügung stehende alternative Cannabis-Therapie genüge getan.
Ein Behandlungsdefizit oder eine Behandlungslücke bestehe insoweit nicht, weil
29
vorliegend lediglich eine konkrete Art des Betäubungsmittelverkehrs (der Eigenanbau)
verneint, nicht aber die Therapie generell verhindert werde. Allein die Behandlung des
Klägers mit standardisiertem und qualitativ gleichbleibend hochwertigem Medizinalhanf
oder entsprechenden Extrakten könne im unterstellten Eigeninteresse des Klägers die
Sicherheit dieser Therapieform gewährleisten. Durch die im Eigenanbau gewonnenen
Pflanzenteile wäre dies hingegen nicht sichergestellt.
Der Widerspruchsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am
16.08.2010 zugegangen. Er hat gegenüber dem Gericht am 16.09.2010 erklärt, dass das
Verfahren nach Erlass des Widerspruchsbescheids fortgeführt werden solle.
30
Der Kläger trägt ergänzend vor, die Feststellungen der Beklagten zu den
Sicherungsmaßnahmen entsprächen nicht der Rechtsprechung des OVG NRW,
welches in seinem Beschluss vom 23.03.2007 - 13 E 1542/06 - festgestellt habe, dass
für den Fall einer notwendigen medizinischen Anwendung des Betäubungsmittels durch
Privatpersonen § 5 Abs. 1 BtMG modifiziert anzuwenden sei. Publikumsverkehr in der
Wohnung des Klägers bestehe nicht, insbesondere das Badezimmer werde von Dritten
nicht frequentiert. Selbst wenn, hätten diese keinen unkontrollierten Zugang zu den
Pflanzen, da diese in einem kleinen Schrank aufbewahrt würden, der bei Bedarf auch
abgeschlossen werden könnte. Von einem unkontrollierten Zugriff auf die Pflanzen
könne nicht ausgegangen werden. Der Kläger erhalte auch keine ergo-therapeutische
Behandlung mehr.
31
Die Art des beantragten Verkehrs (Eigenanbau) sei zur Sicherstellung der
medizinischen Versorgung des Klägers notwendig im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG,
weil es für ihn keine andere realisierbare Therapiealternative gebe. Der Eigenanbau sei
nicht nur die kostengünstigere, sondern faktisch die einzige Therapiemöglichkeit für ihn.
32
Der Eigenanbau sei auch zur Sicherstellung seiner medizinischen Versorgung
geeignet. Der THC-Gehalt könne, nach Erteilung einer entsprechenden Erlaubnis,
untersucht werden. Die Schwankungen des THC-Gehalts bei der vom Kläger
beschriebenen Kultivierungsmethode seien aus fachlicher Sicht eher gering. Auch bei
einem schwankenden THC-Gehalt und einer daraus möglicherweise resultierenden
Überdosierung seien schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Nebenwirkungen
nicht zu erwarten.
33
Entgegen der Auffassung der Beklagten bedürfe es für die Gestattung des Anbaus der
Cannabispflanze zur Gewinnung von Cannabis keiner Einrichtung einer staatlichen
Stelle (sog. Cannabis-Agentur). Dies ergebe sich aus Art. 23 Abs. 2 lit e ÜK 1961. Das
Schreiben des INCB vom 30.07.2010 sei nicht bindend und - unter Zugrundelegung des
vorgelegten Rechtsgutachtens - fehlerhaft. Die Beklagte habe auch nicht begründet,
warum nicht die von der INCB geforderte Cannabis-Agentur eingerichtet werden solle,
sondern stattdessen der Anspruch des Klägers auf das für ihn erforderliche Cannabis im
Eigenanbau versagt werden solle.
34
Die Beklagte habe bei den Ermessenserwägungen nach § 5 Abs. 2 BtMG nur einseitig
die gegen die Bewilligung sprechenden Gründe berücksichtigt. Sie habe die für die
Bewilligung sprechenden Gründe dagegen gar nicht aufgeführt und sie daher auch
offensichtlich nicht in die Ermessensausübung einbezogen.
35
Der Kläger habe keinerlei Möglichkeit, seine finanziellen Verhältnisse so aufzubessern,
36
dass ihm die Finanzierung anderer Möglichkeiten für seinen Cannabisbedarf zur
Verfügung stünden. Dies habe die Beklagte in ihrer Ermessensentscheidung nach § 3
Abs. 2 BtMG außer Acht gelassen und damit ihr Ermessen nicht rechtmäßig ausgeübt.
Der Kläger beantragt:
37
1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06. Dezember 2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2010 zu verpflichten, dem
Kläger zu erlauben, Cannabis (Indica-Sativa-Hybriden) in seiner Wohnung C1.---
straße 00, 00000 N1. anzubauen, zu ernten und zum medizinischen Zweck der
Behandlung des Klägers zu verwenden sowie bei Bedarf die entsprechenden
Mutterpflanzen dieser Spezies zu erwerben und ggf. einzuführen.
2. die Zuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu
erklären.
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39
Die Beklagte beantragt,
40
die Klage abzuweisen.
41
Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und trägt
ergänzend vor, die mit der Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur verfolgten
Zielsetzungen seien gegenüber dem Interesse des Klägers an einer
Ausnahmegenehmigung zum Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken
sorgfältig abgewogen worden. Eine vom Kläger als fehlerhaft gerügte
Ermessensausübung sei nicht substantiiert vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
42
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge
(Beiakten 1 bis 3).
43
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
44
Die zulässige Klage hat in dem im Tenor ausgewiesenen Umfang Erfolg.
45
Der Bescheid des BfArM vom 06.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 10.08.2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger
hat einen Anspruch auf erneute Entscheidung über seinen Antrag auf Genehmigung von
Cannabis zum Eigenanbau aus medizinischen Gründen (§ 113 Abs. 5 Satz 2
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Die Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Erlaubnis ergibt sich aus § 3 Abs. 2
BtMG. Hiernach kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage 1 bezeichneten
Betäubungsmittel, hier Cannabis, ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen
im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.
47
Das öffentliche Interesse des Klägers, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zum
Anbau von Cannabis zur Behandlung seiner Multiple Sklerose Erkrankung zu erlangen,
ist gegeben. Das Gericht folgt unter Aufgabe seiner Rechtsprechung (vgl. Urteile vom
17.02.2004 - 7 K 1979/01, 7 K 1023/01 - ) der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - Juris, in einem
vergleichbaren Fall, laut der die Therapierung schwerkranker Menschen nicht nur
jeweils deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit
ist. Die Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG kann auch für die Therapie eines einzelnen
Patienten erteilt werden. Dabei ist kein Unterschied zwischen dem Erwerb und dem
Anbau, der insbesondere bei Cannabis in Betracht kommt, zu machen (BVerwG, Urteil
vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - , Juris, Rdnr. 33). Der Kläger leidet seit 1985 an MS und
bedarf laut den Arztberichten aus den Jahren 1999 und 2007 zur Linderung seiner
Leiden, vor allem der Ataxie, des Betäubungsmittels Cannabis. Dass die therapeutische
Wirksamkeit von Cannabis bislang nicht nachgewiesen ist, ist unerheblich, da bei der
vorliegenden schweren Erkrankung des Klägers schon die Verbesserung der
subjektiven Befindlichkeit eine Linderung darstellt, deren Eröffnung im öffentlichen
Interesse liegt.
48
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - Juris Rdnr. 34.
49
Für den Kläger besteht entgegen der Auffassung der Beklagten zur Linderung seiner
Leiden auch keine verfügbare Behandlungsalternative. Zwar besteht dann kein
öffentliches Interesse, im Wege der Ausnahmeerlaubnis den Einsatz eines weder
verkehrs- noch verschreibungsfähigen Betäubungsmittels zuzulassen, wenn dem
Betroffenen zur Behandlung seiner Krankheit ein gleich wirksames zugelassenes
Arzneimittel zur Verfügung steht. Nach den - unbestrittenen - Angaben des Klägers zu
seinen finanziellen Verhältnissen steht ihm aber im Hinblick auf seine wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit kein gleichwertiger Wirkstoff zur Behandlung seiner MS-Erkrankung
zur Verfügung. Der Kläger ist Bezieher einer Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 860
Euro. Er ist deswegen nicht in der Lage, bei der von ihm benötigten Monatsdosis von
5.000 mg THC die monatlichen Kosten von 1.500 Euro für Cannabis-Extrakt bzw. die
Kosten des mehr als doppelt so teuren Dronabinols zu tragen. Dass der Kläger diese
Kosten selbst tragen muss und nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung
erstattet bekommt, ergibt sich aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom
06.01.2005 - B 1 KR 51/03 B - sowie dem Schreiben der AOK Rhein-Neckar vom
28.09.2006, mit dem diese den erneut gestellten Kostenübernahmeantrag des Klägers
vom 25.08.2006 abgelehnt hatte. Laut dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
19.05.2005, Juris, Rdnr. 30, stellt aber der Verweis auf ein Arzneimittel, das weder ohne
weiteres verfügbar noch für den normalen Bürger erschwinglich ist, keine Alternative
dar, die das öffentliche Interesse am Einsatz von Cannabis zur Krankheitsbekämpfung
entfallen lässt.
50
Auch bei einer Reduzierung der täglichen Dosis an THC auf 50-100 mg, stellt der aus
den Niederlanden zur Verfügung stehende Cannabisextrakt bzw. das
Dronabinolrezepturarzneimittel für den Kläger keine finanziell tragbare Alternative dar.
Denn auch dann würden für ihn Kosten in Höhe von 450-900 Euro entstehen, die
angesichts seiner geringen Erwerbsunfähigkeitsrente sowie der Tatsache, dass durch
seine Krankheit bedingt zunehmend Kosten anfallen, nicht tragbar sind. Es erscheint der
Kammer zudem äußerst fraglich, ob die Herabsetzung der täglichen Dosis THC auf den
von der Beklagten - ohne nähere Erläuterung - angenommenen durchschnittlichen THC-
Bedarf medizinisch vertretbar ist, da die seit 1985 vorliegende MS-Erkrankung des
51
Klägers sich inzwischen in einem sehr fortgeschrittenen Stadium befindet. Zudem ist zu
berücksichtigen, dass in der Schmerztherapie die Dosierung zur Linderung der
Schmerzen sehr individualbezogen ist.
Die Kammer vermag auch nicht der Meinung der Beklagten, dass der Eigenanbau nicht
die kostengünstigere Behandlungsalternative zum Erwerb von Dronabinol bzw.
Medizinalhanf darstellt, zu folgen. Der Kläger hat die - noch anfallenden -
Investitionskosten sowie die laufenden Kosten näher beziffert und teilweise belegt. Für
das Gericht ist - auch nach Internetrecherche - nachvollziehbar, dass diese Kosten für
den Kläger tragbar sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Investitionskosten für die
Sicherungsmaßnahmen, an die nach Auffassung der Kammer kein übertriebener
Maßstab anzulegen ist (wird weiter unten ausgeführt), nur einmal entstehen. Sie werden
sich nach dem Vortrag des Klägers auf 400-1.600 Euro belaufen. Die monatlichen
Betriebskosten betragen laut Kläger für den Eigenanbau 110 Euro. Diese Kosten sind
auch angesichts einer sehr geringen Erwerbsunfähigkeitsrente von 860 Euro für den
Kläger, wie sich bereits jetzt zeigt, tragbar und günstiger als die hohen monatlichen
Ausgaben für Dronabinol und Cannabis-Extrakt.
52
Ein zwingender Versagungsgrund nach § 5 Abs. 1 BtMG für die Erlaubnis zum
Eigenanbau ist nicht gegeben.
53
Nach Auffassung der Kammer sind die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG auf
den Eigenanbau modifiziert anzuwenden. Es ist nämlich ein Unterschied dahingehend
zu machen, ob durch die Sicherungsmaßnahmen die Sicherheit und Kontrolle des
Betäubungsmittelverkehrs bei einem gewerblichen bzw. einem Anbau zu
wissenschaftlichen Zwecken zu gewährleisten ist oder ob durch die
Sicherungsmaßnahmen der unbefugte Zugriff Dritter beim Eigenanbau zum
Eigenkonsum auszuschließen ist. Im Fall des Anbaus zu gewerblichen oder
wissenschaftlichen Zwecken sind die Anforderungen an die Sicherheitsmaßnahmen
wegen der Größe des Anbaus und des Zugangs von Dritten zur Plantage höher als
beim Eigenkonsum aus medizinischen Gründen zu setzen.
54
In Anbetracht dessen ist die Richtlinie über Maßnahmen zur Sicherung von
Betäubungsmittelvorräten bei Erlaubnisinhabern nach § 3 Betäubungsmittelgesetz
(Stand: 1.1.2007) - 4114 (01.07) - beim Eigenanbau nicht heranzuziehen, da sie aus
dem Jahre 2007 stammt und nicht die Fälle des Erwerbs, der Herstellung, des Anbaus
zum Eigenverbrauch betrifft. Soweit nach der Richtlinie zertifizierte Wertschutzschränke
mit einem Widerstandsgrad I oder höher nach EN 1143-1 zu verwenden sind,
Wertschutzschränke mit einem Eigengewicht unter 1000 kg entsprechend der EN 1143-
1 zu verankern sind und sogenannte Einmauerschränke in eine geeignete Wand
fachgerecht einzubauen sind, sind diese Maßnahmen für den Eigenanbau zu
medizinischen Zwecken ersichtlich überzogen.
55
Eine modifizierte Anwendung der Bestimmungen des § 5 Abs. 1 ist bei einem Anbau
aus medizinischen Gründen zudem erforderlich, damit nicht durch überzogene
Anforderungen der Eigenanbau praktisch ausgeschlossen bzw. unzumutbar erschwert
wird. Bei Privatpersonen können beim Eigenanbau von Cannabis unter Beachtung des
Schutzzwecks der Norm daher nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen verlangt werden.
56
So auch OVG NRW, Beschluss vom 23.03.2007 - 13 E 1542/06 - .
57
Dies vorweggestellt vermag die Kammer der Auffassung der Beklagten im
Widerspruchsbescheid, die Genehmigung sei wegen fehlender Sicherungsmaßnahmen
nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG, insbesondere wegen Nichtbeachtung der Richtlinie
vom 01.01.2007 zu versagen, nicht zu folgen. Die vom Kläger bereits installierten und
seine weiteren beabsichtigten Sicherungsmaßnahmen, die die Beklagte im Wege der
Auflage anordnen kann, reichen vielmehr in diesem Einzelfall zur Sicherheit und
Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs aus. Weitere Sicherungsmaßnahmen, die der
Richtlinie vom 01.01.2007 entsprechen, sind entgegen der Auffassung der Beklagten
beim Eigenanbau zur Eigenbehandlung des Klägers nicht erforderlich.
58
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn geeignete
Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr
nicht vorhanden sind, nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG die Sicherheit oder Kontrolle des
Betäubungsmittelverkehrs aus anderen Gründen nicht gewährleistet ist. Welche
Anforderungen an die Sicherungsmaßnahmen beim Eigenanbau zu stellen sind, ergibt
sich aus § 15 BtMG. Wesentlich ist nach Satz 1 des § 15 BtMG, dass die gesonderte
Aufbewahrung und die Sicherung gegen die unbefugte Entnahme sichergestellt sind.
Nach Satz 2 der Vorschrift können Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, soweit
es nach Art oder Umfang des Betäubungsmittelverkehrs, dem Gefährdungsgrad oder
der Menge der Betäubungsmittel erforderlich ist. Nach Auffassung der Kammer dürfen
entsprechend § 15 Satz 2 beim Anbau nur solche Sicherungsmaßnahmen verlangt
werden, die die Eigenheiten des Eigenanbaus im Einzelfall berücksichtigen.
59
Berücksichtigt man Art und Umfang des Betäubungsmittelverkehrs des Klägers, nämlich
den Eigenanbau ausschließlich zum Eigenkonsum, sowie die Menge der
Betäubungsmittel, nämlich 24 Pflanzen, wovon 8 getrocknet und zum Verbrauch
bestimmt sind, und schließlich den Gefährdungsgrad, nämlich geringer Besuch des
Klägers, so sind die bestehenden und beabsichtigten Sicherungsmaßnahmen des
Klägers insoweit ausreichend. Die Aufzucht und Aufbewahrung der Pflanzen vor
unbefugter Entnahme ist sichergestellt. Die Pflanzenzucht erfolgt gesondert im
Badezimmer des Klägers, das nur durch eine einzige Tür betreten werden kann und
sich am Ende der Wohnung befindet. Die getrockneten Pflanzen werden in diesem
Badezimmer gesondert in einem speziellen Schrank aufbewahrt. Die Eingangstür zur
Wohnung des Klägers ist dreifach verriegelt. Die Fenster sind sicherungsverglast, und
zwar sechsfach mit Pilzköpfen verriegelt. Die Türen und Fenster haben einen
Aufhebelschutz. Das Fenster im Badezimmer ist mit verschließbaren Griffen versehen.
Weiter ist vom Kläger geplant, den Pflanzenschrank mit einem Schloss zu versehen, in
die Badezimmertür ein Fingerprintschloss einzubauen, das Badezimmerfenster
(eventuell) mit einem Stahlgitter zu versehen sowie eine IP-Kamera mit programmiertem
Bewegungsmelder bei Tür und Fenster des Badezimmers anzubringen. Durch diese
Maßnahmen ist sichergestellt bzw. kann vom BfArM durch Auflagen sichergestellt
werden, dass der Raum, in dem die Pflanzen aufbewahrt werden, vor dem Zutritt durch
Unbefugte gesichert ist und dass die Entnahme der Pflanzen nicht ohne Ausschaltung
von Sicherungsmaßnahmen möglich ist.
60
Soweit die Beklagte meint, behördlicherseits könne die Benutzung eines Badezimmers
durch (künftigen) Besuch in der Privatwohnung nicht mittels einer Nebenbestimmung
ausgeschlossen werden, ist festzustellen, dass es insoweit auch keiner Regelung
bedarf. Denn der Kläger lebt in seiner Wohnung nur mit seiner Lebensgefährtin und ist
aufgrund seiner Erkrankung vereinsamt. Die ergo-therapeutische Behandlung hat er
inzwischen aufgegeben. Es besteht also in der Wohnung kein reger Besucherverkehr,
61
der sich nicht durch den Kläger, der inzwischen aufgrund seiner Erkrankung kaum noch
die Wohnung verlässt, und die Lebensgefährtin kontrollieren ließe. Angesichts der
geringen Anzahl der angebauten Pflanzen besteht auch ein Eigeninteresse des
Klägers, dass diejenigen Besucher, die sein Bad aufsuchen, keine Pflanzen entwenden.
Zu ih-
rer Überwachung reicht aber die vom Kläger geplante Sicherung durch die IT Kamera
mit programmierbarem Bewegungsmelder, der bei Bewegungen im Raum eine E-Mail
mit Bildern an ein Handy schickt, so dass in diesem Fall der Kläger sofort die Polizei
benachrichtigen kann, aus. Weitere Sicherungsmaßnahmen sind nach Auffassung der
Kammer nicht erforderlich, zumal bei den bereits vorhandenen Sicherungsmaßnahmen
eine unbefugte Entnahme durch Dritte nicht bekannt geworden ist.
62
Es greift auch nicht der Versagungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 ein, wonach eine
Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG dann zu versagen ist, wenn die Art und der Zweck des
beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck des BtMG vereinbar sind.
63
Die Kammer vermag der Auffassung der Beklagten nicht zu folgen, wonach der
Eigenanbau von Cannabis zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des
Klägers nicht geeignet ist, da der THC Gehalt der angebauten und getrockneten
Cannabispflanzen nicht bekannt, eine Verschreibung und Dosierungsempfehlung durch
den Arzt sowie eine Begleitung der Behandlung durch den Arzt nicht erfolgt und die
beim Cannabiskonsum möglicherweise auftretenden Nebenwirkungen nicht
kontrollierbar sind. Gegen eine Versagung des Eigenanbaus nach § 5 Abs. 1 Nr. 6
BtMG spricht in diesem Einzelfall, dass der Kläger bereits durch den jahrelangen
Eigenanbau belegt hat, dass der Konsum des selbstangebauten Cannabis eine
Linderung seiner Leiden bewirkt und er sich durch eine Therapie mit dem
eigenangebauten Cannabis nicht selbst schädigt. Wie die ärztlichen Bescheinigungen
belegen, hat der Cannabiskonsum einen günstigen Effekt auf die Ataxie des Klägers
und verhindert Stimmungsschwankungen. Diese Behandlungserfolge sind eingetreten,
obwohl der genaue THC Gehalt des selbst angebauten Cannabis unbekannt ist, eine
Dosierungsempfehlung des Arztes fehlt und die Behandlung ohne ärztliche Begleitung
erfolgte. Der Kläger hat sich selbst durch jahrzehntelangen Konsum auf eine bestimmte
Dosierung, die er zur Linderung seiner Schmerzen und zur Besserung seiner Ataxie
benötigt, eingestellt. Im Hinblick auf das Erfahrungswissen des Klägers, dass er
inzwischen bei dem jahrelangen Eigenanbau zur Therapierung seiner mit der MS
Erkrankung einhergehenden Leiden gewonnen hat, bedarf es zu seinem Schutz keiner
Einschaltung eines Arztes oder genauen Bestimmung des THC Gehaltes, zumal ein
Arzt die für den Kläger erforderliche Dosierung erst herausfinden müsste. Dies könnte er
ohne Feststellung des THC Gehalts und ohne Mitwirkung des Klägers aber nicht. Dass
durch den Eigenanbau die Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers von Cannabis
erhalten wird, ist dabei zum Zweck der Linderung seiner Leiden aufgrund der weit
fortgeschrittenen MS Erkrankung hinzunehmen.
64
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, da die Beklagte das ihr im Rahmen
des § 5 Abs. 2 BtMG zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.
65
Ein Fehlgebrauch des Ermessens liegt vor, wenn die Behörde von dem ihr vom Gesetz
eingeräumten Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes, d.h. der im einzelnen Gesetz und
in der Rechtsordnung insgesamt zum Ausdruck kommenden Zwecksetzungen und
Zweckvorgaben Gebrauch macht und nicht ausnahmsweise angesichts der besonderen
66
Umstände des Falles auch eine einwandfreie Ausübung des Ermessens ersichtlich nur
zu einem Verwaltungsakt mit dem gleichen Inhalt hätte führen können (sog.
Ermessensreduzierung auf Null).
Die Versagung der Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis ist ermessensfehlerhaft,
soweit die Beklagte im Widerspruchsbescheid zur Begründung des überwiegenden
Interesses an der Versagung auf die absoluten Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4
- 6 BtMG zurückgreift. Liegen die Voraussetzungen nach § 5 Abs.1 Nr. 4 - 6 vor, so ist
die Erlaubnis zu versagen und es besteht kein Ermessen nach § 5 Abs. 2 BtMG.
67
Ermessensfehlerhaft ist die Versagung auch, soweit die Beklagte sich zur Begründung
des überwiegenden Interesses auf den Verstoß der Bundesrepublik gegen
Internationale Suchtstoffübereinkommen stützt, ohne den im Gesetz zum Ausdruck
kommenden Zwecksetzungen - medizinische Versorgung des Einzelnen - in
ausreichendem Maße Rechnung zu tragen. Anders als bei den in Abs. 1 des § 5 BtMG
aufgeführten absoluten Versagungsgründen steht der Behörde im Rahmen des § 5 Abs.
2 BtMG auch bei Vorliegen eines Verstoßes gegen die internationalen
Suchtstoffübereinkommen ein Ermessen zu.
68
Nach § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG versagt werden, wenn
sie der Durchführung internationaler Suchtstoffübereinkommen entgegensteht. Dies ist
vorliegend der Fall. Die vom Kläger begehrte Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG von
Cannabis zum Eigenanbau verstößt gegen das von der Bundesrepublik Deutschland
als Vertragsstaat mitunterzeichnete Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe
in der durch das Protokoll zur Änderung des Einheits-Übereinkommens von 1961
geänderten Fassung (ÜK 1961), in der Bekanntmachung vom 04.02.1977 (BGBl. II S.
111 ff). Die Bundesrepublik sieht sich durch das ÜK 1961 auch in Fällen des
Eigenanbaus von Cannabis zur Überwachung und Kontrolle verpflichtet. Dies entspricht
auch der Auffassung der für die Einhaltung und Auslegung der internationalen
Suchtstoffübereinkommen zuständigen Stelle - des International Narcotics Control
Board - INCB - der UN vom 30.07.2010, wonach das ÜK 1961 auch für den Fall der
Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis Anwendung findet. Das
INCB hat hierzu ausgeführt, dass es im Falle der Zulassung des Anbaus keine
Ausnahme von der Pflicht zur Errichtung einer staatlichen Cannabis Agentur gibt. Diese
Pflicht gilt laut INCB auch beim Anbau der Hanfkrautpflanze durch eine Einzelperson
zum Zwecke der Eigenbehandlung und ist unabhängig von der Größe der Anbaufläche.
69
Soweit der Kläger meint, aus dem Rechtsgutachten von Prof. Dr. C. vom 15.02.2009
ergebe sich, dass die Erteilung einer Erlaubnis zum Eigenanbau nicht gegen das ÜK
1961 verstoße, ist festzustellen, dass Prof. C. die Frage eines möglichen Verstoßes der
Bundesrepublik Deutschland gegen das ÜK 1961 nicht gutachterlich geprüft, sondern
nur auf eine Stelle im Kommentar von Körner zum BtMG hingewiesen hat ("Bedenken
gem. § 5 Abs. 2 BtMG hinsichtlich eines Verstoßes gegen internationale Bestimmungen
bestehen nicht, weil dort die therapeutische Verwendung ausgenommen ist (Körner § 5
Rz 27ff)" ). Eine nähere Erläuterung, woraus sich ergibt, dass in den internationalen
Bestimmungen die therapeutische Verwendung ausgenommen ist, fehlt, obwohl in der
Präambel des ÜK 1961 auf die Notwendigkeit der Verwendung von Suchtstoffen zur
medizinischen Verwendung verwiesen wird.
70
Laut Art. 28 i.V.m. Art. 23 des ÜK 1961 hat eine Gestattung des Anbaus der
Cannabispflanze zur Gewinnung von Cannabis oder Cannabisharz zur Folge, dass es
71
der Anwendung des Kontrollsystems sowie der Einrichtung einer staatlichen Stelle
(Agentur) bedarf. An diese Agentur haben gem. Art. 23 Abs. 2 lit d) alle Anbauer von
Cannabis ihre gesamte Ente abzuliefern. Die Agentur kauft die Ernte sobald wie
möglich und nimmt sie körperlich in Besitz. Soweit der Kläger meint, dass wegen Art. 23
Abs. 2 lit e) S. 2. keine Pflicht zur Errichtung einer Cannabis Agentur für die
Bundesrepublik Deutschland besteht, verkennt er, dass sich die von ihm zitierte
Regelung nur auf das ausschließliche Recht der Ein- und Ausfuhr, des Großhandels
und der Unterhaltung von Beständen bezieht und nicht auch auf den Anbau.
Ein Verstoß gegen das ÜK 1961 wäre bei der Erlaubniserteilung von Cannabis zum
Eigenanbau gegeben, da die Bundesrepublik über keine Cannabis Agentur verfügt und
auch keine solche errichtet. Aus welchen Gründen diese Agentur nicht errichtet wird,
kann dahinstehen, weil der Kläger jedenfalls nicht bereit ist, seine Ernte an eine solche
Agentur abzuliefern, wie dies Art. 23 Abs. 2 lit e) vorsieht, da er sie direkt zur Linderung
seiner Leiden verbrauchen will.
72
Ein Verstoß gegen das ÜK 1961 führt nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit
der Folge, dass die beantragte Erlaubnis zum Eigenanbau von der Beklagten zwingend
zu versagen gewesen wäre. Zum einen bringt das Einheits-Übereinkommen in Art. 2
Abs. 5b, Art. 19 Abs. 1a, Art. 21 Abs. 1 a, Art. 30 Abs. 1 c und Art. 32 zum Ausdruck,
dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll. Zum
anderen stellt § 5 Abs. 2 BtMG die Versagung der Erlaubnis mit der Begründung, sie
stehe der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen entgegen, gerade
ins Ermessen der Behörde.
73
Vgl. insoweit Körner, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 6. Auflage, 2007, Rdnr.
23 zu § 5 BtMG
74
Diese vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 17.02.2004 - 3 C
17.04 - (Juris Rdnr. 36) zum Eigenerwerb von Cannabis gemachten Feststellungen
gelten auch für den Eigenanbau.
75
Die Beklagte hat das ihr nach § 5 Abs. 2 BtMG zustehende Ermessen fehlerhaft
ausgeübt, da sie allein auf die im öffentlichen Interesse liegenden Gründe, hier die
Reputation der Bundesrepublik Deutschland bei einer Vertragsverletzung, abstellt ohne
auf die privaten Gründe des Einzelnen einzugehen. Es besteht zwar ein berechtigtes,
nachvollziehbares Interesse der Beklagten, möglichen Schaden, den eine
Vertragsverletzung für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland mit sich bringt,
von der Bundesrepublik abzuwenden und eine evtl. Rüge wegen Verletzung
internationaler Übereinkommen zu verhindern. Auch dieses gewichtige Interesse gilt
aber, wie die Aufnahme der Ermessensvorschrift in § 5 Abs. 2 BtMG zeigt, nicht
ausnahmslos, sondern ist mit den Interessen des Einzelnen an der Beachtung der mit
dem Gesetz bezweckten notwendigen medizinischen Versorgung abzuwägen. Dabei
sind die Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
und die Menschenwürde nach Art. 1 GG zu achten und zu schützen. Eine solche
Abwägung hat die Behörde nicht vorgenommen. Sie hat insbesondere nicht festgestellt,
ob und inwieweit zum Zeitpunkt ihres Widerspruchsbescheides wegen der Schwere der
Erkrankung des Klägers, die sich bekanntermaßen fortlaufend verschlechtert und zu
immer größeren Einschränkungen aufgrund der Ataxie und der mit der MS Krankheit
einhergehenden Depressionen führt, unter Beachtung der Wertentscheidungen des
Grundgesetzes selbst ein Verstoß gegen internationale Suchtstoffübereinkommen
76
hinzunehmen ist. Entsprechende Ermessenserwägungen hat die Beklagte auch nicht im
Klageverfahren angestellt, so dass nicht entschieden zu werden braucht, ob § 114 Satz
2 VwGO eingreift.
Nach Auffassung der Kammer reicht die bislang durch ärztliche Bescheinigungen von
1999 und 2007 nachgewiesene bloße Besserung des Befindens allerdings nicht aus,
bereits von einem Anspruch des Klägers auf Erteilung der Erlaubnis zum Eigenbau im
Rahmen der sog. Ermessensreduzierung auf Null unter Verstoß gegen das ÜK 1961
auszugehen. Laut Zeitungsberichten dürfte sich die Erkrankung des Klägers zwar weiter
verschlechtert haben. Ob die Erkrankung inzwischen aber eine Schwere erreicht hat, bei
der wegen der notwendigen medizinischen Versorgung selbst der - schwer
kontrollierbare - Eigenanbau unter Verstoß gegen internationale Abkommen
hinzunehmen ist, wird die Behörde festzustellen haben. Insoweit sind neue
aussagekräftige ärztliche Bescheinigungen erforderlich.
77
Soweit die Behörde - unter der hypothetischen Annahme, dass eine Versagung nach §
5 Abs. 1 und 2 BtMG nicht eingreift - die Erlaubnis zum Eigenanbau nach § 3 Abs. 2
BtMG im Rahmen ihres Ermessens versagt hat, hat sie ihr Ermessen ebenfalls fehlerhaft
ausgeübt. Die Beklagte hat nämlich zur Begründung des überwiegenden öffentlichen
Interesses an der Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs ausgeführt,
dass alternative Cannabis Therapien zur Verfügung stünden und ein
Behandlungsdefizit oder gar eine Behandlungslücke beim Kläger durch Versagung des
Eigenanbaus nicht generell verhindert würden. Zur Frage der Verfügbarkeit der
alternativen Behandlungsmöglichkeiten hat die Beklagte allerdings keine Prüfung
vorgenommen, insbesondere nicht deren wirtschaftliche Verfügbarkeit festgestellt.
Verweist das BfArM aber im Rahmen seines Ermessens auf die Verfügbarkeit eines
anderen Wirkstoffs, so muss sie auch die Verfügbarkeit festgestellt haben. Der Verweis
auf ein Arzneimittel, das weder ohne weiteres verfügbar noch für einen normalen Bürger
erschwinglich ist, stellt nämlich keine Alternative dar, die das öffentliche Interesse am
Einsatz von Cannabis zur Krankheitsbekämpfung entfallen lässt. (so BVerwG, Urteil
vom 19.05.2005 - 3 C 17/04 - , Juris Rdnr. 30). Gerade an der wirtschaftlichen
Verfügbarkeit scheitert aber, wie oben festgestellt, die Behandlungsalternative.
78
Da die Klage des Klägers nicht spruchreif ist und eine Spruchreife durch das Gericht
wegen des Ermessensspielraums der Beklagten nicht hergestellt werden kann, war die
Klage insoweit abzuweisen und die Beklagte zu verpflichten, über den Erlaubnisantrag
des Klägers erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
79
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Bei der Kostenverteilung
hat das Gericht im Rahmen seines Ermessens berücksichtigt, dass der Kläger nur einen
Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hat und deshalb der weitergehende
Verpflichtungsantrag abzulehnen war.
80
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
81
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, §
124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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