Urteil des VG Köln vom 16.12.2010

VG Köln (snb, anlage, agb, aufschiebende wirkung, klausel, zuweisung, zugang, vorschrift, öffentliches interesse, teleologische auslegung)

Verwaltungsgericht Köln, 18 L 1830/10
Datum:
16.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 L 1830/10
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin
gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.12.2010 wird
angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der zulässige Antrag,
2
die aufschiebende Wirkung des mit Schreiben vom 13.12.2010 eingelegten
Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheids der Antragsgegnerin vom
07.12.2010 anzuordnen,
3
ist begründet. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das
Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs anordnen, wenn
das Interesse der Antragstellerin am vorläufigen Aufschub der Vollziehung das
öffentliche Interesse an der nach § 37 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) gesetzlich
vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt. Dies ist der Fall, wenn
sich der Bescheid bei der im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO
gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist, da an der
sofortigen Vollziehung rechtswidriger Bescheide ein öffentliches Interesse nicht
bestehen kann. Die Frage der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts ist
jedoch regelmäßig nur insoweit zu berücksichtigen, als sie schon bei summarischer
Prüfung überschaubar ist. Eine abschließende Überprüfung des angefochtenen
Bescheides ist nicht gefordert.
4
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW),
Beschluss vom 25.08.2000 - 20 B 959/00 - m.w.N.
5
Bei der in diesem Umfang gebotenen rechtlichen Überprüfung erweist sich der
Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.12.2010 als rechtswidrig.
6
Allerdings ist die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und
Eisenbahnen (Bundesnetzagentur - BNetzA) für den Erlass des Bescheids nach §14b
Abs. 1 Eingangssatz AEG zuständig. Ziffern 1 bis 4 des § 14b Abs. 1 AEG zählen nicht
abschließend die der BNetzA zugewiesenen Aufgaben auf, wie dem Eingangssatz
dieses Absatzes zu entnehmen ist, wonach der Regulierungsbehörde "insbesondere"
hinsichtlich der in den nachfolgenden Ziffern benannten Aufgaben die Aufgabe obliegt,
die Einhaltung der Vorschriften des Eisenbahnrechts über den Zugang zur
Eisenbahninfrastruktur (im Folgenden: Eisenbahnregulierungsrecht) zu überwachen.
Solche Vorschriften des materiellen Rechts finden sich vor allem in §§ 14 ff. AEG und in
der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV).
7
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17.6.2010 - 13 A 2557/09 - , S. 23 des amtlichen
Abdrucks; VG Köln, Urteil vom 20.08.2010 - 18 K 3807/07 -, S. 12 des amtlichen
Abdrucks.
8
Dazu gehört auch § 14 Abs. 6 AEG, in dessen Hinblick die BNetzA die in Rede
stehenden Ausnahmegenehmigungen der Antragstellerin geprüft und behördlichen
Anordnungen unterworfen hat. Die Anwendbarkeit des § 14b Abs. 1 AEG setzt daher
nicht voraus, dass zu einem Verstoß gegen eine solche Vorschrift des Eisenbahnrechts
die Verletzung des Grundsatzes der Diskriminierungsfreiheit im Sinne des § 14 Abs. 1
Satz 1 AEG hinzukommt. Die Aufgabennorm des § 14b Abs. 1 Satz 1 AEG enthält
insoweit keine weiteren ungeschriebenen Voraussetzungen.
9
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17.6.2010 - 13 A 2557/09 - , S. 23 des amtlichen
Abdrucks; VG Köln, Urteil vom 20.08.2010 - 18 K 3807/07 -, S. 12 des amtlichen
Abdrucks (jeweils zur Ermächtigungsgrundlage des § 14f AEG).
10
Ob der regulierungsrechtlichen Frage eisenbahnsicherheitsrechtliche Regelungen bzw.
Maßnahmen eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens (EIU) zugrundeliegen, wie es
vielfach der Fall sein wird, oder zuweisungsrechtliche, betriebswirtschaftliche oder
andere Aspekte des Eisenbahnregulierungsrechts, ist ohne Belang, soweit diese
Fragen - wie hier - lediglich Vorfragen oder Anlass für eine unter dem Blickwinkel des
Eisenbahnregulierungsrechts zu prüfende Frage sind. Eine strikte Trennung dergestalt,
dass die BNetzA niemals Fragen des Eisenbahnsicherheitsrechts berühren darf oder
umgekehrt das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) niemals Fragen des
Eisenbahnregulierungsrechts, ist weder vom Allgemeinen Eisenbahngesetz normiert
noch kann dies sinnvollerweise geschehen, weil beide Behörden an die in § 1 Abs. 1
Satz 1 AEG genannten Ziele sowohl des Eisenbahnsicherheitsrechts als auch des
Eisenbahnregulierungsrechts gebunden sind, wie sinnfällig in der
Kooperationsverpflichtung, auch weiterer Behörden, des § 14b Abs. 2 AEG (sowohl
gegenseitige Information als auch Gelegenheit zur - inhaltlichen - Stellungnahme) zum
Ausdruck kommt. Auch materiellrechtlich sind Überschneidungen des
Eisenbahnsicherheitsrechts mit Eisenbahnregulierungsrecht geregelt. Das ergibt sich
aus der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung, die gemäß der
Ermächtigungsgrundlage des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AEG dem
Eisenbahnregulierungsrecht zuzuordnen ist. So werden in § 11 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3
Satz 2 EIBV Vereinbarungen von der Betriebssicherheit dienenden Bestimmungen bzw.
Sicherheitsanforderungen angesprochen. Gemäß § 15 EIBV werden ebenfalls
11
eisenbahnsicherheitsrechtliche Belange, nämlich für den Fall von Störungen des
Bahnbetriebs, geregelt, wie ausdrücklich dem § 15 Abs. 1 Satz 2 EIBV zu entnehmen
ist, wonach der Betreiber der Schienenwege in Abstimmung mit der zuständigen
Eisenbahnaufsichtsbehörde einen Notfallplan aufzustellen hat, nach dessen Maßgabe
die Eisenbahnaufsichtsbehörde über "gefährliche" Ereignisse im Bahnbetrieb zu
unterrichten ist. Ob die unter dem eisenbahnregulierungsrechtlichen Aspekt getroffene
Entscheidung der Regulierungsbehörde rechtmäßig ist, betrifft dagegen nicht den
formellen Gesichtspunkt deren Zuständigkeit, sondern ist eine Frage der materiellen
Rechtmäßigkeit der regulierungsbehördlichen Entscheidung.
Der Bescheid ist entgegen der Meinung der Antragstellerin auch nicht unbestimmt; Wie
sie selbst richtig vorträgt, sind mit den von Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids
betroffenen "zu treffenden Maßnahmen" die ausweislich der klaren Begründung des
Bescheids von dieser Ziffer betroffenen Regelungen der Antragstellerin, nämlich ihre
Ausnahmegenehmigungen 62 zu Richtlinie 408.0541 und 21 zu Richtlinie 408.1541
sowie die Nutzungshinweise zum Warnmodul auf ihrer Internetseite erfasst. Im Übrigen
gälte im Fall einer Bezugnahme auf sämtliche von der Antragstellerin diesbezüglich
angewandter oder geplanter Maßnahmen, dass sie einzelvertraglich zu vereinbaren
sind. Welche anderen Maßnahmen damit gemeint sind, ergibt sich zum einen aus dem
Inhalt der tatsächlich in Streit stehenden Änderungsgenehmigungen und
Folgeregelungen der Antragstellerin, zum anderen unterliegen solche Bestimmungen
der Antragstellerin zunächst deren Aufstellungszuständigkeit, weshalb etwaige
anderweitige, aber inhaltlich auf die konkret im Streit stehenden
Änderungsgenehmigungen und Folgeregelungen der BNetzA noch nicht bekannt sein
können, aber inhaltlich bestimmbar sind. Im Übrigen ist entgegen der Meinung der
Antragstellerin auch eine Aussetzung einer bereits angewandten Maßnahme eine
Unterlassung deren Anwendung.
12
Mit Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids wird entgegen der Meinung der
Antragstellerin von ihr auch nichts rechtlich Unmögliches verlangt; soweit sie tatsächlich
nicht in der Lage sein sollte, zumindest mit einigen der von ihren in Rede stehenden
Ausnahmegenehmigungen samt Folgeregelungen betroffenen
Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) entweder aus zeitlichen oder aus anderen
Gründen bis zum 15.01.2011 einzelvertraglich zu vereinbaren, greift die in dieser Ziffer
getroffene Alternativ-Verpflichtung, diese Ausnahmegenehmigungen samt
Folgeregelungen nicht anzuwenden.
13
Dass die BNetzA als Rechtsgrundlage für Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids § 14c
Abs. 1 AEG herangezogen hat, führt entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht
zur Rechtswidrigkeit dieser Verfügung. Die Anwendbarkeit des § 14c Abs. 1 AEG ergibt
sich ebenso wenig wie die Behördenzuständigkeit erst aus der Beantwortung der Frage,
ob die konkrete regulierungsbehördliche Entscheidung (materiell) rechtmäßig ist. Nach
der genannten Vorschrift kann die Regulierungsbehörde in Wahrnehmung ihrer
Aufgaben gegenüber öffentlichen EIU die Maßnahmen treffen, die zur Beseitigung
festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße gegen die Vorschriften des
Eisenbahnregulierungsrechts erforderlich sind. Diese Ermächtigungsgrundlage ist nicht
grundsätzlich durch §§ 14e, 14f AEG ausgeschlossen.
14
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 23.09.2010 - 13 A 172/10 -, S. 37 f. des amtlichen
Abdrucks und vom 17.06.2010 - 13 A 2557/09 -, S. 46 bis 48 des amtlichen
Abdrucks; Beschluss vom 28.01.2008 - 13 B 2024/07 -, S. 8 f. des amtlichen
15
Abdrucks; VG Köln, Urteile vom 04.12.2009 - 18 K 4918/07 -, S. 18 oben des
amtlichen Abdrucks und vom 21.08.2009 - 18 K 2722/07 -, S. 22 des amtlichen
Abdrucks.
Diese Rechtsgrundlagen sind nämlich Spezialregelungen bezüglich Entscheidungen
der EIU, soweit Anträge auf Zuweisung von Zugtrassen bzw. auf Zugang zu
Serviceeinrichtungen abgelehnt werden sollen, bezüglich Entscheidungen der EIU über
den Abschluss von Rahmenverträgen, hinsichtlich einer beabsichtigten Aufforderung,
ein Entgelt i.S.d. § 9 Abs. 6 EIBV anzubieten, und bezüglich einer beabsichtigten
Neufassung oder Änderung von Schienennetz-Benutzungsbedingungen (SNB) und von
Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen (NBS) einschließlich der jeweils
vorgesehenen Entgeltgrundsätze und Entgelthöhen. Bei Zugrundlegen der rechtlichen
Auffassung der Kammer käme im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Regelungen
des betrieblich-technischen Regelwerks der Antragstellerin allerdings durchaus in
Betracht, zu prüfen, ob § 14c Abs. 1 AEG in diesem Fall durch die u.a. auf SNB
zugeschnittene speziellere Vorschrift des § 14f Abs. 1 Satz 2 AEG verdrängt wird. Ob
dies der Fall ist, weil die in Rede stehenden Ausnahmegenehmigungen und
Folgeregelungen der Antragstellerin SNB und nicht anderweitige Regelungen
darstellen, kann hier aber letztlich dahinstehen.
16
Die Kammer ist allerdings nach wie vor der Überzeugung, dass betrieblich-technisches
Regelwerk, wie es hier in Rede steht, zugangsrelevant i.S.d. Anlage 2 Nr. 1 EIBV ist und
deshalb materiell den SNB zuzurechnen ist, weil die durch die
Ausnahmegenehmigungen der Antragstellerin den EVU zugewiesenen Pflichten -
insbesondere zur Information des jeweiligen Fahrdienstleiters der Antragstellerin über
außergewöhnliche Witterungsbedingungen - bereits allein unmittelbar aufgrund einer
Konkretisierung der in § 4 Abs. 1 Satz 1 AEG lediglich allgemeinen Verpflichtungen der
EVU zu haftungsrechtlichen Verschiebungen, jedenfalls aber zu Zweifelsfragen führen,
von denen Zugangsberechtigte ihre betriebswirtschaftliche Entscheidung, Anträge auf
Zuweisung von Trassen i.S.d. Abgabe eines Angebots der Antragstellerin zum
Abschluss einer Vereinbarung nach § 14 Abs. 6 AEG zu stellen, abhängig machen
können, so dass hier wegen Vorliegens materieller SNB § 14f Abs. 1 Nr. 1 AEG
einschlägig ist.
17
Die Regelung der Anlage 2 Nr. 1 EIBV ("Zugangsbedingungen") beschränkt sich - wie
Anlage 2 Nr. 3 Satz 1 EIBV - nach Auffassung der Kammer bereits nach ihrem Wortlaut
weder auf den formalen Begriff des Zugangs i.S.d. Zuweisung noch auf den Zeitraum
bis zum Beginn der Nutzung der Schienenwege und in diesem Sinn auf den
"eigentlichen" Zugang in Abgrenzung zur Vollziehung des
Zugangsvertragsverhältnisses,
18
vgl. dazu: OVG NRW, Urteile vom 23.09.2010 - 13 A 172/10 -, S. 23 bis 27 des
amtlichen Abdrucks und vom 17.06.2010 - 13 A 2557/09 -, S. 28 des amtlichen
Abdrucks, unter Bezugnahme auf seinen Beschluss vom 02.03.2010 - 13 B 10/10 -,
S. 4 ff. des amtlichen Abdrucks, juris,
19
also nicht auf den Zugang im Sinne der Eröffnung der Nutzung in Abgrenzung zur
Nutzung selbst und den von ihr in Anspruch genommenen Zeitraum.
20
Dass nicht nur Anlage 1, sondern auch Anlage 2 EIBV überhaupt einen über die
Voraussetzungen der Zuweisung hinausgehenden materiellen Zugangsbegriff enthält,
21
ergibt sich daraus, dass, selbst wenn Anlage 2 Nr. 3 Satz 2 EIBV allein den formalen
Zugangsbegriff regeln sollte, jedenfalls Anlage 2 Nr. 1 EIBV darüber hinaus gehen
müsste,
vgl. VG Köln, Urteil vom 20.08.2010 - 18 K 3807/07 -, S. 14 des amtlichen
Abdrucks,
22
weil diese Vorschrift anderenfalls überflüssig wäre. Auch Anlage 2 Nr. 3 Satz 1 EIBV
regelt, dass zum Zugang im materiellrechtlichen Sinne Angaben in den SNB zu machen
sind. Dagegen spricht zunächst nicht der Wortlaut der Überschrift zu Nr. 3 der Anlage 2
EIBV. Sie lautet zwar "Grundsätze und Kriterien für die Zuweisung von
Schienenwegkapazität", braucht sich indes nicht auf die Grundsätze gerade für die
Zuweisung von Schienenwegkapazität zu beschränken. Vielmehr kann damit auch
gemeint sein, dass Nr. 3 der Anlage 2 EIBV (allgemeine) Grundsätze sowie Kriterien für
die Zuweisung von Schienenwegkapazität regelt, so dass die Spezifizierung "für die
Zuweisung von Schienenwegkapazität" sich allein auf die in der Überschrift genannten
Kriterien, nicht aber auch auf die dort ebenfalls genannten Grundsätze zu erstrecken
braucht. Anhang I Nr. 3 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 26.02.2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn,
die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die
Sicherheitsbescheinigung (im Folgenden: Richtlinie - RL) trägt aufgrund seiner
sprachlichen Ähnlichkeit nichts zur grammatikalischen Auslegung der Anlage 2 Nr. 3
EIBV bei. Die danach maßgebliche grammatikalische, systematische und teleologische
Auslegung der Anlagen 1 und 2 zur EIBV im Übrigen ergibt nach Auffassung der
Kammer, dass der in Anlage 2 Nr. 1 und Nr. 3 Satz 1 EIBV gebrauchte Begriff des
Zugangs über die Zugangsvoraussetzungen im formalen Sinn hinaus geht und dessen
am Ziel der Schaffung eines diskriminierungsfreien Wettbewerbs orientierter materiell-
rechtlicher, nämlich wirtschaftlicher Bedeutung gerecht wird.
23
Vgl. VG Köln, Urteil vom 20.08.2010 - 18 K 3807/07 -, S. 14 des amtlichen
Abdrucks.
24
Dass speziell die in Anlage 2 Nr. 3 EIBV aufgeführten Bestandteile der SNB nicht allein
im zuweisungs-verfahrensrechtlichen Sinne zu verstehen sind, ergibt sich bereits aus
dem Wortlaut. Denn die nach Satz 1 der genannten Vorschrift erforderlichen "Angaben
zu den allgemeinen Kapazitätsmerkmalen des Schienenweges, der den
Zugangsberechtigten zur Verfügung steht, sowie zu etwaigen
Nutzungseinschränkungen, einschließlich des zu erwartenden Kapazitätsbedarfs für
Instandhaltungszwecke," haben bereits begrifflich nichts mit der in §§ 8 und 9 EIBV
geregelten Zuweisung zu tun. Dass diese Angaben über das formelle
Zuweisungsverfahren hinausgehen, wird zudem aus der sprachlichen Abgrenzung
durch Satz 2 der Vorschrift deutlich, wonach "ferner" Angaben zur Abwicklung und zu
den Fristen des Verfahrens der Zuweisung von Schienenwegkapazität anzugeben sind.
Sind jedenfalls einige der unter der sodann folgenden Aufzählung genannten Umstände
ohne weiteres ausschließlich dem Zuweisungsverfahren und damit dem formellen
Zugangsbegriff zuzuordnen, betreffen die unter Anlage 2 Nr. 3 Satz 1 EIBV
bezeichneten Inhalte dagegen Umstände, die für den materiellen Zugang im
wirtschaftlichen Sinne erforderlich sind. Im Übrigen verweist selbst Anlage 2 Nr. 3 Satz 2
EIBV nach seinem Wortlaut durch seinen Buchstaben e) auf die in § 19 EIBV geregelte
und in dessen Satz 2 wörtlich so bezeichnete Nutzungsbeschränkung, die mit dem
formellen Zuweisungsverfahren nicht in unmittelbarem Zusammenhang steht.
25
Dass für Anlage 2 Nr. 1 EIBV dagegen ein enger Zugangsbegriff gelten sollte, wird nicht
nur nicht ersichtlich, sondern umgekehrt dadurch ausgeschlossen, dass danach
materielle Angaben, nämlich zur Art des Schienenwegs, der insbesondere für die
Nutzung nach erfolgtem Zugang relevant ist, zu machen sind. Auch wenn Anlage 2
EIBV häufig schlichte nachrichtliche Angaben zum Gegenstand ihrer Normierung macht,
beschränken sich die danach erforderlichen materiellrechtlichen Inhalte mit Bezug auf
die Nutzung der Schienenwege nicht auf solche schlichten Mitteilungen, sondern
erfassen auch Regelungen, die die Rechte und Pflichten des jeweiligen
Vertragsverhältnisses zwischen EIU und Zugangsberechtigten, insbesondere EVU,
näher ausgestalten und konkretisieren. Ergibt sich bereits aus dem Begriff der
"Zugangsbedingungen" in Anlage 2 Nr. 1 EIBV nicht das Gegenteil, folgt jedenfalls
ausdrücklich aus anderen Vorschriften, die sich zum notwendigen Inhalt der SNB
verhalten, dass SNB auch Bedingungen enthalten müssen, die sich jenseits des
formellen Zuweisungsverfahrens auf die Zeit nach Beginn der Nutzung der
Schienenwege erstrecken. So bestimmt Anlage 2 Nr. 2 EIBV, dass die dort näher
konkretisierten Entgeltgrundsätze in den SNB darzulegen sind. Entgeltfragen betreffen
Umstände, die jedenfalls erst nach Abschluss des Zuweisungsverfahrens, nämlich für
die Frage Bedeutung haben, ob ein - nach der Systematik der §§ 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
Halbsatz 1 und Nr. 7 sowie 11 Abs. 1 Satz 1 EIBV - nach Antragstellung der EVU auf
Zuweisung von Zugtrassen vom EIU unterbreitetes Angebot vom EVU angenommen
wird. § 5 Abs. 1 Satz 2 EIBV verlangt, dass Grundsätze für die Stellung einer
Sicherheitsleistung zu veröffentlichen sind, und bezieht sich damit ebenfalls auf die Zeit
nach Abschluss des Zuweisungsverfahrens. Teilweise wird bereits aus den Vorschriften
zu den erforderlichen Entgeltregelungen ersichtlich, dass danach Vertragsregelungen
notwendig sind, die sogar erst nach bereits erfolgtem Zugang zu den Schienenwegen
Bedeutung erlangen können. So müssen in den SNB gemäß Anlage 2 Nr. 2 Satz 4
EIBV auch Vertragsstrafen bei von den Vertragspartnern zu vertretenden
"Betriebsstörungen" enthalten sein. Dafür, dass Teile der nach der Anlage 2 EIBV
erforderlichen Angaben in den SNB davon abweichend nur für das
Zuweisungsverfahren gelten sollen, soweit sich dies nicht ausdrücklich oder aus dem
Sachzusammenhang ergibt, ist nichts ersichtlich.
26
Dass Anlage 2 EIBV den materiellen Zugangsbegriff ausschließt und sich auf die Zeit
des Zuweisungsverfahrens oder allenfalls auf die Zeit bis zum Beginn der Nutzung der
Schienenwege beschränkt, ergibt sich nach Auffassung der Kammer insbesondere nicht
daraus, dass der Anlage 1 Nr. 1 EIBV eine Unterscheidung zwischen einerseits Regeln
bezüglich der Eröffnung der Nutzung und andererseits Bestimmungen, die die Nutzung
im Sinne einer Vollziehung des Zugangsvertragsverhältnisses betreffen, deshalb zu
entnehmen ist, weil nach ihrem Buchstaben d) Pflichtleistungen des Betreibers "alle
anderen" Informationen, die zur Durchführung des Verkehrs, für den Kapazität
zugewiesen "wurde", erforderlich sind.
27
So OVG NRW, Beschluss vom 02.03.2010 a.a.O., S. 4/5 des amtlichen Abdrucks.
28
Anlage 1 EIBV lässt sich nicht entnehmen, dass die SNB und damit die darauf
bezogene Regulierung sich nicht auf das bereits entstandene Vertragsverhältnis und die
Zeit der Nutzung der Schienenwege beziehen sollen. Denn Anlage 1 und Anlage 2
haben unterschiedliche Regelungsgegenstände. Die in Anlage 1 Nr. 1 EIBV genannten
Pflichtleistungen beziehen sich ausschließlich auf das jeweils konkrete Verhältnis
zwischen dem Betreiber der Schienenwege und einem Zugangsberechtigten,
29
wohingegen die in diesem Sinne abstrakten Pflichtleistungen als Mindestinhalte der
SNB allein durch Anlage 2 EIBV bestimmt werden. Der Anlage 2 EIBV ist indes auch
unter Zugrundelegen der weiteren obergerichtlichen Rechtsprechung nicht zu
entnehmen, dass sie allein SNB-Inhalte regelt, die die Zeit bis zur Eröffnung der
Nutzung der Schienenwege betreffen. Kann man die nach Anlage 2 Nr. 1 EIBV
erforderlichen Angaben zur Art des den Zugangsberechtigten zur Verfügung stehenden
Schienenwegs noch als Angaben ansehen, die für den Zugang von großer Bedeutung
sind, weil sie den Kern des Zugangsrechts betreffen,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.09.2010 - 13 A 172/10., S. 26 des amtlichen
Abdrucks (zu § 10 Abs. 1 EIBV),
30
denen deshalb "unmittelbare" Zugangsrelevanz zukommt,
31
vgl. zu dieser Eingrenzung: OVG NRW, Urteil vom 23.09.2010 - 13 A 172/10 -, S.
25 des amtlichen Abdrucks (zu § 10 Abs. 1 EIBV),
32
geht jedenfalls Anlage 2 Nr. 3 Satz 1 EIBV hinsichtlich des zu erwartenden
Kapazitätsbedarfs für Instandhaltungszwecke über die so bestimmte Art
zugangsrelevanter Angaben hinaus, weil diese Regelung zum einen die Zeit betrifft, in
der das Zugangsvertragsverhältnis in dem Sinne abgewickelt wird, dass der
Zugangsberechtigte die Schienenwege bereits nutzt, und zum anderen ausweislich der
Verwendung der Formulierung "zu erwartenden (Kapazitätsbedarfs für
Instandhaltungszwecke)" von Umständen ausgeht, die jedenfalls nicht stets bereits bei
Stellung des Zugangsantrags nahezu unumstößlich feststehen, wie es indes in aller
Regel bezüglich der von Anlage 1 Nr. 1 EIBV erfassten Art des Schienenwegs der Fall
ist.
33
Dass Anlage 2 Nr. 3 Satz 1 EIBV sich vielmehr umgekehrt auf einen weiten
Zugangsbegriff i.S.d. Begriffs des diskriminierungsfreien Zugangs zur Infrastruktur als
Verpflichtung zur Gewährung einer diskriminierungsfreien Teilhabe an der Infrastruktur
bezieht, wird durch den Wortlaut des § 14 Abs. 1 AEG bestätigt. Denn dort ist -
abgesehen von der Überschrift - nicht vom Zugang, sondern von der Benutzung der
Infrastruktur die Rede. Die Kammer ist der Auffassung, dass das in § 1 Abs. 1 Satz 1
AEG genannte Ziel der eisenbahnrechtlichen Regulierung, einen diskriminierungsfreien
Wettbewerb zu schaffen, nur dann erreicht werden kann, wenn nicht nur der Zugang zur
Infrastruktur, sondern auch die Benutzung der Infrastruktur diskriminierungsfrei gewährt
wird. Da die Benutzungsbedingungen der Benutzung zwar zeitlich vorgelagert sind,
aber gerade der Nutzung der Eisenbahninfrastruktur dienen,
34
vgl. VG Köln, Urteil vom 20.08.2010 - 18 K 3807/07 -, S. 14 des amtlichen
Abdrucks,
35
sind Wortlaut und Systematik der detaillierten Eisenbahninfrastruktur-
Benutzungsverordnung zwar interpretationsleitend,
36
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 02.03.2010 - 13 B 10/10 -, S. 4 des amtlichen
Abdrucks,
37
indes nicht isoliert, sondern nur im Rahmen ihres Zwecks als einer das Allgemeine
Eisenbahngesetz konkretisierenden, nachgelagerten Regelung, die sich an diesen in §
38
1 Abs. 1 Satz 1 AEG genannten Zielen zu orientieren hat. Dabei ist die Regulierung des
Eisenbahnwesens auch wegen der Langfristigkeit der Investitionen im Kern als
Wettbewerb "auf dem Netz" angelegt.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 05.10.2010 - 13 A 29/10 -, S. 14 des amtlichen
Abdrucks m.w.N.
39
Diesem Wettbewerb dienen auch die flankierenden Vorschriften der Anlage 2 Nrn. 1
und 3 Satz 1 EIBV. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass für die übrigen
Regelungen der Anlage 2 EIBV ein davon abweichender Zugangsbegriff gelten soll,
soweit sich dies nicht ausdrücklich oder aus der Natur der zu regelnden Sache ergibt,
wie es etwa bei Anlage 2 Nr. 3 Satz 2 Buchstaben a), c) und d) EIBV der Fall ist.
40
Dass demgemäß auch der Verordnungsgeber von einem weiten Zugangsbegriff
ausgeht, ergibt sich aus der
41
Begründung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen vom
15.04.2005 zur Verordnung zum Erlass und zur Änderung eisenbahnrechtlicher
Vorschriften, BR-Drs. 249/05, S. 38 zu § 4 Abs. 3 und 4 EIBV,
42
wonach die den Zugangsberechtigten gegebene Möglichkeit einer Stellungnahme dazu
dient, "dem Betreiber der Schienenwege die Möglichkeit zu geben, auf Kundenwünsche
einzugehen". Solche Kundenwünsche können sich angesichts der nach § 4 Abs. 2 Satz
1 EIBV in die SNB aufzunehmenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) auch
auf diese beziehen, ohne dass die AGB auf das formelle Zuweisungsverfahren
beschränkt sind.
43
Diese Auslegung entspricht schließlich der Richtlinie, deren Umsetzung die
Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung gemäß ihrer Präambel u.a. dient und die
diese Richtlinie gemäß dem europarechtlichen Grundsatz der Wirksamkeit ("effet utile")
umzusetzen hat. Denn gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 RL enthalten die SNB Angaben zum
Fahrweg, der den Eisenbahnunternehmen zur Verfügung steht. Auch nach ihrem Art. 2
Buchstabe j) enthalten SNB nicht nur eine detaillierte Darlegung der allgemeinen
Regeln, Fristen, Verfahren und Kriterien für die Entgelt- und
Kapazitätszuweisungsregelungen, sondern "ferner" die zusätzlichen Informationen, die
für die Stellung von Anträgen auf Zuweisung von Fahrwegkapazität benötigt werden.
Lediglich sprachlich umgekehrt sind nach Anhang I Nr. 3 RL Angaben zu den
allgemeinen Kapazitätsmerkmalen des Fahrwegs, der den Eisenbahnunternehmen zur
Verfügung steht, sowie zu etwaigen Nutzungseinschränkungen, "einschließlich des zu
erwartenden Kapazitätsbedarfs für Instandhaltungszwecke", zu machen und "ferner" die
Abwicklung und die Fristen des Verfahrens der Zuweisung von Fahrwegkapazität
anzugeben. Damit müssen die SNB gemäß dem - von Anlage 2 Nr. 3 EIBV umgesetzten
- Anhang I Nr. 3 RL nicht nur Angaben zum Zuweisungsverfahren, sondern auch
Informationen enthalten, die über diesen formellen Zugang hinaus gehen und damit den
materiellen Zugang in Form der Nutzung betreffen. Gemäß Anhang I Nr. 1 RL müssen
die SNB einen Abschnitt mit Angaben zur Art des Fahrwegs, der den
Eisenbahnunternehmen zur Verfügung steht, sowie zu den Zugangsbedingungen für
den betreffenden Fahrweg enthalten. Dabei entspricht ein weites Verständnis sowohl
vom Zugangsbegriff als auch vom materiellen Zugangsbegriff dem von Erwägungsgrund
7 RL verfolgten Ziel, Anreize zur optimalen Nutzung der Eisenbahnfahrwege zwecks
Verringerung der gesamtgesellschaftlich zu tragenden Kosten des Verkehrs zu geben.
44
Vgl. VG Köln, Urteil vom 20.08.2010 - 18 K 3807/07 -, S. 14 des amtlichen
Abdrucks.
45
So bindet die Befassung des Betreibers der Schienenwege mit nach Stattgabe nicht
wahrgenommenen oder zurückgezogenen Zuweisungsanträgen sowie eventuell
sodann zu vergebenden Kapazitäten an einen anderen Zugangspetenten Arbeitskraft
und verursacht Kosten, die vermeidbar sind. Gerade zu geringe Angaben zu den
Nutzungsvoraussetzungen bergen indes diese Gefahr, wenn sich für ein EVU erst im
Nachhinein herausstellt, dass die (materiellen) Zugangsbedingungen für es
wirtschaftlich sinnlos oder jedenfalls nicht von Interesse sind. Das gilt auch und gerade
für sicherheitsrelevante Regelungen,
46
vgl. zu diesen Regelungen: OVG NRW, Urteil vom 23.09.2010 - 13 A 172/10 -, S.
24 unten des amtlichen Abdrucks,
47
wofür nur beispielhaft die Konkretisierung der von § 28 Abs. 1 Nr. 4 Eisenbahn-Bau- und
Benutzungsverordnung vorgeschriebenen Zugbeeinflussung gehört.
48
Vgl. zu diesem Erfordernis: VG Köln, Beschluss vom 10.12.2009 - 18 L 1774/09 -
("PZB 90").
49
Die von der Kammer vorgenommene weite Auslegung des Zugangsbegriffs entspricht
schließlich dem Erwägungsgrund 5 RL, wonach zwecks Sicherstellung von
Transparenz und eines nichtdiskriminierenden Zugangs zu den Eisenbahnfahrwegen
für alle Eisenbahnunternehmen "alle für die Wahrnehmung der Zugangsrechte
benötigten Informationen" in den SNB zu veröffentlichen sind, wobei es nach
Erwägungsgrund 17 RL auch wichtig ist, "den geschäftlichen Anforderungen ... der
Antragsteller" Rechnung zu tragen.
50
Im vorliegenden Verfahren kann allerdings letztlich offen bleiben, wo die Grenzen des
Zugangsbegriffs i.S.d. Anlage 2 EIBV zu ziehen sind, weil die BNetzA aus
Rechtspraktikabilitäts-Gründen einstweilen von der Auffassung des
51
OVG NRW, Urteile vom 23.09.2010 - 13 A 172/10 -, S. 23 bis 27 des amtlichen
Abdrucks und vom 17.06.2010 - 13 A 2557/09 -, S. 28 des amtlichen Abdrucks;
Beschluss vom 02.03.2010 - 13 B 10/10 -, S. 4 bis 6 des amtlichen Abdrucks,
52
ausgeht. Wäre danach § 14f Abs. 1 Satz 2 AEG mangels Vorliegens (materieller, dem
speziellen Verfahren nach §§ 14d bis 14f AEG unterworfener und deshalb gemäß § 4
Abs. 6 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 1 EIBV gegenüber jedem Antragsteller in gleicher Weise
anzuwendender, für die Beteiligten verbindlicher) SNB ausgeschlossen, wäre jedenfalls
§ 14c Abs. 1 Satz 1 AEG einschlägig, den die BNetzA wegen des ihr mit dieser
Vorschrift ebenso wie durch § 14f Abs. 1 Nr. 1 AEG eröffneten Ermessens ihrer
Entscheidung ohne Änderung deren Bewertung als rechtmäßig oder rechtswidrig
zugrundelegen konnte. Ist die Anwendbarkeit des § 14c Abs. 1 AEG sogar trotz in Rede
stehender SNB, die im Falle ihrer Erstellung dem Regulierungsregime nach §§ 14d bis
14f AEG unterfallen, durch diese letztgenannten Vorschriften nicht ausgeschlossen,
53
vgl. OVG NRW, Urteil vom 17.06.2010 - 13 A 2557/09 -, S. 46 ff. des amtlichen
Abdruck; Beschluss vom 28.01.2008 - 13 B 2024/07 -, S. 8 f. des amtlichen
54
Abdrucks,
gälte das erst recht, wenn §§ 14d bis 14f AEG mangels materieller SNB im oben
dargelegten Sinne nicht einschlägig sein sollten. In diesem Fall handelt es sich nämlich
um AGB, die von § 4 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 EIBV voneinander
unterschieden werden, gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EIBV aber trotzdem in den SNB
enthalten sein müssen. Die formelle Unterscheidung von SNB und sonstigen AGB
ergibt sich daraus, dass nur bestimmte AGB öffentlich-rechtlich überformt sind. Solche
materiellen SNB unterliegen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 und 5 EIBV sowie §§ 14e
und 14f AEG öffentlich-rechtlichen Bindungen und müssen gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1
EIBV einen zwingenden Inhalt aufweisen. Deshalb betrifft die in Halbsatz 1 des § 4 Abs.
6 Satz 2 1 EIBV geregelte öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit ausschließlich diese
(materiellen) SNB, wohingegen der zweite Halbsatz dieser Vorschrift die nicht öffentlich-
rechtlichen Bindungen unterworfenen (sonstigen) AGB, die aber gemäß § 4 Abs. 2 Satz
1 EIBV in den SNB enthalten sein müssen, von dieser öffentlich-rechtlichen
Verbindlichkeit ausnimmt. Dies wird bestätigt durch die
55
Begründung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur
Verordnung zum Erlass und zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom
15.04.2005, BR-Drucks. 249/05, S. 38 zu dem so auch in Kraft getretenen § 4 Abs. 6
EIBV,
56
wonach zwischen der verbindlichen Geltung der SNB und der sich nach allgemeinen
(zivilrechtlichen) Regeln richtenden Geltung der (sonstigen) AGB unterschieden wird.
Denn dort wird ausgeführt: "Durch Satz 2 wird die Verbindlichkeit der SNB angeordnet,
da sonst ein geordnetes Verfahren nicht möglich wäre. Inwieweit die Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, die in den Schienennetz-Benutzungsbedingungen enthalten
sind, Vertragsbestandteil werden, richtet sich nach allgemeinen Regeln."
57
Daraus folgt, dass die (sonstigen) AGB hinsichtlich der Aufstellung und Änderung in
zeitlicher Hinsicht im Belieben eines Verwenders stehen. Das gilt grundsätzlich auch in
inhaltlicher Hinsicht mit der Folge, dass AGB grundsätzlich allein der zivilgerichtlichen
Inhaltskontrolle unterliegen, es sei denn, dass aus solchen AGB Verletzungen des
Eisenbahnregulierungsrechts folgen. In einem solchen Fall ist die Kontrolle der BNetzA
eröffnet und gegebenenfalls ihr Einschreiten möglich. Das ist etwa denkbar, soweit
solche (sonstigen), eisenbahnregulierungsrechtlich nicht überformten AGB das
Diskriminierungsverbot des § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG und das in dieser Vorschrift
zugleich enthaltene öffentlich-rechtliche subjektive Zugangsrecht,
58
vgl. VG Köln, Urteil vom 04.12.2009 - 18 K 4918/07 -, S. 28 ff. des amtlichen
Abdrucks,
59
verletzen. Dem stünde auch nicht die Rechtsprechung des
60
OVG NRW, Urteile vom 23.09.2010 - 13 A 172/10 -, S. 23 bis 27 des amtlichen
Abdrucks und vom 17.06.2010 - 13 A 2557/09 -, S. 28 des amtlichen Abdrucks;
Beschluss vom 02.03.2010 - 13 B 10/10 - s. 3 ff. des amtlichen Abdrucks,
61
entgegen, weil es dort hinsichtlich der Frage, welche Inhalte in SNB aufzunehmen sind,
offenbar von einem engen, auf das Zuweisungsverfahren abstellenden Zugangsbegriff
ausgeht, damit aber nicht verneint, dass Regelungen in einem über das
62
Zuweisungsverfahren hinausgehenden, weiteren Sinne auch dann zugangsrelevant
sein können, wenn sie nach seiner Auffassung nicht in dem (engen) Sinne
zugangsrelevant sind, dass solche Regelungen eines EIU in die von diesem nach § 4
Abs. 1 Satz 1 EIBV aufzustellenden SNB aufzunehmen sind.
Nach Auffassung der Kammer hat entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin das
63
OVG NRW, Urteil vom 17.06.2010 - 13 A 2557/09 -, S. 25 f. des amtlichen
Abdrucks; Beschluss vom 02.03.2010 - 13 B 10/10 -, S. 6 des amtlichen Abdrucks,
64
auch nicht entschieden, dass Klauseln, die nicht SNB seien, keine AGB seien. Vielmehr
hat es dort ausgeführt, dass Klauseln, die nicht zu den SNB zu rechnen seien, jedenfalls
nicht AGB i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 EIBV seien.
65
Eine Kontrolle auch von (nicht i.S.d. § 6 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 Halbsatz 1 EIBV
materielle SNB darstellenden) AGB, die gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 EIBV gleichwohl in
die (materiellen) SNB aufzunehmen sind, und selbst von AGB, die nach der
obergerichtlichen Rechtsprechung jedenfalls nicht der Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 1
EIBV unterfallen, wird weder durch das Allgemeine Eisenbahngesetz noch durch die
Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung ausgeschlossen. Im Gegenteil ergibt
sich diese Möglichkeit nicht nur zwanglos aus § 14c Abs. 1 AEG, sondern auch aus den
in § 1 Abs. 1 Satz 1 AEG niedergelegten regulierungsrechtlichen Zielen des
Allgemeinen Eisenbahngesetzes, die zudem - zumindest in weiten Teilen - der o.g.
europarechtlichen Richtlinie geschuldet sind. Dass nicht
eisenbahnregulierungsrechtlich überformte AGB von einem EIU aufgestellt werden
können, wird von eisenbahnregulierungsrechtlichen Vorschriften nicht ausgeschlossen,
sondern vielmehr vorausgesetzt. § 14 Abs. 6 AEG verweist nämlich auf das materielle
Zivilrecht. Solche nicht eisenbahnregulierungsrechtlich überformten AGB können
danach nicht nur selbstverständlich außerhalb des von § 4 EIBV vorgegebenen
Regimes geändert werden. Vielmehr sind solche Regelungen angesichts des
bundesweit operierenden Unternehmens der Antragstellerin wirtschaftlich unverzichtbar,
um die Öffnung der Schienenwege (insbesondere hinsichtlich der vielfältigen,
detaillierten und umfangreichen Sicherheits- und Betriebs-Regelungen der ehemaligen
Staatsbahn) überhaupt handhabbar zu machen. Verletzen solche AGB allerdings
eisenbahnregulierungsrechtliche Vorschriften, insbesondere das in § 14 Abs. 1 Satz 1
AEG enthaltene Diskriminierungsverbot oder öffentlich-rechtliche Zugangsrecht,
unterfallen auch sie der eisenbahnregulierungsrechtlichen Kontrolle und
gegebenenfalls einer regulierungsbehördlichen Entscheidung.
66
Die von der BNetzA ihrer angefochtenen Entscheidung tragend zugrundegelegte
Annahme, die hier in Rede stehenden Ausnahmegenehmigungen und Folgeregelungen
der Antragstellerin verletzten die regulierungsrechtlich beachtliche Norm des § 14 Abs.
6 AEG, trifft indes nicht zu, weshalb Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids der BNetzA
bereits aus diesem Grund ermessensfehlerhaft ist und daher keinen Bestand haben
kann. Entgegen der Auffassung der BNetzA ergibt sich aus § 14 Abs. 6 AEG aus den
oben dargelegten Gründen nicht, dass Regelungen, die keine materiellen SNB i.S.d. § 4
Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 Halbsatz 2 EIBV sind oder jedenfalls nicht von § 4 Abs. 2 Satz
1 EIBV erfasst werden, nur mittels individueller Vertragsvereinbarungen zwischen dem
EIU und den Zugangsberechtigten, insbesondere den EVU, zum Gegenstand ihrer
Verträge gemacht werden können, weil eine vertragliche Bindung i.S.d. § 14 Abs. 6
AEG auch dann entsteht, wenn AGB Vertragsinhalt geworden sind. So liegt der Fall
67
hier.
Durch Klausel 2.3.4 SNB und Klausel 8.4.2 Satz 1 ABN der Antragstellerin werden
deren betrieblich-technische Regelwerke, zu denen die hier in Rede stehenden
Ausnahmegenehmigungen samt Ergänzungsregelungen ergangen sind, in die
vertraglich relevanten Regelungen, also in die AGB einbezogen, wobei es für den
vorliegenden Rechtsstreit rechtlich unerheblich ist, ob diese betrieblich-technischen
Regelwerke materielle SNB i.S.d. § 4 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 EIBV sind oder AGB, die
gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EIBV gleichwohl in den SNB enthalten sein müssen, oder
gegebenenfalls sonstige AGB, die i.S.d. o.g. obergerichtlichen Rechtsprechung nicht
von § 4 Abs. 2 Satz 1 EIBV erfasst werden.
68
Ebenfalls offen bleiben kann, ob die Einbeziehung dieser betrieblich-technischen
Regelwerke der Antragstellerin durch Satz 1 oder Sätze 4 und 5 der Klausel 2.3.4 SNB
rechtlich zulässig in den SNB geregelt ist. Auch diese Sätze sind möglicherweise keine
materiellen SNB, sondern nicht eisenbahnregulierungsrechtlich überformte AGB. Dass
§ 4 Abs. 2 Satz 1 EIBV regelt, welche Inhalte "mindestens" in den SNB enthalten sein
müssen, bedeutet indes nicht, dass diese Vorschrift eine offene Aufzählung der
Pflichtinhalte enthält.
69
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17.06.2010 - 13 A 2557/09 -, S. 26 f. des amtlichen
Abdrucks; Beschluss vom 02.03.2010 - 13 B 10/10 -, S. 7 f. des amtlichen
Abdrucks,
70
Da nach Auffassung der Kammer § 4 Abs. 2 Satz 1 EIBV aber eben auch verlangt, dass
(nicht eisenbahnrechtlich überformte) AGB in den SNB enthalten sein müssen,
71
den Begriff der AGB i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 EIBV dagegen offenbar einschränkend:
OVG NRW, Urteil vom 17.06.2010 - 13 A 2557/09 -, S. 25/26 des amtlichen
Abdrucks; Beschluss vom 02.03.2010 - 13 B 10/10 -, S. 6 des amtlichen Abdrucks,
72
können Sätze 1, 4 und 5 der Klausel 2.3.4 SNB auch als in den SNB enthaltene AGB
i.S. nicht eisenbahnregulierungsrechtlich überformter AGB zu qualifizieren sein.
Entweder ist eine dann anzunehmende lediglich fehlerhafte Bezeichnung i.S.d.
Rechtsprechung des
73
OVG NRW, Urteil vom 17.06.2010 - 13 A 2557/09 -, S. 27 f. des amtlichen
Abdrucks,
74
rechtlich nicht relevant oder führt eine bei gegenteiliger Ansicht,
75
so VG Köln, Urteile vom 04.12.2009 - 18 K 4918/07 -, S. 25 f. des amtlichen
Abdrucks, und vom 21.08.2009 - 18 K 2722/07 -, S. 32 des amtlichen Abdrucks,
76
anzunehmende Rechtswidrigkeit hier deshalb nicht zur rechtlichen Unbeachtlichkeit
dieser Teile der Klausel 2.3.4 SNB, weil die auf diese Klausel bezogenen
Beanstandungen seitens der BNetzA aufgrund des Beschlusses des
77
OVG NRW vom 02.03.2010 - 13 B 10/10 -,
78
nicht sofort vollziehbar sind und mangels rechtskräftigen Abschlusses der
79
diesbezüglichen, bei der Kammer anhängigen Klage zum Aktenzeichen 18 K 2771/10
derzeit nicht als unwirksam anzusehen sind. Letzeres gilt auch hinsichtlich der Klausel
8.4.2 Satz 1 AGB, die auf Klausel 2.3.4 SNB verweist.
Legt man dagegen die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen zugrunde, wonach die Klausel 2.3.4 SNB womöglich als sonstige
AGB, die nicht i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 EIBV in den SNB enthalten sein müssen, zu
qualifizieren sind, kann offen bleiben, ob daraus deshalb zugleich die Rechtswidrigkeit
der Klausel folgt, weil sie dennoch in den SNB der Antragstellerin enthalten ist. Denn
auch im Fall der Rechtswidrigkeit gilt nach den obigen Ausführungen, dass die auf die
Klausel 2.3.4 SNB bezogenen Beanstandungen seitens der BNetzA jedenfalls aufgrund
des Beschlusses des
80
OVG NRW vom 02.03.2010 - 13 B 10/10 -,
81
weder sofort vollziehbar noch (mangels rechtskräftigen Abschlusses der
diesbezüglichen, bei der Kammer anhängigen Klage zum Aktenzeichen 18 K 2771/10)
unwirksam sind. Letzeres gilt wiederum auch für die Klausel 8.4.2 Satz 1 AGB, die auf
Klausel 2.3.4 SNB verweist.
82
Klausel 2.3.4 Satz 3 SNB bestimmt, dass sicherheitsrelevante Regelungen fortlaufend
aktualisiert werden, wobei Verpflichtungen nach Maßgabe des Eisenbahnrechts und
Entscheidungen des EBA nur jeweils als Beispiele für einen entsprechenden Anlass
benannt werden, wie dem Wortlaut ("z.B." und "insbesondere") zu entnehmen ist.
Dasselbe gilt auch für Klausel 2.3.4 SNB, obwohl dort das betrieblich-technische
Regelwerk im Unterschied zum zuvor behandelten netzzugangsrelevanten Regelwerk
geregelt wird. Denn dieser Bestimmung lässt sich - ungeachtet der rechtlichen
Zulässigkeit - eine dynamische Verweisung entnehmen. Bezüglich Klausel 8.4.2 ABN
gilt dasselbe, weil deren Satz 1 auf Klausel 2.3.4 SNB verweist.
83
Entgegen der Auffassung der BNetzA folgt aus § 6 des Grundsatz-Infrastrukturvertrags,
wonach Änderungen der Schriftform bedürfen, nichts anderes. Die gegebenenfalls,
gemessen an der Netzfahrplanperiode, unterjährigen Änderungen des betrieblich-
technischen Regelwerks seitens der Antragstellerin erfolgen in schriftlicher Form.
Soweit sie nicht den SNB zuzurechnen sind, ist fraglich, ob aus § 4 Abs. 4 und 5 i.V.m.
Abs. 2 Satz 1 EIBV eine Bindung an Fristen erfolgt, wogegen allerdings sprechen
könnte, dass diese Fristen gerade für (materielle) SNB gelten. Diese Frage stellt sich
indes nicht im vorliegenden Verfahren. Eine weitere, vom Schriftformerfordernis aber
ebenfalls unabhängige Frage ist, ob AGB auch unabhängig von solchen Fristen in
rechtlich zulässiger Weise einer dynamischen Verweisung unterworfen werden können.
84
Vgl. zur Problematik der dynamischen Verweisung von NBS: VG Köln, Urteil vom
10.09.2010 - 18 K 4250/07 -.
85
Auch auf diese Frage kommt es hier aber nicht an, weil die der Ermessensentscheidung
der BNetzA maßgeblich zugrunde liegende Annahme, die Änderungsgenehmigungen
und Folgeregelungen der Antragstellerin seien nicht i.S.d. § 14 Abs. 6 AEG vereinbart,
aus den bereits oben dargelegten Gründen nicht zutreffend ist.
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Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids ist als Folgeregelung zu dessen Ziffer 1 aus den
oben genannten Gründen ebenfalls ermessensfehlerhaft. Auf die Frage, ob die in Ziffer
87
2 getroffene Anordnung angesichts der bereits allein aufgrund der Konkretisierung der
aus § 4 Abs. 1 Satz 1 AEG folgenden Pflichten mit der Folge einer womöglich erstmals
festgeschriebenen Verantwortungsverteilung oder auch einer Haftungsverschiebung
überhaupt geeignet ist, einer Haftungsverschiebung entgegenzuwirken, kommt es
deshalb nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus den § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Dabei orientiert sich die Kammer an der
Hälfte des in Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts. Die
Zwangsgeldandrohung bleibt entsprechend Ziffer 1.6.2 Satz 1 des so genannten
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 07./08.07.2004 außer Ansatz.
88