Urteil des VG Köln vom 29.06.1999

VG Köln: recht der europäischen union, öffentliche sicherheit, universaldienst, restriktive auslegung, dienstleistung, zustellung, drucksache, anbieter, deutsche bundespost, prognostische beurteilung

Verwaltungsgericht Köln, 22 K 5502/98
Datum:
29.06.1999
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
22. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 K 5502/98
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtli- chen Kosten der Beigeladenen.
T a b e s t a n d:
1
Die Beigeladene, die als GmbH i.G. die Beförderung von Briefen, Paketen und
sonstigen Gegenständen betreibt, beantragte mit Schreiben vom 01. April 1998 die
Erteilung einer Lizenz gem. § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Postgesetz. Die
Regulierungsbehörde für Telekommunikati- on und Post erteilte am 06. Mai 1998 die
begehrte Lizenz mit dem räumlichen Gel- tungsbereich M. , C. , W. , B. und S. . Im
Begleitschreiben zur Lizenz vom 06. Mai 1998 sah sie dabei die Tatbestandsmerkmale
des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Postgesetz als erfüllt an, weil die Dienstleistung der
Beigeladenen fol- gende Leistungsmerkmale umfasse:
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- Abholung von Postsendungen bei Kunden in den Vormittags- stunden - Garantierte
Zustellung am Tage der Abholung, bei schuldhafter Verfehlung dieses Ziels erfolgt
Zahlung einer Vertragsstrafe, die pro nicht fristgerecht zugestellter Sendung 5,00 DM
und pro Monat maximal 50,00 DM beträgt - Rückgabe von unzustellbaren Sendungen
an den Absender binnen 2 Tagen - Umleitbarkeit der Sendungen zwischen Abholung
und Zustellung - Nachträgliche Abrechung mit dem Kunden über die tatsächlich
erbrachten Leistungen
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Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post beteiligte die Klägerin nicht
am Verwaltungsverfahren.
4
Die Klägerin hat am 08. Juli 1998 Klage erhoben.
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Sie trägt vor, die erteilte Lizenz greife in ihre gesetzliche Exklusivlizenz nach § 51 Abs. 1
Satz 1 PostG ein. § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG begründe für sie ein drittschüt- zendes
Abwehrrecht. Daraus folge ihre Klagebefugnis. Die Lizenz sei verfahrensfeh- lerhaft
erteilt worden: Sie, die Klägerin, hätte nach § 13 Abs. 2 VwVfG beteiligt wer- den
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müssen. Ihr Recht auf Anhörung sei verletzt worden. Außerdem habe die Regu-
lierungsbehörde für Telekommunikation und Post den Sachverhalt nicht vollständig
ermittelt. Schon dies müsse zur Aufhebung der Lizenz führen, weil der Tatbestand des §
51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG prognostische Elemente enthalte. Die Lizenz ver- stoße
auch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des § 37 VwVfG.
Art. 143b GG stelle die verfassungsrechtliche Abschirmung der Exklusivlizenz
gegenüber dem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG dar. Deshalb könne die
Beigeladene sich auf das Grundrecht der Berufsfreiheit gegenüber der Exklusivlizenz
nicht berufen.
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Der Tatbestand des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG bedürfe einer Auslegung, die dem
Recht der Europäischen Union konform sein müsse. Deshalb sei das Merkmal der
Trennbarkeit nur gegeben, wenn ein Bedarf von Wirtschaftsteilnehmern an den
Postdienstleistungen des Lizenznehmers bestehe. Der Gesetzgeber habe sich näm- lich
an die Corbeau-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes anlehnen wollen. Dies
folge aus der Niederschrift der 42. Sitzung des Postausschusses. Ein wirtschaft- licher
Bedarf an den durch die Lizenz genehmigten Dienstleistungen bestehe jedoch nicht:
Umfragen hätten ergeben, daß lediglich bei etwa einem Prozent der Briefsen- dungen
ein Interesse an einer taggleichen Zustellung bestehe. Entscheidend für die
Inanspruchnahme der Beigeladenen sei vielmehr der niedrigere Preis. Wie die übri- gen
Tatbestandsmerkmale verstanden würden, sei aus der Lizenzpraxis der Beklag- ten
nicht erkennbar. Die Dienstleistungen der Beigeladenen seien nicht höherwertig.
Entscheidend für die Höherwertigkeit einer Dienstleistung sei der Preis: Dies folge aus
der 18. Erwägung der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 15. Dezember 1997 - Postrichtlinie - und aus dem Schlußantrag des
Generalanwalts Tesauro im Corbeau-Verfahren.
8
Außerdem setze § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG voraus, daß die Lizenzerteilung nicht
das wirtschaftliche Gleichgewicht des von der Klägerin erbrachten Universal- dienstes
gefährde. Dies erfordere eine prognostische Beurteilung durch die Regulie-
rungsbehörde für Telekommunikation und Post. Das gelte in der Übergangsphase bis
zum Auslaufen der gesetzlichen Exklusivlizenz. In dieser Zeit sei das Ausgleichssys-
tem des Postgesetzes noch nicht funktionsfähig. Das Erfordernis folge weiter aus der
Pflicht der Beklagten zur Beachtung der Regulierungsziele nach § 6 Abs. 2 Satz 1
PostG.
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Allerdings sei den Mitgliedsstaaten eine Liberalisierung des Postmarktes über die
Mindestbestimmungen der Postrichtlinie nach Art. 26 dieser Richtlinie möglich. Dies
müsse jedoch mit dem EGV, insbesondere mit Art. 86 Abs. 2 EGV vereinbar sein. Die
Liberalisierung dürfe nicht dazu führen, daß dem Universaldienst leistenden
Unternehmen - in Deutschland der Klägerin - die Erfüllung der
Universaldienstverpflichtung zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen nicht mehr
möglich sei. Art. 86 Abs. 2 EGV sei eine Schutznorm für das Monopolunternehmen. Eine
förmliche Betrauung der Klägerin mit der Erbringung des Universaldienstes sei nicht
erforderlich.
10
§ 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG betreffe nur neue Dienste. Auf die Tätigkeit der
Beigeladenen sei die Vorschrift auch dem Grunde nach nicht anwendbar, diese greife
nur dann nicht in die Exklusivlizenz ein, wenn sie alle Merkmale des Kurierdienstes
erfülle. § 5 Abs. 2 Nr. 3 PostG sei Spezialnorm gegenüber § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
11
PostG.
Die Klägerin beantragt,
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die durch die Beklagte der Beigeladenen gemäß §§ 5,6 PostG erteilte Lizenz insoweit
aufzuheben, als sie sich auf Dienstleistungen gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG
bezieht.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die Klage mangels Klagebefugnis der Klägerin für unzulässig: Die erteilte
Lizenz befreie die Beigeladene nicht von der Beachtung der Exklusivlizenz. Einen
Schutz vor Konkurrenz gebe es im Gewerberecht nicht. Die Leistungen nach § 51 Abs. 1
Satz 2 PostG seien nicht von der Exklusivlizenz umfaßt. Deshalb enthalte die Lizenz
keine Regelung gegenüber der Klägerin. Die gesetzliche Exklusivlizenz diene nicht der
Finanzierung des Universaldienstes. Sie sei der Klägerin vielmehr verliehen, um ihr die
Umstellung auf die Bedingungen des freien Marktes nach Aus- laufen der Exklusivlizenz
zu ermöglichen. Das wirtschaftliche Gleichgewicht des Universaldienstes sei
unerheblich. Es sei auch nicht Regulierungsziel des § 2 Abs. 2 Nr. 3 PostG. Außerdem
ermögliche die Gefährdung des Regulierungszieles lediglich Nebenbestimmungen (§ 6
Abs. 2 PostG). Das Bedarfsmarktkonzept habe der Gesetzgeber nicht übernommen.
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Die Beigeladene beantragt,
17
die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, der Klägerin fehle die Klagebefugnis. § 6 des Postgesetzes sei
ebensowenig drittschützend wie § 2 Abs. 2. Die Sicherstellung des Universaldienstes
diene nicht Interessen der Klägerin. Er sei ihr nicht auferlegt. Die Voraussetzungen des
§ 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG seien erfüllt. Trennbar bedeute unterscheidbar. Die
lizensierten Leistungen seien von den Basispostleistungen unterscheidbar. Das
Bedarfsmarktkonzept finde keine Stütze im Gesetz. Auf die besonderen Bedürfnisse von
Wirtschaftsteilnehmern käme es für die besonderen Leistungsmerkmale der
Dienstleistung nicht an. Ein höheren Preis sei für die Frage der Höherwertigkeit nicht
von Bedeutung. Auch das wirtschaftliche Gleichgewicht des Universaldienstes sei
unerheblich. Es finde sich weder im Tatbestand noch auf der Rechtsfolgeseite von § 51
Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG. Die Lizenzentscheidung sei vielmehr eine gebundene
Entscheidung. Die Beklagte dürfe die Lizenzen auch nicht nur für Gebiete von
mindestens der Größe des Saarlandes erteilen. Dies sei eine rechtswidrige objektive
Zulassungsbeschränkung.
19
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist zulässig.
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Gegenstand der Anfechtungsklage ist die Lizenz vom 06. Mai 1998, soweit darin der
Beigeladenen Postdienstleistungen nach § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG erlaubt worden
sind.
22
Die Klägerin ist gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Sie macht die Verletzung eines
subjektiv-öffentlichen Rechtes nach § 51 Abs. 1 PostG geltend. Diese Vorschrift dient -
auch - dem Schutz der Klägerin,
23
a. A.: Gramlich, Gesetzliche Exklusivlizenz, Universaldienstpflichten und "höherwertige"
Dienstleitungen im PostG 1997, S. 99; widersprüchlich: LG M. , Urteil vom 30. Juli 1998 -
11 O 10/98 -, S. 16 und 17 der Urteilsaus- fertigung.
24
Das Lizensierungsverfahren gemäß §§ 5 ff. PostG dient nicht nur der Prüfung, ob durch
die geschäftliche Betätigung der Beigeladenen öffentliche Interessen beeinträchtigt
werden können. Ein beachtenswerter Drittschutz muß nämlich nicht aus dem
Genehmigungstatbestand selbst folgen - hier § 6 PostG -, sondern kann nach ständiger
verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung auch durch Vorschriften vermittelt werden, die
dessen Voraussetzungen ausfüllen. § 51 Abs. 1 PostG stellt eine solche Vorschrift dar,
die § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PostG ausfüllt. § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG verschafft der
Klägerin ein staatlich gewährtes Exklusivrecht, das darauf gerichtet ist, Dritte aus dem
Tätigkeitsbereich des Inhabers der Exklusivlizenz auszuschließen. Die Klägerin ist als
Trägerin der Exklusivlizenz in § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG ausdrücklich genannt und damit
eindeutig individualisiert. Sie kann von der Lizenzerteilung an Konkurrenzunternehmen
auch rechtlich betroffen sein.
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Zwar gestaltet eine Lizenzerteilung nach § 51 Abs. 1 Satz 2 PostG nicht den
Geltungsbereich der gesetzlichen Exklusivlizenz nach § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG um.
Denn der Umfang des Sonderrechtes, welches der Klägerin während der Geltungsdauer
des Übergangsregimes gesetzlich eingeräumt ist, kann durch Lizen- zerteilungen nach
§ 51 Abs. 1 Satz 2 PostG rechtlich nicht verändert werden. Unabhängig von
Lizenzerteilungen nach § 51 Abs. 1 Satz 2 PostG steht der Klägerin nämlich bis zum 31.
Dezember 2002 das Recht zu, Briefsendungen und adressierte Kataloge, deren
Einzelgewicht weniger als 200 g und deren Einzelpreis bis zum fünffachen des am 31.
Dezember 1997 geltenden Preises für entsprechende Postsendungen der untersten
Gewichtsklasse beträgt, gewerbsmäßig zu befördern.
26
Jedoch folgt die Klagebefugnis der Klägerin aus dem Umstand, daß das gesetzliche
Sonderrecht nach § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG die Eigenschaft der Exklusivität einbüßt,
wenn Lizenzerteilungen nach § 51 Abs. 1 Satz 2 PostG den zugunsten der Klägerin
reservierten Bereich unrechtmäßig erfassen. Dies macht die Klägerin geltend und eine
derartige Rechtsverletzung erscheint auch nicht ausgeschlossen.
27
Die Klage ist indes unbegründet.
28
Der angefochtene Lizenzbescheid verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113
Abs. 1 Satz 1 VwGO.
29
Der Lizenzbescheid findet insoweit seine Rechtsgrundlage in §§ 5 Abs. 1, 6, 51 Abs. 1
Satz 2 Nr. 4 PostG.
30
Die Klägerin hat das geltend gemachte Abwehrrecht aus § 51 Abs. 1 PostG allerdings
nicht verwirkt. Die Voraussetzungen der Verwirkung liegen nicht vor. Hierbei kann
dahinstehen, ob überhaupt ein hinreichender Zeitablauf zwischen der Lizenzerteilung
und ihrer Anfechtung durch die Klägerin vorliegt. Denn es fehlt jedenfalls an einem
Verhalten der Klägerin, welches ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten und der
31
Beigeladenen begründen könnte, die Klägerin werde von einer Ausübung der geltend
gemachten Rechte absehen.
Der angefochtene Lizenzbescheid verletzt die Klägerin nicht in ihren formellen Rechten.
32
Die Klägerin ist durch die Sachverhaltsermittlung der Beklagten im
Verwaltungsverfahren nicht in eigenen Rechten verletzt. Der in § 24 VwVfG normierte
Untersuchungsgrundsatz sichert das öffentliche Interesse im Verwaltungsverfahren.
Eine ungenügende Sachaufklärung der Verwaltungsbehörde rechtfertigt in Fällen
rechtlich gebundener Entscheidung nicht die gerichtliche Aufhe- bung der
Verwaltungsentscheidung, sondern das Gericht ist nach § 86 VwGO verpflichtet, den
Sachverhalt in dem für die Entscheidung erforderlichen Umfang selbst aufzuklären,
33
vgl. Knack, Kommentar zum VwVfG, 6. Auflage 1998, § 24 Rdnr. 7 m. w. N.
34
Die Entscheidung der Beklagten über einen Lizenzantrag gemäß § 6 PostG ist rechtlich
gebunden. Denn die Lizenz ist zu versagen, wenn keine Versagungsgründe vorliegen.
Bei der Entscheidung ist der Beklagten - wie noch auszuführen ist - weder ein
Beurteilungs- noch ein Ermessensspielraum eingeräumt noch enthält die Entscheidung
prognostische Elemente, die der Klägerin ein Recht auf eine gerechte Abwägung
eröffnen könnten.
35
Der Lizenzbescheid verletzt auch nicht Beteiligungsrechte der Klägerin. Zwar hat die
Beklagte die Klägerin am Lizensierungsverfahren nicht beteiligt. Dies ist indes
unschädlich. Denn ein Anspruch der Klägerin auf Verfahrensbeteiligung besteht nicht.
36
Aus § 44 PostG i. V. m. § 74 Abs. 2 TKG folgt kein Recht der Klägerin auf Beteiligung
am Lizenzerteilungsverfahren. Diese Vorschriften regeln lediglich die Beiladung im
Verfahren vor den bei der Regulierungsbehörde gebildeten Beschlußkammern.
Lizenzen nach § 5 PostG werden indes nicht im Beschlußkammerverfahren, sondern im
Verwaltungsverfahren nach §§ 9 ff. VwVfG erteilt, wie sich aus § 46 Abs. 1 PostG ergibt.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Hinzuziehung zum Lizenzer- teilungsverfahren
auch nicht aus § 13 Abs. 2 VwVfG und auch kein Recht aus Artikel 19 Abs. 4 GG auf
Verfahrensteilhabe. Denn eine Hinzuziehung der Klägerin im Verwaltungsverfahren
nach § 13 Abs. 1 Satz 2 VwVfG war nicht notwendig, weil der Ausgang des
Lizenzerteilungsverfahrens keine rechtsgestaltende Wirkung für die Klägerin hat. Der
angefochtene Lizenzbescheid gestaltet nämlich das Exklusivrecht der Klägerin nicht.
Die Exklusivlizenz der Klägerin wird durch den Bescheid weder begründet, aufgehoben
noch verändert. Insbesondere berührt der angefochtene Lizenzbescheid weder den
gesetzlichen Umfang des der Klägerin reservierten Bereichs an Postdienstleistungen
noch ändert er eine Eigenschaft des der Klägerin während des Übergangsregimes
gewährten Sonderrechts ab. Die Lizenz der Klägerin bleibt exklusiv, weil die
Dienstleistungen, welche der Beigeladenen erlaubt worden sind, die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG erfüllen und damit den Exklusivbereich nach § 50
Abs. 1 Satz 1 PostG rechtlich nicht berühren.
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Eine einfache Hinzuziehung der Klägerin zum Lizenzerteilungsverfahren gemäß § 13
Abs. 2 Satz 1 VwVfG hat die Beklagte ermessensfehlerfrei abgelehnt. Denn sie hat bei
ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens i. S. d. § 114 VwGO nicht
überschritten und von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung noch
39
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Hierbei hat sich die Beklagte in vertretbarer
Weise davon leiten lassen, daß nach § 6 Abs. 1 Satz 4 PostG die Entscheidung über
den Lizenzantrag innerhalb von sechs Wochen erfolgen soll. Es erscheint nicht
ermessensfehlerhaft, daß der Beklagten nach ihrer Einschätzung eine regelmäßige
Beachtung dieser - auch im Hinblick auf Artikel 12 GG kurz bemessenen -
Entscheidungsfrist bei einer Hinzuziehung der Klägerin im Verfahren erschwert würde.
Unabhängig hiervon wäre eine Verletzung in Beteiligungsrechten der Klägerin nach §
46 VwVfG rechtlich unerheblich. Hiernach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes
nicht allein deshalb verlangt werden, weil er unter Verletzung von
Verfahrensvorschriften zustandegekommen ist, sofern die Verletzung die Ent- scheidung
der Behörde in der Sache offensichtlich nicht beeinflußt hat. Da es sich bei der Erteilung
der Exklusivlizenz um eine gebundene Entscheidung handelt und diese aus den
nachfolgenden Gründen die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, hätte eine
Mißachtung von Beteiligungsrechten der Klägerin die zu treffende Sachentscheidung
offensichtlich nicht beeinflußt. Denn die Beklagte war gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3
PostG im Rahmen gebundener Verwaltung ohnehin verpflichtet, der Beigeladenen
einen Lizenzbescheid zu erteilen, weil Versagungsgründe nicht vorliegen.
40
Der angefochtene Lizenzbescheid ist schließlich nicht deshalb formell rechtswidrig, weil
die Klägerin vor Erlaß des Bescheides nicht angehört wurde. Hierbei kann dahinstehen,
ob die Beklagte die Klägerin nach § 28 Abs. 1 VwVfG hätte anhören müssen, obwohl
sie nicht Beteiligte des Verwaltungsverfahrens war,
41
vgl. zum Meinungsstreit, Knack, a. a. O., § 28 Rdn. 3.2.
42
Denn ein etwaiger Anhörungsfehler ist gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG
jedenfalls dadurch geheilt worden, daß die Klägerin im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Die Lizenz ist auch hinreichend
bestimmt (§ 37 Abs. 1 VwVfG).
43
Hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt, wenn aus der getroffenen Regelung, das
heißt aus dem Entscheidungssatz im Zusammenhang mit den Gründen und sonstigen
für die Betroffenen bekannten oder für sie ohne weiteres erkennbaren Umständen die
Regelung, die den Zweck, Sinn und Inhalt des Verwaltungsakts ausmacht, so
vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, daß die Beteiligten ihr Verhalten
danach richten können,
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vgl. Kopp, VwVfG, 6. Aufl., Rdnr. 4 zu § 37.
45
Diese Bestimmtheit der Lizenz folgt hier nicht aus dem Entscheidungssatz, dieser
beschränkt sich auf die Wiedergabe des Wortlautes des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG.
Welches konkrete Verhalten Regelungsgegenstand ist, bleibt danach offen.
46
Doch folgt die hinreichende Bestimmtheit aus dem Begleitschreiben zur Lizenz vom 06.
Mai 1998. Hieraus ergibt sich, welche konkrete wirtschaftliche Tätigkeit Gegenstand der
Lizenz ist.
47
Die der Beigeladenen erteilte Lizenz verletzt die Klägerin auch nicht in ihren materiellen
Rechten.
48
Der angefochtene Lizenzbescheid verstößt nicht gegen öffentlich- rechtliche
Vorschriften, die auch dem Schutz der Klägerin zu dienen bestimmt sind. Die der
Beigeladenen erteilte Genehmigung findet - soweit sie angefochten ist - ihre
Rechtsgrundlage in §§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2, 3 i. V. m. § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr.
4 PostG. Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PostG ist die Lizenz zu versagen, wenn
Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß durch die Aufnahme einer lizenzpflichtigen
Tätigkeit die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet würde. Dies ist nicht der Fall.
Insbesondere gefährdet die der Beigeladenen erlaubte Tä- tigkeit nicht die öffentliche
Sicherheit. Die Lizenz der Beigeladenen berührt die gesetzliche Exklusivlizenz der
Klägerin nach § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG nicht. Die Postdienstleistung, welche die
Beklagte der Beigeladenen genehmigt hat, erfüllt nämlich die - hier allein umstrittenen -
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG.
49
Diese Vorschrift ist anwendbar. Die Kammer folgt insoweit nicht der Auffassung des
Thüringer Oberlandesgericht,
50
vergleiche Thüringer OLG, Urteil vom 17. Februar 1999 - 2 U 920/98 -.
51
Nach Auffassung des Thüringer Oberlandesgerichts sind "aufgrund der
Gesetzessystematik und des Normzwecks des § 5 Abs. 2 Nr. 3 PostG aus dem
tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG diejenigen
Beförderungsleistungen auszuklammern, die tatbestandlich >>ansich<< einem anderen
Ausnahmetatbestand des § 51 Abs. 1 Satz 2 PostG zuzuordnen sind, die dort
aufgestellten tatbestandlichen Voraussetzungen indes nicht erfüllen (Vorrang der lex
spezialis)". Der Rückgriff auf § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG sei angesichts dieser
Gesetzessystematik nur gestattet, wenn die Beförderungsleistungen im Vergleich zu
Kurierdiensten i. S. d. § 5 Abs. 2 Nr. 3 PostG qualitativ höherwertig seien.
52
Diese Auffassung findet im Postgesetz keine hinreichende Grundlage. Nach dem
Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG berühren solche Dienstleistungen die
gesetzliche Exklusivlizenz der Klägerin nicht, die von Universaldienstleistungen
trennbar sind, besondere Leistungsmerkmale aufweisen und qualitativ höherwertig sind.
Vergleichsmaßstab für diese Merkmale der Dienstleistung ist der Universaldienst. Es
kommt nicht darauf an, ob die von der Beigeladenen erbrachten Beförderungsleistungen
im Vergleich zu Kurierdiensten qualitativ höherwertig sind. Denn ein
Wettbewerbsausschluß für andere höherwertige Dienste ist im Postgesetz nicht
vorgesehen, um das wirtschaftliche Gleichgewicht des Universaldienstes aufrecht zu
erhalten. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die von der Beigeladenen erbrachten
Beförderungsleistungen im Vergleich zu Kurierdiensten qualitativ höherwertig sind,
53
so aber: Thüringer OLG a. a. O., S. 18, 21 der Urteilsausfertigung.
54
Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte und der Systematik des Postgesetzes und
entspricht den gesetzgeberischen Zielvorstellungen.
55
Nach § 1 PostG bezweckt das Gesetz nämlich auf der Grundlage des Art. 87 f. Abs. 1,
Abs. 2, Satz 1 GG, durch Regulierung im Bereich des Postwesens den Wettbewerb zu
fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu
gewährleisten. Auf diese Weise wird die 1994 erfolgte Postreform II fortgesetzt, mit der u.
a. durch Art. 143 b Abs. 1 und 2 GG die Umwandlung des Sondervermögens Deutsche
Bundespost in privatrechtliche Unternehmen eingeleitet worden ist.
56
Vgl. zur Entstehungsgeschichte: Gramlich, NJW 1998, 866, 867.
57
Die besonderen wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des Postgesetzes
berücksichtigen die verfassungsrechtlich garantierten Rechte der Berufs- und
Gewerbefreiheit, wonach grundsätzlich jedermann berechtigt ist, Postdienstleistungen
am Markt anzubieten. Der regulatorische Rahmen sieht deshalb sehr weitreichende
Marktzutrittsmöglichkeiten vor,
58
vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 13/7774 S. 18.
59
Mit dem Postgesetz sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen bereitgestellt werden,
um den verfassungsrechtlichen Auftrag zu erfüllen, über Wettbewerb den Zugang von
Wirtschaft und Verbrauchern zu modernen, preiswerten und leistungsfähigen
Postdienstleistungen zu gewährleisten,
60
vgl. BT-Drucksache, a. a. O. S. 2.
61
Internationale Erfahrungen zeigen allerdings, daß sich wettbewerbliche Strukturen und
Verhaltensweisen auf den Postmärkten nicht allein durch die Aufhebung von
Monopolrechten entwickeln. So hatten es etwa in Schweden trotz völliger Aufhebung
des Postmonopols die etablierten Anbieter geschafft, aufkommende Wettbewerber
bereits im Keim zu ersticken,
62
vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 10. Juli 1998 - 2 U 70/98 -.
63
Für die Umwandlung eines traditionell monopolistisch geprägten Marktes sind die
bestehenden wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen daher unzureichend. Denn sie unterstellen grundsätzlich
die Existenz eines funktionsfähigen Wettbewerbs und sehen verhaltenskontrollierende
Eingriffe und Vorgaben nur bei Vorliegen von Mißbräuchen marktbeherrschender
Unternehmen vor,
64
vgl. BT-Drucksache, a. a. O. S. 2, 17.
65
Ein wesentliches Ziel der gesetzlichen Bestimmungen besteht deshalb darin, die
staatlichen Rahmenbedingungen für den Postsektor so zu gestalten, daß
chancengleicher Wettbewerb für die neu hinzutretenden Anbieter ermöglicht wird. Durch
das "Entdeckungsverfahren Wettbewerb" soll innovatives und marktorientiertes
Verhalten durch Nachfrage- und Vorsprungsgewinne der kreativsten und
kundenfreundlichsten Anbieter belohnt werden,
66
vgl. BT-Drucksache, a. a. O. S. 17.
67
Die gemäß Art. 87 f GG mit Verfassungsrang ausgestattete Sicherung einer
infrastrukturellen Grundversorgung im Postsektor hat der Bund dadurch zu
gewährleisten, daß flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen
im Bereich des Postwesens angeboten werden,
68
vgl. BT-Drucksache, a. a. O. S. 17.
69
Dabei wurde die dem bisherigen Ordnungsrahmen zugrundeliegende Vorstellung,
wonach die Infrastruktursicherung des Ausschlusses von Wettbewerb bedarf, vom
Gesetzgeber - wie sich aus Art. 87 f. Abs. 2 GG ergibt - verworfen,
70
vgl. BT-Drucksache, a. a. O. S. 18.
71
Doch zur Bewältigung des anstehenden Strukturwandels erhielt die Klägerin im Bereich
lizenzpflichtiger Postdienstleistungen bis zum 31. Dezember 2002 eine gesetzliche
Exklusivlizenz für die Briefbeförderung unterhalb der kombinierten Gewichts- und
Preisschwelle von 200 g und 5,50 DM,
72
vgl. BT-Drucksache, a. a. O. S. 33.
73
Denn der Gesetzgeber hat der Klägerin die sie betreffenden Folgelasten der zweiten
Postreform - wie die Kosten für die Übernahme der Versorgungslasten oder die
Vorbereitung des Börsenganges - aufgebürdet, ohne daß aus Art. 143 b Abs. 3 GG
hierzu eine Verpflichtung resultierte, zumal Art. 143 a Abs. 1 GG auch andere
Lösungsmöglichkeiten aufzeigt.
74
Deshalb dient die Exklusivlizenz dem kompensatorischen Zweck, die notwendige
Umstrukturierung der Klägerin von einer Verwaltungsbehörde zu einer
betriebswirtschaftlich agierenden Aktiengesellschaft abzusichern. Ein
Änderungsvorschlag des Bundesrates, der die Exklusivlizenz darüber hinaus auch mit
Lasten aus dem Universaldienst rechtfertigen wollte, wurde im Gesetzge-
bungsverfahren nicht übernommen,
75
vgl. BT-Drucksache, a. a. O. S. 50, 44.
76
In den Ausschußberatungen wurde nochmals klargestellt, daß die Exklusivlizenz nicht
der Finanzierung eines Universaldienstes dient, weil hierfür ein besonderes
Ausgleichsverfahren vorgesehen ist,
77
vgl. Protokoll der 41. Sitzung des Ausschusses für Post- und Telekommunikation S. 47,
Begründung a. a. O. S. 50.
78
Das in § 12 ff. PostG geregelte Ausgleichssystem ist auch während der Zeit des
Übergangsregimes, in der nach § 52 PostG ausschließlich der Klägerin gemäß § 13
Abs. 2 PostG Universaldienstpflichten auferlegt werden können, anwendbar,
79
vgl. BT-Drucksache, a. a. O. S. 50.
80
Steht hiernach fest oder ist zu besorgen, daß eine Universaldienstleistung nicht
ausreichend oder angemessen erbracht wird, ist jeder gemäß § 12 Abs. 1 PostG
leistungsfähige Lizenznehmer verpflichtet, nach Maßgabe der §§ 13 bis 17 PostG dazu
beizutragen, daß die Universaldienstleistung erbracht werden kann. Dieses
Ausgleichssystem zur Sicherstellung des Universaldienstes entsprechend dem
Regulierungsziel in § 2 Abs. 2 Nr. 3 PostG ist auch während der Geltungsdauer des
Übergangsregimes funktionsfähig. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob die
Klägerin im Falle einer Inpflichtnahme gemäß §§ 52, 13 Abs. 2 PostG zur Erbringung
von Universaldienstleistungen eine nennenswerte Ausgleichszahlung für ihre
Universaldienstlasten von seiten ihrer Mitbewerber zu erwarten hat,
81
so aber: von Danwitz, Alternative Zustelldienste und Liberalisierung des Postwesens, S.
38.
82
Denn die Mitbewerber sind zur Leistung einer Ausgleichsabgabe an die Klägerin nicht
verpflichtet. Vielmehr ist unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 PostG die
Regulierungsbehörde gemäß § 16 Abs. 1 PostG verpflichtet, die Ausgleichszahlung zu
leisten. Die Kammer hegt keinerlei Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der Behörde auch
für den Fall, daß - zunächst - die Ausgleichsbeiträge der Mitbewerber der Klägerin nach
§ 12 PostG gering ausfallen sollten. Dies hat allein die Regulierungsbehörde im
Festsetzungsverfahren nach § 16 Abs. 2 bis 4 PostG zu berücksichtigen.
83
Entgegen der Ansicht der Klägerin steht das Ausgleichssystem der §§ 12 ff. PostG auch
mit Inkrafttreten des Postgesetzes vom 22. Dezember 1997 am 1. Januar 1998 zur
Verfügung. Es bedurfte insbesondere keiner vorsorglichen Bereitstellung von
Haushaltsmitteln. Denn nach §§ 15 Abs. 2 und 16 Abs. 2 PostG wird der Ausgleich
ohnehin erst nach Ablauf des Kalenderjahres gewährt, in dem ein Defizit bei der
Erbringung des Universaldienstes entstanden ist.
84
Die Exklusivlizenz der Klägerin dient damit nicht der Sicherstellung des
Universaldienstes, sondern dem Ausgleich von Altlasten, welche die Klägerin
insbesondere aufgrund der Übernahme der Beamten der früheren Deutschen
Bundespost treffen. Hieran hat sich durch die Stellungnahme des Bundesrates vom 16.
Mai 1997,
85
vgl. BT-Drucksache a. a. O. S. 36, Ziff. 8,
86
mit der § 6 Abs. 2 PostG im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens in das Postgesetz
eingefügt wurde, nichts verändert. Auch unter Beachtung der Sonderheiten des
Übergangsrechts (§ 52 PostG) hat die Beklagte bei Lizenzerteilungen an
Ortspostbetriebe nicht zu prüfen, ob das wirtschaftliche Gleichgewicht der Klägerin
gefährdet wird. Denn vor einer verfügten Inpflichtnahme der Klägerin nach §§ 52, 13
Abs. 2 PostG sind gem. § 6 Abs. 2 PostG wirtschaftliche Interessen der Klägerin schon
deshalb nicht berücksichtigungsfähig, weil gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 PostG der
Universaldienst, nicht aber das wirtschaftliche Gleichgewicht der Klägerin
sicherzustellen ist. Im Falle einer (derzeit nicht erfolgten) Inpflichtnahme der Klägerin ist
in §§ 12 ff. PostG ein anwendbares und funktionsfähiges Ausgleichssystem vorgesehen,
um die auferlegten Universaldienstlasten unter wirtschaftlich zumutbaren Bedingungen
tragbar zu gestalten. Im übrigen können die Kosten einer flächendeckenden Versorgung
mit Postdienstleistungen allenfalls Maßstab der Entgeltgenehmigung gemäß § 20 Abs.
2 Satz 2 PostG sein.
87
Diese Gesetzessystematik - Förderung des Wettbewerbs und Sicherstellung des
Universaldienstes durch einen Ausgleichsmecha- nismus - entspricht auch
europäischem Recht.
88
Nach Erwägung (16) der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 15. Dezember 1997 (Postrichtlinie) erscheint es gerechtfertigt, bestimmte
reservierbare Dienste beizubehalten, um das Funktionieren des Universaldienstes unter
finanziell ausgewogenen Bedingungen zu gewährleisten. Nach Art. 7 der Postrichtlinie
kann jeder Mitgliedsstaat für den Anbieter von Universaldienstleistungen bestimmte
89
Dienste reservieren. Nach Erwägung (21) der Postrichtlinie besteht aber weder ein
Grund, neue Dienste (Dienste, die sich von traditionellen Postdiensten deutlich
unterscheiden) für die Anbieter von Universal- dienstleistungen zu reservieren. Noch
steht gemäß Erwägung (42) und Art. 26 der Postrichtlinie dem etwas entgegen, daß die
Mitgliedstaaten Maßnahmen im Postsektor beibehalten oder einführen, die liberaler sind
als die in dieser Richtlinie vorgesehen Maßnahmen. Insbesondere kann ein
Mitgliedstaat gemäß Art. 9 Abs. 4 und Erwägung (23) der Postrichtlinie zur Sicherung
des Universaldienstes, wenn feststeht, daß die in dieser Richtlinie vorgesehen
Universaldienstpflichten eine unverhältnismäßige finanzielle Belastung für den Anbieter
von Universaldienstleistungen darstellen, einen Ausgleichsfonds zur Finanzierung der
Universaldienstverpflichtung einrichten.
Von den sonach gemeinschaftsrechtlich gleichwertigen Möglichkeiten, den
Universaldienst entweder durch die Reservierung eines bestimmten
Dienstleistungsbereiches oder durch ein besonderes Ausgleichssystem sicherzustellen,
hat der deutsche Postgesetzgeber dadurch in §§ 12 ff. PostG Gebrauch gemacht, daß er
ein funktionsfähiges Ausgleichssystem eingeführt hat. Dieses Verständnis des Gesetzes
wird auch von der Europäischen Kommission geteilt und europarechtlich für
unbedenklich gehalten,
90
vgl. Protokoll der 40. Sitzung des Ausschusses für Post- und Telekommunikation, S. 22
ff.
91
§ 51 PostG ist in diese allgemeine europäische Postpolitik ebenso eingeordnet wie in
den Rahmen der vorherrschen gesetzgeberischen Zielsetzung, funktionsfähigen
Wettbewerb herzustellen und den Universaldienst durch ein funktionsfähiges
Ausgleichssystem sicherzustellen.
92
Dem stehen Art. 86 Abs. 2 Satz 1 EGV n. F. und die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes, insbesondere die Entscheidung,
93
EuGH, EuZW, 939,422 - Corbeau -,
94
nicht entgegen.
95
Dem Recht der Europäischen Union kommt nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs Vorrang vor dem nationalen Recht zu,
96
vgl. EuGH, RS 6/64, Costa/ENEL, EuGHE 1964, 1251, Rz. 12.
97
Sofern eine nationale Rechtsvorschrift dem Gemeinschaftsrecht widerspricht, ist die
Rechtsfolge dieser Vorrangregel, daß das nationale Recht im einzelnen Konfliktfall
zurücktreten muß. Diese Prüfung erschöpft die Aufgabe des nationalen Gerichtes nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist zudem bei der Anwendung des
nationalen Rechts und insbesondere von Rechtsvorschriften, die zur Umsetzung einer
Richtlinie erlassen wurden, dieses Recht soweit wie möglich anhand des Wortlauts und
des Zwecks der Richtlinie auszulegen,
98
vgl. EuGH, Urteil vom 25. Februar 1999, RS. C-131/97, Rdn. 48; Urteil vom 4. März
1999, RS. C-258/97, Rdn. 25; Slg. 1998, 5199 (5219; Rdn. 18) - Coote -.
99
Nach Artikel 86 Abs. 2 Satz 1 EGV gelten die Vorschriften dieses Vertrages,
insbesondere die Wettbewerbsregeln für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von
allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines
Finanzmonopols haben, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfül- lung
der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert.
100
Die Kammer kann dahinstehen lassen, ob die Klägerin als Unternehmen im Sinne des
Artikel 86 Abs. 2 Satz 1 EGV,
101
vgl. Urteil der Kammer vom 11. November 1997 - 22 K 187/94 -,
102
mit der Erfüllung besonderer Aufgaben i. S. d. Vorschrift schon vor einer Inpflichtnahme
nach §§ 52, 13 Abs. 2 PostG überhaupt betraut ist,
103
ablehnend Gramlich a. a. O., S. 94.
104
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes muß das Unternehmen kraft
Gesetzes oder eines sonstigen Aktes der öffentlichen Gewalt mit der Erbringung der
Dienstleistung betraut worden sein,
105
vgl. Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, Artikel 90, Rdn. 49.
106
Äußerst zweifelhaft ist daher, ob bereits dem Diskrimminierungsverbot des § 20 Abs. 2
GWB und der zur Zeit noch fehlenden Ausweichmöglichkeit auf andere flächendeckend
tätige Briefbeförderer ein hoheitlicher Betrauungsakt der Klägerin zur Erbringung von
Universaldienstleistungen entnommen werden kann.
107
Jedenfalls verletzt die Anwendung der Wettbewerbsregeln die Klägerin nicht in
geschützten Rechten. Der Europäische Gerichtshof hat im Corbeau-Urteil lediglich
entschieden, wieweit der nationale Gesetzgeber das Postmonopol äußerstenfalls
erstrecken darf, ohne gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft zu verstoßen.
Ein Monopol darf hiernach allenfalls dann aufrechterhalten bleiben, wenn neben
weiteren Voraussetzungen auch das wirtschaftliche Gleichgewicht der Dienstleistung
von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse durch die Zulassung von Wettbewerb
bedroht ist. Über eine Pflicht etwa des nationalen Gesetzgebers, gewisse
Dienstleistungen zu reservieren, ist damit nichts bestimmt. Vielmehr ist der nationale
Gesetzgeber nicht gehindert, ein weniger weitgehendes Briefbeförderungsmonopol oder
- wie etwa Schweden und Finnland - überhaupt kein Briefbeförderungsmonopol
vorzusehen. Dementsprechend hat der deutsche Postgesetzgeber die früheren
Ausschließlichkeitsrechte der Klägerin bei der Beförde- rung von Briefsendungen
eingeschränkt und eine weitgehende Öffnung dieses Bereiches für den Wettbewerb
ermöglicht,
108
vgl. BGH, Urteil vom 29. September 1998 - KZR 3/97 -.
109
Dabei orientiert sich das Postgesetz gerade auch in § 51 PostG nur beschränkt an dem
Corbeau-Urteil, weil dieses dem nationalen Gesetzgeber nur vorgibt, wie weit er
Dienstleistungen reservieren kann, nicht aber wie weit er den Postmarkt liberalisieren
darf. Demgemäß hat der Gesetzgeber die Erteilung von Lizenzen nicht davon abhängig
gemacht, daß das wirtschaftlich Gleichgewicht der Klägerin hierdurch nicht gefährdet
werde. Ein entsprechender Änderungsantrag der SPD- Fraktion, mit dem auf das
110
wirtschaftliche Gleichgewicht der Klägerin abgestellt werden sollte, ist in der 42. Sitzung
des Ausschusses für Post- und Telekommu- nikation am 1. Oktober 1997 abgelehnt
worden. Diese bewußte, weitgehende, aber nicht vollständige Anlehnung an die vom
europäischen Gerichtshof entwickelten Merkmale spricht für einen gesetzgeberischen
Willensakt und erlaubt nicht, ihn mit der Behauptung eines Redaktionsversehens und
der Beifügung eines unge- schriebenen Gesetzesmerkmales des wirtschaftlichen
Gleichgewichtes umzuschrei- ben,
vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 10. Juli 1998 - 2 U 70/98 -.
111
Das Interesse der Klägerin an der Aufrechterhaltung ihres wirtschaftlichen
Gleichgewichtes rechtfertigt es deshalb nicht, aus dem Anwendungsbereich des § 51
Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG Dienste zu streichen, die die Anforderungen des § 5 Abs. 2
Nr. 3 PostG an einen Kurierdienst nicht erfüllen, aber vom Universaldienst trennbar sind,
besondere Leistungsmerkmale aufweisen und qualitativ höherwertig als der
Universaldienst sind.
112
Auch Verfassungsrecht erfordert kein abweichendes Normverständnis.
113
Entgegen der Ansicht der Klägerin läßt sich aus den hier einschlägigen Regelungen
des Grundgesetzes über die Post und Telekommunikation - Art. 87 f und 143 b GG -
nichts dafür herleiten, daß es sich bei der Exklusivlizenz der Klägerin nach § 51 Abs. 1
Satz 1 PostG um den verfassungsrechtlichen Regelfall, bei der Lizenzerteilung nach §
51 Abs. 1 Satz 2 PostG hingegen um den verfassungsrechtlichen Ausnahmefall handelt,
mit der möglichen Folge, daß diese Vorschrift im Wege der verfassungskonformen
Auslegung eng auszulegen wäre. Die Kammer ist vielmehr der Ansicht, daß der
Exklusivlizenz der Klägerin jedenfalls keine "generelle Grundrechtsimmunität"
zuzubilligen ist,
114
vgl. Lerche, in: Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz (1996), Art. 143 b Rn. 20.
115
Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte des Art. 87 f GG. Danach haben sich Eingriffe
"an dem privaten Charakter der Tätigkeit und an dem einschlägigen Grundrechtsschutz
auszurichten (insbesondere Art. 12 und 14 GG)",
116
vgl. BT-Drucksache 12/7269, S. 5.
117
Dem Zugriff des Art. 12 GG kann also bereits entstehungsgeschichtlich nicht
entgegengehalten werden, es habe sich angesichts der bisherigen Monopolisierung
noch kein entprechendes "Berufsbild" entwickeln können. Die privatwirtschaftliche
Betätigung der Beigeladenen bewegt sich deshalb im Schutzbereich der Berufs- und
Gewerbefreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, so daß sich etwaige Einschränkungen dieses
Grundrechts allein aus den entsprechenden Regelungen des Postgesetzes herleiten
lassen,
118
vgl. Lerche, a. a. O., Art. 87 f Rn. 83 m. w. N.
119
Die von der Klägerin vorgetragene restriktive Auslegung der streitbefangenen
Vorschriften des Postgesetzes ist deshalb nicht verfassungsrechtlich geboten. Fehlen
gesetzlich normierte Versagungsgründe für die Erteilung der beantragten Lizenz, so
besteht ein Rechtsanspruch auf die Erteilung.
120
Schließlich erfordert auch § 55 PostG nicht die Sicherung des wirtschaftlichen
Gleichgewichts der Klägerin als Inhaberin der Exklusivlizenz durch eine restriktive
Auslegung des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG. Nach § 55 PostG hat das
Bundesministerium für Post- und Telekommunikation im Falle einer Einschränkung des
Beförderungsverbotes nach § 51 PostG wirtschaftliche Nachteile der Klägerin zu
beachten, die eine Erfüllung ihr auferlegter Verpflichtungen gefährden würden. Die
Einschränkung des Beförderungsverbotes erfolgt gemäß § 55 Satz 1 PostG durch
Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Hieraus kann nicht
geschlossen werden, daß die Beklagte bereits anläßlich einer Lizenzerteilung nach §§
6, 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG wirtschaftliche Nachteile der Klägerin zu berücksichtigen
hätte. Denn abgesehen davon, daß durch eine Lizenzvergabe unter den
Voraussetzungen der genannten Vorschriften das Beförderungsverbot des § 51 PostG
überhaupt nicht eingeschränkt wird, kann eine der Klägerin nach dem Postgesetz
auferlegte Verpflichtung erst gefährdet werden, wenn ihre Inpflichtnahme aufgrund des
Postgesetzes verfügt ist. Dies ist derzeit nicht der Fall.
121
Enthält § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG sonach keine ungeschriebenen
Tatbestandsmerkmale, erfüllen die Dienstleistungen, die der Beigeladenen erlaubt
worden sind, die Voraussetzungen dieser Vorschrift. Dabei sind zunächst die Begriffe
"Dienstleistungen", "Universaldienstleistungen" und "trennbar" auslegungsbedürftig.
Die Postrichtlinie und das Postgesetz geben hierzu Hinweise.
122
Gemäß Artikel 3 Abs. 1 bis 4 der Postrichtlinie haben die Mitgliedsstaaten
sicherzustellen, daß den Nutzern ein Universaldienst zur Verfügung steht, der ständig
flächendeckend postalische Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren
Preisen für alle Nutzer bietet. Der Anbieter der Universaldienstleistungen hat in der
Regel an fünf Tagen pro Woche Postsendungen innerhalb bestimmter Gewichtsgrenzen
in einem hinreichend dichten Netz an Zugangspunkten einzusammeln und eine
Hauszustellung vorzunehmen. Dementsprechend bestimmt § 11 Abs. 1 PostG, daß
Universaldienstleistungen ein Mindestangebot an Post- dienstleistungen i. S. d. § 4 Nr.
1 PostG sind, die flächendeckend in einer bestimmten Qualität und zu erschwinglichen
Preisen erbracht werden. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 PostG umfaßt der Universaldienst
nur solche Dienstleistungen, die allgemein als un- abdingbar angesehen werden.
123
Unter Dienstleistungen im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG sind
Beförderungsvorgänge zu verstehen, wie sich aus § 4 Nr. 1 PostG ergibt und aus § 51
Abs. 1 Satz 1 PostG folgt.
124
Trennbar ist eine Dienstleistung vom Universaldienst gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
PostG, wenn sie im Bereich des Universaldienstes so nicht durchgeführt wird. Eine
garantierte taggleiche Zustellung ist nach Artikel 3 der Postrichtlinie und § 11 Abs. 1
PostG im Universaldienst nicht vorgesehen. Sie wird auch von der Klägerin nach ihren
Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Basispostdienst nicht durchgeführt. Vielmehr
schuldet sie hiernach grundsätzlich nicht einmal die Einhaltung einer Lieferfrist.
125
Das Bedarfsmarktkonzept ist entgegen der klägerischen Ansicht nicht geeignet, die
Trennbarkeit einer Dienstleistung vom Universaldienst zu bestimmen. Das Gesetz stellt
auf Eigenheiten der Dienstleistungen ab, also auf die Angebots- und nicht auf die
Nachfrageseite. Dies stimmt gemäß § 1 PostG mit dem Zweck des Postgesetzes, den
Wettbewerb zu fördern und mit Gemeinschaftsrecht überein. So hat der deutsche
126
Postgesetzgeber nicht auf besondere Bedürfnisse von Wirtschaftsteilnehmern i. S. d.
Corbeau-Urteils in § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG abgestellt. Denn diese Norm dient
gemäß § 1 PostG der Liberalisierung des Wettbewerbs und nicht der Rechtfertigung
eines Monopols. Demgemäß zählt nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 PostG die Sicherstellung eines
chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerbes, auch in der Fläche, auf den
Märkten des Postwesens zu den Regulierungszielen. Daher sind kartellrechtliche
Abgrenzungsmaßstäbe auf das Postgesetz allenfalls gemäß § 2 Abs. 3 PostG insoweit
übertragbar, wie hierdurch die gemäß § 1 PostG bezweckte Förderung des
Wettbewerbs nicht beeinträchtigt wird. Mit dieser Zielsetzung läßt es sich nicht
vereinbaren, das Bedarfsmarktkonzept zur Bestimmung des Begriffs "trennbar"
heranzuziehen, weil das Bedarfsmarktkonzept bestehende Märkte voraussetzt, um sie
gegeneinander abgrenzen zu können. Hierin fehlt es, soweit das Postgesetz
Wettbewerb durch das Angebot weiterer Dienste erst schaffen will. Diesem Zweck,
nämlich den Wettbewerb für bestimmte Dienstleistungen zu öffnen, dient § 51 Abs. 1
Satz 2 Nr. 4 PostG.
Die übrigen im Tatbestand des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG enthaltenen normativen
Rechtsbegriffe "besondere Leistungsmerkmale" und "qualitativ höherwertig" sind im
Wege einer Wertausfüllung zu bestimmen.
127
Besondere Leistungsmerkmale sind Merkmale, welche die spezifischen Eigenheiten
des postalischen Beförderungsvorganges kennzeichnen. Hierzu zählen folgende
Besonderheiten der Dienstleistungen, die der Beigeladenen erlaubt worden sind:
128
- Orte und Zeiten von Ein- und Auslieferungen - Geschwindigkeit der Bearbeitung/des
Transports - Zuverlässigkeit der Beförderung - Garantie für fristgerechte Zustellung -
Umlenkbarkeit von Sendungen - Haftungsregelungen
129
Solche Merkmale können die höherwertige Qualität der Dienstleistung prägen. Dabei ist
die garantierte taggleiche Zustellung bei einer wertenden Gesamtschau der besonderen
Leistungsmerkmale von entscheidendem Gewicht. Denn die garantierte taggleiche
Zustellung prägt nachhaltig den Mehrwert dieses Beförderungsvorganges gegenüber
dem Basispostdienst. Nicht die bloße Schnelligkeit der Beförderung, sondern die
garantierte Zustellung am selben Tag bestimmt maßgebend den Abstand zum
Universaldienst. Eine taggleiche Zustellung ist nämlich geeignet, dem Kunden einen
wichtigen Rechtsvorteil zu verschaffen, der bei einer Inanspruchnah- me des
Universaldienstes nicht eröffnet wird: Die Zustellung am selben Tag bewirkt
beispielsweise eine schnellere Wirksamkeit von Willenserklärungen, die im Postdienst
übermittelt werden und ebenso eine raschere Fälligkeit von Leistungen, die ein
Absender vom Empfänger fordert. Insbesondere im Falle der Rechnungsüber- mittlung,
bei der regelmäßig Originale versandt werden, kann sich dies wirtschaftlich in
nennenswertem Umfang für einen Kunden auswirken. Nach den grundsätzlich für alle
Rechtsgebiete geltenden Auslegungsregeln der §§ 187 bis 193 BGB gilt nämlich das
Prinzip der Zivilkomputation. Die Berechnung eines Zeitraums nur nach ganzen
Kalendertagen gilt darüber hinaus regelmäßig auch in sondergesetzlichen
Fristenregelungen, die im Rechtsverkehr zu beachten sind. Als Beispiele sind zu
nennen §§ 359, 361 HGB, Art. 36, 37, 72, 73 WG, Art. 29 Abs. 4, 30, 55 Abs. 1 u. 2, 56
ScheckG, § 7 VVG, § 69 UrhG, § 77 b StGB, §§ 222 Abs. 2, 224 Abs. 3 ZPO, § 17 Abs. 2
FGG, §§ 42, 43 StPO, § 31 Abs. 2 bis 5 u. 7 VwVfG, § 115 Abs. 2 Satz 2 FlurBG, § 108
Abs. 2 bis 5 AO, § 64 SGG. Eine Fristberechnung nach der Naturalkomputation erfolgt
dagegen nur äußerst selten, so enthalten die §§ 222 Abs. 3 ZPO, 31 Abs. 6 VwVfG und
130
108 Abs. 6 AO ausnahmsweise eine Regelung für Fristen, die nach Stunden bestimmt
sind. Ganz überwiegend kommt es im Rechtsverkehr auf eine tageweise
Fristberechnung an. Deshalb ist der garantierte Zugang einer schriftlichen
Willenserklärung am Tag ihrer Abgabe qualitativ deutlich hochwertiger als ein Zugang
am Folgetag.
Dagegen sind andere Merkmale nicht von derart ausschlaggebendem Gewicht. Denn
Leistungsmerkmale wie z. B. Umlenkbarkeit und sonstige Haftungsregelungen sind nur
in eher seltenen Verlust- oder Irrtumsfällen geeignet, dem Kunden einen Vorteil zu
verschaffen. Eine Abholung der Sendung beim Kunden betrifft regelmäßig nur einen
verhältnismäßig geringen Teil der insgesamt zu bewältigenden Transportstrecke,
131
vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 4. Juni 1996 - U (Kart) 14/95 -.
132
Solche Merkmale prägen deshalb den Beförderungsvorgang jedenfalls nicht
entscheidend oder betreffen nicht einmal den Beförderungsvorgang selbst, sondern die
Postvor- oder nachbereitung.
133
Der Preis der Dienstleistung ist rechtlich sogar unerheblich. Die Höhe des Preises ist
eine Eigenheit der Gegenleistung. Das Gesetz stellt indessen nicht auf außerhalb der
Dienstleistung liegende Merkmale ab. Dies entspricht ebenfalls den Vorgaben des
Gemeinschaftsrechts. Nach Erwägung (18) der Postrichtlinie läßt sich die höherwertige
Qualität einer Kurierdienstleistung lediglich "am besten" anhand des Preises
bestimmen, der für die Dienstleistung zu erzielen ist. Damit sind neben diesem
einfachsten Verfahren, den Mehrwert einer solchen Dienstleistung gegenüber dem
Universaldienst zu ermitteln andere, möglicherweise schwierigere Methoden
keineswegs ausgeschlossen. Der deutsche Postgesetzgeber durfte daher zurecht auf
die Qualität und besonderen Leistungsmerkmale einer Dienstleistung abstellen, um ihre
Hochwertigkeit festzustellen. Ziel des Gesetzgebungsverfahrens war es nämlich nicht,
das im internationalen Vergleich recht hohe Preisniveau zu stabilisieren oder zu
bestärken. Deshalb muß der Abstand im Leistungsprogramm selbst gesucht werden und
kann nicht gekoppelt werden an die Durchsetzbarkeit höherer Preise,
134
vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 10. Juli 1998 - 2 U 70/98 -.
135
Im übrigen prägt der rechtliche Vorteil der garantierten tag- gleichen Zustellung den
Abstand zum Basispostdienst unabhängig davon, auf welcher Fläche die Beigeladene
ihre genehmigte Dienstleistung erbringt. Denn eine Zustellung am Tag der Aufgabe zur
Post ist im Universaldienst auch bei Briefverkehr im selben Ort nicht zu erreichen. Die
Kammer kann daher offen lassen, ob eine taggleiche Zustellung innerhalb einer
größeren Fläche als der eines Gemeindegebietes sogar noch hochwertiger ist.
Gleichfalls kann dahinstehen, ob die Beklagte gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs.
2 Nr. 2 PostG auf diese Weise zu beachten hat, daß der Wettbewerb auch in der Fläche
sichergestellt ist, oder ob dies die Leistungsfähigkeit des Ortspostbetriebes i. S. d. § 6
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 Nr. 1 PostG betrifft. Denn diese Vorschriften dienen nicht dem
Schutz der Klägerin.
136
Schließlich eröffnet der Tatbestand des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG weder einen
Beurteilungsspielraum noch enthält er prognostische Elemente, weil weder das
wirtschaftliche Gleichgewicht der Klägerin noch besondere Bedürfnisse von
Wirtschaftsteilnehmern bei der Lizenzerteilung zu beachten sind. Auf der Rechtsfolge
137
des Genehmigungstatbestandes ist auch kein Ermessen eröffnet, weil die Lizenz gemäß
§ 6 Abs. 2 PostG zu erteilen ist, wenn keine Versagungsgründe vorliegen.
Dies ist hier der Fall.
138
Dabei ist im Falle der Beigeladenen nicht darauf abzustellen, ob Versagungsgründe
nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 PostG vorliegen. Die in dieser Vorschrift enthaltenen
Anforderungen an den Anbieter von Postdienstleistungen (Leistungsfähigkeit,
Zuverlässigkeit und Fachkunde) hat der Gesetzgeber nämlich im öffentlichen Interesse,
nicht im Interesse der Klägerin aufgestellt.
139
Offenbleiben kann, ob § 6 Abs. 3 Nr. 3 PostG Rechte der Klägerin schützen soll. Die
Vorschrift soll sicherstellen, daß Anbieter von Postdienstleistungen die wesentlichen
Arbeitsbedingungen, die im lizenzierten Bereich üblich sind, nicht unerheblich
unterschreiten. Anhaltspunkte dafür, daß die Beigeladene von diesen
Arbeitsbedingungen abweicht, sind nämlich weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
140
Durch die Aufnahme der von der Beklagten genehmigten Postdienstleistungen durch
die Beigeladene wird die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht gefährdet (§ 6 Abs. 3
Nr. 3 PostG). Die Genehmigung umfaßt nämlich nur die taggleiche Zustellung von
Sendungen. Wie dargelegt, greift sie damit nicht in die Exklusivlizenz der Klägerin nach
§ 51 Abs. 1 Satz 1 PostG ein.
141
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Dabei entspricht es
billigem Ermessen, die Kosten der Beigeladenen der Klägerin aufzuerlegen, weil die
Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt hat und damit das Risiko der Tragung von
Prozeßkosten eingegangen ist.
142