Urteil des VG Köln vom 20.08.2003

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Verwaltungsgericht Köln, 1 L 1767/03
Datum:
20.08.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 1767/03
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens, einschließlich
der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, trägt die
Antragstellerin.
2. Der Streitwert wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag der Antragstellerin,
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO
aufzuerlegen, die Beigeladene zu verpflichten, die von der Antrag- stellerin entwickelte
Telekommunikationsdienstleis- tung - Funktionsüberwachung und Abhörerkennung - für
den gewerblichen Vertrieb an Endkunden vorläu- fig zuzulassen und der Antragstellerin
hierfür den D- Kanal des ISDN-Anschlusses der Antragstellerin und des Endkunden der
Beigeladenen gegen angemes- senes Entgelt vorläufig bereitzustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Es spricht vieles dafür, dass der Antrag bereits mangels Rechtsschutzinteresses
unzulässig ist, weil die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin bislang keinen eige- nen
Antrag auf Erlass einer Missbrauchsverfügung nach § 33 TKG gestellt hat. Dar- über
hinaus dürfte die Antragstellerin als bloße Patentbesitzerin, die nach eigenen Angaben
in der Antragsschrift jedenfalls bislang nicht als Anbieter von Telekommuni-
kationsdienstleistungen aufgetreten ist, nicht über die analog § 42 Abs. 2 VwGO er-
forderliche Antragsbefugnis verfügen.
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Dies bedarf allerdings keiner weiteren Vertiefung, da der Antrag jedenfalls in der Sache
keinen Erfolg hat.
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Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht
nach § 123 Abs. 1 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem
Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem
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Hauptsacheverfahren erreichen könnte.
Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 123 Rdn.13.
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Dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt allerdings im Hinblick auf Art. 19
Abs. 4 GG dann nicht, wenn die gerichtliche Regelung zur Gewährung effekti- ven
Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, weil der Antragsteller sonst Nachteile zu
erwarten hätte, die für ihn unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit
für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.
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Vgl. BVerfG, NJW 1989, S. 827; Kopp/Schenke, a.a.O.
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die von der Antragstellerin
begehrte Verpflichtung der Beigeladenen durch die An- tragsgegnerin zur - wenn auch
nur vorläufigen - Zulassung der von der Antragstelle- rin entwickelten Technik der
Funktionsüberwachung und Abhörerkennung sowie zur Bereitsstellung des D-Kanals
des ISDN-Anschlusses der Antragstellerin und der Endkunden der Beigeladenen stellt
eine Vorwegnahme der Hauptsache dar, da die Antragstellerin mit einer derartigen
Entscheidung bereits das erhalten würde, was sie im Hauptsacheverfahren 1 K 4740/03
erstrebt. Dem steht die Beschränkung des An- trages auf eine "vorläufige" Zulassung
und Bereitstellung nicht entgegen, da auch eine teilweise bzw. zeitweise Vorwegnahme
der Hauptsache eine solche darstellt.
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Vgl. u.a. OVG NRW, Beschluss vom 28.02.1995 - 25 B 3185/94 -, DVBl.1995, 935 sowie
weitere Rechtsprechungsnachweise bei Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rdn. 14b.
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Die danach erforderlichen bereits genannten qualifizierten Anforderungen an
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vorliegend indes nicht erfüllt.
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Es ist nicht erkennbar, dass die Antragstellerin im Falle eines Unterbleibens der
beantragten Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile zu gewärtigen hätte. Sind -
wie vorliegend - wirtschaftliche Nachteile zu befürchten, ist dies in der Regel nämlich
nur dann anzunehmen, wenn es um existenzielle Belange geht und die Antragstellerin
ohne Erlass der begehrten Anordnung in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre,
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so die ständige Rechtsprechung der Kammer, u.a. Beschlüsse vom 17.12.2001 - 1 L
2575/01 - und vom 03.08.2001 1 L 1260/01; vgl. auch Hess.VGH, Beschluss vom
09.06.1992 - 9 TG 2795/91-, NVwZ RR 1993, 145 (146); OVG NRW; Beschluss vom
02.06.1992 - 19 B 358/92 -, NWVBl. 1993, 58.
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Derart weitreichende Nachteile, insbesondere eine wirtschaftliche Existenzgefährdung,
hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Soweit sie auf bereits getätigte "große
Investitionen" verwiesen hat, sind diese weder belegt noch ist dargelegt, ob es sich um
Investitionen der Antragstellerin oder solche des Sicherheitsdienstes des
Geschäftsführers der Antragstellerin handelt. Auch ist nicht glaubhaft gemacht, dass und
inwiefern diese Investitionen ohne die begehrte Anordnung eine Existenzgefährdung
der Antragstellerin zur Folge hätten.
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Der von der Antragstellerin in diesem Zusammenhang geltend gemachte "massive"
Kundenverlust ist nicht nachvollziehbar. Zu Recht hat die Antragsgegnerin in ihrer
Antragserwiderung insoweit ausgeführt, dass die Antragstellerin nach den
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Feststellungen des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Urteil vom 30.05.2003 lediglich
über einen ISDN-Anschluss verfügt hat, der nach den Ausführungen des
Geschäftsführers der Antragstellerin im Schreiben vom 10.07.2002 ( als Inhaber des I.
Sicherheitsdienstes ) an die Regulierungsbehörde die Überwachung von 40
Kundenanschlüsse ermöglicht, und die Antragstellerin den ISDN-Anschluss seit Erlass
des landgerichtlichen Urteils nicht mehr in der beabsichtigten Art und Weise nutzen darf,
so dass nicht erkennbar ist, wie ein Kundenverlust durch die begehrte Anordnung
überhaupt abgewendet werden soll.
Gegen eine aktuelle Existenzgefährdung spricht schließlich auch, dass die
Antragstellerin nach der endgültigen Ablehnung des Einschreitens durch die
Regulierungsbehörde mit Schreiben vom 14.03.2003 mehr als 4 Monate bis zur Stellung
des vorliegenden Eilantrages zugewartet hat.
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Darüber hinaus ist auch nicht erkennbar, dass in der Hauptsache hohe
Erfolgsaussichten für die Antragstellerin bestünden.
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Hierzu bedarf es keines näheren Eingehens auf die Frage, ob die Voraussetzungen des
Missbrauchstatbestandes nach § 33 Abs. 1 TKG erfüllt sind, da die Antragstellerin
jedenfalls keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin hat, die Beigeladene zu dem im
Antrag genannten Verhalten zu verpflichten. Das Missbrauchsverfahren nach § 33 TKG
gliedert sich nämlich in ein zweistufiges Verfahren. Zunächst hat die Antragsgegnerin
bei Vorliegen der Einschreitensvoraussetzungen nach § 33 Abs. 2 S. 2 TKG den
Marktbeherrscher aufzufordern, das missbräuchliche Verfahren abzustellen. Erst wenn
dieser der Aufforderung nicht nachkommt, kann seitens der Regulierungsbehörde
gemäß § 33 Abs. 2 S. 1 TKG durch konkrete Anordnungen ein Verhalten auferlegt oder
untersagt werden. Der vorliegende Antrag ist indes eindeutig auf den Erlass derartiger -
derzeit nicht zulässiger - Anordnungen gerichtet.
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Das Begehren der Antragstellerin kann auch nicht in einen Antrag umgedeutet werden,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Beigeladene gemäß § 33 Abs. 2 S. 2 TKG zur
Abstellung des behaupteten Missbrauchs aufzufordern.
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Auch insoweit fehlte es nämlich an den erforderlichen hohen Erfolgsaussichten in einem
Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 TKG
unterliegt nämlich nicht unerheblichen Zweifeln. Dies gilt namentlich für die Frage, ob
die mit dem vorliegenden Antrag angestrebte Nutzung des D-Kanals einer
uneingeschränkten Anzahl von ISDN-Anschlüssen durch die Antragstellerin ( im
Schreiben des I. Sicherheitsdienstes an die Regulierungsbehörde vom 10.07.2002
wurden 100 ISDN-Leitungen zur Überwachung von 4000 Anschlüssen beansprucht )
wegen der zusätzlich entstehenden häufigen Signalisierungsinformationen im
Zeichengabesystem Nr. 7 ohne Verbindungsaufbau ( Blindlast ) zu einer nur durch
weiteren Netzausbau zu vermeidenden Überlastung der Vermittlungspunkte im Netz der
Beigeladenen führt, und die Weigerung der Beigeladenen, die Nutzung des D-Kanals
durch die Antragstellerin zuzulassen, deshalb sachlich gerechtfertigt ist.
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Die Beantwortung dieser zwischen den Beteiligten umstrittenen Frage hängt von
weiteren Ermittlungen und ggfls. Beweiserhebungen ab, für die im vorliegenden
Anordnungsverfahren kein Raum ist und die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten
bleiben müssen.
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Schließlich lässt sich aus der von der Antragstellerin herangezogenen Vorschrift des §
35 TKG, der den Zugangsanspruch gegen den marktbeherrschenden Netzbetreiber
regelt, kein eigenständiger - von § 33 TKG unabhängiger - Anspruch gegen die
Antragsgegnerin auf Einschreiten herleiten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer wegen
der beanspruchten Vorwegnahme der Hauptsache von dem sonst üblichen Abschlag in
Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes abgesehen hat.
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