Urteil des VG Köln vom 21.04.2004

VG Köln: erlass, entschädigung, fahnenflucht, ddr, verfügung, finanzen, zugang, wiedervereinigung, verwaltung, anweisung

Verwaltungsgericht Köln, 8 K 18/03
Datum:
21.04.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 18/03
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt eine Leistung nach dem Erlass des Bundesministeriums der
Finanzen zur abschließenden Regelung der Rehabilitierung und Entschädigung von
während des zweiten Weltkrieges aufgrund der Tatbestände der Wehrkraftzersetzung,
Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht Verurteilten vom 17.12.1997 (Erlass),
veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 6.1.1998, Seite 41.
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Der 1920 in Lauban geborene Kläger wurde ausweislich der Auskunft der Deutschen
Dienststelle Berlin am 15.11.1940 zur Wehrmacht einberufen. Am 15.7.1941 wurde er
"am Nordwestausgang von Nowo Beliza/UdSSR" vermisst gemeldet. Er war auf die
sowjetische Seite übergetreten. Nach dem Besuch von Antifa-Schulen war er
Mitbegründer und Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD). Nach
Rückkehr im Mai nach Deutschland trat er in die KPD ein. Seit 1949 war er SED-
Abgeordneter in der Volkskammer. Nach Gründung der Nationalen Volksarmee wurde
er dorthin übernommen und war seit 1957 Chef der Luftwaffe und Stellvertretender
Minister für Nationale Verteidigung. 1985 übernahm er als Armeegeneral das Amt des
Ministers für Nationale Verteidigung. Seit 1986 war er Mitglied des Politbüros der SED.
Seit 1989 ist er im Ruhestand. Der Kläger wurde mit Urteil des Landgerichts Berlin vom
16.9.1993 - (527) 2 Js 26790 Ks (10/92) - in Verbindung mit dem Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 26.7.1994 - 5 StR 98/94 - wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten wegen des Todes von Flüchtlingen an der
innerdeutschen Grenze verurteilt.
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In seinem Antrag auf Entschädigung vom 16.12.1998 legte der Kläger im wesentlichen
dar, dass er wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt worden sei. Ein Urteil könne er
nicht vorlegen, da es weder ihm noch seinen in Sippenhaft genommenen Eltern habe
zugestellt werden können.
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Die Oberfinanzdirektion Köln lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3.5.1999 mit der
Begründung ab, der Kläger sei nach dem in dem Erlass ausdrücklich für anwendbar
erklärten § 6 Bundesentschädigungsgesetz von der Entschädigung ausgeschlossen,
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weil er nach dem 8.5.1945 wegen eines Verbrechens zu mehr als 3 Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.
Eine Zustellung oder ein Zugang dieses am 24.6.1999 mit einfachem Brief zu Post
gegebenen Bescheides ist nicht nachweisbar. Die Oberfinanzdirektion Köln übersandte
dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Kopie der Verfügung zu dem Bescheid
zur Kenntnis. Der Kläger legte am 21.9.2001 Widerspruch ein, den die
Oberfinanzdirektion Köln mit Widerspruchsbescheid vom 5.12.2002 als unzulässig
zurückwies.
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Der Kläger hat am 3.1.2003 Klage erhoben. Er wiederholt sein Vorbringen und führt
ergänzend aus, dass die Regelung des § 6 BEG auf ihn nicht angewandt werden könne,
da er nicht den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland unterfallen sei. Im übrigen
sei sein Verhalten während der Nazi-Zeit, das der Erlass erfasse, zu trennen von
seinem Verhalten in der früheren DDR, das verfassungs- und gesetzesgemäß gewesen
sei. Zwar könne er eine gerichtliche Verurteilung nicht nachweisen. Doch seien
während des Krieges von den Nazis Flugblätter abgeworfen worden, nach denen
Überläufer sofort standrechtlich zu erschießen seien; dies müsse als Verurteilung
gewertet werden.
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Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide der
Oberfinanzdirektion Köln vom 3.5.1999 und vom 5.12.2002 zu verpflichten, ihm eine
Entschädigung in Höhe von 3.834,69 Euro (7.500,00 DM) zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt zur Begründung Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheides und
weist darauf hin, dass trotz weiterer Nachforschungen eine Verurteilung des Kläger nicht
habe nachgewiesen werden können.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg. Zunächst hat der Kläger die Widerspruchsfrist nicht
versäumt, denn die Oberfinanzdi- rektion Köln hat den Zugang des angefochtenen
Bescheides vom 3.5.1999 nicht nachweisen können. Die Widerspruchsfrist (Jahresfrist)
begann auch nicht mit der Übersendung der Verfügung zum Bescheid zu laufen, da dies
einer Kenntnisnahme von einem förmlichen Bescheid nicht gleichzusetzen ist. Denn
damit wird nicht der Bescheid an sich zur Kenntnis genommen, sondern lediglich die in
der Verfügung enthaltene Anweisung, einen dementsprechenden Bescheid zu fertigen.
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Der Kläger begehrt die Zahlung von 7.500,00 DM, jetzt 3.834,69 Euro, nach dem Erlass
des Bundesministeriums der Finanzen zur abschließenden Regelung der
Rehabilitierung und Entschädigung von während des Zweiten Weltkrieges aufgrund der
Tatbestände Wehrkraftzersetzung, Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht
Verurteilten vom 17.12.1997.
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Eine gesetzliche Regelung der Gewährung von Leistungen, wie sie mit der Klage
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erstrebt werden, fehlt. Es handelt sich hierbei vielmehr um freiwillige Leistungen, welche
die Exekutive außerhalb gesetzlicher Regelungen gewährt. Derartige Erlasse entfalten
unmittelbar keine Außenwirkung, d.h. der Bürger kann unmittelbar aufgrund dieser
verwaltungsinternen Regelungen keine Ansprüche geltend machen. Die beantragte
Verpflichtung der Beklagten kommt daher nur auf der Grundlage eines aus dem
Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) folgenden Anspruchs in Betracht, der voraussetzt,
dass die Beklagte in gefestigter und rechtmäßiger Praxis Leistungen der begehrten Art
unter Voraussetzungen vergibt, die auch im Falle des Klägers erfüllt sind. Da dem
Erlass die unmittelbare Außenwirkung fehlt, steht es zunächst im Ermessen der
Verwaltung, wie sie den Inhalt des Erlasses bestimmt. Der jeweilige Anspruchsteller hat
allein einen Anspruch darauf, genau so behandelt zu werden wie andere Bürger mit
einem vergleichbaren Sachverhalt auch behandelt worden sind. Den Gerichten ist es
aufgrund der Gewaltenteilung verwehrt, den Wortlaut des Erlasses wie ein Gesetz
auszulegen und ggf. anders zu interpretieren als die Verwaltung. Die gerichtliche
Überprüfung ist vielmehr darauf beschränkt, ob bei der Anwendung des Erlasses im
Einzelfall, in dem die begehrte Zahlung verweigert worden ist, überhaupt eine
Verteilung öffentlicher Mittel vorgenommen werden darf, ob sich der Erlass innerhalb
des Rahmens hält, der durch die zugrunde liegende Zweckbestimmung gezogen ist,
und ob der Erlass im Einzelfall entsprechend der bisherigen Praxis angewandt worden
ist.
Nach diesen rechtlichen Vorgaben ist der angefochtene Bescheid, mit dem dem Kläger
die Zahlung der 7.500,00 DM = 3.834,69 Euro verweigert worden ist, rechtlich nicht zu
beanstanden.
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Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass eine Entschädigung des Klägers nach
dem Wortlaut des Erlasses und der hierauf beruhenden ständigen Praxis nur dann
erfolgen könnte, wenn eine Verurteilung aufgrund der Tatbestände Wehrkraftzersetzung,
Kriegsdienstverweigerung oder - was hier allein in Betracht kommt - Fahnenflucht
tatsächlich erfolgt ist. Es ist nicht nachgewiesen oder auch nur glaubhaft gemacht, dass
der Kläger wegen Fahnenflucht als einem dieser Tatbestände verurteilt worden ist. Trotz
Nachforschungen ist kein Beleg für eine Verurteilung ersichtlich. Auch der Hinweis in
den über der russischen Front abgeworfenen Flugblätter, dass Überläufer sofort
standrechtlich zu erschießen seien, ist einer Verurteilung nicht gleichzusetzen. Diese
Hinweise erfolgten unabhängig von dem konkreten Verhalten des Fahnenflüchtigen und
damit des Klägers. Auch wenn den nationalsozialistischen Machthabern die
Fahnenflucht und die weiteren Aktivitäten des Klägers in der Sowjetunion während des
Krieges bekannt waren, lässt sich aus diesen Flugblättern keine Verurteilung gerade
des Klägers ableiten. Eine Verurteilung ist jedoch nach der ständigen Praxis der
Beklagten unabdingbare Voraussetzung für die Gewährung der Entschädigung.
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Der Kammer ist aus zahlreichen weiteren bei ihr anhängigen Klageverfahren bekannt,
dass diese Praxis durchgängig gehandhabt wird. Sie hält sich auch ohne weiteres
innerhalb des durch die zitierte Entschließung des Deutschen Bundestages
vorgegebenen Rahmens, denn schon während der Beratungen in den
parlamentarischen Gremien gingen die Beteiligten von etwa 200 potenziell
Anspruchsberechtigten aus (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses vom 14.05.1997, BT-Drucksache 13/7669 -neu-). Daraus ergibt
sich, dass auch nach dem Willen des Bundestages nur die Opfer der Militärjustiz in den
genannten drei Fällen einer Verurteilung eine Entschädigung erhalten sollen.
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Der Kläger verkennt mit seinem Vortrag über sein Schicksal die Zielrichtung des
Erlasses. Dieser bezweckt nicht die Wiedergutmachung jeden Unrechtes, das Soldaten
während des 2. Weltkrieges durch deutsche Dienststellen zugefügt worden ist.
Rehabilitiert werden sollen diejenigen Personen, denen spezifisch durch die
Wehrmachtsjustiz Unrecht zugefügt worden ist. Genau dies ist bei dem Kläger indes
nicht der Fall gewesen.
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Unabhängig hiervon ist der Kläger aber auch von der Entschädigung grundsätzlich
ausgeschlossen. Nach Nr. 5 des Erlasses bleiben die Tatbestände der §§ 6 und 7
Bundesentschädigungsgesetz (BEG) unberührt. Mit der Einbeziehung dieser
Regelungen in den Erlass und deren Anwendung in der Praxis der Oberfinanzdirektion
Köln finden sie auch Anwendung auf den Kläger. Der Einwand des Klägers, das BEG
als bundesrepublikanisches Gesetz finde auf ihn keine Anwendung, da er während der
Geltung dieses Gesetzes in der früheren DDR gelebt habe, geht fehl. Der Kläger macht
Ansprüche aus einem nach der Wiedervereinigung ergangenen Erlass geltend; dessen
Regelungen finden grundsätzlich auf ihn als Bürger der Bundesrepublik Deutschland
Anwendung. Dies gilt auch, soweit in dem Erlass auf vor der Wiedervereinigung in Kraft
getretene Regelungen verwiesen wird, denn es steht dem Erlassgeber frei, die Vergabe
von Mitteln an Voraussetzungen zu knüpfen, die in andere Vorschriften geregelt worden
sind, aber durch den Erlass in Bezug genommen worden sind.
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Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG ist von der Entschädigung ausgeschlossen, wer nach dem
23.5.1949 die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes
bekämpft hat. Dies ist bei dem Kläger der Fall, denn er hat aufgrund seiner hohen
Positionen im Staatsgefüge der früheren DDR an vorderster Stelle mitgewirkt, das
Herrschaftssystem der DDR aufrecht zu erhalten und gegenüber der Bundesrepublik zu
festigen. Er hat damit gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und
Menschenwürde gehandelt, indem er der Gewaltherrschaft in der früheren DDR
Vorschub geleistet hat. Vgl. hierzu: BGH, Urteile vom 25.10.1957 - IV ZR 167/57 -, RzW
1958, 68; vom 12.4.1961 - IV ZR 277/60 -, RzW 1961, 378; und vom 5.7.1973 - IX ZR
61/71 -, RzW 1973, 420.
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Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 BEG ist ferner von der Entschädigung ausgeschlossen, wer nach
dem 8.5.1945 wegen eines Verbrechens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr
als drei Jahren verurteilt worden ist. Der Kläger ist aufgrund des rechtskräftigen Urteils
des Bundesgerichtshofs vom 26.7.1994 wegen Totschlags, mithin wegen eines
Verbrechens (vgl. § 212 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 StGB), zu einer Freiheitsstrafe von 7
Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Hierbei kommt es nicht darauf, welche Taten
der Verurteilung zugrunde lagen. Insbesondere ist insoweit nicht zu unterscheiden, dass
die Verurteilung wegen der in der früheren DDR begangenen Taten erfolgt ist, während
seine Desertion gegen den Nationalsozialismus des sog. Dritten Reiches gerichtet war.
Für § 6 Abs. 1 Nr. 3 BEG ist allein entscheidend das Vorliegen einer entsprechenden
Verurteilung.
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Da der Kläger mithin die Voraussetzungen des Erlasses nicht erfüllt, ist die Klage mit
der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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