Urteil des VG Köln vom 27.10.2009

VG Köln (wirksamkeit, arzneimittel, unterlagen, behandlung, gutachten, dosierung, besserung, atrophie, beleg, untersuchung)

Verwaltungsgericht Köln, 7 K 6319/05
Datum:
27.10.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 6319/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens
zu tragen. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand: Die Klägerin zeigte im Juni 1978 das streitgegenständliche Arzneimittel
nach Artikel 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts
mit den Anwendungsgebieten Gynäkologische Indikationen: Scheidenentzündung mit
und ohne Gewebeschwund, Portioerosionen, zur Vor- und Nachbehandlung von
operativen Eingriffen; im Scheidenbereich; zur Vorbeugung und bei Verletzungen der
Scheide; durch Pessareinlagen; Kohabitationsbeschwerden, Pruritus vulvae et ani,
Kraurosis vulvae et vaginae, Senile Atrophie im Vulva- und Vaginalbereich.
Dermatologische Indikationen: Akne, Rosacea, Ulcus cruris, Verbrennungen,
Narbenbehandlung, Hautatrophie, periorale Dermatitis; Ekzeme im akuten und
subakuten Stadium an, wobei als wirksamer Bestandteil u. a. Estradiol 0,010 g
angegeben war. Sie stellte am 18.12.1989 den sog. Kurzantrag. Als
Anwendungsgebiete waren aufgeführt Dermatologische Indikationen: Akne, Rosacea,
Ulcus cruris, Verbrennungen, Narbennachbehandlung, Hautatrophie, periorale
Dermatitis, Ekzeme im akuten und subakuten Stadium. Gynäkologische Indikationen:
Lokales Östrogenmangelsyndrom: Pruritus vulvae et ani, Kraurosis vulvae, senile
Atrophie im Vulva- und Vaginalbereich; unspezifische Scheidenentzündung mit und
ohne Gewebeschwund, Portioerosionen, Kohabitationsbeschwerden, zur Vor- und
Nachbehandlung von Operationen im Scheidenbereich, zur Behandlung von
Pessarschäden.
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Die Klägerin reichte am 14.07.1993 den sog. Langantrag für das Arzneimittel mit dem
nunmehr allein wirksamen Bestandteil Estradiol Hemihydrat 0,01033 g, entspricht:
Estradiol 0,010 g, bei gleichbleibendem Anwendungsgebiet ein. Die Klägerin legte am
25.01.2001 die Erklärung zum Einreichen der Unterlagen gemäß dem 10. ÄndG zum
AMG vor.
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Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gab der Klägerin mit
Mängelschreiben vom 11.12.2003 Gelegenheit, den in den Stellungnahmen zur
Toxikologie und Klinik aufgeführten Mängeln abzuhelfen. Die Mängelbeseitigungsfrist
wurde auf Antrag der Klägerin verlängert bis zum 13.12.2004. In der medizinischen
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Stellungnahme des BfArM zu den gynäkologischen Anwendungsgebieten heißt es, die
Wirksamkeit und Sicherheit der beanspruchten Dosierung für die beantragten
Indikationen seien durch die eingereichten Publikationen nicht belegt. Die Klägerin
beanspruche zum Teil Indikationen, zu denen keine Daten vorgelegt worden seien (z.
B.: Portioerosionen, Vor- und Nachbehandlung von Operationen im Scheidenbereich,
Pessarschäden). Das beanspruchte Anwendungsgebiet "unspezifische
Scheidenentzündung mit und ohne Gewebeschwund" sei zu unscharf formuliert. Da die
galenische Formulierung einen wesentlichen Einfluss auf die lokalen Konzentrationen
und damit auf die Wirksamkeit und Sicherheit des streitgegenständlichen Arzneimittels
habe, seien unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit Studien zur
Dosisfindung mit M. N erforderlich, die nicht eingereicht worden seien. Es fehle an
Studien zur Schleimhaut-Verträglichkeit des beantragten Arzneimittels. Die vorgelegten
Daten seien unzureichend für den Beleg der endometrialen Sicherheit des empfohlenen
Behandlungsregimes. Die endometriale Sicherheit der empfohlenen Dosierung und des
empfohlenen Regimes (Gestagenzusatz nicht obligat) sei nicht gewährleistet. Die Daten
der Untersuchungen zur Pharmakokinetik lieferten in der Zusammenschau zusätzliche
Hinweise für eine möglicherweise erhebliche systemische Verfügbarkeit des
streitgegenständlichen Präparates.
Die Klägerin nahm mit Mängelbeseitigungsschreiben vom 07.12.2004 zu den
aufgeführten Mängeln Stellung. Sie grenzte das Anwendungsgebiet auf die
gynäkologischen Indikationen "Zur Behandlung atrophischer Beschwerden an Vagina
und Vulva, die auf einen Estrogenmängel zurückzuführen sind, wie z. B. atrophische
Kolpitis, Kohabitationsbeschwerden, Vaginalstenosen, Vulvaatrophie mit Juckreiz und
Brennen" ein, wobei sie sich auf die BfArM-Monographie, das klinische Gutachten von
Prof. Lauritzen, die aktuelle klinische Prüfung (SCO 5174) sowie das Gutachten von
Prof. Breckwoldt (2003) stützte. Sie trug vor, eine Reduzierung der ursprünglich weiter
gefassten Indikationen sei aufgrund der vorgelegten Dokumentation zur Wirksamkeit
von M. N hinreichend belegt. Durch zwei aktuelle Studien zur Pharmakokinetik (Scope
2003) und Pharmakodynamik (Scope 2004) sowie mit dem Gutachten von Prof.
Breckwoldt (2003) sei die systemische Sicherheit von M. N belegt.
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Das BfArM wies mit Bescheid vom 26.09.2005 den Antrag der Klägerin auf
Verlängerung der Zulassung des streitgegenständlichen Arzneimittels zurück und führte
zur Begründung aus, das Arzneimittel sei nicht nach dem derzeit gesicherten Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft worden (§ 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG)
und ihm fehle die von der Klägerin angegebene therapeutische Wirksamkeit bzw. diese
sei nach dem derzeit gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse von der
Klägerin unzureichend begründet (§ 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG). Durch die mit der
Nachlieferung eingereichten neuen Daten zum Beleg der Wirksamkeit und den
überarbeiteten Expertengutachten seien nur einige der im Mängelschreiben
aufgeführten Mängel beseitigt worden. Versagungsrelevante Mängel blieben bestehen.
In der einzigen neu eingereichten randomisierten, placebokontrollierten Untersuchung
(SCO 5174; Scope 2004) werde die Wirksamkeit der intravaginalen Anwendung von M.
N bei vaginaler Atrophie untersucht. Das primäre Wirksamkeitskriterium sei der "vaginal
maturation index", ein zytologischer Score, am Tag 31. Dieser habe sich ebenso wie die
Befunde der gynäkologischen Untersuchung am Tag 31 zwischen den
Behandlungsgruppen mit dem streitgegenständlichen Arzneimittel bzw. Placebo
signifikant zugunsten Verum unterschieden. Als sekundäre Kriterien seien die Befunde
der gynäkologischen Untersuchung (vaginaler pH, Anzahl Lactobazillen, Aspekt der
Schleimhaut (Dicke, Farbe, Ausfluss, Petechien)), Selbsteinschätzung der Symptome
5
durch die Patientin (Trockenheit, Brennen, Juckreiz, Ausfluss, Dyspareunie) und die
Bestimmung der Hormonspiegel (E2, FSH, LH, [SHBG]) erfasst worden. In der Studie
habe sich kein Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen in Hinblick auf die
subjektive Symptomatik ergeben. Ob in die Studie tatsächlich Frauen mit
behandlungsbedürftigen Symptomen einer vaginalen Atrophie aufgenommen worden
seien, sei fraglich in Anbetracht der Ausgangswerte des Beschwerdegesamtscores, die
weniger als ein Fünftel der maximalen möglichen Scorewerte betragen hätten. Eine
Besserung der zytologischen Parameter und des visuellen Aspekts der
Vaginalschleimhaut - ohne eine über Placebo hinausgehende Besserung der klinischen
Symptomatik - reiche für den Beleg der Wirksamkeit nicht aus. Es sei auch nicht belegt,
dass die übrigen untersuchten Parameter (z. B. Anzahl von Lactobazillen, vaginaler pH-
Wert) valide Surrogate für die klinische Wirksamkeit bei der beanspruchten Indikation
darstellten. Die Klägerin habe mit der Nachlieferung im Mängelbeseitigungsschreiben
pharmakokinetische Daten für die vaginale Anwendung von M. N aus zwei Studien
(SCO 5109, 2003; SCO 5174, 2004) eingereicht. Bei den Studien habe es sich gezeigt,
dass sowohl die maximale Plasmakonzentration (nach Einmaldosierung) als auch die
mittlere Plasmakonzentration (nach Mehrfachanwendung) des streitgegenständlichen
Arzneimittels möglicherweise nahe den Werten für Estradiol-Zubereitungen mit
systemischen Wirkungen (und obligatem Gestagenzusatz) lägen. Die endometriale
Sicherheit der Anwendung des streitgegenständlichen Arzneimittels sei auch nach den
im Mängelbeseitigungsverfahren eingereichten Unterlagen nicht ausreichend geprüft
worden. Der Bescheid wurde der Klägerin am 28.09.2005 zugestellt.
Die Klägerin hat am 28.10.2005 Klage erhoben. Im Rahmen des Klageverfahrens kam
es am 15.08.2007 zu einem Ombudsgespräch und am 25.06.2008 zu einem
Beratungsgespräch über einen evtl. zu stellenden Neuzulassungsantrag. Das
Beratungsgespräch führte zu keiner einvernehmlichen Lösung.
6
Die Klägerin trägt vor, sie habe mit den vorgelegten bibliografischen Unterlagen sowie
der im Mängelbeseitigungsverfahren eingereichten Studie SCO 5174 die therapeutische
Wirksamkeit ausreichend begründet. Die Studie SCO 5174 belege für den primären
Zielparameter ("vaginal maturation index") hochsignifikant die Wirksamkeit des
streitgegenständlichen Arzneimittels im Vergleich zu Placebo. In Verbindung mit den
eingereichten bibliografischen Unterlagen liege damit der Beleg dafür vor, dass die
Anwendung des Arzneimittels zu einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen führe
als seine Nichtanwendung und die therapeutischen Ergebnisse nicht auf
Spontanheilungen oder wirkstoffunabhängige Erfolge zurückzuführen seien.
7
Bekanntlich sei die Vagina ein östrogenabhängiges Organ und das Vaginalepitel
("oberste Zellschichten der Scheidenhaut") das empfindlichste Gewebe, um
Östrogeneffekte nachzuweisen. Zur Quantifizierung der Estrogenwirkung sei der
"vaginal maturation index" (VMI) ein standardisiertes und reproduzierbares Maßsystem,
mit dem auch die klinische Wirksamkeit der zugelassenen Vaginaltablette (Vagifem(r))
nachgewiesen worden sei. Die quantitative Vaginaltypologie sei somit die Methode der
Wahl, um die Estrogenwirkung bei der Behandlung der Urogenitalatrophie frei von
subjektiven Bewertungen nachzuweisen. Mit dieser validen Methode sei in der Studie
SCO 5174 als primärer Zielparameter für die Wirksamkeit von M. N die Veränderung
des VMI untersucht worden. Wie von der Beklagten eingeräumt, sei es zum Abschluss
der Untersuchung zu einer hochsignifikanten Besserung der Atrophie unter der Therapie
des Verums im Vergleich zum Placebo gekommen. Entscheidend für die Aufnahme in
die Studie seien die objektivierbaren Befunde der Atrophie durch den Gynäkologen
8
(Dicke und Farbe der Vaginalhaut, Ausfluss und petechiale Blutungen) gewesen. Das
Einschlusskriterium "Subjects with symptoms of vaginal atrophy (presence during the
past weeks of at least one of the following symptoms: dryness, soreness, itching, vaginal
discharge and dyspareunia)" (9.3.1, Seite 16 des Prüfprotokolls) sei qualitativ abgefragt
worden. Ein unterer Score-Schwellenwert musste dabei nicht überschritten werden. Der
Einschluss in das Screening sei durch Selbstauskunft, dass Beschwerden vorlägen,
erfolgt. Dieses Verfahren sei korrekt, da subjektive Beschwerden lediglich als eine von
mehreren Nebenzielgrößen erfasst worden seien. Die Frage nach der
"Behandlungsbedürftigkeit" verkenne die klinische Relevanz der Genitalatrophie. Denn
bei der Selbstbeurteilung durch die Patientin sei zu berücksichtigen, dass die subjektive
Bewertung der Symptome nicht mit der klinischen Befunderhebung durch den Arzt
korreliere, d. h. häufig gäben Frauen keine oder nur geringe Beschwerden an. Da die
progredient ("fortschreitend") verlaufende Urogenitalatrophie aber erhebliche
Konsequenzen für die Gesundheit der Frau (erhöhtes Infektionsrisiko, chronische
Cystitis (Entzündung der Harnblase) u. a.) haben könne, dürfe die Entscheidung für eine
Hormontherapie nicht allein auf der Basis "typischer" Atrophiesymptome getroffen
werden. Vielmehr sei eine frühzeitige kausale Behandlung notwendig, um eine
Verschlechterung des Befundes zu vermeiden. Hierzu habe Prof. Breckwoldt im
Klinischen Gutachten (2005) ausgeführt "das morphologische Bild der atrophischen
Kolpitis findet sich bei 90 % aller postmenopausalen Frauen, 40 % der Frauen klagen
über die oben beschriebenen Symptome in der Postmenopause". Ob eine Frau
"behandlungsbedürftig" sei, richte sich deshalb nicht nach einem bestimmten
Summenscore der subjektiven Missempfindungen, sondern ausschließlich nach der
ärztlichen Befunderhebung und danach, ob die Frau nach Empfehlung des Arztes diese
Behandlung wünsche. Da die Patientinnen nach dem ärztlichen Befund "vaginale
Atrophie" und nicht nach dem Kriterium "subjektive Missempfindungen" in die Studie
aufgenommen worden seien, könne sich die Beklagte nicht auf das einzige nicht
objektivierbare Nebenkriterium "subjektive Mißempfindungen" stützen, um die
vermeintliche Nichtwirksamkeit von M. N darzulegen. Im Gegensatz zu den ärztlichen
Befunden bewerteten die Patientinnen subjektiv auch die Placebocreme als wirksam.
Dieses Ergebnis mache deutlich, dass die Anwendung einer Pflegecreme auch ohne
nachweisbare Besserung der Atrophie zu einer Linderung der Beschwerden führen
könne. Die in der Studie SCO 5174 auch unter Placebocreme gefundene Besserung der
subjektiven Symptome stehe im Einklang mit einer weiteren Studie, in der die
Wirksamkeit eines feuchtigkeitsspendenden Gels mit der Wirkung einer Hormoncreme
verglichen worden sei. Bei den subjektiven Symptomen (Juckreiz, Brennen und
Dyspareunie) seien beide Präparate gleich wirksam gewesen. Diese Befunde sollten
bei der Behandlung der atrophischen Kolpitis Berücksichtigung finden, wenn Hormone
kontraindiziert seien oder eine Frau keine Hormone wünsche.
Dass die Wirksamkeit des streitgegenständlichen Arzneimittels gegeben sei, folge auch
aus der fachlichen Stellungnahme von Prof. Dr. Achim Zesch, der diese im
Parallelverfahren zu M. H N für die Beklagte abgegeben habe. Prof. Dr. Zesch habe auf
der Basis der Studie SCO 5174, die zu M. N erstellt worden sei, die Wirksamkeit von M.
H N als gegeben angesehen, obwohl die Estradiol-Konzentration bei diesem
Arzneimittel unstreitig um die Hälfte niedriger sei. Wenn die Beklagte die Studie SCO
5174 bei M. H N, also einem Kombinationspräparat, das nicht mit M. N identisch sei, als
Wirksamkeits- und Sicherheitsnachweis akzeptiere, dann müsse diese Studie für das
Präparat, mit dem sie durchgeführt worden sei, erst recht als ausreichender
Wirksamkeitsbeleg akzeptiert werden. Der Begriff "Klinische Wirksamkeit" im ärztlichen
Sprachgebrauch und nach Verständnis der Klägerin wie auch im Gutachten von Prof.
9
Dr. Zesch meine in der Regel die Besserung der klinischen, d. h. der durch den Arzt
feststellbaren Zeichen (z. B. Epitheldicke, Vorhandensein von punktförmigen
Einblutungen in der Scheidenwand), einschließlich objektivierbarer Parameter wie z. B.
vaginaler Reifungsindex, ph-Wert oder Anzahl der Lactobazillen (Milchsäure-Bakterien)
in der Scheide. Davon abzugrenzen sei die Begrifflichkeit der Besserung der
subjektiven Symptome, die die Selbstbeurteilung von Beschwerden durch die Patientin
beschreibe. Im Gegensatz zur Beklagten beanstande Prof. Dr. Zesch nicht, dass bei der
Besserung des subjektiven Beschwerdebildes der Patientinnen für diese ein
Unterschied zwischen M. N und Placebo (der wirkstofffreien Grundlage) nicht signifikant
feststellbar gewesen sei.
Das streitgegenständliche Arzneimittel sei auch hinsichtlich der Pharmakokinetik und
der endometrialen Sicherheit ausreichend geprüft worden. Die Pharmakokinetik-Studie
SCO 5109 zeige, dass nach vaginaler Anwendung des streitgegenständlichen
Arzneimittels Estradiol durch die Scheidenhaut resorbiert werde und in messbaren
Konzentrationen in die Blutzirkulation reiche. Aufgrund des besonderen
Dosierungsschemas (fraktionierte Gabe) nehme bei M. N die geringe Estradiol-
Konzentration bereits in der zweiten Therapiewoche drastisch ab. Bei fraktionierter
Gabe blieben die Blutspiegel im postmenopausalen Normbereich. Es komme nicht zu
einer Estrogenkumulation.
10
M. N sei seit 1968 auf dem Markt. Im Zeitraum vom 01.04.1998 bis zum 15.11.2005
seien 2.750.000 Packungseinheiten verkauft worden. Im Rahmen der Spontanerfassung
seien in diesem Zeitraum keine unerwünschten Arzneimittelwirkungen gemeldet
worden, so dass unter den Aspekten der Pharmakovigilanz das Präparat als wirksam
und unbedenklich einzustufen sei. Aus diesen Gründen seien keine Ergebnisse aus
Endometrium-Biopsien vorzulegen.
11
Die Klägerin beantragt,
12
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte vom 26.09.2005 zu verpflichten, die Zulassung für das Arzneimittel M.
N gemäß Antrag der Klägerin vom 15.12.1989 in der Fassung des Antrags vom
02.08.1993, der Erklärung vom 19.01.2001 sowie des Schreibens vom 07.12.2004 unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
13
Die Beklagte beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15
Sie trägt vor, die Besserung der die Patientin belastenden Symptomatik stelle ein
entscheidendes Kriterium für den Beleg der Wirksamkeit des streitgegenständlichen
Arzneimittels bei atrophischen Beschwerden im Bereich der Vagina dar. Es handele
sich nicht um einen willkürlich herausgegriffenen sekundären Zielparameter "subjektive
Missempfindungen". Eine alleinige Besserung von Untersuchungsbefunden - ohne
einen über Placebo hinausgehenden relevanten Nutzen im Hinblick auf die klinische
Symptomatik - werde nicht als ausreichender Beleg der Wirksamkeit akzeptiert. In der
zum Beleg der Wirksamkeit durchgeführten Studie SCO 5174 sei eine Überlegenheit
des Verums im Vergleich zu Placebo nur bezüglich verschiedener Parameter wie
vaginaler Reifungsindex oder ph-Wert, nicht aber bezüglich der klinischen Symptome
wie Brennen, Juckreiz und Dyspareunie gefunden worden. Der wesentliche Mangel der
16
Studie bestehe darin, dass allein der VMI als primärer Endpunkt ausgewählt worden sei
und nicht zusätzlich die Besserung klinisch relevanter Symptome bei der Formulierung
der Hypothesen berücksichtigt worden sei. Die Einschlusskriterien für die Aufnahme der
Patientinnen in die Studie sei nicht nachvollziehbar. Nach dem Prüfplan zählten nämlich
nicht die "objektivierbaren Befunde der Atrophie durch den Gynäkologen (...)" sondern
allein ein VMI < 50 % zu den Einschlusskriterien. Zudem zeige sich in der Studie nicht
nur kein signifikanter Unterschied, sondern auch kein Trend zugunsten von M. N
hinsichtlich der klinischen Symptomatik. Die divergierenden Ergebnisse hinsichtlich der
objektiven Befunde und der Beschwerden der Patientinnen begründeten die Zweifel an
der klinischen Relevanz des gewählten primären Endpunktes VMI. Die Klägerin müsse
aber auch einen Vorteil im Vergleich zu Placebo, d. h. zum estrogenfreien Vehikel,
bezüglich der klinischen Symptome als die für die Patientin primär relevanten Kriterien
aufzeigen und nachweisen, um die Wirksamkeit von M. N nachvollziehbar zu belegen.
Sofern die Klägerin vortrage, dass wirkstofffreie Zubereitungen berücksichtigt werden
könnten, wenn Hormone kontraindiziert seien oder die Patientin keine Hormone
wünsche, spreche dies eher für die Anwendung von estrogenfreien Zubereitungen. Es
lasse sich nicht nachvollziehen, warum eine estrogenhaltige Zubereitung bevorzugt
werden solle, wenn eine gleich wirksame Linderung der Beschwerden auch ohne ein
Estrogen zu erreichen sei.
Das Gutachten des externen Sachverständigen Prof. Dr. Zesch könne nicht zur
Begründung der Wirksamkeit des streitgegenständlichen Arzneimittels herangezogen
werden. Vielmehr habe auch der externe Sachverständige explizit die fehlende
Überlegenheit von M. N gegenüber Placebo hinsichtlich der subjektiven Symptome wie
Juckreiz, Brennen und Dyspareunie konstatiert. Zudem habe er darauf hingewiesen,
dass sich bei 90 % der postmenopausalen Frauen das morphologische Bild der
atrophischen Kolpitis finde, dies aber häufig nicht zu Beschwerden führe. Damit
erscheine auch dem externen Gutachter die klinische Relevanz des in der Studie SCO
5174 gewählten primären Endpunktes (Vaginalzytologie) zumindest fraglich (vgl. S. 4
des Gutachtens). Die Bewertung des Estradiol-Anteils in M. H N im Gutachten von Prof.
Dr. Zesch könne auch nicht auf das streitgegenständliche Arzneimittel extrapoliert
werden. Bei M. H N handele es sich nämlich um eine fixe Kombination aus Prednisolon
und Estradiol. Diese sei zur kurzfristigen Behandlung akuter entzündlicher
Hauterkrankungen des äußeren weiblichen Genitalbereichs bestimmt. Hier stehe die
Kortikosteroid-Komponente im Vordergrund. Der Gutachter habe sich letztlich für die
Zulassung von M. H N für eine zeitlich eng begrenzte Anwendung für eine
"kortikoidgerechte Indikation" ausgesprochen, wobei der Estradiolanteil trotz der
genannten Mängel auf der Basis der gezeigten pharmakodynamischen Wirkungen
akzeptiert worden sei. Im Zulassungsverfahren von M. H N hätten Sicherheitsaspekte
und insbesondere die Frage der Dosisbegründung für Estradiol keine wesentliche Rolle
gespielt. Diese Probleme stünden aber bei M. N im Vordergrund. Bei M. H N liege die
Konzentration von Estradiol um die Hälfte niedriger als bei M. N. Zudem sei M. H N nur
für die kurzfristige Anwendung von in der Regel 2-3 Wochen sinnvoll, da das Präparat
für die Behandlung akuter entzündlicher Beschwerden vorgesehen sei. Wegen des
Risikos von Hautatrophien bei längerfristiger Anwendung von Glucokortikosteroiden auf
der Haut komme eine längerfristige Anwendung von M. H N - insbesondere bei
Atrophien im Bereich der Vulva - nicht in Betracht. Daher hätten die Dosisbegründung
und die Risiken einer längerfristigen Estrogentherapie im Verfahren zu M. H N nicht im
Vordergrund gestanden. Bei M. N liege die Estradiol-Konzentration jedoch doppelt so
hoch wie bei M. H N . Nach den vorliegenden pharmakokinetischen Daten würden nach
vaginaler Anwendung von M. N in der empfohlenen Dosierung von 2 Gramm Creme
17
(200 µg Estradiol) Plasmaspiegel erreicht, die im historischen Vergleich höher lägen als
Plasmaspiegel nach Anwendung einiger transdermaler Estradiolpflaster, die zur
Behandlung postmenopausaler Estrogenmangelsymptome wie Hitzewallungen
bestimmt seien. Auch wenn das streitgegenständliche Arzneimittel ab der zweiten
Woche nur 2 x wöchentlich und nicht täglich appliziert werde, liege eine relevante
systemische Exposition vor. Die hohe empfohlene Dosierung von M. N sei
unzureichend begründet. In Anbetracht der bekannten Risiken von postmenopausalen
Hormontherapien (u. a. venöse Thrombo-Embolien, Schlaganfall) bestehe gegenwärtig
der fachliche Konsens, dass Estrogene in möglichst niedriger Dosierung angewendet
werden sollten.
Im Hinblick auf andere estradiol-haltige Arzneimittel zur lokalen vaginalen Anwendung,
die erheblich niedriger dosiert seien, sei davon auszugehen, dass die hohe, im
streitgegenständlichen Arzneimittel enthaltene Estradioldosierung zur Behandlung
vaginaler atrophischer Beschwerden nicht erforderlich sei. Die für das
streitgegenständliche Arzneimittel empfohlene hohe Dosierung sei unzureichend
untersucht und aus heutiger Sicht nicht mehr vertretbar.
18
Mit Schriftsatz vom 19.10.2009 hat die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme von
Prof. Zesch zu seinem Gutachten vorgelegt.
19
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung beantragt, darüber Beweis zu erheben,
dass durch die Studie SCO 5174 die therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels M. N
belegt sei und dass aus wissenschaftlicher Sicht die Versagungsgründe des § 25 Abs. 2
Nr. 2 und Nr. 4 AMG nicht gegeben seien. Das Gericht hat diesen Beweisantrag
abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Beurteilung der Studie SCO 5174 sei
durch das Gericht ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen möglich. Ob die
Versagungsgründe des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4 AMG gegeben seien, sei eine
Rechtsfrage, die aus rechtlicher Sicht durch das Gericht zu beurteilen sei.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Gerichtsakte, den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang, die
Dokumentationsunterlagen der Beklagten, und die von der Klägerin eingereichten
Unterlagen.
21
Entscheidungsgründe Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
22
Der Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom
26.09.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5
Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf
Verlängerung der Zulassung für das Arzneimittel "M. N".
23
Gemäß § 105 Abs. 4f Satz 1 AMG ist im sog. Nachzulassungsverfahren die Zulassung
um fünf Jahre zu verlängern, wenn kein Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG
vorliegt. Besteht nach Ansicht der Behörde ein solcher Versagungsgrund, so hat sie in
der Regel nach § 105 Abs. 5 Satz 1 AMG eine Beanstandung auszusprechen und dem
Antragsteller eine angemessene Frist zu deren Beseitigung zu setzen. Verstreicht diese
Frist fruchtlos, ist gemäß § 105 Abs. 5 Satz 2 AMG die Versagung auszusprechen.
24
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagte hat in dem Mängelbescheid vom
11.12.2003 unter anderem beanstandet, die Wirksamkeit des streitgegenständlichen
25
Arzneimittels in den beantragten Indikationen sei nicht hinreichend belegt, Studien zur
Dosisfindung seien nicht eingereicht worden, und zur Beseitigung dieses Mangels auf
Antrag der Klägerin eine Frist von 12 Monaten gesetzt. Diese ist verstrichen, ohne dass
die Klägerin den Mängeln abgeholfen hat.
Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AMG in Verbindung mit § 25 Abs. 2 Satz 1 AMG ist die
arzneimittelrechtliche Zulassung auf Grund der Prüfung der eingereichten Unterlagen
und auf Grundlage der vorgelegten Sachverständigengutachten zu erteilen, wenn kein
Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG vorliegt. Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, 2.
Alt. AMG besteht ein Versagungsgrund, wenn die vom Antragsteller angegebene
therapeutische Wirksamkeit nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse unzureichend begründet ist. Die therapeutische Wirksamkeit ist
unzureichend begründet, wenn die eingereichten Unterlagen nach dem jeweils
gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse den geforderten Schluss auf die
therapeutische Wirksamkeit nicht zulassen, wenn sie sachlich unvollständig oder
inhaltlich unrichtig sind.
26
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 14.10.1993 - 3 C 21.91 -,
BVerwGE 94, 215.
27
Die Behauptung, dass das Arzneimittel die vom Antragsteller angegebene
therapeutische Wirksamkeit hat, ist der Sache nach jedenfalls dann unzureichend
begründet, wenn sich aus dem vorgelegten Material nach dem jeweils gesicherten
Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ergibt, dass die Anwendung des
Arzneimittels zu einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgten führt, als seine
Nichtanwendung. Das lässt sich nur dartun, wenn ausgeschlossen wird, dass die den
Unterlagen zu entnehmenden therapeutischen Ergebnisse auf Spontanheilungen oder
wirkstoffunabhängige Effekte zurückzuführen sind. Kann nämlich die Anwendung des
Arzneimittels hinweg gedacht oder die Anwendung eines Scheinmedikaments - eines
Placebos - ersetzt werden, ohne dass der Heilungserfolg entfällt, dann darf die
therapeutische Wirksamkeit dem zur Zulassung gestellten Arzneimittel nicht
zugesprochen werden.
28
Vgl. BverwG, Urteile vom 14.10.1993 - 3 C 21.91 - , a.a.O. und - 3 C 46.91 - , Pharma
Recht 1994, 380.
29
Zur Begründung der therapeutischen Wirksamkeit ist im Regelfall nach § 22 Abs. 2 Satz
1 Nr. 3 AMG eine klinische Prüfung des Arzneimittels vorzulegen. Gemäß § 22 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 AMG kann - vereinfacht dargestellt - bei bekannten Wirkstoffen ("well
established use" im Sinne der zugrunde liegenden Richtlinie 2001/83/EG vom 06.
November 2001) anstelle der Ergebnisse der klinischen Prüfung anderes
wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt werden (sog. Bezug nehmender oder
bibliographischer Antrag). In beiden Fällen sind die erforderlichen Unterlagen gemäß §
24 Abs. 1 Satz 1 AMG in einem Sachverständigengutachten zusammenzufassen und zu
bewerten. Im Einzelnen müssen sich aus dem klinischen Gutachten u. a. die
angemessene Wirksamkeit des Arzneimittels in den angegebenen
Anwendungsgebieten und die Zweckmäßigkeit der Dosierung ergeben, § 24 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 AMG.
30
Vgl. VG Köln, Urteile vom 26.07.2006 - 9 K 380/05 - und vom 24.10.2006 - 7 K 6084/04 -
.
31
Diese Anforderungen werden für das streitgegenständliche Arzneimittel nicht erfüllt, so
dass die Klägerin seine Wirksamkeit in dem zuletzt beanspruchten Anwendungsgebiet
"Zur Behandlung atrophischer Beschwerden an Vagina und Vulva, die auf einen
Estrogenmängel zurückzuführen sind, wie z. B. atrophische Kolpitis,
Kohabitationsbeschwerden, Vaginalstenosen, Vulvaatrophie mit Juckreiz und Brennen"
nicht belegt hat.
32
Die von der Klägerin im Mängelbeseitigungsverfahren vorgelegte klinische Studie SCO
5174 ist zum Nachweis des streitgegenständlichen Arzneimittels im beanspruchten
Anwendungsgebiet ungeeignet. Nach dem Anwendungsgebiet soll das Arzneimittel
eingesetzt werden zur Behandlung "atrophischer Beschwerden an Vagina und Vulva,
die auf einen Estrogenmangel zurückzuführen sind". Das Arzneimittel soll demnach
nicht lediglich zur Behandlung eines objektiven klinischen Befundes - der Atrophie bei
Estrogenmangel - sondern der mit diesem Befund einhergehenden subjektiven
Beschwerden eingesetzt werden, wobei als Erläuterung zu den Beschwerden im
Anwendungsgebiet ausgeführt ist: "wie atrophische Kolpitis,
Kohabitationsbeschwerden, Vaginalstenosen, Vulvaatrophie mit Juckreiz und Brennen".
Die als Beispiele für das Anwendungsgebiet benannten Krankheitsbefunde gehen alle -
bis auf Vaginalstenosen - mit subjektiv klinischen Befunden einher. Dies gilt auch für die
atrophische Kolpitis, die laut Pschyrembel mit Juckreiz, brennenden Schmerzen, Fluor
genitalis, evtl. Miktionsbeschwerden verbunden ist. Laut Roche äußert sich die
atrophische Kolpitis in Ausfluss mit Juckreiz und Schmerzen. Auch Lauritzen konstatiert
in seinem Gutachten (1992) und in seinem Aufsatz "Erfahrungen mit einer Östriol
Vaginalcreme" (1979), dass die Symptome einer Vaginalatrophie Trockenheit,
Schmerzen, Juckreiz, Ausfluss und Dyspareunie sind. Breckwoldt (2003) stellt in seinem
Gutachten fest, dass atrophische Veränderungen wie senile Kolpitis, Krauroris vulvae,
Scheidenulzera und Vaginalstenosen mit Fluor, Juckreiz, Schmerzen sowie
Dyspareunie einhergehen können. Die von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegten
Unterlagen widerlegen dieses Beschwerdebild nicht. Im Hinblick auf das beantragte
Anwendungsgebiet atrophischer Beschwerden an Vagina und Vulva, die auf einen
Estrogenmangel zurückzuführen sind, hätte sich die Studie also vor allem mit den
subjektiven Beschwerden, die bei atrophischer Kolpitis und Vaginalstenosen auftreten,
sowie mit Kohabitationsbeschwerden und Juckreiz und Brennen bei Vulvaatrophie zu
beschäftigen gehabt. Diese Beschwerden, die, wie sich aus der klinischen Studie ergibt
und von Frau Dr. Ziegeler in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde,
objektivierbar sind und in einem Score festgehalten werden können, wären als primärer
Zielparameter in die Studie aufzunehmen gewesen. Statt dessen hat die Studie SCO
5174 als primären Zielparameter allein den Vaginalen Maturationsindex als einen
objektiven, vom Arzt feststellbaren Befund erfasst. In der Studie sind die "klinischen
Befunde einer Vaginalatrophie, Symptome einer Vaginalatrophie" nur als sekundäre
Studienparameter aufgeführt. Durch die Nichtaufnahme der subjektiven Beschwerden
als primärer Zielparameter in die Studie SCO 5174 ist diese zum Nachweis der
Wirksamkeit in dem beantragten Anwendungsgebiet nicht geeignet. Die Studie hat aber
auch hinsichtlich des sekundären Zielparameters "klinische Befunde einer
Vaginalatrophie, Symptome einer Vaginalatrophie" den Nachweis einer Überlegenheit
des Verums gegenüber Placebo nicht erbracht. Unter 13.1 ist zur Wirksamkeit nämlich
festgestellt: "Die vaginale Estradiol-Creme hat sich bei der Behandlung der
Vaginalatrophie im Hinblick auf die vaginale Zellreifung, die Menge an Döderlein-
Bakterien, den vaginalen ph-Wert und die klinische Untersuchung des Vaginalepithels
als wirksam erwiesen. Auf die subjektiven Symptome der Vaginalatrophie wurde im
33
Vergleich zu Placebo keine Wirkung festgestellt." Wie von Frau Dr. Ziegeler in der
mündlichen Verhandlung angemerkt, könnte der Grund für fehlende Feststellungen zur
Überlegenheit des Verums im Konzept der Studie liegen, da für die sekundären
Studienparameter die Einschlusskriterien zu gering und nicht nachvollziehbar angesetzt
waren. So konnten die Studienteilnehmerinnen die Symptome einer Vaginalatrophie
anhand eines Fragebogens selbst beurteilen, wobei das Vorliegen eines der Symptome
der Vaginalatrophie - Trockenheit, Schmerzen, Juckreiz, Ausfluss und Dyspareunie - zur
Aufnahme in die Studie ausreichte.
Die Klägerin hat auch nicht durch anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial die
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des streitgegenständlichen Arzneimittels
nachgewiesen. Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG, mit welchem die Richtlinie
2001/83/EG umgesetzt wurde, steht dem pharmazeutischen Unternehmer die
Möglichkeit offen, an Stelle der Ergebnisse nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AMG anderes
wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorzulegen. Dieses wissenschaftliche
Erkenntnismaterial muss sich auf ein Arzneimittel beziehen, dessen Wirkstoffe seit
mindestens 10 Jahren in der Europäischen Union allgemein medizinisch verwendet
wurden und deren Wirkungen und Nebenwirkungen bekannt und aus dem
wissenschaftlichen Erkenntnismaterial ersichtlich sind. Das vorgelegte
Erkenntnismaterial muss auch in den Verfahren auf Verlängerung der (fiktiven)
Zulassung von sog. Altarzneimitteln (vgl. § 105 Abs. 4a Satz 1 Halbsatz 2 AMG) dabei
nach Sinn und Zweck der Vorschrift sowie nach Art. 10a Satz 2 Richtlinie 2001/83/EG
dergestalt beschaffen sein, dass es ein Gewicht hat, das in etwa den Ergebnissen nach
§ 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG entspricht.
34
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 23.05.2007 - 13 A 328/04 - und vom 7.10.2009 - 13 A
306/08 - .
35
Welchen Anforderungen das wissenschaftliche Erkenntnismaterial zu genügen hat, wird
durch die Arzneimittelprüfrichtlinien nach § 26 AMG konkretisiert. Nach Satz 1 des § 26
AMG werden in den Arzneimittelprüfrichtlinien Anforderungen an die in den §§ 22 bis 24
AMG bezeichneten Angaben, Unterlagen und Gutachten sowie deren Prüfung durch die
zuständige Bundesoberbehörde geregelt. Sie haben die Rechtswirkungen, die
sogenannten antizipierten Sachverständigengutachten zugewiesen werden.
36
Vgl. OVG Berlin, Urteil vom 25. November 1999 - 5 B 11.98 - .
37
Nach dem Fünften Abschnitt 1. der während des Mängelbeseitigungsverfahrens
geltenden Arzneimittelprüfrichtlinie (Neubekanntmachung vom 5. Mai 1995, BAnz. Nr.
96a vom 20. Mai 1995) soll das Erkenntnismaterial im Rahmen eines bibliographischen
Antrags im Sinne des § 22 Abs. 3 AMG eine Beurteilung der therapeutischen
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels in der angegebenen Dosierung
ermöglichen. Als wissenschaftliches Erkenntnismaterial sind klinische Unterlagen in
Form von klinischen Studien, aber auch Anwendungsbeobachtungen sowie
Sammlungen von Einzelfallberichten, die eine wissenschaftliche Auswertung
ermöglichen, bestimmt. Entsprechendes sieht auch die nachfolgende
Arzneimittelprüfrichtlinie vom 11. Oktober 2004 (BAnz. S. 22037) vor, welche ihrerseits
Anhang 1 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2003/63/EG vom 25.
Juni 2003 entspricht. Nach Teil II 1. d) des Anhangs 1 der Richtlinie bzw. der genannten
Arzneimittelprüfrichtlinie muss dabei im Rahmen eines bibliographischen Antrags
gezeigt werden, inwiefern vorgelegte Daten, die ein anderes als das in den Verkehr zu
38
bringende Arzneimittel betreffen, relevant sind. Dem folgend bestimmt auch die Leitlinie
der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA), "Leitlinie zu
den klinischen Anforderungen an lokal anwendbare, lokal wirksame Produkte mit
bekannten Bestandteilen" (CPMP/EWP/239/95 final), dass, wird für den Nachweis der
therapeutischen Gleichwertigkeit anstelle von klinischen Studien ein anderes Modell
gewählt, die Relevanz dieses Modells nachgewiesen werden muss.
Die Leitlinien des Ausschusses der EMEA für Humanarzneimittel entfalten zwar keine
unmittelbare rechtliche Bindungswirkung. Sie sind aber wie die nach § 26 Abs. 1 AMG
erlassenen Arzneimittelprüfrichtlinien wie "antizipierte Sachverständigengutachten" bei
der Anwendung arzneimittelrechtlicher Bestimmungen heranzuziehen, die sich auf
außerrechtlichen Erkenntnisquellen etwa den "jeweils gesicherte(n) Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse" (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4 Satz 3 AMG)
beziehen, weil sie regelmäßig widerspiegeln, was auf europäischer Ebene dem
gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht.
39
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.06.2009 - 13 A 3604/07 - , vom 24.02.2009 - 13 A
813/08 - , und vom 19.03.2009 - 13 A 1029/08 - .
40
Die genannte Leitlinie findet auf das streitgegenständliche Arzneimittel Anwendung.
Lediglich bei der Bezugnahme auf ein dem zuzulassenden Arzneimittel in seiner
Zusammensetzung identischen Präparat findet die Leitlinie keine Anwendung. Das
entspricht auch den Ausführungen in der Einleitung der Leitlinie, wonach bei lokal
anwendbaren, lokal wirksamen Arzneimitteln eine Veränderung der Formulierung die
Wirksamkeit oder Sicherheit des Arzneimittels beeinflussen kann. In der Dermatologie
könne schon die Trägersubstanz selbst einen störenden Einfluss ausüben. Keines der
entsprechenden Produkte könne als wesentlich ähnlich gelten.
41
Vgl. VG Köln, Urteil vom 2.05.2007 - 7 K 9340/03 - .
42
Die Klägerin kann sich nicht auf ein in seiner Zusammensetzung identisches und in
seiner Wirksamkeit anerkanntes Präparat berufen. Wird der Wirksamkeitsnachweis wie
hier nicht durch klinische Studien oder durch Bezugnahme auf ein in seiner
Zusammensetzung identisches Präparat belegt, ist nach der Leitlinie erforderlich, dass
bei der topischen Verwendung eines anderweitig bekannten Wirkstoffs die klinische
Wirksamkeit regelmäßig durch ein vollständiges Dossier, anderenfalls durch in
geeigneter Weise abgekürzte Untersuchungen nachzuweisen ist. Denn die
Wirkstoffaufnahme und die Wirksamkeit topisch verwendeter Arzneimittel ist abhängig
von den Wirkstoffeigenschaften, der Größe sowie dem Zustand der Applikationsfläche
und dem verwendeten Vehikel. Die Leitlinie geht wegen dieser Besonderheit topischer
Arzneimittel daher davon aus, dass selbst ganz ähnlich formulierte Produkte, die den
gleichen Wirkstoff enthalten, nicht ohne weiteren Nachweis als wesentlich gleich
bewertet werden können.
43
Vgl. VG Köln, Urteile vom 02.05.2007 - 7 K 9340/03 -, vom 17.07.2007 - 7 K 629/05 -
und vom 06.11.2007 - 7 K 630/05 -.
44
Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klägerin die Wirksamkeit des Arzneimittels "M.
N" durch die eingereichten Unterlagen nicht hinreichend belegt.
45
Die vorgelegten Aufsätze von Engelund (1982), Heimer (1984) und Lauritzen (1979)
46
sind bereits deswegen nicht zum Beleg der Wirksamkeit von Estradiol heranzuziehen,
weil die dort wiedergegebenen Untersuchungen mit Estrion und damit mit einem
anderen Wirkstoff durchgeführt wurden. Der Artikel von Gordon (1979) bezieht sich auf
eine Studie mit unkontrolliertem Design, deren Aufnahmekriterien ebenso wie die hohe
Abbrecherquote nicht erklärt wird. Bei Forsberg (1996) handelt es sich lediglich um
einen Übersichtsartikel zur Resorption und zum Metabolismus von Östrogen ohne
spezielle Angaben zur Zubereitung. Der Artikel von Mayerhausen (1992) gibt lediglich
allgemeine Empfehlungen zur Anwendung von Östrogen-haltigen Dermatika ohne
Bezugnahme auf kontrollierte Studien. Entsprechendes gilt für Panteleos ((1976). Der
Aufsatz von Heimer (1996) behandelt allein die pharmakologischen Aspekte von
Estradiol in einer erheblich niedrigeren Dosierung (7-10 ?g/d) als die des
streitgegenständlichen Präparates und ist als Wirksamkeitsbeleg nicht heranzuziehen.
Er stellt im Übrigen die zu hohe Dosierung, wie sie im klägerischen Präparat verwandt
wird, in Frage. Das klinische Gutachten von Lauritzen (1992) stützt sich auf eine
unkontrollierte Untersuchung, die wissenschaftlichen Kriterien nicht genügt. Die
Untersuchung ist mit einer zu geringen Patientinnenzahl (8 Frauen in
Kurzzeituntersuchung, 28 Frauen in Langzeituntersuchung) durchgeführt worden. Die
Angaben zu den Ein- und Ausschlusskriterien, zum primären Endpunkt, zu Gründen für
den vorzeitigen Therapieabbruch sowie zur Anwendungsdauer der Prüfmedikation
fehlen. Zudem ist die Untersuchung in einer anderen Dosierung als die des
vorliegenden Präparates erfolgt.
Die Klägerin kann sich nicht auf die Monographie zu Estradiol stützen, da diese aus
dem Jahre 1994 stammt und nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand
widerspiegelt.
47
Die mit dem Mängelbeseitigungsschreiben vorgelegten Unterlagen bieten ebenfalls
keinen Nachweis für die Wirksamkeit des streitgegenständlichen Präparates. Die Artikel
von Notelowitz (2002) und Nilsson und Heimer sind bereits deswegen ungeeignet, da
die dort angeführten Studien mit Vaginaltabletten und also in einer anderen
Darreichungsform mit einem anderen Wirkort und in geringerer Stärke des Wirkstoffs
durchgeführt worden sind. Bei Crandall (2002) handelt es sich nur um eine Übersicht
über Erkenntnisse mit dem Ergebnis, dass Tabletten besser Creme wirken. Die von
Dygal (2000) besprochene Studie ist als vergleichende Studie von Vaginaltabletten und
Vaginalzäpfchen als Wirksamkeitsnachweis nicht heranzuziehen.
48
Letztendlich kann sich die Klägerin zum Beleg der Wirksamkeit des
streitgegenständlichen Arzneimittels auch nicht auf das Gutachten von Prof. Dr. Zesch
berufen, da dieses für ein anderes Kombinationsarzneimittel mit einem anderen
Estradiolanteil für ein anderes Anwendungsgebiet erstellt worden ist und sich im
Wesentlichen zur Wirksamkeit des Wirkstoffs im Hinblick auf den primären
Zielparameter VMI des Gutachtens SCO 5174 verhält, und hinsichtlich der Frage der
Wirksamkeit von Estradiol in der angezeigten Stärke zu dem hier streitgegenständlichen
Anwendungsgebiet der atrophischen Beschwerden keine eindeutige Aussage trifft.
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Das Gericht konnte über die eingereichten Unterlagen, insbesondere die vorgelegte
Studie und die dazu gemachten Ausführungen der fachkundigen Beteiligten ohne
Hinzuziehung weiteren fachwissenschaftlichen Sachverstandes urteilen. Zur
Feststellung, dass die Wirksamkeit des streitgegenständlichen Präparates im
beantragten Anwendungsgebiet anhand der Studie nicht belegt ist, bedurfte es keines
weiteren Gutachtens. Die Tatsache, dass sich aus der Studie keine Überlegenheit von
50
Verum zu Placebo bei den subjektiven klinischen Befunden ergeben haben, ist
eindeutig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 709 ZPO.
51