Urteil des VG Köln vom 01.11.2001

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Verwaltungsgericht Köln, 5 K 11067/99
Datum:
01.11.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 11067/99
Tenor:
Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 15. Juni 1999 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1999
verpflichtet, bei der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt für den
Monat Mai 1999 die im April 1999 ausgezahlte Arbeitslosenhilfe von
978,25 DM nicht anzurechnen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, bei der Berechnung der Hilfe zum
Lebensunterhalt für Mai 1999 die ihm im April 1999 gezahlte Arbeitslosenhilfe nicht
anspruchsmindernd zu berücksichtigen.
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Der Kläger verwirkte seinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, nachdem gegen ihn zwei
Sperrzeiten von insgesamt 24 Wochen verhängt worden waren. Die zweite Sperrzeit
dauerte vom 11. Mai 1999 bis 2. August 1999.
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Mit Bescheid vom 25. Mai 1999 berechnete der Beklagte die Hilfe zum Lebensunterhalt
für die Monate Mai und Juni 1999.
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Hiergegen legte der Kläger am 4. Juni 1999 Widerspruch ein, mit dem er sich gegen die
Anrechnung von Arbeitslosenhilfe trotz verhängter Sperrzeit wandte.
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Der Beklagte half dem Widerspruch für den Monat Juni 1999 mit Bescheid vom 15. Juni
1999 teilweise ab und berechnete den Hilfeanspruch für die Monate Mai und Juni 1999
neu. Bei der Berechnung der Hilfeleistung für Mai 1999 berücksichtigte er sowohl, dass
am 17. Mai 1999 eine Restzahlung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. bis 10. Mai
1999 in Höhe von 322,50 DM erfolgt war, als auch, dass dem Konto des Klägers am 29.
April 1999 die ihm für den Monat April zustehende Arbeitslosenhilfe gutgeschrieben
worden war. Aus dieser Berechnung ergab sich, dass dem Kläger für den Monat Mai
175,52 DM zuviel ausbezahlt worden waren.
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Im Einzelnen wurde folgende Berechnung angestellt:
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1.-10.05.99: Regelsatz Alleinstehender 540,00 DM Miete (abzgl. Garage) +747,00 DM
Bedarf 1.287,00 DM abzgl. Arbeitslosenhilfe 4/99 - 978,25 DM monatl. Anspruch 308,75
DM
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1.-10.5.1999 = 10/31 von 308,75 DM = 99,60 DM
9
11.-16.5.1999 Regelsatz Alleinstehender 540,00 DM Kürzung Regelsatz wegen
Sperrzeit - 135,00 DM Miete + 747,00 DM Bedarf 1.152,00 DM abzgl. Arbeitslosenhilfe
4/99 - 978,25 DM monatl. Anspruch 173,75 DM
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11.-16.5.1999 = 6/31 von 173,75 DM = 33,63 DM
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17.-31.5.1999 Regelsatz Alleinstehender 540,00 DM Kürzung Regelsatz wegen
Sperrzeit - 135,00 DM Miete + 747,00 DM Bedarf 1.152,00 DM abzgl. Arbeitslosenhilfe
4/99 - 978,25 DM abzgl. Restzahlung AlHi 1.-10.5.99 - 322,50 DM monatl. Anspruch
0,00 DM
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Tatsächliche Auszahlung an Hilfeempfänger für Monat 5/99: 308,75 DM
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Anspruch 1.-31.5.1999: 99,60 DM + 33,63 DM = 133,23 DM
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Überzahlung: 175,52 DM
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Die Neuberechnung für Juni 1999 ergab hingegen einen Nachzahlungsanspruch des
Klägers, den der Beklagte mit der Überzahlung des Vormonats verrechnete.
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Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 23. Juni 1999 Widerspruch ein, mit dem er
sich gegen die Berechnung seines Sozialhilfeanspruchs für Mai und Juni 1999 wandte.
Die seinem Konto am 29. April 1999 gutgeschriebene Arbeitslosenhilfe in Höhe von
978,25 DM habe nicht auf seinen Hilfeanspruch im Mai 1999 angerechnet werden
dürfen.
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Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 11. November
1999, zugestellt am 17. November 1999, als unbegründet zurück. Zur Begründung führte
er aus, dass Einkommen, das Ende des einen Monats zufließe und damit für die
Bedarfsdeckung des Folgemonats tatsächlich zur Verfügung stehe, bei der
Hilfeberechnung des Folgemonats anzurechnen sei. Auch sei die Verrechnung des
Hilfeanspruchs für Juni 1999 mit der Überzahlung von Mai 1999 rechtmäßig, da noch
nicht abschließend über die Hilfeleistungen dieser Monate entschieden worden sei.
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Der Kläger hat am 6. Dezember 1999 Klage erhoben.
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Er beantragt,
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den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 15. Juni 1999 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 11. November 1999 zu verpflichten, bei der Berechnung
der Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat Mai 1999 die im April 1999 ausgezahlte
Arbeitslosenhilfe von 978,25 DM außer Acht zu lassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung nimmt er auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides
Bezug.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Die teilweise Ablehnung der Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt durch die
angefochtenen Bescheide vom 15. Juni 1999 und 11. November 1999 ist insoweit
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als sie auf der Anrechnung der
Ende April 1999 gezahlten Arbeitslosenhilfe beruht (§ 113 Abs. 5
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die
seinem Konto am 29. April 1999 gutgeschriebene Zahlung von Arbeitslosenhilfe in
Höhe von 978,25 DM bei der Berechnung seines Sozialhilfeanspruchs für den Monat
Mai 1999 nicht angerechnet wird.
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Die Ende April gezahlte Arbeitslosenhilfe ist kein einzusetzendes Einkommen des
Klägers im Bedarfszeitraum Mai 1999, sondern Einkommen des Vormonats April, das
für Mai 1999 - soweit noch vorhanden - als Vermögen unterhalb der Schwelle des
verwertbaren Vermögens nicht angerechnet werden kann.
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Einkommen und Vermögen grenzen sich dadurch voneinander ab, dass Einkommen
alles das ist, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhält, und Vermögen das,
was er in der Bedarfszeit bereits hat. Mittel, die der Hilfesuchende (erst) in der
Bedarfszeit erhält, sind als Zufluss in der Bedarfszeit Einkommen. Mittel, die der
Hilfesuchende früher, wenn auch erst in der vorangegangenen Bedarfszeit, als
Einkommen erhalten hat, sind, soweit sie in der nun aktuellen Bedarfszeit (noch,
gegebenenfalls auch wieder) vorhanden sind, Vermögen. Dabei ist Bedarfszeit die Zeit,
in der der Bedarf besteht und (grundsätzlich rechtzeitig) zu decken ist. Zur Frage, wann
etwas zufließt, ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen. Damit wird nicht
unzulässig an einen mehr oder weniger zufälligen Zeitpunkt angeknüpft, sondern einer
aktuellen Notlage ein aktuelles Einkommen gegenüberge- stellt.
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Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 1999 - 5 C 35/97 -, FEVS 51, 1.
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Diese sog. Zuflusstheorie ist auch auf laufende monatliche Leistungen anzuwenden,
die, wie hier die Arbeitslosenhilfe, typischerweise Ende eines Monats eingehen und im
Folgemonat zur Bedarfsdeckung tatsächlich zur Verfügung stehen. Bisher hat sich das
Bundesverwaltungsgericht nur in Fällen einmaliger Leistungen zur Maßgeblichkeit des
tatsächlichen Zuflusszeitpunktes geäußert.
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Vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 1999 - 5 C 35/97 -, FEVS
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51, 1 (Steuererstattung); Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 1999 -
5 C 14/98 -, FEVS 51, 51 (Schadenser-satzleistung); Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 1999 - 5 C 16/98 -, Buchholz 436.0 § 76
BSHG Nr. 30 (Auszahlung eines geerbten Unterhaltsanspruchs); Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2001 - 5 C 4/00 -, Buchholz 436.0 § 76
BSHG Nr. 32 (Ab- schlagszahlung).
Bei laufend zufließenden Leistungen ist letztlich keine andere Bewertung angezeigt. Es
ist zwar denkbar, dass sich Handhabungsprobleme für den Sozialhilfeträger daraus
ergeben können, dass das noch vorhandene Einkommen des Vormonats nach der
Zuflusstheorie im Folgemonat als Vermögen im Sinne von § 88 Abs. 1 BSHG zu werten
ist und damit gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 8, Abs. 4 BSHG in Verbindung mit der Verordnung
zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG vom 11. Februar 1988 in der Fassung
vom 23. Juli 1996 der Schongrenze von 2.500,- DM unterliegt. Damit könnte ggf. zu
Beginn des Folgemonats ein neuer Hilfeanspruch entstehen, obwohl in der Rückschau
dieses Monats im Hinblick auf eine wiederum zufließende laufende Leistung eine
Überzahlung an Sozialhilfe vorliegt. Dieser Situation eines in näherer Zukunft sicher zu
erwartenden Zuflusses von Einkünften beim Hilfesuchenden könnte nach § 15 b BSHG
jedoch dadurch ausreichend Rechnung getragen werden, dass nur eine
darlehensweise Hilfegewährung erfolgt.
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Maßgeblicher Bedarfszeitraum, für den der tatsächliche Zufluss zu bestimmen ist, ist
hier der Kalendermonat Mai 1999. Zwar wird in einem Gutachten des Deutschen
Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge die Ansicht vertreten, es könne bei der
Bestimmung des Bedarfszeitraums auf den jeweiligen Kalendermonat oder auf den
Zeitmonat nach Eingang des Einkommens abgestellt werden. Wie der Bedarfszeitraum
zu bestimmen sei, hänge vom Fall und von der Regelungspraxis des
Sozialleistungsträgers ab.
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Vgl. Gutachten des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge vom 30.
Oktober 2000, NDV 2001, S. 128.
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Der Beklagte berechnet die Hilfe zum Lebensunterhalt aber in ständiger Praxis
grundsätzlich nach Kalendermonaten und ist auch hier so verfahren, wie insbesondere
seine auf die jeweiligen Kalendermonate bezogenen Berechnungen und Bescheide
zeigen. Dass der Beklagte die Berechnung nach Kalendermonaten möglicherweise nur
aus EDV-technischen Gründen vornimmt, ist ohne Belang. Jedenfalls legt er durch
seine Verwaltungspraxis gegenüber den Hilfeempfängern fest, dass eine Hilfeleistung
nach Kalendermonaten erfolgt. Ist danach der Kalendermonat als Bedarfszeitraum
maßgeblich, kommt es für die Frage der Einkommensanrechnung allein darauf an, ob
der Zufluss in diesem Monat erfolgt, nicht darauf, ob dem Hilfeempfänger in diesem
Zeitraum die fraglichen Mittel "zur Verfügung stehen".
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Die dem Kläger am 29. April 1999 gutgeschriebene Arbeitslosenhilfe von 978,25 DM ist
bei der Berechnung seines Hilfeanspruchs für den Monat Mai 1999 auch dann nicht als
Vermögen im Sinne der §§ 11 Abs. 1 Satz 1, 88 Abs. 1 BSHG anzurechnen, wenn sie
dem Kläger im Monat Mai noch tatsächlich zur Verfügung stand, da der Betrag unter der
Schongrenze des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG von 2.500,00 DM liegt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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