Urteil des VG Köln vom 11.09.2008

VG Köln: aufschiebende wirkung, wand, grundstück, gebäude, anbau, öffentlich, gerichtsakte, bauarbeiten, ausführung, grundriss

Verwaltungsgericht Köln, 2 L 1273/08
Datum:
11.09.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 1273/08
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung der am 04.06.2008 erhobenen Klage 2 K
3790/08 gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des
Antragsgegners vom 15.05.2008 - Az.: 00/000/0000/0000 - wird
angeordnet.
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die Bauarbeiten zur Ausführung
des Vorhabens nach der vorbezeichneten Baugenehmigung auf dem
Grundstück Gemarkung N. , Flur 00, Flurstück 0000/0, L.-------straße 00
in Köln, insoweit stillzulegen, als der Grundriss des vorhandenen
Gebäudes durch einen Anbau in östliche Richtung erweitert werden soll.
Im Übrigen wird der Antrag auf Stilllegung der Bauarbeiten abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 1/10 und der
Antragsgegner zu 9/10 mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen, die diese selbst tragen.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
1. 2. 3. 4.
Gründe
1
Die sinngemäßen Anträge,
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die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage vom 04.06.2008 (2 K 3790/08)
gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners vom
15.05.2008 (Az.: 00/000/0000/0000) anzuordnen,
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dem Antragsgegner aufzugeben, die Baustelle auf dem Grundstück L.-- -----straße 00 in
Köln-N. , Flur 00, Flurstück 0000/0, stillzulegen,
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sind nach § 80 a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und haben in
dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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Das Gericht ordnet die nach § 212 a Abs. 1 BauGB entfallende aufschiebende Wirkung
einer Nachbarklage an, wenn das Interesse des Nachbarn, einstweilen zu verhindern,
dass von der dem Bauherrn erteilten Baugenehmigung Gebrauch gemacht wird, das
Interesse des Bauherrn, die Baugenehmigung sofort ausnutzen zu können, überwiegt.
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Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich in Bezug auf öffentlich-rechtliche
Nachbarrechte konkrete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ergeben
und die aufschiebende Wirkung der Klage verhindert, dass durch Schaffung vollendeter
Tatsachen die Durchsetzung eines nachbarlichen Abwehrrechts erheblich erschwert
würde oder bei Ausführung der genehmigten Bauarbeiten auch die Duldung des
vorübergehenden Zustandes für den Nachbarn unzumutbar wäre.
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Voraussetzung eines Abwehrrechts des Nachbarn gegen das Vorhaben des Bauherrn
ist, dass das Vorhaben in einer nicht durch Dispens ausräumbaren Weise gegen
öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen
bestimmt sind, und - sofern sich dies aus der nachbarschützenden Vorschrift ergibt -
dass der Nachbar durch das Vorhaben tatsächlich spürbar beeinträchtigt wird. Ob das
Vorhaben objektiv, d.h. hinsichtlich der Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind,
rechtmäßig ist, kann im Nachbarverfahren regelmäßig nicht berücksichtigt werden.
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In Anwendung dieser Grundsätze fällt die im Verfahren nach § 80 a Abs. 3 VwGO
vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus. Nach der hier
allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung spricht einiges dafür, dass die
den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung gegen öffentlich- rechtliche Nachbarrechte
des Antragstellers verstößt.
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Ein Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Nachbarrechte ergibt sich jedoch nicht bereits
aus der unmittelbar an das Gebäude des Antragstellers angrenzend geplanten und
genehmigten Aufstockung auf dem vorhandenen Anbau. Dem Antragsteller ist zwar
zuzugeben, dass die zu der erteilten Baugenehmigung gehörenden Bauvorlagen im
Hinblick auf die Grenzsituation Ungenauigkeiten aufweisen. Das vom Antragsteller als
„rote Wand" bezeichnete und in der als Anlage K 5 (Bl. 22 der Gerichtsakte)
eingereichten amtlichen Grenzanzeige so dargestellte Bauteil zwischen den auf der
östlichen Seite der Gebäude des Antragstellers und der Beigeladenen errichteten
Anbaus ist im Grundriss des Dachgeschosses (= 2. Obergeschoss) (Bl. 2.22 der Beiakte
Heft 1) nicht eingezeichnet. Außerdem wird die genehmigte Wand zum Grundstück des
Antragstellers dort als Bestand dargestellt, während der Architekt der Beigeladenen mit
dem von den Beigeladenen als Anlage 2 eingereichten Schreiben vom 26.08.2008 (Bl.
70 der Gerichtsakte) erklärt hat, dass in diesem Bereich eine neue Wand errichtet
werden soll. Diese Angabe stimmt überein mit den als Anlage 3 (Bl. 71 der Gerichtsakte)
und als Anlage K 18 (Bl. 43 der Gerichtsakte) eingereichten Ausführungszeichnungen.
Aber auch diese Ausführungszeichnungen geben den Grenzverlauf bezogen auf die
„rote Wand" nicht zutreffend wieder. Denn anders als dort dargestellt verläuft die „rote
Wand" nicht entlang der gemeinsamen Grenze der Grundstücke, sondern liegt
ausweislich der amtlichen Grenzanzeige jenseits der gemeinsamen Grenze
ausschließlich auf dem Grundstück des Antragstellers.
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Dieser Umstand begründet aber keine in dem vorliegenden Verfahren beachtliche
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Nachbarrechtsverletzung. Die erteilte Baugenehmigung greift nämlich nicht in das
private Eigentum des Antragstellers ein, da die Baugenehmigung nach § 75 Abs. 3 S. 1
BauO NRW unbeschadet der privaten Rechte Dritter ergeht. Prüfungsgegenstand ist
daher allein die erteilte Baugenehmigung, nicht aber die Ausführung der baulichen
Anlage mit allen daraus sich möglicherweise ergebenden Folgen im
Nachbarschaftsverhältnis. Wenn aber die Baugenehmigung hinsichtlich der
Eigentumsrechte des Antragstellers nichts regelt, so kann sie insoweit auch dessen
Rechte nicht verletzen. Allein daraus, dass die Verfassung das Eigentum gewährleistet
(Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG), folgt nicht, eine Baugenehmigung müsse sich auf alle - auch
privatrechtlichen - Aspekte der Rechtmäßigkeit des genehmigten Vorhabens,
insbesondere im Nachbarschaftsverhältnis, erstrecken und müsse auf die Klage des
Inhabers eines insoweit nicht beachteten Rechts aufgehoben werden.
BVerwG, Beschl. v. 10.11.1998 - 4 B 107/98 -, juris.
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Dessen ungeachtet ist aber insoweit keine Verletzung der privaten Nachbarrechte des
Antragstellers ersichtlich. Ausweislich der amtlichen Grenzanzeige handelt es sich bei
der auf der Grenze der Grundstücke des Antragstellers und der Beigeladenen zwischen
den beiden Gebäuden errichteten Giebelwand um eine Nachbarwand im Sinne des § 7
NachbG NRW. Aus der Darstellung ergibt sich weiter, dass die „rote Wand" sich zwar
ausschließlich auf dem Grundstück des Antragstellers befindet, aber teilweise auf der
Nachbarwand ruht und insoweit eine Erhöhung derselben darstellt. Genauso wie es
aber dem Antragsteller freisteht, die Nachbarwand zu erhöhen, steht dieses Recht auch
den Beigeladenen unter den in § 15 NachbG NRW genannten Voraussetzungen zu.
Auch sie dürfen die Nachbarwand - und zwar grundsätzlich in voller Breite, d.h. auch
soweit sich die Nachbarwand auf dem Grundstück des Antragstellers befindet - auf ihre
Kosten nach den allgemein anerkannten Regeln der Baukunst erhöhen.
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Die Baugenehmigung verstößt jedoch gegen § 6 BauO NRW. Sie hält die erforderliche
Tiefe der Abstandfläche zum Grundstück des Antragstellers nicht ein. Die
Unterschreitung der vorgeschriebenen Maße für die notwendige Abstandfläche löst
regelmäßig einen Abwehranspruch des Nachbarn aus.
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OVG NRW, Urt. v. 14.01.1994 - 7 A 2002/92 -, BRS 56 Nr. 196.
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Nach § 6 Abs. 1 S. 1 BauO NRW sind vor den Außenwänden von Gebäuden
Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Die Tiefe der Abstandfläche
bemisst sich nach der gemäß § 6 Abs. 4 BauO NRW zu ermittelnden Wandhöhe. Das
Maß für die Wandhöhe ist H. Die Tiefe der Abstandfläche beträgt nach § 6 Abs. 5 S. 1
BauO NRW grundsätzlich 0,8 H. Nach § 6 Abs. 6 S. 1 BauO NRW genügt jedoch auf
einer Länge der Außenwände und von Teilen der Außenwände von nicht mehr als 16 m
gegenüber jeder Grundstücksgrenze als Tiefe der Abstandfläche 0,4 H (sogenanntes
16-m-Privileg).
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Der in Erweiterung des Gebäudegrundrisses in östliche Richtung geplante und
genehmigte Anbau der Beigeladenen hält gegenüber dem Grundstück des
Antragstellers die danach erforderliche Tiefe der Abstandfläche nicht ein. Ausgehend
von der in der vorgelegten Abstandflächenberechnung (Bl. 74 der Gerichtsakte)
angegebenen Wandhöhe von 8 m (58,07 m ü. NN - 50,07 m ü. NN) beträgt die Tiefe der
Abstandfläche 0,8 x 8 m = 6,40 m. Mit der den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung
wurde ausweislich des Grundrisses auf Bl. 2.21 der Beiakte Heft 1 dagegen eine Tiefe
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von lediglich 4,35 m zugelassen.
Das 16-m-Privileg, wonach als Tiefe der Abstandfläche 0,4 H genügt, ist vorliegend
nicht einschlägig, da die Länge „der Außenwände und von Teilen der Außenwände"
gegenüber dem Grundstück des Antragstellers 16 m überschreitet. Aus dem Grundriss
des Erdgeschosses auf Bl. 2.21 Beiakte Heft 1 lässt sich entnehmen, dass die
gemeinsame Giebelwand bereits eine Länge von 13,00 m hat und der mit Grenzabstand
geplante Anbau 4,50 m lang werden soll, so dass sich dann eine Gesamtlänge von
17,50 m ergibt. Dabei kann dahinstehen, ob es sich hierbei nach Maßgabe einer
„natürlichen Betrachtungsweise",
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siehe hierzu OVG NRW, Urt. v. 17.08.2001 - 7 A 2286/00 -, juris,
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um eine (einheitliche) Außenwand oder um Teile der Außenwand handelt, denn
jedenfalls ist auch die gemeinsame Giebelwand als „Außenwand" im Rahmen des § 6
Abs. 6 S. 1 BauO NRW zu berücksichtigen.
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Die Kammer verkennt dabei nicht, dass aufgrund der Neufassung des § 6 Abs. 6 S. 1
BauO NRW auch die Meinung vertreten wird, dass das 16-m-Privileg bei
Doppelhäusern und Hausgruppen (vollständig) vor den Außenwänden von rückwärtigen
Anbauten und Seitenflügeln in Anspruch genommen werden kann, die Länge der
aneinandergebauten Wand also nicht als „Außenwand" auf die 16 m angerechnet
werden soll.
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So Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW - Kommentar (Stand: 01.08.2007), § 6 Rn.
262 (Abb. 6.6.15); Ministerium für Bauen und Verkehr NRW, Hinweise zu §§ 6 und 73
BauO NRW (Stand: 19.03.2007), Anhang, Abb. 6.8b.
22
Im Hinblick auf den Umfang der nach dieser Auffassung privilegierten rückwärtigen
Anbauten und die damit verbundenen Beeinträchtigungen der von den
Abstandflächenvorschriften geschützten Belange, weisen Boeddinghaus/Hahn/ Schulte
gleichzeitig jedoch (zu Recht) darauf hin, dass sich die Ausnutzung der Vergünstigung
des § 6 Abs. 6 S. 1 BauO NRW im Einzelfall als rücksichtslos und ein entsprechendes
Vorhaben als unzulässig erweisen kann.
23
Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 6 Rn. 264.
24
Die Kammer sieht jedoch keine Notwendigkeit, der Ausnutzung des 16-m- Privilegs im
Einzelfall unter Hinweis auf das Gebot der Rücksichtnahme entgegenzutreten. Denn
dem Gesetzeswortlaut lassen sich nach Überzeugung der Kammer keine Anhaltspunkte
für die von Boeddinghaus/Hahn/Schulte vorgenommene Auslegung des § 6 Abs. 6 S. 1
BauO NRW entnehmen, wonach eine Wand, an die angebaut wurde, keine im Rahmen
des § 6 Abs. 1 S. 1 BauO NRW zu berücksichtigende „Außenwand" sein soll.
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Im Gesetz ist lediglich von „Außenwänden oder von Teilen der Außenwände" die Rede.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit dieser
Formulierung die voraussehbaren Folgen der von Boeddinghaus/Hahn/Schulte
vertretenen Auffassung beabsichtigt oder überhaupt gesehen hat.
26
So auch Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 6 Rn. 263.
27
Der Gesetzgeber hat die von Boeddinghaus/Hahn/Schulte vorgenommene Auslegung
aber auch nicht gewollt, was sich nach Auffassung der Kammer zwanglos aus dem
Gesetz ergibt. Bei der Auslegung des Begriffs „Außenwand" ist insoweit zunächst von
dem natürlichen Sprachgebrauch auszugehen, wonach unter einer Außenwand - in
Abgrenzung zur Innenwand - diejenige Wand eines Gebäudes verstanden wird, die den
Außenraum vom Innenraum trennt.
28
Vgl. Artikel Außenwand, in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie (abgerufen am
11.09.2008).
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Unerheblich ist dabei die Lage etwaiger Gebäude auf dem jeweiligen
Nachbargrundstück. Eine Außenwand bleibt daher auch dann Außenwand eines
Gebäudes und wird nicht etwa zur Innenwand, wenn und soweit andere Gebäude
angebaut werden.
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Vgl. zur Gebäudeabschlusswand Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 31 Rn. 1.
31
Hieraus folgt, dass es nicht darauf ankommt, ob die betreffende Wand auch „von außen
sichtbar" ist.
32
So möglicherweise Heintz, in: Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW -
Kommentar, 11. Aufl. 2008, § 6 Rn. 73.
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Ein solches Kriterium lässt sich der Bauordnung für das Land Nordrhein- Westfalen
nicht entnehmen, wie etwa § 6 Abs. 6 S. 2 BauO NRW a.F. zeigt: Danach galt das
frühere Schmalseitenprivileg nur noch für eine Außenwand, wenn ein Gebäude mit
einer Außenwand an ein anderes Gebäude oder an eine Nachbargrenze gebaut wurde.
Der Anbau eines Gebäudes an ein anderes Gebäude führte also nach der Vorstellung
des Gesetzgebers nicht etwa dazu, die Außenwand werde nunmehr zur Innenwand.
Vielmehr hatte der Anbau zur Folge, dass das Schmalseitenprivileg für eine
Außenwand - nämlich für die, die an ein anderes Gebäude angebaut wurde - verbraucht
war und das Privileg daher nur noch vor einer anderen Außenwand in Anspruch
genommen werden konnte (vgl. § 6 Abs. 6 S. 1 BauO NRW a.F.).
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Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber den Begriff der „Außenwand" in § 6 Abs. 6
S. 2 BauO NRW n.F. nunmehr in anderer Weise als nach der früheren Gesetzesfassung
verstanden wissen möchte.
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Vgl. auch Heintz, in: Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, a.a.O., § 6 Rn. 249.
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Setzt man entgegen der hier vertretenen Auffassung voraus, dass eine Außenwand
notwendigerweise „von außen sichtbar" sein muss, so führt dies im Übrigen zu
merkwürdigen Wertungen: Ist bei zwei auf der Grenze aneinandergebauten Gebäuden
die Wand des einen Gebäudes höher als die auf dem Nachbargrundstück angebaute
Wand, so wäre der die Nachbarwand der Höhe nach übersteigende Teil der Wand
„Außenwand", während der darunter liegende Teil derselben Wand bis zur Höhe des
Anbaus eine im Rahmen des § 6 Abs. 6 S. 1 BauO NRW unbeachtliche „Innenwand"
darstellen würde.
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Dass die gemeinsame Wand aufgrund der gegenseitig gegebenen Anbausicherung
gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 b) BauO NRW ihrerseits keine Abstandflächen auslöst, steht der
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Berücksichtigung dieser Wand im Rahmen des § 6 Abs. 6 S. 1 BauO NRW nach
Überzeugung der Kammer nicht entgegen. Denn auch wenn in diesem Fall ohne
Grenzabstand gebaut werden darf, ist hiermit grundsätzlich eine Beeinträchtigung der
von den Abstandflächenvorschriften geschützten Belange, Belichtung, Brandschutz und
Wahrung des nachbarlichen Wohnfriedens, verbunden. Diese nach der
gesetzgeberischen Wertung (ausnahmsweise) nach § 6 Abs. 1 S. 2 b) BauO NRW
zulässige Beeinträchtigung würde durch die Zulassung eines abstandflächenrechtlich
nach § 6 Abs. 6 S. 1 BauO NRW privilegierten rückwärtigen Anbaus mit einer
zusätzlichen Gesamtlänge von 16 m wesentlich verschärft. Es erscheint daher mit Blick
auf die Schutzziele des Abstandflächenrechts nicht sachgerecht, die bereits bestehende
Beeinträchtigung durch die gemeinsame Wand an der Grenze völlig auszublenden.
Der hier vertretenen Auffassung lässt sich auch nicht das von den Beigeladenen
gebildete Beispiel entgegenhalten, wonach bei einer bereits bestehenden 17 m langen
Wand an der Grenze nur in einer Länge von 16 m angebaut werden dürfte, ohne dass
ein Interesse des Nachbarn an dieser „Aussparung" erkennbar sei. Die Beigeladenen
übersehen, dass in diesem Fall - vorausgesetzt, dass planungsrechtlich an die Grenze
gebaut werden darf - aufgrund der vorhandenen Anbausicherung mindestens in gleicher
Länge angebaut werden darf, ohne dass Abstandflächen erforderlich sind (siehe § 6
Abs. 1 S. 2 b) BauO NRW). In diesem Beispiel kommt es also gar nicht zur Anwendung
des 16-m-Privilegs. Anderseits wäre ein Bauherr jedoch - ausgehend von der
Rechtsauffassung der Beigeladenen - dann sogar berechtigt, nicht nur in einer Länge
von 17 m anzubauen, sondern zusätzlich unter Anwendung von nur 0,4 H (statt 0,8 H)
auch noch eine weitere 16 m lange Wand zu errichten.
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Lässt sich nach alledem zwar nicht sagen, dass die erteilte Baugenehmigung
„offensichtlich" gegen öffentlich-rechtliche Nachbarrechte des Antragstellers verstößt, so
fällt die hier vorzunehmende Interessenabwägung gleichwohl zugunsten des
Antragstellers aus. Denn durch die Fortsetzung der Bauarbeiten droht die Schaffung
vollendeter Tatsachen, die die Durchsetzung der Nachbarrechte des Antragstellers
erheblich erschweren würde.
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Vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 03.06.1991 - 8 S 1170/91 -, juris.
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Zur Sicherung der nachbarlichen Abwehrrechte hat die Kammer dem Antragsgegner
aufgegeben, das Bauvorhaben insoweit stillzulegen, als nach dem oben Gesagten
öffentlich-rechtliche Nachbarrechte des Antragtragstellers verletzt werden. Von der
Stilllegung nicht betroffen ist daher die unmittelbar an das Gebäude des Antragstellers
angrenzend geplante Aufstockung auf dem dort vorhandenen Anbau sowie die
innerhalb des bestehenden Gebäudes beabsichtigten baulichen Veränderungen. Die
Kammer geht insoweit davon aus, dass das Bauvorhaben objektiv und aufgrund der im
Schriftsatz vom 07.09.2008 geäußerten Bitte der Beigeladenen auch subjektiv teilbar ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 S. 1 und 154 Abs. 3, 162 Abs. 3
VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da
die Beigeladenen keinen Antrag gestellt haben und sich somit selbst keinem
Kostenrisiko ausgesetzt haben.
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Der Streitwert wurde nach §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG festgesetzt.
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