Urteil des VG Kassel vom 28.01.2010

VG Kassel: schule, stadt, schulbehörde, hessen, physik, abgabe, einigungsverfahren, wechsel, schüler, rückversetzung

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Gericht:
VG Kassel 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 L 60/10.KS
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15 Abs 1 BeamtStG, § 45
BeamtStG
(Bundeslandsübergreifende Versetzung von Lehrern)
Leitsatz
- Bei einer "schulscharfen" Bewerbung in ein anderes Bundesland darf die
Freigabeerklärung nur aus schulspezifischen Gründen versagt werden.
- Das Verfahren, für die Teilnahme am länderübergreifenden Tauschverfahren eine
Freigabeerklärung zu verlangen, stellt eine fehlerhafte Ausübung des in § 15 BeamtStG
eingeräumten Ermessens dar.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die für
die Bewerbung der Antragstellerin an der X-Y-Schule in C-Stadt erforderliche
Freigabeerklärung zu erteilen. Er wird ferner verpflichtet, den Antrag der
Antragstellerin vom 14.09.2009 und die Stellungnahme zur Freigabe (Bl. 17 des
Versetzungsvorganges) entsprechend der „Hinweise für die Schulbehörden zur
Bearbeitung der Anträge“ in Anlage 2 zum Beschluss der Kultusministerkonferenz
vom 07.11.2002 zu behandeln.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.
Gründe
Der am 15.01.2010 gestellte Antrag,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den
Antrag der Antragstellerin auf Versetzung an eine Schule in Baden-Württemberg
zum 01.08.2010 unverzüglich an die zuständige Landesschulbehörde
weiterzuleiten und die Freigabe zu erklären,
ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige
Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Regelung eines
vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nötig erscheint,
um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende zu Gewalt zu verhindern.
Der Grund für die vorläufige Maßnahme und der Anspruch, dessen Erhaltung durch
die einstweilige Anordnung gesichert werden soll, sind vom Antragsteller glaubhaft
zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der geltend gemachte Anspruch scheitert nicht bereits am sogenannten Verbot
der Vorwegnahme der Hauptsache. Die erstrebte Freigabeerklärung könnte als
bloße behördliche Willenserklärung wieder rückgängig gemacht werden, wenn im
Hauptsacheverfahren die Antragstellerin unterläge. Auch eine etwa im Zeitpunkt
der Hauptsacheentscheidung bereits erfolgte Versetzung in ein anderes
Bundesland könnte durch Rückversetzung revidiert werden.
Vorliegend hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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Vorliegend hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Sie hat gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Abgabe einer
Freistellungserklärung für ihre „schulscharfe“ Bewerbung an die X-Y-Schule in C-
Stadt und auf Teilnahme am Übernahmeverfahren von im Schuldienst stehenden
Lehrkräften im Einigungsverfahren zwischen den Ländern (Tauschverfahren).
Die Ansprüche der Antragstellerin ergeben sich zwar nicht direkt aus den
Beschlüssen der Kultusministerkonferenz vom 10.05.2001 (Übernahme von
Lehrkräften aus anderen Ländern) und vom 07.11.2002 (Verfahrensabsprache zur
Durchführung der Vereinbarung der Kultusministerkonferenz „Übernahme von
Lehrkräften aus anderen Ländern“ vom 10.05.2001). Diese stellen lediglich
Absprachen und Absichtserklärungen der teilnehmenden Bundesländer dar und
haben nicht etwa Gesetzescharakter.
Die Antragstellerin hat aber einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung
ihres Versetzungsantrags. Nach § 15 Absatz 1 BeamtStG können Beamtinnen und
Beamte auf Antrag in den Dienstbereich eines anderen Dienstherrn eines anderen
Landes oder des Bundes versetzt werden. Nach Absatz 3 der Norm wird die
Versetzung von dem abgebenden Dienstherrn im Einvernehmen mit dem
aufnehmenden Dienstherrn verfügt. Hinsichtlich der „schulscharfen“ Bewerbung
der Antragstellerin ist das Ermessen des Antragsgegners auf die Erteilung der
Freigabe als einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung reduziert. Hinsichtlich der
begehrten Teilnahme am länderübergreifenden Tauschverfahren ist der
Antragsgegner verpflichtet, den Versetzungsantrag an die zuständigen Behörden
in Baden-Württemberg weiterzuleiten.
Bei der Ausübung dieses Ermessens und der Herstellung des Einvernehmens hat
der Dienstherr die Fürsorge- und Schutzverpflichtung aus § 45 BeamtStG zu
beachten, wonach der Dienstherr im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses
für das Wohl der Beamtinnen und Beamten und ihrer Familien, auch für die Zeit
nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, zu sorgen hat. Die Kultusminister
der Länder haben daher zur Verfahrenserleichterung - aber auch in Wahrnehmung
ihrer Fürsorgepflicht - mit den vorgenannten Beschlüssen der
Kultusministerkonferenz ein einheitliches und geordnetes Verfahren entwickelt,
das die Übernahme einer bereits im Schuldienst eines Landes beschäftigten
Lehrkraft in ein anderes Land regelt. In Wahrnehmung dieser Fürsorgeverpflichtung
stellen sowohl das Verfahren nach Punkt 1. (Übernahme im Schuldienst stehender
Lehrkräfte über das Bewerbungs- und Auswahlverfahren, sog. schulscharfe
Bewerbungen) als auch das Verfahren nach Punkt 2. (Übernahme von im
Schuldienst stehenden Lehrkräften im Einigungsverfahren zwischen den Ländern,
Tauschverfahren) des Beschlusses vom 10.05.2001 soziale Gründe wie die
Familienzusammenführung in den - so wörtlich - „Mittelpunkt der Bemühungen“.
Da der Antragsgegner in den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz sich einem
gesonderten Verfahren für die länderübergreifende Versetzung unterworfen hat,
dieses auch praktiziert und die Richtlinien für seine Ermessensausübung
niedergelegt hat, muss er aus Gründen der Gleichbehandlung auch die
Antragstellerin am Verfahren teilnehmen lassen, wenn sie die Voraussetzungen
hierfür erfüllt, und sie auch wie in den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz
vorgesehen behandeln.
Gemessen an den Vorgaben der Beschlüsse der Kultusministerkonferenz hat der
Antragsgegner der Antragstellerin zu Unrecht eine Freigabeerklärung für ihre
„schulscharfe“ Bewerbung an die X-Y-Schule in C-Stadt versagt und damit sein
ihm in § 15 BeamtStG eingeräumtes Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Nach dem
Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10.05.2001 können Lehrkräfte, die
bereits im Schuldienst eines Landes beschäftigt sind und das Land wechseln
wollen, unter Beachtung des Anspruchs der Schülerinnen und Schüler auf
Unterrichtskontinuität von einem in ein anderes Land entweder über das
Bewerbungs- und Auswahlverfahren (geregelt unter 1.) oder durch das zwischen
den Ländern praktizierte Tauschverfahren (geregelt unter 2.) wechseln.
Der Wechselwunsch der Antragstellerin an die X-Y-Schule in C-Stadt ist demnach
an den unter 1. geregelten Vorgaben zu messen. Die Versagung der
Freigabeerklärung unter Hinweis auf die Mangelsituation im Fach Physik im
Schulamtsbezirk und darüber hinaus ist ermessensfehlerhaft, da es sich um eine
sachfremde Erwägung handelt. Die Freigabeerklärung darf nach dem Beschluss
der Kultusministerkonferenz ausschließlich aus schulspezifischen Gründen versagt
werden. Nach dem zweiten Absatz des Beschlusses vom 10.05.2001 ist beim
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werden. Nach dem zweiten Absatz des Beschlusses vom 10.05.2001 ist beim
Wechselwunsch der Anspruch der Schülerinnen und Schüler auf
Unterrichtskontinuität zu beachten. Nach Punkt 1.2. verpflichten sich die Länder,
Freigabeerklärungen so großzügig wie möglich unter Beachtung dienstlicher
Interessen zu erteilen; sie kommen überein, eine Freigabeerklärung in der Regel
nicht später als zwei Jahre nach Erstantragstellung auf Freigabe zu erteilen (z.B.
beim Einsatz in abiturvorbereitenden Kursen oder bei schulspezifischen
Mangelsituationen). Nach der Systematik des Beschlusses vom 10.05.2001 ist bei
beiden Wechselmöglichkeiten der Anspruch auf Unterrichtskontinuität zu
beachten, ein ausschließlich schulspezifischer Belang, da der Wegfall einer
Lehrkraft sich notwendigerweise nur an der Schule auswirkt, an der die Lehrkraft
eingesetzt ist. Dementsprechend führt Punkt 1.2 auch ausschließlich
schulspezifische Gründe auf, die einer Freigabeerklärung entgegengehalten
werden können. Da nach Punkt 1.1 auch die Dienststelle (das ist die Schule) zur
Abgabe der Freigabeerklärung berufen ist, können die dienstlichen Interessen, die
nach 1.2 einer Freigabe entgegenstehen können auch nur schulspezifische sein,
denn die Schulleitung ist nicht in der Lage und auch nicht berufen, die dienstlichen
Belange im gesamten Schulamtsbezirk oder gar im gesamten Land zu beurteilen.
Zwar ist in der Verfahrensabsprache vom 07.11.2002 geregelt, dass sie
Freigabeerklärungen von der Schulbehörde zu erteilen sind, hierin ist allerdings
lediglich eine verfahrensmäßige Änderung gegenüber dem Vorgängerbeschluss zu
sehen; die inhaltlichen Vorgaben für die zu berücksichtigenden Belange haben
keine Änderung gegenüber dem Vorgängerbeschluss erfahren.
Auch die beispielsweise Aufzählung von schulspezifischen Mangelsituationen (im
Gegensatz zu fachspezifischen Mangelsituationen) unter Punkt 1.2 des
Beschlusses vom 10.05.2001 stützt diese Interpretation des Beschlusses der
Kultusministerkonferenz.
Dass schulspezifische Belange einer Versetzung der Antragstellerin nicht
entgegenstehen ist der Erklärung des Schulleiters der D-E-Schule vom 11.12.2009
zu entnehmen, wonach von schulischer Seite einer Versetzung nichts im Wege
stehe. Diese Einschätzung wird darüber hinaus auch gestützt durch den
handschriftlichen Vermerk eines Mitarbeiters des Schulamtes auf Bl. 33 der
Behördenakte, wonach aufgrund der Erklärung der Schule sowohl die
Antragstellerin als auch ein weiterer Kollege mit der Lehrbefähigung für Physik
umgehend an eine andere Schule versetzt werden sollen. Auch dies spricht für
eine Entbehrlichkeit der Antragstellerin an der D-E-Schule.
Wenn – wie hier – schulspezifische Belange einer Versetzung in ein anderes
Bundesland nicht entgegenstehen, ist die Freigabeerklärung aufgrund der
überragenden Bedeutung, die der Beschluss der Kultusministerkonferenz dem
Aspekt der Familienzusammenführung beimisst, zwingend zu erteilen.
Die Antragstellerin unterfällt zwar nicht dem gesteigerten Schutz, den das
Grundgesetz in Art. 6 der Ehe angedeihen lässt, sie möchte aber die bislang in
Hessen bestehende Lebensgemeinschaft mit ihrem Partner in F-Stadt fortsetzen,
wo dieser sich berufsbedingt aufhält. Dem Antragsgegner ist zwar zuzugestehen,
dass der bei der Antragstellerin bestehende Kinderwunsch bei einem Verbleib in
Hessen nicht vereitelt, sondern lediglich erschwert würde; dies ist aber nicht
entscheidungserheblich, da durch den Beschuss der Kultusministerkonferenz auch
der hessische Kultusminister in dauernder Verwaltungsübung sein im Rahmen der
Lehrerversetzung eingeräumtes Ermessen gebunden hat,
Familienzusammenführungen dann zu ermöglichen, wenn schulspezifische Gründe
nicht entgegenstehen.
Auch die Weigerung der Antragsgegners, den Versetzungsantrag der
Antragstellerin entsprechend der Vorgaben in den genannten Beschlüssen der
Kultusministerkonferenz für das Tauschverfahren zu behandeln, da die
erforderliche Freigabe nicht erteilt werde, ist rechtswidrig. Das derzeit vom
Antragsgegner ausweislich der Ausführungen auf seiner Homepage praktizierte
Verfahren, auch für eine Teilnahme am länderübergreifenden Tauschverfahren
eine Freigabeerklärung zu verlangen, diese bei fächerspezifischer Mangelsituation
nicht zu erteilen und die Lehrkräfte, die ein Mangelfach unterrichten, so vom
länderübergreifenden Tauschverfahren auszuschließen, stellt eine fehlerhafte
Ausübung des in § 15 BeamtStG eingeräumten Ermessens dar.
Weder der Beschluss vom 10.05.2001 noch die Verfahrensabsprache vom
07.11.2002 verlangen für die Teilnahme am länderübergreifenden Tauschverfahren
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07.11.2002 verlangen für die Teilnahme am länderübergreifenden Tauschverfahren
das Vorliegen einer Freigabeerklärung. Beide Beschlüsse sehen lediglich für das
Verfahren nach 1. (Übernahme von Lehrkräften über das Bewerbungs- und
Auswahlverfahren) das Erfordernis einer Freigabeerklärung vor.
Diese unterschiedlichen Voraussetzungen haben den Hintergrund, dass bei
Versetzungen nach Punkt 1. das abgebende Land keinen Ersatz erhält, während
im Verfahren nach Punkt 2. eine andere Lehrkraft aus dem aufnehmenden oder
einem dritten Land in das abgebende Land wechselt. Dementsprechend sehen
auch die in der Anlage 2 zum Beschluss vom 07.11.2002 enthaltenen Hinweise für
Schulbehörden zur Bearbeitung der Anträge lediglich für das aufnehmende Land
eine Prüfung der Übernahmemöglichkeiten z.B. hinsichtlich des fächerspezifischen
Bedarfs vor. Die Schulbehörde des abgebenden Landes nimmt nach Nr. 1 der
Anlage 2 nur kurz Stellung zur Freigabe. Diese Stellungnahme zur Freigabe kann –
wie vorliegend die Stellungnahme des staatlichen Schulamts auf Bl. 17 der
Behördenakte – negativ ausfallen. Nach dem vereinbarten Verfahren sind auch
Versetzungsanträge mit negativer Stellungnahme an die oberste Schulbehörde
des abgebenden Landes weiterzuleiten, die dann eine Ausfertigung des
Versetzungsantrages mit der Stellungnahme zur Freigabe an die zuständige
Schulbehörde des potentiell aufnehmenden Landes übermittelt. Die Einbeziehung
auch derjenigen Versetzungsanträge ins Verfahren, die vom abgebenden Land mit
einer negativen Stellungnahme zur Freigabe versehen sind, ist auch geboten, weil
sonst Lehrkräfte mit einer Lehrbefähigung in einem Mangelfach nicht in die
Auswahl zur Versetzung einbezogen würden, obwohl im gewünschten
Aufnahmeland möglicherweise eine Lehrkraft mit gleicher Lehrbefähigung zum
Wechsel bereit ist. Obwohl in diesem Fall dem abgebenden Land kein Nachteil
durch den Wechsel einer Mangelfachlehrkraft entstünde, müssten die
Mangelfachlehrkräfte beider Länder ihr berechtigtes Interesse an einer
Familienzusammenführung zurückstellen. Dies ist mit der Schutz- und
Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn nicht in Einklang zu bringen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
findet ihre Grundlage in den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG und bringt mangels
anderweitiger Anhaltspunkte für jedes der beiden Begehren den Auffangstreitwert
in Ansatz, der um dem vorläufigen Charakter des Verfahrens Rechnung zu tragen,
auf die Hälfte reduziert wurde.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.