Urteil des VG Kassel vom 28.06.2010

VG Kassel: erzeugnis, lebensmittel, verbraucher, täuschung, etikettierung, import, firma, zustand, verwechslung, widerruf

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Gericht:
VG Kassel 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 L 208/10.KS
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 11 LFGB, § 4 LMKV
Aufmachung und Kennzeichnung eines Erzeugnisses aus
Vorderschinkenfleisch
Leitsatz
Auch der Hersteller eines Fleischerzeugnisses ist befugt, gegen Maßnahmen der
Lebensmittelüberwachung vorzugehen, die gegen einen Wiederverkäufer gerichtet sind.
Die beschreibende Verkehrsbezeichnung eines Fleischerzeugnisses muss in
gleichbleibender Schriftgröße erfolgen, um eine Täuschung der Verbraucher
auszuschließen
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Antragstellerin,
1. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die
Behauptung, die Gegenstand der Betriebsprüfungen vom 16.02.2010 gewesen ist,
das Erzeugnis „Spalla Cotta, Deutsches Erzeugnis aus Vorderschinkenteilen,
gepökelt und gegart, teilweise zerkleinert, mit Stärke, Gewürzlake (Sellerie),
Phosphat“ sei irreführend gekennzeichnet gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB, gegenüber
den von der Antragstellerin belieferten Kunden Lebensmittel-Import Groß- und
Einzelhandel & Gastronomieservice F. AA, und Firma BB-CC, , zu widerrufen,
2. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen,
gegenüber den von der Antragstellerin belieferten Kunden Lebensmittel-Import
Groß- und Einzelhandel & Gastronomieservice F. AA, , , und Firma BB-CC, , die
Behauptung, die Gegenstand der Betriebsprüfungen vom 16.02.2010 gewesen ist,
aufzustellen, das Erzeugnis „Spalla Cotta, Deutsches Erzeugnis aus
Vorderschinkenteilen, gepökelt und gegart, teilweise zerkleinert, mit Stärke,
Gewürzlake (Sellerie), Phosphat“ sei irreführend gekennzeichnet gem. § 11 Abs. 1
Nr. 1 LFGB, und durch Verbote oder in sonstiger Weise darauf hinzuwirken, dass
diese den Vertrieb des streitgegenständlichen Erzeugnisses unterlassen,
hat keinen Erfolg.
Zwar ist der Antrag zulässig, insbesondere die analog § 42 Abs. 2 VwGO
erforderliche Antragsbefugnis gegeben. Es ist möglich, dass die von der
Antragsgegnerin vorgenommenen Realakte in das Recht der Antragstellerin auf
gewerbliche Betätigung aus Art. 12, 14 GG eingreifen. Das Gericht folgt insoweit
dem Hess. VGH, der im Beschluss vom 12.03.1999 – 11 TG 4321/95 – ausgeführt
hat:
Anspruch auf vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz hat die Antragstellerin
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Anspruch auf vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz hat die Antragstellerin
deshalb, weil ein nachträgliches Vorgehen gegen Verkaufsverbote der hier
zugrunde liegenden Art bzw. gegen Maßnahmen gleicher Wirkung ohne
Regelungscharakter im Sinne des § 35 HVwVfG keinen effektiven Rechtsschutz
bieten würde. Wie die beiden hier zugrunde liegenden Fälle zeigen, erfährt die
Antragstellerin von Verkaufsverboten oder Maßnahmen gleicher Wirkung, die
gegenüber ihren Kunden ergehen, typischerweise erst zu einem Zeitpunkt, zu dem
diese Maßnahmen bereits vollzogen sind und der damit verbundene wirtschaftliche
Schaden eingetreten ist. Wenn aufgrund solcher Maßnahmen von der
Antragstellerin vertriebene Produkte aus dem Sortiment der jeweiligen
Einzelhändler genommen und nicht mehr „gelistet“ sind, liegt es nicht mehr allein
in der Hand des Antragsgegners, diesen Zustand rückgängig zu machen, zumal
die jeweiligen Einzelhändler befürchten müssen, sich bei einer Wiederaufnahme
des Vertriebs dieser Waren strafbar zu machen. Deshalb muss die Antragstellerin,
um eine einstweilige Sicherung ihres Anspruchs auf ungehinderte wirtschaftliche
Betätigung zu erreichen, schon im Vorfeld solcher, nicht konkret absehbarer
Maßnahmen gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen können.
Im vorliegenden Fall haben die beiden Wiederverkäuferinnen, die Fa. AA und die Fa.
BB-CC, den Vertrieb des streitgegenständlichen Erzeugnisses freiwillig eingestellt,
nachdem die Antragsgegnerin sie mit ihrer Rechtsansicht, die Etikettierung des
gen. Erzeugnisses verstoße gegen § 11 Abs. 1 LFGB, konfrontiert hatte. Einen
Verwaltungsakt, gegen den die Antragstellerin gem. § 80 Abs. 5 VwGO hätte
vorgehen können, hat die Antragsgegnerin nicht erlassen. Die Auswirkungen des
Verwaltungshandelns bei der Antragstellerin unterscheiden sich indes nicht von
denen eines Verkaufsverbots gem. § 39 Abs. 2 LFGB. Die Antragstellerin hat von
diesen Maßnahmen auch erst nach deren Vollzug erfahren und es liegt nicht allein
in der Hand der Antragsgegnerin, diesen Zustand rückgängig zu machen. In einer
solchen Konstellation kann der Antragstellerin mithin ein im Wege der einstweiligen
Anordnung zu sichernder Anspruch auf Widerruf und Unterlassung aus Art. 12, 14
GG zustehen.
Der Antrag ist aber nicht begründet. Die Antragstellerin hat einen
Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Das Verwaltungshandeln der
Antragsgegnerin ist vielmehr rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin daher
nicht in ihrem Recht auf gewerbliche Betätigung gem. Art. 12, 14 GG.
Bei summarischer Prüfung ist vorliegend ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 S. 1 i. V.
m. S. 2 Nr. 1 LFGB gegeben. Nach diesen Vorschriften ist es unter anderem
verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung gewerbsmäßig in den
Verkehr zu bringen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn bei einem
Lebensmittel zur Täuschung geeignete Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen,
Darstellungen oder sonstige Angaben über Eigenschaften, insbesondere Art,
Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung, Herkunft oder
Art der Herstellung verwendet werden.
Bei der Anwendung des Irreführungsverbots, dessen Voraussetzungen im Lichte
des zugrunde liegenden Gemeinschaftsrechts auszulegen sind (BVerwG, Urteil
vom 23.01.1992 – 3 C 33/89 -, BVerwGE 89, 320), ist maßgeblich darauf
abzustellen, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger
Durchschnittsverbraucher eine Aussage oder Aufmachung wahrscheinlich
auffassen wird, was sich in der Regel ohne ein Sachverständigengutachten und
eine Verbraucherbefragung feststellen lässt (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 30.03.2009 – 13 B 1910/08 – m. w. N.). Eine wichtige Auslegungshilfe bei der
Feststellung der Verkehrsauffassung über ein bestimmtes Lebensmittel stellen die
Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches dar, in denen auf der Grundlage des
§ 15 LFGB Herstellung, Beschaffenheit oder sonstige Merkmale von Lebensmitteln,
die für die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln von Bedeutung sind, beschrieben
werden. Sie haben zwar keine Rechtsnormqualität, begründen aber eine
Vermutungswirkung dafür, was der Verbraucher von einem in den Leitsätzen
beschriebenen Lebensmittel erwartet (OVG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.)
Nach Überzeugung der Kammer ist die beschreibende Verkehrsbezeichnung (§ 4
Abs. 1 Nr. 2 LMKV) auf der Etikettierung des in Rede stehenden Erzeugnisses zur
Täuschung der Verbraucher geeignet. Die gilt einmal für die Trennung des Wortes
„Vorderschinkenteile“, wobei der Wortbestandteil „-teile“ in deutlich kleinerer
Schrift erscheint. Auch für den verständigen und interessierten Verbraucher, der
nach der Rechtsprechung des EuGH einzig schutzwürdig ist, wird damit der
Eindruck erweckt, es handle sich bei dem in Rede stehenden Erzeugnis um
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Eindruck erweckt, es handle sich bei dem in Rede stehenden Erzeugnis um
Vorderschinken, was es nach den von der Antragstellerin nicht weiter in Abrede
gestellten Feststellungen des Hessischen Landeslabors eindeutig nicht ist. Zum
Schutz des Verbrauchers vor Täuschung ist nach Ansicht der Kammer zu fordern,
dass die beschreibende Verkehrsbezeichnung in gleichbleibender Schriftgröße zu
erfolgen hat. Der Gedanke, dass eine gleichbleibende Schriftgröße zur Vermeidung
einer Verwechslung zu fordern ist, hat im Übrigen auch in Nr. 2.19 der Leitsätze für
Fleisch und Fleischerzeugnisse seinen Niederschlag gefunden, soweit es darin
heißt:
Zur Vermeidung einer Verwechslung von Formfleischerzeugnissen mit
vergleichbaren Erzeugnissen aus gewachsenem Fleisch wird in der
Verkehrsbezeichnung das Wort „Formfleisch-“ vorangestellt und außerdem in
unmittelbarer Verbindung mit der Verkehrsbezeichnung und in gleicher
Schriftgröße darauf hingewiesen, dass die Fleischstücke zusammengesetzt sind (z.
B. Formfleisch-Schinken, aus Schinkenstücken zusammengefügt, Formfleisch-
Roulade, aus Fleischstücken zusammengefügt, Formfleisch-Gulasch, aus
Fleischstücken zusammengefügt.
Auch wenn das in Rede stehende Erzeugnis noch nicht einmal die Qualität eines
Formfleischerzeugnisses erreicht, zeigt die vorstehende Regelung dennoch, dass
innerhalb einer beschreibenden Verkehrsbezeichnung eine gleichbleibende
Schriftgröße zur Vermeidung einer Irreführung erforderlich ist.
Zum anderen ist aber auch die Verwendung des Wortes „Vorderschinkenteile“ in
der beschreibenden Verkehrsbezeichnung des fraglichen Erzeugnisses irreführend.
Für den verständigen und interessierten Verbraucher wird dadurch der Eindruck
erweckt, das gen. Erzeugnis bestehe aus natürlich gewachsenen Teilen
Vorderschinken, wohingegen das Erzeugnis eingestandenermaßen lediglich einen
Fleischanteil von 54% aufweist. In Analogie zu dem allgemein gebräuchlichen
Begriff „Hackfleisch“ ist daher nach Ansicht der Kammer nur das Wort
„Vorderschinkenfleisch“ in der beschreibenden Verkehrsbezeichnung zulässig.
Da die Beanstandungen der Etikettierung des fraglichen Erzeugnisses zu Recht
erfolgt sind, kann die Antragstellerin die Antragsgegnerin nicht auf Widerruf und
Unterlassung in Anspruch nehmen und ist der vorliegende Eilantrag unbegründet.
Die Antragstellerin hat gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu
tragen, weil sie unterlegen ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 53 GKG und bringt im vorliegenden
Eilverfahren in Ermangelung anderer Anhaltspunkte den halben Auffangbetrag
zum Ansatz.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.