Urteil des VG Kassel vom 30.11.2009

VG Kassel: einstellung des verfahrens, wiederholungsgefahr, behandlung, sexueller missbrauch, öffentliches interesse, ermittlungsverfahren, waldeck, computer, tatverdacht, eingriff

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Gericht:
VG Kassel 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 1084/08.KS
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 81b Alt 2 StPO, § 176 StGB,
§ 184b Abs 4 StGB
(Erkennungsdienstliche Maßnahmen bei Verdacht auf
Sexualstraftat)
Leitsatz
Die abstrakte Wiederholungsgefahr bei Sexualstraftaten (Neigungsdelikt) reicht für sich
genommen nicht aus, die Notwendigkeit von erkennungsdienstlichen Maßnahmen nach
§ 81 b 2. Alt. StPO zu begründen. Erforderlich ist immer eine auf den Einzelfall
bezogene Prognose. Das gilt auch bei Verdacht der Begehung einer Straftat nach § 184
b Abs. 4 StGB.
Tenor
Der Bescheid des Polizeipräsidiums Nordhessen - Polizeidirektion Waldeck-
Frankenberg - vom 02.06.2008 und der Widerspruchsbescheid des
Polizeipräsidiums Nordhessen vom 01.07.2008 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten
abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung des Polizeipräsidiums Nordhessen -
Polizeidirektion Waldeck-Frankenberg -, sich erkennungsdienstlich behandeln zu
lassen.
Gegen den Kläger wurde aufgrund einer Strafanzeige vom 08.11.2007 ein
Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes von kinderpornographischen Bildern
eingeleitet. In diesem Zusammenhang wurde auf Beschluss des AG Fritzlar vom
03.12.2007 die Wohnung des Klägers und seiner Ehefrau durchsucht und 2
Computer und verschiedene Datenträger sichergestellt. Nach der
kriminalpolizeilichen Vorauswertung befanden sich auf dem sichergestellten PC
Medion, der dem Kläger gehörte, kinderpornographische Dateien. Im Hinblick auf
die beabsichtigte Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b
2. Alt. StPO hörte die Polizeidirektion Waldeck-Frankenberg den Kläger mit
Schreiben vom 22.04.2008 an. Der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers
kündigte daraufhin mit Schreiben vom 22.04.2008 an, einen richterlichen
Beschluss gegen die beabsichtigte erkennungsdienstliche Behandlung
herbeizuführen, ohne in der Sache Erklärungen abzugeben. Mit weiterem
Schreiben vom 09.05.2008 erklärte er, dass nicht ersichtlich sei, warum die bei
einer erkennungsdienstlichen Behandlung erlangten Erkenntnisse im Hinblick auf
den Tatvorwurf irgendeine Bedeutung haben könnten.
Unter dem 29.05.2008 legte der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers
vorsorglich Widerspruch gegen die Ladung zur Vernehmung und eine
erkennungsdienstliche Behandlung ein. Die Maßnahme sei in jeder Hinsicht
unverhältnismäßig. Sie könne zur weiteren Aufklärung der Sache nichts weiter
beitragen.
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Mit Bescheid vom 02.06.2008 ordnete die Polizeidirektion Waldeck-Frankenberg die
erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b 2. Alt. StPO an. Die Maßnahme
umfasse die Abnahme von Fingerabdrücken und Handflächenabdrücken, die
Aufnahme von Lichtbildern und die Messung und Feststellung äußerer körperlicher
Merkmale des Klägers.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 06.06.2008 legte der
Kläger hiergegen Widerspruch ein. Zur Begründung verwies er auf seinen
bisherigen Vortrag.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2008 wies das Polizeipräsidium Nordhessen
den Widerspruch zurück. Wegen der Begründung wird auf Bl. 16 ff. des
Verwaltungsvorgangs verwiesen.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 23.07.2008 hat der Kläger
Klage erhoben. Es fehle schon am Vorliegen einer strafbaren Tat des Klägers. Der
Umstand, dass auf einem in seinem Haus befindlichen PC angeblich verbotene
Bilder gefunden worden seien, ergäbe allenfalls einen Anfangsverdacht. Es fehle
jedenfalls am subjektiven Willen, sich in den Besitz der Bilder zu bringen. Dies
müsse ihm nachgewiesen werden. Solange dies nicht der Fall sei, richtige sich der
Verdacht gegen jeden, auch denjenigen, der zum Beispiel ohne Mitwirkung des
Klägers die Bilder auf den PC übersandt habe. Aber auch bei verdichtetem
Tatverdacht oder bei seiner Verurteilung sei die Anordnung der
erkennungsdienstlichen Behandlung unverhältnismäßig. Sie könne - außer seiner
Stigmatisierung - nichts bewirken. Außerdem sei das Ermittlungsverfahren gegen
ihn eingestellt worden. Daraus ergebe sich, dass ein ausreichendes öffentliches
Interesse für eine Anklage nicht bestanden habe. Maßgeblich sei auch die Frage
gewesen, ob ihm überhaupt ein Vorwurf gemacht werden könne, weil die
Benutzung einer Maschine nicht unbedingt auch dessen Eigentümer als Täter
identifiziere.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Polizeipräsidiums Nordhessen - Polizeidirektion Waldeck-
Frankenberg - vom 02.06.2008 und den Widerspruchsbescheid des
Polizeipräsidiums Nordhessen vom 01.07.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf den Widerspruchsbescheid. Der Kläger sei
Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren. Die Anordnung
erkennungsdienstlicher Unterlagen hänge nicht von der Anklageerhebung ab. Der
Verdacht, dass der Kläger sich kinderpornographische Dateien beschafft und
besessen habe, stütze sich in begründeter Weise auf die Auswertung der Daten
auf seinem eigenen Computer. Aus kriminologischer und kriminalistischer Sicht sei
von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen. Es sei auch
wahrscheinlich, dass er Täter von sexuellen Übergriffen werden könne. Insofern
seien die erkennungsdienstlichen Maßnahmen auch für zukünftige
Ermittlungsverfahren geeignet. Der Eingriff in die Privatsphäre des Klägers sei nicht
erheblich, im übrigen aber im Interesse einer effektiven Straftatenprävention
hinzunehmen.
Mit Verfügung vom 25.02.2009 stellte die Staatsanwaltschaft beim LG Kassel das
Ermittlungsverfahren gegen den Kläger nach § 153a Abs. 1 StPO gegen Zahlung
eines Betrages von 600,00 EUR und nach Zahlung dieses Betrages durch den
Kläger mit Verfügung vom 02.06.2009 endgültig ein.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 18.09.2009 den Rechtsstreit auf den
Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Polizeipräsidiums Nordhessen
(1 Heft) sowie der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft beim LG Kassel (1 Heft
sowie Sonderheft) verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen
haben.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid erweist sich als
rechtswidrig, weshalb er und der Widerspruchsbescheid aufzuheben ist (§ 113 Abs.
1 S. 1 VwGO).
Die Anordnung, dass sich der Kläger erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu
unterziehen hat, stützt sich auf § 81b 2. Alt StPO. Danach dürften Lichtbilder und
Fingerabdrücke des Beschuldigten gegen seinen Willen aufgenommen und
Messungen und ähnliche Maßnahmen vorgenommen werden, wenn dies für
Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind gegeben, soweit die Anordnung
danach nur ergehen kann, solange ein Ermittlungsverfahren gegen den
Betroffenen schwebt (Anlassverfahren). Das ist hier der Fall. Zum Zeitpunkt des
Erlasses des angefochtenen Bescheids wie des Widerspruchsbescheids war der
Kläger Beschuldigter des mit der Anzeige vom 08.11.2007 eingeleiteten
Ermittlungsverfahrens.
Die Anordnung ist auch, wie sich insbesondere aus den Ausführungen im
Widerspruchsbescheid ergibt, zum Zwecke des Erkennungsdienstes erlassen
worden und damit zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge (HessVGH, Urteil
vom 09.03.1993 – 11 UE 2613/90 -, NVwZ 1994, 652; Lisken/Denninger, Handbuch
des Polizeirechts, 2007, S. 553).
Die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung setzt ihre Notwendigkeit voraus. Eine solche
Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Maßnahmen zum Zwecke des
Erkennungsdienstes ist dann gegeben, wenn der anlässlich des gegen den
Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach
kriminalistischer Erfahrung angesichts der Umstände des Einzelfalls –
insbesondere angesichts der Art, der Schwere und Begehungsweise der dem
Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten,
seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während
dessen er strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist – Anhaltspunkte für die
Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger
in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren
Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen
Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen schließlich
überführend oder entlastend – fördern könnten (BVerwG, Urteile vom 19.10.1982 –
1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192 und vom 23.11.2005 - 6 C 2/05 -, DVBl 2006, 923).
Damit setzt die Anordnung einen einfachen Tatverdacht (Lisken/Denninger, a.a.O.,
S. 804), eine Wiederholungsgefahr und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme
jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht (BVerwG,
Urteil vom 19.10.1982, a.a.O., S. 197) voraus.
Von zumindest einem einfachen Tatverdacht gegen den Kläger ist auch nach
Einstellung des Verfahrens gem. § 153a Abs. 1 StPO auszugehen. Dieser ist
dadurch begründet, dass ausweislich der kriminalpolizeilichen Auswertung vom
11.11.2008 (Ermittlungsakte Bl. 68) auf dem dem Kläger gehörenden Computer
nicht nur strafrechtlich irrelevante sog. Posingbilder (s. BGH, Beschluss vom
02.02.2006 - 4 StR 570/05 -, BGHSt 50, 370; vgl. die durch Gesetz vom 31.10.2008
i.s.v. §§ 11 Abs. 3, 176, 184b Abs. 1 StGB abgespeichert gefunden worden sind,
deren Speicherung nach § 184b Abs. 4 StGB strafbar war (und ist). Der Verdacht
einer strafbaren Handlung ist auch durch den Einstellungsbeschluss vom 25.02.
bzw. 02.06.2009 gem. § 153a Abs. 1 StPO nicht entfallen; vielmehr setzt dieser
Beschluss einen entsprechenden Verdacht gerade voraus (Pfeiffer/Fischer, StPO,
1995, § 153a Rdnr. 2).
Es fehlt aber an einer nachvollziehbaren Prognose für die Wiederholungsgefahr.
Dabei geht das Gericht davon aus, dass es sich hierbei um ein
Wahrscheinlichkeitsurteil handelt, dass einer gerichtlichen Kontrolle nur begrenzt
zugänglich ist; diese ist darauf beschränkt zu überprüfen, ob die Prognose auf
einer zutreffenden Tatsachengrundlage beruht und ob sie nach dem gegebenen
Kenntnisstand unter Einbeziehung kriminalistischen Erfahrungswissens
sachgerecht und vertretbar ist (HessVGH, Urteil vom 09.03.1993 - 11 UE 2613/89
-, NVwZ-RR 1994, 652; VGH Mannheim, Urteil vom 29.05.2008 - 1 S 1503/07 -, NJW
2008, 3082). Daran fehlt es hier.
Der Widerspruchsbescheid geht insoweit davon aus, dass gerade im Bereich der
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Der Widerspruchsbescheid geht insoweit davon aus, dass gerade im Bereich der
Sexualkriminalität aus polizeilicher Erfahrung grundsätzlich von einer erheblichen
Wiederholungsgefahr auszugehen ist. Dies ergebe sich daraus, dass ein
Sexualdelikt regelmäßig von einer besonderen Veranlagung oder Neigung des
Täters geprägt ist und deshalb die Gefahr der Wiederholung auch bei erstmaliger
Begehung gegeben ist. Für die Bewertung sei es auch nicht von Bedeutung, ob die
erste strafrechtlich relevante Auffälligkeit sich im häuslichen Bereich abgespielt
habe. Der Umstand, dass der Kläger erstmals auffällig geworden sei, stehe der
„Negativprognose“ nicht entgegen.
Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es sich bei Sexualstraftaten um sog.
Neigungstaten handelt und dass deshalb grundsätzlich mit Wiederholungsgefahr
gerechnet werden muss. Gleichwohl ergibt sich aus dieser abstrakten
Wiederholungsgefahr nicht die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Behandlung.
Unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts -
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Art, Schwere
und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur
Last gelegten Straftat, seiner Persönlichkeit und des Zeitraums, in dem der
Betroffene strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - und vor dem
Hintergrund, dass es sich um einen Eingriff in das grundrechtlich geschützten
informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen handelt, muss die
Prognose die Person des Klägers, einzelne Tatumstände und den Umstand
einbeziehen, ob es sich um ein erstmaliges strafrechtliches Auffälligwerden
handelt oder ob sich dies wiederholt hat. All dies fehlt in der von dem
Polizeipräsidium Nordhessen angestellten Prognose. Diese orientiert sich allein an
der Deliktsart. Das wird den an die Prognose für die Wiederholungsgefahr zu
stellenden Anforderungen und damit der Begründung der Notwendigkeit einer
erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers nicht gerecht. Das Gericht kann
aus den vorgelegten Unterlagen auch keine besonderen Umstände erkennen, die
über die allgemein bei Sexualstraftaten bestehende Wiederholungsgefahr hinaus
die Negativprognose im konkreten Fall begründen könnten.
Zwar trifft zu, dass auch die hierzu ergangenen verwaltungsgerichtlichen
Entscheidungen die Notwendigkeit der Anordnung von erkenntnisdienstlichen
Maßnahmen nicht davon abhängig gemacht haben, dass der Betroffene zuvor
bereits einmal auffällig geworden ist. Gleichwohl lag auch diesen Entscheidungen in
aller Regel nicht nur die bloße Tatsache der Begehung eines Sexualdelikts
zugrunde, sondern besondere Umstände des konkreten Sachverhalts, die die
Wiederholungsgefahr nach Auffassung des jeweiligen Gerichts im konkreten Fall
haben begründet erscheinen lassen (so z.B. VG Ansbach, Urteil vom 16.07.2009 -
AN 5 K 08.01791 - Juris < Anzahl der Daten; geäußerter Wunsch zum
Geschlechtsverkehr mit 10 bis 12 Jahre alten Mädchen>; VG Köln, Urteil vom
20.11.2008 - 20 K 30 -, Juris ;
VGH Mannheim, Urteil vom 29.05.2008, a.a.O.;
kinderpornographischen Material>; VG Minden, Urteil vom 20.02.2008 - 11 K 40/08
-, Juris ).
Wenn man aber entgegen den diesen Feststellungen zugrunde liegenden
Auffassung eine ohne Bezug auf die konkreten Umstände und die Person des
Betroffenen allein aufgrund des Delikttyps bestehende allgemeine
Wiederholungsgefahr ausreichen lassen wollte, würde die Anordnung jedenfalls den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen. Zum einen wäre nämlich fraglich,
inwieweit die angeordneten Maßnahmen wie Lichtbildaufnahmen, Messung und
Feststellung von körperlichen Merkmalen die künftige Ermittlungsarbeit fördern
könnte, soweit es sich um mögliche (Wiederholungs-)Taten nach § 184b Abs. 4
StGB im Rahmen der Beschaffung und des Besitzes mit Hilfe des Internets und
des Computers handelt. Und da es dabei regelmäßig um Taten im häuslichen
Bereich geht, ist auch die Geeignetheit der Abnahme von Fingerabdrücken
zweifelhaft. Anders wäre es nur dann, wenn man davon ausgehen muss, dass
Täter des § 184b StGB wegen der sich in diesem Zuge herabgesetzten
Hemmschwelle auch zu Tätern des § 176 StGB (sexueller Missbrauch von Kindern)
werden können. Für einen Zusammenhang sprechen, wenn auch ohne
wissenschaftlichen Nachweis, einige Hinweise (VGH Mannheim, Urteil vom
29.05.2008 - 1 S 1503/07 -, a.a.O.). Gleichwohl würde, wenn man dies für
ausreichend ansehen würde, die Anordnung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
im engeren Sinne verletzten. Angesichts der eingeschränkten Geeignetheit
erkennungsdienstlicher Maßnahmen im Bereich der fraglichen Straftaten nach §
184b StGB und des vagen Zusammenhangs der unterschiedlichen Formen der
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wäre bei einer generellen
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Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wäre bei einer generellen
Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung von Betroffenen, gegen die
wegen des Verdachts der Begehung von Sexualdelikten ermittelt wird, das
Gewicht, das dem informationellen Selbstbestimmungsrecht zukommt,
unangemessen zurückgedrängt (vgl. entsprechend zur Aufbewahrung
erkennungsdienstlicher Unterlagen Lisken/Denninger, a.a.O., S. 555: „Dem
grundsätzlichen Anspruch des Betroffenen, von der Polizei nicht ohne Weiteres als
potentieller Rechtsbrecher angesehen zu werden, wird diese Rechtsprechung nicht
gerecht. Denn ausschließen wird man künftige Straffälligkeit in den seltensten
Fällen können ... Ein solcher Eingriff in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung ist vielmehr nur zulässig, wenn positive, auf den Einzelfall
bezogene Gründe für die Annahme einer Wiederholungsgefahr vorliegen.“). Dies
gilt auch unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber vorgesehenen und in §
184b StGB zum Ausdruck kommenden Vorverlegung des Schutzes der
ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern.
Es kann deshalb offen bleiben, ob der angefochtene Bescheid auch deshalb
rechtswidrig ist, weil weder ihm noch dem Widerspruchsbescheid entnommen
werden kann, dass das Polizeipräsidium Nordhessen das ihr bei der Anordnung
von erkennungsdienstlichen Maßnahmen zustehende Ermessen ordnungsgemäß
ausgeübt hat. Ein solches dürfte nämlich nicht nur bei der Anordnung von
erkennungsdienstlichen Maßnahmen nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 HSOG bestehen (für
die vergleichbare niedersächsische Regelung VG Oldenburg, Urteil vom 25.09.2009
- 7 A 1325/09 -, Juris), sondern auch im Rahmen von § 81b 2. Alt. StPO („dürfen“).
Und es kann fraglich sein, ob die im Widerspruchsbescheid für die Anordnung
gegebene Begründung tatsächlich in ausreichendem Maß erkennen lässt, dass
eine Ermessensentscheidung getroffen worden ist und nicht nur die Gründe
dargelegt sind, die die Notwendigkeit der Anordnung begründen sollen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der
Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.