Urteil des VG Kassel vom 01.10.2009

VG Kassel: brille, grobe fahrlässigkeit, sportunterricht, angemessener ersatz, beschädigung, basketball, materialien, fürsorgepflicht, verkehr, entstehung

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Gericht:
VG Kassel 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 K 1765/08.KS
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 45 BeamtStG,
Sachschadensersatzrichtlinien
Hessen, § 233 BG HE
Sachschadensersatz bei Beschädigung einer Brille im
Sportunterricht
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides des Staatlichen
Schulamtes vom 30.08.2008 und des Widerspruchsbescheids vom 18.11.2008
verpflichtet, dem Kläger Sachschadensersatz in Höhe von 371,50 Euro zu
bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu 60 % und der Beklagte zu 40% zu
tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger steht als Beamter in Diensten des Beklagten und unterrichtet Sport an
einer beruflichen Schule des Landkreises Kassel. Der Kläger ist Brillenträger. Bei
einer Sportstunde am 02.07.2008, in der die Schüler das Passspiel beim
Basketball üben sollten, wurde der Kläger von einem der Bälle am Kopf getroffen.
Bei diesem Vorfall zerbrach die randlose Brille des Klägers irreparabel. Während
des Sportunterrichts hatte der Kläger diese mittels eines elastischen Sportbandes
am Kopf befestigt. Dies konnte das zu Boden fallen der Brille jedoch nicht
verhindern.
Am 14.08.2008 stellte der Kläger Antrag auf Ersatz der Wiederbeschaffungskosten
für eine neue Brille gemäß der Sachschadensersatzrichtlinien vom 31.07.2006
(StAnz. 1914 ff., im Folgenden: SErs-RL). Diesen Anspruch lehnte der Beklagte mit
Bescheid vom 30.08.2008 ab. Die Ablehnung begründete der Beklagte im
Wesentlichen damit, dass der Kläger bei der Entstehung des Schadens in grob
fahrlässiger Weise mitgewirkt habe und daher gem. Ziffer 3.2. der SErs-RL keine
Ersatzpflicht bestehe. Durch das Tragen einer normalen Brille, ohne besondere
Eignung für den Sportunterricht, habe der Kläger die ihm obliegenden
Sorgfaltspflichten in besonders erheblichem Maße außer Acht gelassen.
Insbesondere bei Ballspielen bestehe eine erkennbar erhöhte Gefahr von
Kopftreffern und daraus resultierenden Schäden an Sehhilfen.
Der am 11.09.2008 gegen diese Entscheidung erhobene Widerspruch des Klägers
wurde mit Bescheid vom 18.11.2008, zugestellt am 03.12.2008, zurückgewiesen.
In der Begründung wies der Beklagte unter Bezugnahme auf den
Ausgangsbescheid darauf hin, dass das Tragen des elastischen Sportbandes den
Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht entfallen ließe. Ein solches Sportband sei
nicht in gleichem Maße wie eine Sportbrille für den Sportunterricht geeignet. Eine
fachgerecht angefertigte Sportbrille könne aufgrund besonderer Materialien und
spezifischer Konstruktion das Verletzungsrisiko einschränken und weise zudem
eine besondere Bruchresistenz auf. Dies hätte dem Kläger als Brillenträger und
erfahrenem Sportlehrer bewusst sein müssen.
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Am 29.12.2008 hat der Kläger Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, ihm stehe
ein Anspruch auf Ersatz des Wiederbeschaffungswertes der Brille in Höhe von
917,00 € zu. Durch die Sicherung der Brille mittels des elastischen Sportbandes
habe er die ihm obliegende Sorgfaltspflicht in ausreichendem Maße gewahrt und
damit nicht grob fahrlässig zur Schadensentstehung beigetragen. Solche
Sportbänder seien zur Sicherung der Brille am Kopf eines Sportlers besser
geeignet als Sportbrillen, die lediglich mittels besonderer Bügel am Ohr befestigt
würden. Zudem könne er aufgrund bestehender Unverträglichkeiten Kontaktlinsen
nur in sehr eingeschränkter Weise tragen.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 30.8.2008 sowie den Widerspruchsbescheid
vom 18.11.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger
Schadensersatz in Höhe von 917,00 € zu leisten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er beruft sich auf die Begründung der angefochtenen Bescheide und trägt
ergänzend vor, der Kläger hätte auch durch das Tragen von Kontaktlinsen die
Einordnung seines Verhaltens als grob fahrlässig verhindern können. Dass ihm
dies nicht möglich gewesen sei, habe er nicht in ausreichendem Maße
vorgetragen.
Mit Beschluss vom 23.06.2009 hat die Kammer gem. § 6 Abs. 1 VwGO den
Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie der Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, insbesondere wurde die Klagefrist
gewahrt. Sie ist jedoch nur teilweise begründet. Dem Kläger steht gegen den
Beklagten ein Anspruch auf Ersatzleistung für die beschädigte Brille in Höhe von
371,50 Euro zu. Insoweit sind auch der den Ersatzanspruch insgesamt ablehnende
Bescheid vom 30.08.2008 und der Widerspruchsbescheid vom 18.11.2008
rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Anspruchsgrundlage für den Ersatzanspruch ist vorliegend die allgemeine
Fürsorgepflicht des § 45 BeamtStG i.V.m. den gemäß § 233 HBG erlassenen
Sachschadensersatzrichtlinien (SErs-RL). Zwar sind diese noch in Ausfüllung des §
92 Abs. 1 HBG a.F. ergangen, der als Folge der Kompetenzneuordnung durch die
Föderalismusreform (Vgl. dazu Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG) neu ergangenen
bundesrechtlichen Vorschriften des Beamtenstatusgesetzes (Gesetz v. 17.6.2008,
BGBl. 2008 I, S. 1010 ff.) entfallen ist. Da jedoch § 45 BeamtStG und § 92 Abs. 1
HBG a.F. inhaltlich identisch sind, stehen einer Anwendung der SErs-RL auch nach
neuem Recht keine Gründe entgegen.
Gemäß Ziffer 1 der SErs-RL soll für Sachschäden ein angemessener Ersatz dann
geleistet werden, wenn sie auf durch äußere Einwirkungen hervorgerufene
plötzliche, örtlich und zeitlich bestimmbare und in Folge des Dienstes eingetretene
Ereignisse zurückgehen. Der plötzliche Treffer durch den querschlagenden
Basketball während der im Rahmen des Dienstes als Lehrkraft abgehaltenen
Sportstunde am 02.07.2008, durch den die Brille des Klägers beschädigt wurde,
erfüllt diese Voraussetzungen.
Nach Ziffer 2 der Richtlinien kann ein solcher Ersatz nur für solche Gegenstände
gewährt werden, die der Beamte dienstlich benötigt oder gewöhnlich beim Dienst
mitführt und die sich in seinem Besitz befinden. Auch diese Voraussetzung liegt
vor, denn eine zur Herstellung der Sehkraft erforderliche Brille stellt einen solchen
der Ersatzpflicht unterfallenden Gegenstand dar. Aufgrund seiner bestehenden
Sehbeeinträchtigung ist es dem Kläger ohne den Einsatz einer Sehhilfe nicht
möglich, den Sportunterricht in dienstpflichtgemäßer Weise durchzuführen.
Der Anspruch ist auch nicht gem. Ziff. 3.2. S. 2 der SErs-RL ausgeschlossen. Nach
dieser Vorschrift ist ein Ersatz des entstandenen Schadens dann nicht zu
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dieser Vorschrift ist ein Ersatz des entstandenen Schadens dann nicht zu
gewähren, wenn der Beamte bei der Herbeiführung des Schadens in vorsätzlicher
oder grob fahrlässiger Weise mitgewirkt hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall; zwar
hat der Kläger den Schaden fahrlässig verursacht, eine grobe Fahrlässigkeit ist zur
Überzeugung des Gerichts jedoch nicht anzunehmen.
Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dem
Kläger hätte bewusst sein müssen, dass es beim Sportunterricht, auch wenn
lediglich Aufsicht geführt wird, vorkommen kann, dass bei Ballspielen der
aufsichtführende Lehrer am Kopf getroffen und dabei auch die Brille herunterfallen
und beschädigt werden kann. Er hätte demzufolge Vorsichtsmaßnahmen ergreifen
müssen, um eine solche Beschädigung seiner Brille zu verhindern. Das Tragen
eines elastischen Sportbandes ist zur Herbeiführung einer besseren Fixierung der
Brille am Kopf hierfür auch durchaus geeignet, sodass durch den Einsatz eines
solchen Bandes das Herabfallensrisiko bei einem Treffer gemindert werden kann.
Dies allein genügt aber nicht, denn ein Herunterfallen gänzlich ausschließen kann
auch ein Sportband nicht. Fällt die Brille dann hinunter, so besteht bei üblichen
Brillen ein erhebliches Bruchrisiko, das sich im Falle des Klägers letztlich auch
verwirklicht hat. Dieses kann nur durch Verwendung von Kontaktlinsen oder einer
Sportbrille ausgeschlossen werden.
Sofern dem Kläger das Tragen von Kontaktlinsen nicht möglich war, hätte er daher
eine für die Ausübung von sportlichen Tätigkeiten besonders geeignete Brille
tragen müssen. Solche Sportbrillen weisen zum einen aufgrund ihrer Konstruktion
(feststellbare Bügel) eine gute Fixierungsmöglichkeit am Kopf des Trägers auf und
zum anderen aufgrund des Einsatzes besonderer Materialien (im Wesentlichen
bruchfestes und splitterfreies Polykarbonat) eine besondere Bruchsicherheit.
Kommt es also zu einer Situation, in der eine Sportbrille zu Boden fällt, ist das
Risiko, dass sie dabei irreparabel beschädigt wird um ein vielfaches geringer als bei
einer normalen randlosen Brille. Dieser Umstand hätte dem Kläger aufgrund
seiner beruflichen Tätigkeit als Sportlehrer und der darin liegenden permanenten
Beschäftigung mit der Ausübung sportlicher Tätigkeiten und dem Umstand, dass
er bereits seit geraumer Zeit Brillenträger ist, bewusst sein müssen.
Ist dem Kläger damit eine Fahrlässigkeit vorzuwerfen, so liegt diese jedoch,
entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten, nicht im Bereich der groben
Fahrlässigkeit, sondern bewegt sich vielmehr im Bereich einer mittleren
Fahrlässigkeit. Grob fahrlässig handelt nur derjenige, der die erforderliche Sorgfalt
in einem ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt, der also nicht beachtet, was
in der Situation jedem ohne weiteres hätte einleuchten müssen.
Insoweit ist festzustellen, dass sich der Kläger sehr wohl des Umstands bewusst
war, dass beim Sportunterricht unter Umständen seine Brille herunterfallen und
beschädigt werden könnte. Durch das Tragen eines eigens für die Ausübung von
sportlichen Tätigkeiten konzipierten elastischen Bandes hat der Kläger gezeigt,
dass er die Gefahren eines Treffers am Kopf während des durch ihn geleiteten
Sportunterrichts ernst genommen und versucht hat, ihnen zu begegnen. Es ist
auch nicht so, dass die ausgeübte Sportart von einer derartigen Gefährlichkeit war,
dass mit einer Beschädigung der Brille stets zu rechnen gewesen war. Kopftreffer
kommen beim Basketball vor, sind jedoch zum einen nicht häufig und zum
anderen nur selten von einer derartigen Wucht, dass eine mittels Sportband
befestigte Brille herunterfallen kann. Dies mag bei anderen Sportarten, z.B. bei
Geräteturnen oder Geländelauf, anders sein. Damit hat der Kläger nicht ohne
Weiteres einleuchtende Verhaltensmaßregeln außer Acht gelassen, indem er keine
Sportbrille oder Kontaktlinsen beim Sportunterricht getragen hat und damit auch
nicht grob fahrlässig gehandelt, so dass die Voraussetzungen für einen
Anspruchsausschluss nach Ziff. 3.2 S. 2 SErs-RL nicht vorliegen.
Wie bereits ausgeführt muss der Kläger sich allerdings den Vorwurf der mittleren
Fahrlässigkeit entgegenhalten lassen. In Fällen mittlerer Fahrlässigkeit sieht Ziffer
3.2. S. 3 der SErs-RL eine Reduzierung des Anspruchs um in der Regel 50 Prozent
vor. Der Ersatzanspruch des Klägers ist damit im Ergebnis um 50 vom Hundert zu
kürzen. Ein Ausnahmefall, der eine geringere Kürzung trotz Feststellung der
mittleren Fahrlässigkeit gebietet, ist nicht gegeben. Ein Abweichen von dem
vorgegebenen Regelfall – insbesondere hin zu einer Kürzung um weniger als 50
Prozent – ist nur dann erforderlich, wenn die Umstände des Einzelfalles dies
gebieten, was etwa bei erheblicher Einschränkung der Erkennbarkeit des
pflichtgemäßen Alternativverhaltens denkbar wäre. Für derartige atypische
Umstände sind jedoch vorliegend keine Anhaltspunkte erkennbar.
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Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der Kläger einen den
Gesamtschaden umfassenden Schadensersatzanspruch auch nicht unmittelbar
aus § 45 BeamtStG ableiten kann. Die Sachschadensersatzrichtlinien halten sich
in dem von § 45 BeamtStG gesetzten Rahmen. Nach der ständigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung (Vgl. dazu BVerwGE, Urt. v. 19.12.1967, Az. II
C 125.64, BVerwGE 28, 353 ff. und Urt. v. 12.12.1979, Az. 6 C 28.78, ZBR 1980,
249, 251) steht dem Dienstherrn bei der Festlegung der grundsätzlichen
Begründung sowie der Art und des Umfangs von Ersatzleistungen für
Sachschäden ein weites Ermessen zu. Dieses Ermessen kann durch die Schaffung
von Verwaltungsvorschriften, die bestimmte, allgemein auf alle Beamten in
vergleichbaren Situationen anzuwendende Leitlinien enthalten, gebunden werden.
Solche Verwaltungsvorschriften dürfen jedoch den grundsätzlichen Vorgaben des §
45 BeamtStG nicht zu wider laufen.
Ziffer 3.2. der SErs-RL hält sich im Rahmen der allgemein gefassten Vorschrift des
§ 45 BeamtStG. Der Haftungsausschluss für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit
beruht auf dem Grundsatz, dass eine Schadensersatzhaftung grundsätzlich nur
bei Verschulden begründet wird. An diesen Grundsatz knüpft auch § 45 BeamtStG
an, der eine Ersatzpflicht eigentlich nur dann vorsieht, wenn der Dienstherr seine
Fürsorgepflicht schuldhaft verletzt hat. Geht die SErs-RL durch die Begründung
eines allgemeinen Sachschadensersatzes über diese Anspruchsvoraussetzung
schon hinaus und gewährt einen Anspruch für alle im Zusammenhang mit der
Dienstausübung entstandenen Sachschäden, so ist es gerechtfertigt, diesen
Anspruch auszuschließen, sofern der Beamte ihn selbst herbeigeführt oder
maßgeblich beeinflusst hat. Auch die generelle Herabsetzung des Anspruchs auf in
der Regel 50 Prozent im Falle mittlerer Fahrlässigkeit knüpft an das Mitverschulden
des Beamten an der Schadensentstehung an. Dass derjenige, der an der
Entstehung eines Schadens durch Nichteinhaltung der im Verkehr erforderlichen
Sorgfalt mitgewirkt hat, auch am Schaden beteiligt wird, ist ein im Schadensrecht
ebenfalls verankerter Grundsatz (vgl. § 254 BGB).
Hinsichtlich der zu bewilligenden Ersatzsumme ist schließlich noch Ziffer 3.4. der
SErs-RL zu berücksichtigen. Diese legt für Brillenfassungen einen maximalen
Ersatzwert von 125 Euro fest. Die im Kostenvoranschlag angegebenen 917 Euro
enthalten einen Wert für die Fassung von 299 Euro. Abzüglich der Differenz von
174 Euro, verbleibt ein anzuerkennender Gesamtschaden von 743 Euro, von dem
der Beklagte 50 Prozent, mithin 371,50 Euro zu erstatten hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
Beschluss:
Der Streitwert beträgt 917,00 €.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 3 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.