Urteil des VG Karlsruhe vom 17.11.2016

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VG Karlsruhe Urteil vom 17.11.2016, A 9 K 5380/16
Unrichtige Belehrung im Asylverfahren
Leitsätze
1. Eine den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG genügende Belehrung kann durch eine unrichtige Belehrung
in der Terminsladung verfälscht werden und dadurch selbst unrichtig werden.
2. Der Hinweis in einer Terminsladung, dass bei unentschuldigtem Fernbleiben des Asylantragstellers über den
Asylantrag nach Aktenlage entschieden werde, suggeriert, dass auch im Falle eines unentschuldigten
Fernbleibens von der Anhörung eine Sachentscheidung getroffen wird. Er verweist daher nicht zutreffend auf
die in § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG vorgesehene Rücknahmefiktion und ist daher unrichtig.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23.09.2016 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger wendet sich gegen die Einstellung seines Asylverfahrens und die Androhung seiner Abschiebung
nach Gambia.
2 Der Kläger, ein gambischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 15.08.2015 in die
Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 02.05.2016 einen Asylantrag. Ebenfalls am 02.05.2016 wies
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Kläger schriftlich und gegen
Empfangsbestätigung auf die Rechtsfolgen des § 33 Abs. 1 und 3 AsylG hin. Zugleich erging eine
Terminbenachrichtigung zur Anhörung gemäß § 25 Abs. 4 AsylG am 12.05.2016. In dieser wies das
Bundesamt den Kläger darauf hin, dass es für ihn nachteilige Folgen haben könne (Entscheidung über den
Asylantrag nach Aktenlage, wobei auch sein Nichtmitwirken am Asylverfahren berücksichtigt werde), wenn
er ohne genügende Entschuldigung nicht zu der Anhörung erscheine.
3 Zum Anhörungstermin am 12.05.2016 erschien der Kläger unentschuldigt nicht.
4 Mit Bescheid vom 23.09.2016, ausweislich Aktenvermerks in der Bundesamtsakte am 27.09.2016 als
Einschreiben zu Post gegeben, stellte das Bundesamt unter Hinweis auf §§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2, 32
AsylG fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte und stellte das Asylverfahren ein (Ziffer 1).
Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht
vorlägen (Ziffer 2) und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach
Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; andernfalls werde er nach Gambia abgeschoben (Ziffer 3). Das
gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG befristete das Bundesamt auf 30
Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
5 Am 13.10.2016 hat der Kläger Klage erhoben. Er machte geltend, am 17.10.2016 gegenüber dem
Bundesamt vorsorglich einen „Antrag auf subsidiären Schutz nach § 60 Abs. 7“ gestellt zu haben.
6 Er beantragt,
7
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23.09.2016 aufzuheben.
8 Die Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die
gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der beigezogenen Bundesamtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
11 1. Der Rechtsstreit wurde dem Einzelrichter übertragen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und auch keine grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. § 76 Abs. 1
AsylG).
12 Das Gericht kann über die Klage im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden
(§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 2. Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. In Fällen der Feststellung der Verfahrenseinstellung durch das
Bundesamt gemäß §§ 32, 33 AsylG ist regelmäßig nicht der Vorrang der Verpflichtungsklage gegeben, auch
wenn das eigentliche Ziel des Klägers letztlich die Durchsetzung seines Asyl- und Schutzbegehrens ist. Zum
einen ginge dem Kläger, da sich das Bundesamt noch gar nicht inhaltlich mit seinem Asyl- und
Schutzbegehren befasst hat, eine Tatsacheninstanz verloren. Zum anderen steht dem die besondere, auf
Beschleunigung und Konzentration gerichtete Ausgestaltung des Asylverfahrens entgegen (vgl. BVerwG,
Urteil vom 05.09.2013 - 10 C 1.13 -, BVerwGE 147, 329; Urteil vom 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, juris; VG
Karlsruhe, Urteil vom 17.10.2011 - A 3 K 2090/11 -, juris).
14 Für die Anfechtungsklage besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Zwar hat der Kläger gemäß § 33 Abs. 5
Satz 2 AsylG einen Anspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens durch das Bundesamt, der nach § 33 Abs.
5 Satz 3 AsylG lediglich einen persönlich bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamts zu stellenden
Antrag zur Voraussetzung hat. Diese Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens besteht jedoch nur
einmalig (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG). Der Gesetzgeber bezweckt mit § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG, dass
der Ausländer „ohne Verfahrensnachteile einmal die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann und
damit ein einmaliges Fehlverhalten geheilt wird. Die erstmalige Einstellung entfaltet somit lediglich
Warncharakter“ (BT-Drs. 18/7538, S. 17). Dies zeigt, dass ein Wiederaufnahmeantrag, in dessen Folge ein
weiteres Fehlverhalten nicht mehr heilbar ist, den Kläger nicht in die gleiche Rechtslage versetzt, wie die
Aufhebung einer rechtswidrigen Einstellungsentscheidung. Der Kläger muss sich auch nicht darauf
verweisen lassen, die Rechtmäßigkeit der erstmaligen Einstellung des Verfahrens in einem späteren
Klageverfahren gegen eine nachfolgende Verfahrenseinstellung inzident überprüfen zu lassen (vgl. BVerfG,
Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20.07.2016 - 2 BvR 1385/16 -, juris).
15 3. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 23.09.2016 ist rechtswidrig und
verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
16 a. Die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG ist in Ermangelung der
gesetzlichen Voraussetzungen nicht eingetreten, so dass das Asylverfahren nicht gemäß § 32 Satz 1 AsylG
eingestellt ist. Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt ein Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das
Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG unter anderem
dann vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht
nachgekommen ist. Auf diese Rechtsfolge ist der Ausländer nach § 33 Abs. 4 AsylG schriftlich und gegen
Empfangsbestätigung hinzuweisen. Dies ist vorliegend ausweislich der in der Bundesamtsakte befindlichen
Empfangsbestätigung geschehen. Allerdings hat das Bundesamt diese zutreffende Rechtsbelehrung nach §
30 Abs. 4 AsylG durch einen rechtlich unzutreffenden Hinweis in der Terminladung zur Anhörung relativiert.
Der dortige Hinweis, dass bei unentschuldigtem Fernbleiben des Asylantragstellers über den Asylantrag nach
Aktenlage entschieden werde, wobei auch das Nichtmitwirken des Klägers am Asylverfahren gewürdigt
werde, suggeriert, dass auch im Falle eines unentschuldigten Fernbleibens von der Anhörung eine
Sachentscheidung getroffen wird. Dies entspricht nicht der in § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG
vorgesehenen Rücknahmefiktion bei unentschuldigtem Fernbleiben von der Anhörung. Die unzutreffenden
Belehrung in der Terminbenachrichtigung ist wegen ihres spezifischen Sachbezugs gegenüber der
allgemeinen Belehrung nach § 30 Abs. 4 AsylG von herausgehobener Bedeutung und in der Folge geeignet,
beim Asylbewerber Fehlvorstellungen über die Rechtsfolgen seines Ausbleibens beim Anhörungstermin zu
erwecken. Daran ändert nichts, dass die Information in der Terminbenachrichtigung selbst nicht den
Anforderungen des § 30 Abs. 4 AsylG an die Rechtsfolgenbelehrung (schriftlich und gegen
Empfangsbestätigung) genügt, zumal dem Asylbewerber - dessen Empfängerhorizont insoweit maßgeblich
ist - die Anforderungen des § 30 Abs. 4 AsylG nicht bekannt sein dürften.
17 Die unrichtige Belehrung des Klägers ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil er nicht unverzüglich
nachgewiesen hat, dass sein Ausbleiben in der Anhörung vor dem Bundesamt am 12.05.2016 auf Umstände
zurückzuführen war, die er nicht zu vertreten hatte (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Denn Bezugspunkt der
- vorliegend unrichtigen - Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG sind die Rechtsfolgen des § 33 Abs. 1 und 3
AsylG, nicht hingegen die Bestimmung des § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG. Es ist daher nicht auszuschließen, dass
der Kläger bei einer zutreffenden Belehrung über die Rechtsfolgen des § 33 Abs. 1 und 3 AsylG den
Anhörungstermin mit der Folge wahrgenommen hätte, dass es auf die Voraussetzungen § 33 Abs. 2 Satz 2
AsylG gar nicht angekommen wäre.
18 b. Rechtswidrig und aufzuheben sind auch die im angegriffenen Bescheid getroffene Feststellung, dass
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, die Ausreiseaufforderung und
Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Falle der Abschiebung,
da diese jedenfalls verfrüht ergangen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, juris).
19 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG
gerichtskostenfrei.