Urteil des VG Karlsruhe vom 05.01.2017

aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, bundesamt, abschiebung

VG Karlsruhe Beschluß vom 5.1.2017, A 6 K 7295/16
Vorläufiger Rechtsschutz gegen Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens;
Europarechtskonformität der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG
Leitsätze
Die Antragsfrist des nationalen Rechts aus § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. 51 Abs. 3 VwVfG für Folgeanträge
verstößt nicht gegen die unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des
internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie).
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 05.12.2016 wird insoweit
angeordnet, als der Antragstellerin mit Ziffer 3 dieses Bescheids die Abschiebung in den Iran angedroht wird. Im
Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt ¾, die Antragsgegnerin ¼ der Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
1 Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer beim Verwaltungsgericht
Karlsruhe im Verfahren A 6 K 7294/16 erhobenen Klage, die sich u.a. gegen die Ausreiseaufforderung mit
Fristsetzung und die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids vom 05.12.2016 (...)
richtet, mit dem ihr Asylfolgeantrag als unzulässig abgelehnt wurde (Ziffer 1 des Bescheids) und ihr Antrag
auf Abänderung eines früheren Bescheides vom 24.04.2012 (...) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5
und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgelehnt wurde (Ziffer 2 des Bescheids.).
I.
2 Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 36 Abs. 3 Asylgesetz (AsylG)
i.V.m. § 80 Abs. 5 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO statthaft, da der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im
Falle der Ablehnung des Asylfolgeantrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG durch das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge gemäß § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt; er ist auch
im Übrigen zulässig.
II.
3 Der Antrag ist nur insoweit begründet, als im Bescheid vom 10.08.2016 die Abschiebung in den Iran
angedroht wurde.
4 Im Verfahren nach §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO gegen eine
Abschiebungsandrohung nach Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG hat
das Gericht zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes zu prüfen, ob das Bundesamt den Asylantrag zu
Recht in qualifizierter Form abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann. Der
Prüfungsmaßstab hierfür ergibt sich aus § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG. Danach darf die Aussetzung der
Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Verwaltungsakts bestehen. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Fall, wenn
erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig einer rechtlichen
Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (grundlegend BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1516/93 -,
NVwZ 1996, 678 <680> = BVerfGE 94, 166 ff. zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet).
5 Bezugspunkt für die Prüfung im Eilverfahren ist demgegenüber nicht, ob der Antragsteller im
Hauptsacheverfahren voraussichtlich Erfolg haben wird, da allein wegen der qualifizierten Ablehnung nach §
75 Abs. 1 AsylG die aufschiebende Wirkung der Klage in der Hauptsache entfällt. Anknüpfungspunkt ist
vielmehr allein die Frage, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt hat, ohne
dass deshalb der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand wird (vgl. wiederum BVerfG, Urteil
vom 14.05.1996 - 2 BvR 1516/93 -, NVwZ 1996, 678 <680> = BVerfGE 94, 166 ff. zur Ablehnung als
offensichtlich unbegründet). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Begehrens der Antragstellerin ist
nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung das Asylgesetz in der Fassung
der Bekanntmachung vom 02.09.2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 6 des
Integrationsgesetzes vom 31.07.2016 (BGBl. I S. 1939).
6 Soweit die Antragstellerin die Anerkennung als Asylberechtigte, die Gewährung von Flüchtlingsschutz und
die Gewährung subsidiären Schutzes (unter 1.) begehrt, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der Ablehnung ihres Asylfolgeantrags als unzulässig; solche bestehen aber hinsichtlich der
Ablehnung auch ihres Folgeschutzantrags auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5
AufenthG (unter 2.).
7 1. Entgegen der - auch in Teilen des Schrifttums vertretenen (vgl. dazu nur Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, 103.
Ergänzungslieferung Mai 2015, § 71 m.w.N.; Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 71 ) -
Auffassung des Bevollmächtigten der Antragstellerin verstößt die vom Bundesamt in ihrem Fall zur
Ablehnung ihres Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigte, die Gewährung von Flüchtlingsschutz und
Gewährung subsidiären Schutzes zutreffend (Erklärung der Antragstellerin als Bahá’i nach Auskunft der
Bahá’i-Gemeinde in Deutschland laut Bescheid am 27.08.2014; Stellung des Folgeantrags erst am
09.07.2015) herangezogene Versäumung der Antragsfrist des nationalen Rechts aus § 71 Abs. 1 Satz 1
AsylG i.V.m. 51 Abs. 3 VwVfG nicht gegen die unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung
und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie).
8 Die unionsrechtliche Grundlage für die Anwendung der genannten Antragsfrist nach § 51 Abs. 3 VwVfG im
nationalen Recht findet sich in Art. 42 Abs. 2 a) der Verfahrensrichtlinie. Dort heißt es, dass die
Mitgliedstaaten im nationalen Recht Vorschriften für die erste Prüfung (eines Folgeantrags) gemäß Artikel 40
festlegen können. Diese Vorschriften können unter anderem den betreffenden Antragsteller verpflichten,
Tatsachen anzugeben und wesentliche Beweise vorzulegen, die ein neues Verfahren rechtfertigen, sofern
diese Verpflichtungen weder der Zugang eines Antragstellers zu einem neuen Verfahren unmöglich machen
noch zu einer effektiven Aufhebung oder erheblichen Beschränkung dieses Zugangs führen. Die genannte
Richtlinienbestimmung setzt aber denklogisch voraus, dass für die Angabe dieser Tatsachen und die Vorlage
wesentlicher Beweise auch eine (Ausschluss-)Frist vorgesehen werden kann, zumal die Bestimmung die zu
treffenden Verfahrensvorschriften explizit nicht abschließend bezeichnet („Diese Vorschriften können unter
anderem …“). Bei der nach der gegenteiligen Auffassung möglichen jederzeitigen Nachreichung von
Tatsachen und Beweisen im laufenden Verfahren auf Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags würde die
Bestimmung keinerlei beschränkende Wirkung und damit letztlich keine praktische Wirkung im
Asylverfahren entfalten.
9 Die Streichung des früheren Art. 34 Abs. 2 UAbs. 1 b) der Verfahrensrichtlinie 2005/85/EG, der die
Mitgliedstaaten ausdrücklich zur Einführung einer solchen Frist ermächtigte, ist demzufolge nicht auf einen
Entschluss des Richtliniengebers gegen die Zulässigkeit einer solchen Fristbestimmung zurückzuführen (so
aber Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 71 ; im Anschluss daran auch Funke-Kaiser, in: GK-AsylG,
103. Ergänzungslieferung Mai 2015, § 71 m.w.N.), zumal es hierfür an Anhaltspunkten in den
Materialien fehlt (vgl. wiederum Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, 103. Ergänzungslieferung Mai 2015, § 71
283> m.w.N.), sondern dürfte schlicht darauf beruhen, dass die Zulässigkeit einer Ausschlussfrist nach
nationalem Recht bereits - immanent - aus Art. 42 Abs. 2 a) der Verfahrensrichtlinie n.F. folgt (ebenso im
Ergebnis allerdings ohne nähere Begründung auch VG Freiburg, Urteil vom 03.08.2016 - A 6 K 1679/15 -).
10 Letztlich kann diese Frage hier ohnehin (noch) dahinstehen, da der Asylfolgeantrag der Antragstellerin am
09.07.2015 und damit noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist aus Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU am
20.07.2015 gestellt wurde.
11 2. Das Bundesamt hat vorliegend aber den Anspruch der Antragstellerin auf fehlerfreie Ermessensausübung
im Hinblick auf ein - nicht an die engen Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis
3 VwVfG gebundenen - Wiederaufgreifen der Entscheidung gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG
hinsichtlich der geltend gemachten Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG
(grundlegend BVerwG, Urteile vom 07.09.1999 - 1 C 6.99 -, NVwZ 2000, S. 204 und vom 21.03.2000 - 9 C
41.99 -, NVwZ 2000, S. 940 = BVerwGE 111, 77) verletzt.
12 Die Antragstellerin hat zur Begründung ihres Folgeschutzantrags vorgetragen, sie sei als Mitglied der
Religionsgemeinschaft der Bahá’i bei einer Rückkehr in den Iran in Lebensgefahr (vgl. S. 4 der Niederschrift
zu ihrer informatorischen Anhörung beim Bundesamt in Karlsruhe am 26.09.2016 mit Vermerk des
Anhörers, „die Fragen zum Glauben [seien] korrekt beantwortet [worden]“); sie hat mithin jedenfalls eine
ihr drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK
vorgetragen. Das Bundesamt hat im angegriffenen Bescheid hierzu jedoch lediglich ausgeführt, Gründe, die
unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen
Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gemäß § 49 VwVfG rechtfertigen würden, lägen ebenfalls
nicht vor. Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, die der Antragstellerin bei Rückkehr in den Iran
drohen könnten, seien nicht vorgetragen worden und lägen auch nach Erkenntnissen des Bundesamtes
nicht vor. Die Ausschlussfrist nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG sei nicht eingehalten.
Aus diesen Ausführungen wird nicht ersichtlich, dass der Vortrag der Antragstellerin vom Bundesamt in der
Sache geprüft und bei der vorzunehmenden Ermessensentscheidung berücksichtigt worden wäre. Dem
Eilantrag war demnach insoweit stattzugeben.
13 3. Einwendungen gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2
AufenthG in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheids des Bundesamtes sind nicht erhoben worden. Es ist daher
davon auszugehen, dass diese - ungeachtet der Zulässigkeit eines solchen Antrags (vgl. dazu nur OVG
Niedersachsen, Beschluss vom 14.12.2015 - 8 PA 199/15 -, juris, Rn. 5: fehlendes Rechtsschutzbedürfnis, da
eine vorläufige Suspendierung der Befristungsentscheidungen zu einer unbefristeten Geltung des Einreise-
und Aufenthaltsverbots führen würde; Statthaftigkeit allein eines Antrags gemäß § 123 Abs. 1 VwGO) -
jedenfalls nicht Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens ist.
III.
14 Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylG.
15 Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).