Urteil des VG Karlsruhe vom 21.11.2016

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VG Karlsruhe Urteil vom 21.11.2016, A 2 K 3605/16
Ernsthaftigkeit der Konversion zum Christentum verneint; Afghanistan Sicherheitslage Provinz
Ghazni 2015; Hazara 2015
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären
Schutzes, weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten.
2 Der am ...1994 in Ghazni, Afghanistan geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger vom Volk der
Hazara. Er reiste am 09.01.2016 über die Balkan-Route in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte
am 15.01.2016 einen Asylantrag.
3 Bei seiner Anhörung am 19.01.2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – im Folgenden:
Bundesamt – trug er im Wesentlichen vor, sein Bruder sei Taxifahrer gewesen. Eines Tages sei dieser für 10
Tage verschwunden und dann tot aufgefunden worden. Seine Mutter und er hätten dann alles verkauft und
seien Mitte 2015 in den Iran geflohen. Er sei dann allein nach Deutschland weiter gereist.
4 Mit Bescheid vom 21.07.2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter
sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab. Auch der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht
zuerkannt. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG
nicht vorliegen. Der Kläger wurde zur Ausreise aufgefordert und ihm die Abschiebung nach Afghanistan
angedroht. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
5 Der Kläger hat dagegen am 28.07.2016 Klage erhoben. Zur Begründung beruft er sich auf die bei seiner
Anhörung vorgetragenen Gründe und trägt ergänzend vor, er sei inzwischen zum Christentum konvertiert
und habe sich taufen lassen.
6 Der Kläger beantragt,
7
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom
21.07.2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen,
weiter hilfsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
8 Die Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Zur Begründung beruft sie sich auf die Begründung des angegriffenen Bescheids.
11 Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 21.11.2016 angehört. Wegen des
Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
12 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze, die
Niederschrift der mündlichen Verhandlung sowie die Akten des Bundesamts verwiesen.
Entscheidungsgründe
13 Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin, § 87a Abs. 2, Abs. 3
VwGO.
14 Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, auch wenn die Beklagte in der mündlichen Verhandlung
nicht vertreten war, denn die Ladung, die aufgrund des allgemeinen Verzichts der Beklagten auf die
Förmlichkeiten der Ladung formlos erfolgt ist, enthielt einen entsprechenden Hinweis (vgl. § 102 Abs. 2
VwGO).
I.
15 Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 21.07.2016 ist rechtmäßig und
verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat
keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Zuerkennung von subsidiärem Schutz oder die
Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
16 1. Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Denn dem Kläger droht
keine flüchtlingsrelevante Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG. Eine solche liegt nur vor, wenn der
Ausländer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen
Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes
(Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch
nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen liegen nicht
vor. Weder droht dem Kläger Einzelverfolgung (a), noch ist er als Angehöriger der Ethnie der Hazara verfolgt
(b), noch hat er eine Verfolgung wegen eines Übertritts zum christlichen Glauben zu befürchten (c).
17 a) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger individuell verfolgt wird. Er berichtete zwar,
einmal während einer Autofahrt beschossen worden zu sein, räumte aber ein, der Fahrer habe sich
verfahren gehabt und sei versehentlich in ein von Taliban kontrolliertes Gebiet geraten. Damit wurde keine
individuelle Verfolgung dargetan.
18 b) Unabhängig von der danach nicht vorliegenden, anlassgeprägten Einzelverfolgung droht dem Kläger auch
wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara nicht die Gefahr einer Verfolgung. Für die während
der Taliban-Herrschaft besonders verfolgte Gruppe der Hazara hat sich die Lage verbessert (Lagebericht
Auswärtiges Amt Afghanistan vom 06.12.2015, S. 11). Ungeachtet der unbestritten bestehenden
gesellschaftlichen Ausgrenzung und Benachteiligung besteht derzeit keine Gruppenverfolgung von Hazara in
Afghanistan, weil die genannten Benachteiligungen und vereinzelten gewaltsamen Übergriffe – auch
angesichts eines Anstiegs auf landesweit etwa 20 Vorfälle von auf Busreisen angegriffenen Hazara im Jahr
2015 (UNAMA Annual Report 2015, S. 49) und eines Anschlags auf eine vornehmlich von Angehörigen der
Hazara besuchte Demonstration in Kabul im Juli 2016 mit 80 Toten und 231 Verletzten
(https://www.tagesschau.de/ausland/kabul-explosion-105.html) – nicht die dafür erforderliche
Verfolgungsintensität und Verfolgungsdichte i.S.v. § 3a Abs. 1 AsylG aufweisen (st. Rspr., z.B. VG Augsburg,
Urt. v. 07.11.2016 - Au 5 K 16.31853 -, juris; VG Bayreuth, Urt. v. 13.08.2015 - B 3 K 15.30135 -, juris; VG
Würzburg, Urt. v. 22.12.2015 - W 2 K 15.30616 -, juris Rn. 30; VG Ansbach, Urt. v. 28.04.2015 - AN 11 K
14.30570 -, juris; VG Aachen, Urt. v. 10.11.2014 - 7 K 2575/13.A -, juris; Bayerischer VGH, Urt. v.
03.07.2012 - 13a B 11.30064 -, juris Rn. 20 ff.; Urt. v. 21.06.2013 - 13a B 12.30170 -, juris Rn. 24).
19 c) Dem Kläger droht auch keine Verfolgung aus religiösen Gründen. Das Gericht konnte nach ausführlicher
Anhörung des Klägers nicht zu der Überzeugung gelangen, dass beim Kläger eine ernsthafte Konversion zum
Christentum vorliegt.
20 Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die
Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a AsylG bzw. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a)
Qualifikationsrichtlinie zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH,
Urt. v. 05.09.2012 - Y und Z, C - 71/11 und C - 99/11 -, juris Rn. 70; BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C
23/12 -, juris Rn. 28 ff.). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei
Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die
erforderliche Schwere kann insbesondere – aber nicht nur – dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch
die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt,
strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung
unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die
tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, weil ein Verbot, das erkennbar nicht
durchgesetzt wird, keine erhebliche Verfolgungsgefahr begründet (BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12
-, juris Rn. 28 m.w.N.). Als relevanter subjektiver Gesichtspunkt ist der Umstand anzusehen, dass für den
Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrenträchtigen religiösen Praxis zur Wahrung seiner
religiösen Identität besonders wichtig ist (EuGH, Urt. v. 05.09.2012 - Y und Z, C-71/11 und C-99/11 -, juris
Rn. 70; BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 -, juris Rn. 29; VGH Baden-Württemberg, Urt. v.
12.06.2013 - A 11 S 757/13 -, juris Rn. 48; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 07.11.2012 - 13 A 1999/07.A -
, juris Rn. 35). Denn der Schutzbereich der Religionsfreiheit erfasst sowohl die von der Glaubenslehre
vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als
unverzichtbar empfindet. Dabei kommt es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der
religiösen Identität des einzelnen Ausländers an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis
nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (BVerwG, Beschl. v. 09.12.2010
- 10 C 19.09 -, BVerwGE 138, 270 = juris Rn. 43; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.06.2013 a.a.O.).
Maßgeblich ist dabei, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige
Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, Urt. v.
20.02.2013 a.a.O. Rn. 29). Dieser Maßstab setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder
jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung
seines Glaubens verzichten müsste (BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 a.a.O. Rn. 30). Jedoch muss die konkrete
Glaubenspraxis ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar
sein. Demgegenüber reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben
hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im
Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der
religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen
Glauben auszuüben oder hierauf zu verzichten (BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 a.a.O.; VGH Baden-
Württemberg, Urt. v. 12.06.2013 a.a.O. Rn. 49).
21 Ist der Schutzsuchende – wie hier – nicht bereits wegen seiner Religion verfolgt oder unmittelbar mit
Verfolgung bedroht worden, muss er glaubhaft machen, dass ihm wegen seiner Religionsausübung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
Entscheidend ist insoweit, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der
Lage des Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als
unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.03.2007 - 1 C 21.06 -, BVerwGE 128, 199; Urt. v.
05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582; Beschl. v. 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, DVBl 2008, 1255;
Sächsisches OVG, Urt. v. 03.04.2008 - A 2 B 36/06 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 20.05.2008 - A
10 S 72/08 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 07.11.2012 - 13 A 19999/07.A -, NVwZ-RR 2013,
575). Beruft sich der Schutzsuchende auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung, er sei in
Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss er die inneren
Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden
können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem
ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht, und der
Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt (vgl. BVerwG, Urt. v.
20.02.2004 - 1 C 9.03 -, BVerwGE 120, 16; Hessischer VGH, Urt. v. 26.07.2007 - 8 UE 3140/05.A -, juris;
OVG Saarland, Urt. v. 26.06.2007 - 1 A 222/07 -, juris; Bayerischer VGH, Urt. v. 23.10.2007 - 14 B
06.30315 -, DÖV 2008, 164; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 07.11.2012 - 13 A 19999/07.A -, NVwZ-RR
2013, 575; Beschl. v. 30.07.2009 - 5 A 1999/07.A -, juris). Wann eine solche Prägung anzuerkennen ist,
lässt sich nicht allgemein beschreiben. Nach dem aus der Gesamtheit des Verwaltungs- und gerichtlichen
Verfahrens gewonnenen Eindruck muss sich der Schutzsuchende aus voller innerer Überzeugung von
seinem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem anderen Glauben zugewandt haben. Hat er eine christliche
Religion angenommen, genügt es im Regelfall nicht, dass der Schutzsuchende lediglich formal zum
Christentum übergetreten ist, indem er getauft wurde. Von einem Erwachsenen, der sich zum
Bekenntniswechsel entschlossen hat, darf im Regelfall erwartet werden, dass er mit den wesentlichen
Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist. Welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, richtet
sich vorwiegend nach seiner Persönlichkeit und seiner intellektuellen Disposition. Überdies wird regelmäßig
nur dann anzunehmen sein, dass der Konvertit ernstlich gewillt ist, seine christliche Religion auch in seinem
Heimatstaat auszuüben, wenn er seine Lebensführung bereits in Deutschland dauerhaft an den
grundlegenden Geboten der neu angenommenen Konfession ausgerichtet hat (OVG Nordrhein-Westfalen,
Urt. v. 07.11.2012 - 13 A 19999/07.A -, NVwZ-RR 2013, 575; Beschl. v. 30.07.2009 - 5 A 982/07.A -, juris).
22 Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um
seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts
nachweisen (BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 -, NVwZ 2015, 1678; Urt. v. 20.02.2013 - 10 C
23/12 -, BVerwGE 146, 67; Beschl. v. 09.12.2010 - 10 C 19.09 -, BVerwGE 138, 270; OVG Nordrhein-
Westfalen, Beschl. v. 11.10.2013 - 13 A 2041/13.A -, juris Rn. 7; Urt. v. 07.11.2012 - 13 A 1999/07.A -, juris
Rn. 13). Dabei trägt der Konvertit die Darlegungs- und Beweislast für die sich in seinem persönlichen
Bereich abspielenden Vorgänge (Hessischer VGH, Urt. v. 26.07.2007 - 8 UE 3140/05.A -, juris; vgl. auch VG
Darmstadt, Urt. v. 10.11.2005 - 5 E 1749/03.A -, juris). Das Gericht ist an kirchliche Bescheinigungen und
Einschätzungen, insbesondere einen kirchenrechtlich formal wirksam vollzogenen Übertritt zum
Christentum in Gestalt der Taufe, nicht gebunden (BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40.15 -, NVwZ
2015, 1678; Bayerischer VGH, Beschl. v. 09.04.2015 - 14 ZB 14.30444 -, juris Rn. 5; Beschl. v. 12.01.2012 -
14 ZB 11.30346 -, juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.09.2014 - 13 LA 93/14 -, juris Rn. 6; Hessischer VGH,
Urt. v. 26.07.2007 - 8 UE 3140/05.A -, juris; VG Würzburg, Urt. v. 30.09.2016 - W 1 K 16.31087 -, juris). Da
es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des
Asylbewerbers, etwa zur Entwicklung des Kontaktes zu dem neuen Glauben, zur Glaubensbetätigung und
zu Kenntnissen über die neuen Glaubensinhalte, sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren
Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der
mündlichen Verhandlung feststellen (BVerwG Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40.15 -, NVwZ 2015, 1678; Urt. v.
20.2.2013 - 10 C 23/12 -, BVerwGE 146, 67; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.06.2013 - A 11 S 757/13
-, juris; Hessischer VGH, Urt. v. 26.07.2007 - 8 UE 3140/05.A -, juris; Beschl. v. 26.06.2007 - 8 UZ 452/06.A
-, juris).
23 Hiervon ausgehend ist das Gericht unter Würdigung des Akteninhalts und nach der persönlichen Anhörung
des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass der Kläger sich ernsthaft und
dauerhaft dem Christentum zugewandt hat und die geltend gemachten christlichen Aktivitäten von einer
identitätsprägenden Glaubensüberzeugung getragen werden, sondern dass sie vielmehr auf asyl- und
verfahrenstaktischen Erwägungen beruhen.
24 Zunächst ist der Bericht über den Glaubenswandel zwar in sich schlüssig, insgesamt ergibt sich aber der
Eindruck, als gebe der Kläger einen auswendig gelernten Text wieder, anstatt die Erinnerung an ein eigenes
Erleben. Dies wird besonders am Stil der Erzählung über den Glaubenswandel deutlich, der vollkommen
anders ist, als der im weiteren Verlauf der Befragung zu Tage tretende. Im Gegensatz zu der Darstellung
des Klägers von seiner Taufe ist die Erzählung über den Glaubenswandel geradezu bemerkenswert gut
fokussiert auf die Fragestellung, voller Berichte über innere Vorgänge sowie detailreich erzählt unter
wörtlicher Wiedergabe von Gesprächen. Dies steht in auffälligem Kontrast zu der Erzählung über seine
Taufe, wo der Kläger offenbar Mühe hatte, den Sinn der Fragen zu verstehen, und unstrukturiert und in
einfachen Sätzen unter Zuhilfenahme einfacher Gedankengänge berichtete. Als der Kläger später noch
einmal nach der Geschichte seines Glaubenswandels befragt werden sollte, wurde er zudem aufbrausend,
antwortete ausweichend und musste von seinem Prozessbevollmächtigten beruhigt werden.
25 Auch aus der Glaubensbetätigung lassen sich keine gewichtigen Hinweise für eine innere Überzeugung des
Klägers gewinnen. Der Kläger ist zwar an eine Gemeinde angebunden, dies aber noch nicht besonders lange
und nicht in besonderem Umfang. Auch ansonsten hat er, abgesehen von der unter zweifelhaften
Umständen stattgefundenen Taufe, keine besonderen Aktivitäten der Glaubensbetätigung entfaltet. Der
Kläger gab an, in der persischsprachigen Gruppe in Heidelberg nur zwei bis drei Wochen gewesen zu sein,
bevor er nach ... verlegt worden sei. Einen Namen der Heidelberger Gruppe vermochte der Kläger nicht zu
benennen. In der Gemeinde ... hat der Kläger regelmäßig den Sonntagsgottesdienst besucht, was sich aus
der vorgelegten Bescheinigung des Pfarrers ... der evangelischen Gemeinde ... vom 19.11.2016 ergibt. Da er
dort allerdings erst seit dem 28.04.2016 wohnt, dauern die Gottesdienstbesuche bestenfalls ein knappes
halbes Jahr an. Von weiteren konkreten Gemeindeaktivitäten in ... konnte der Kläger nicht berichten. Mit
der Perzische Kerk Kores, die ihn taufte, hatte er nur durch übersandtes Missionierungsmaterial in Form
einer CD, einer Broschüre und übersetzten Büchern sowie das Telefongespräch zur Vereinbarung des
Tauftermins Kontakt.
26 Die mangelnde Ernsthaftigkeit der Hinwendung zum christlichen Glauben ergibt sich auch aus den
Umständen der Taufe des Klägers. Der Kläger gab an, er habe zusammen mit anderen Asylbewerbern seiner
Unterkunft eine Telefonnummer erhalten. Sie hätten einen Termin bekommen und es habe geheißen, jeder
der den Glauben wechseln möchte, solle an diesem Datum kommen. Die Taufe habe in Köln in persischer
Sprache stattgefunden. Ein Herr ..., an dessen Namen der Kläger sich erst nach einigem Überlegen
erinnerte, habe drei Fragen aus dem apostolischen Glaubensbekenntnis gestellt und ihn dann mit Wasser
begossen. Insgesamt seien etwa sieben Personen anwesend gewesen, darunter die Taufzeugen. Diese seien
aus Holland gewesen, hätten zu Herrn ... gehört und seien dem Kläger nicht näher bekannt gewesen.
Auffällig ist, dass der Kläger bei der Frage nach der Taufe mit einem Reisebericht über Köln begann, der
detaillierter ausfiel als der Bericht über die eigentliche Taufzeremonie, auf die er erst nach mehrmaligem
Nachfragen näher einging. Offenbar hatte der Kölner Dom den Kläger mehr beeindruckt als die Taufe selbst.
Daraus ergibt sich ebenfalls der Eindruck, dass die Taufe für den Kläger kein besonderes, identitätsprägendes
Erlebnis war.
27 Auch aus der Wahl der Perzische Kerk Kores für die Taufe kommt darüber hinaus zum Ausdruck, dass der
Kläger der Taufe für sich keine besondere Bedeutung zugemessen hat. Es bleibt nicht nachvollziehbar,
warum er zur Taufe zur Perzische Kerk Kores gegangen ist, deren Mitglieder er nicht kannte und mit der er
nur telefonischen Kontakt zur Vereinbarung eines Tauftermins hatte. Bei einer ernsthaften inneren
Verbundenheit zur christlichen Gemeinschaft wäre es auf der anderen Seite naheliegend gewesen, dass der
Kläger sich in seiner Heimatgemeinde hätte taufen lassen, um dieses Ereignis mit ihm bekannten
Mitgläubigen gebührend zu feiern. Die Angabe des Klägers, dass es eine unüberwindbare Sprachbarriere
gegeben hätte, ist nicht glaubhaft. Denn in anderem Zusammenhang hatte der Kläger zum einen
angegeben, üblicherweise habe ein ebenfalls die Kirche besuchender Freund übersetzt, wenn es um die
Verständigung mit den anderen Gemeindemitgliedern in ... gegangen sei. Zum anderen habe sich der Pfarrer
in ... nach den Angaben des Klägers sehr hilfsbereit gezeigt, indem er ihm beispielsweise eine Bescheinigung
über den regelmäßigen Besuch des Gottesdienstes ausgestellt habe. Angesichts dieser Umstände hat der
Kläger nicht plausibel dargelegt, warum er sich nicht in seiner Heimatgemeinde ... hat taufen lassen.
Alternativ hätte der Kläger sich auch an die von ... nicht übermäßig weit entfernte, angebliche Gruppe in
Heidelberg wenden können, in der nach dem Vortrag des Klägers immerhin persisch gesprochen werde und
zu der er einigermaßen regelmäßig hätte zum Gottesdienst gehen können.
28 Auch im Hinblick auf die Glaubensinhalte konnte das Gericht nicht zu der Überzeugung eines
identitätsprägenden Glaubens beim Kläger kommen. Es ergab sich der Eindruck, als hätte der Kläger die
Antworten auf die naheliegenden Fragen auswendig gelernt, ohne dabei in eine inhaltliche
Auseinandersetzung mit dem Stoff zu treten, wie man es von einem Konvertiten erwarten darf. Dies wird
ersichtlich durch eine mangelnde Verknüpfung der auswendig gelernten Inhalte. So konnte der Kläger als
Formen Gottes nach der christlichen Lehre zwar Vater, Sohn und den Heiligen Geist nennen, die Frage nach
dem Namen des Gottessohns konnte er jedoch erst auf ein zweites Fragen und dann nur zögerlich
beantworteten. Weitere, auch nicht durch die Vielfalt christlicher Strömungen und die Besonderheiten des
Selbststudiums zu erklärende eklatante Wissenslücken ergaben sich bei der Befragung zum Leben und
Wirken von Jesus Christus. Befragt danach, was Jesus laut der christlichen Lehre zu seinen Lebzeiten getan
habe, antwortete er schlicht, Jesus habe Menschen gebeten. Auch auf mehrmaliges Nachfragen konnte er
keine einzige Geschichte von oder mit Jesus berichten, obwohl wesentliche christliche Glaubensinhalte durch
Geschichten über Jesus oder von Jesus erzählten Gleichnissen transportiert werden. Die Frage, wie die
biblische Erzählung von Jesus beginnt, konnte er zunächst gar nicht beantworten und erwähnte auf eine
weitere Nachfrage Moses. Erst nach einem Hinweis auf das Neue Testament meinte er, die Geschichte
beginne damit, dass der Heilige Geist zu Maria käme. Weitere Auffälligkeiten bestätigen in der Summe den
gewonnenen Eindruck. Beispielsweise konnte der Kläger kein einziges Buch der Bibel nennen, das ihm
besonders gefallen habe, obwohl er angeblich alle gelesen haben will.
29 Demgegenüber fällt nicht ins Gewicht, dass der Kläger die Geschichte der Kreuzigung detailliert und
angereichert mit vielen Namen wiedergeben, und auch die Geschehnisse anderer Schlüsselszenen des
Neuen Testaments, namentlich der Empfängnis Jesu, der Geburt im Stall und des Auffindens des leeren
Grabs durch die Jünger, berichten konnte. Seine Schilderungen blieben auf der Sachebene, ohne religiöse
Deutungen der Geschehnisse einzubeziehen und ließen keine innere Auseinandersetzung oder gar eine
Glaubensüberzeugung erkennen. Abgerundet wurde der Eindruck einer „Show“ durch das Deklamieren
einer Bibelstelle am Ende der Erzählung seines Glaubenswandels und der gleichen Bibelstelle an einem
weiteren Punkt der Befragung, als er offenbar nicht antworten wollte.
30 Schließlich muss der Kläger in Afghanistan auch keine Verfolgung wegen des nur formalem Übertritts zum
Christentum durch die Taufe befürchten, da für eine derartige Verfolgungspraxis in Afghanistan keine
konkreten Anhaltspunkte ersichtlich sind (vgl. Hessischer VGH, Urt. v. 26.07.2007 - 8 UE 3140/05.A -, juris;
VG Würzburg, Urt. v. 30.09.2016 - W 1 K 16.31087 -, juris).
31 Im Übrigen würde auch die Tatsache, dass sich ein Asylbewerber auf einem „eingeschlagenen Weg der
Glaubensüberzeugung“ befindet, obgleich die Konversion zum Christentum – hier offensichtlich – noch nicht
abgeschlossen ist, keinen asylrechtsrelevanten Eingriff in die Religionsfreiheit begründen (Bayerischer VGH,
Beschl. v. 20.04.2015 - 14 ZB 13.30257 -, juris).
32 2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht
hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 2 AsylG durch
einen flüchtlingsrechtsrelevanten Akteur im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG droht. Eine
unmenschliche Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG umfasst dabei jedenfalls sämtliche
Maßnahmen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder
physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen
Menschenrechte verstoßen wird (vgl. Bergmann, in: Renner u. a., Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 4 AsylG
Rn. 10 m.w.N.).
33 a) Der Kläger hat keine stichhaltigen Gründe dafür vorgebracht, dass ihm bei der Rückkehr nach Afghanistan
ein ernsthafter Schaden im oben genannten Sinne droht (s.o.).
34 b) Der Kläger ist auch nicht allgemein wegen eines innerstaatlichen Konflikts in Afghanistan bedroht. Für die
Annahme einer Gefahr genügt dabei nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten
Gefährdungen der Bevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt (BVerwG, Urt. v.
13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24). Erforderlich ist, dass sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine
Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende – und damit allgemeine – Gefahr in der Person des Klägers so
verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt. Eine
derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung
aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Hierzu gehören in erster Linie
persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen
erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe
der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der
Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder
ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 18 m.w.N.).
Fehlen individuelle gefahrerhöhende Umstände, so kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr
ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad
gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen
Gebiet einer ernsthaften, individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, - 10 C
13.10 -, juris Rn. 18). Erforderlich ist insoweit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt (BVerwG,
Urt. v. 17. 11. 2011, - 10 C 13.10 -, juris Rn. 18).
35 Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen
Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten i.S.v.
Art. 1 Nr. 2 des Zusatzprotokolls vom 08.06.1977 zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den
Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl. 1990 II, S. 1637) – ZP II – oder aber als
anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren sind,
kann dahinstehen, weil der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt
wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein
Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urt. v. 14.07.2009 - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188).
Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der
Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher
Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet
verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die
Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, Urt.
v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377). Die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr setzt
voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib
oder Leben droht. Ein Schadensrisiko von 1:800 bzw. 0,125 % ist dabei weit von der Schwelle der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (BVerwG, Urt. v. 17.10.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 20, 23).
36 Hiervon ausgehend ergibt sich aus der aktuellen Erkenntnismittellage nicht, dass die Situation in der
Heimatprovinz des Klägers, Ghazni, einen so hohen Gefahrengrad erreicht hat, dass praktisch jede
Zivilperson allein aufgrund ihrer dortigen Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung
ausgesetzt wäre (VG Würzburg, Urt. v. 05.07.2016 - W 1 K 16.30614 -, juris). Diese Einschätzung wird für
die Südostregion, der die Provinz Ghazni angehört, von weiteren Gerichten geteilt (Bayerischer VGH,
Beschl. v. 20.08.2015 - 13a ZB 15.30062 -, juris; Beschl. v. 11.03.2014 - 13a ZB 13.30246 -, juris Rn. 5 f.;
Urt. v. 04.06.2013 - 13a B 12.30063 -, juris Rn. 15 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -,
juris Rn. 42 ff.).
37 Der Jahresbericht der UNAMA vom Februar 2012 (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2011 Protection of
Civilians in Armed Conflict) geht für das Jahr 2011 für Afghanistan landesweit von 3.021 toten Zivilisten
(gegenüber den 2.777 toten Zivilisten des Vorjahres eine Steigerung von 8 Prozent) und 4.507 Verletzten
(im Vorjahr 4.368 Verletzte), somit von insgesamt 7.528 zivilen Opfern aus. Der Jahresbericht der UNAMA
vom Februar 2013 (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2012 Protection of Civilians in Armed Conflict) geht
für das Jahr 2012 von 7.559 zivilen Opfern aus (2.754 Tote und 4.805 Verletzte). Nach dem Afghanistan
Annual Report 2013 Protection of Civilians in Armed Conflicts der UNAMA sind im Jahr 2013 2.959 tote und
5.656 verletzte Zivilpersonen zu beklagen. Hieraus ergibt sich dem Bericht zufolge im Vergleich zu 2012
eine Steigerung der Zahl der getöteten Zivilpersonen um 7 Prozent und der Zahl der verletzten
Zivilpersonen um 17 Prozent. Der Midyear Report 2014 der UNAMA gibt für das erste Halbjahr 2014 1.564
tote und 3.289 verletzte Zivilpersonen in ganz Afghanistan an. Dies entspricht einer Steigerung gegenüber
dem Vergleichszeitraum 2013 um knapp 17 bzw. 28 Prozent. Betrachtet man die durchschnittliche
Gefährdung landesweit ergibt sich bei ca. 8.615 toten und verletzten Zivilisten im Jahr 2013 bzw.
hochgerechnet 9.706 zivilen Opfern im Jahr 2014 bezogen auf eine Gesamtbevölkerung von mindestens 25
Millionen trotz steigender Opferzahlen weiterhin kein so hoher Gefährdungsgrad, dass praktisch jede
Zivilperson dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Das Verhältnis der zivilen
Opfer pro Jahr zur Gesamtbevölkerung liegt weiterhin vorsichtig geschätzt bei höchstens 1:2.500. Die
Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG liegen damit in den genannten Jahren nicht vor (vgl. BVerwG,
Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 26.2.2014 - A 11 S 2519/12 -,
juris).
38 Die regional unterschiedliche Veränderung der Opferzahlen lässt sich in Beziehung zu der Zahl der
Zwischenfälle in den einzelnen Provinzen im Jahr 2015 setzen. Im Zeitraum von 15. Februar bis 31. Juli
2015 gab es nach den Erkenntnissen des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO)
landesweit 11.129 sicherheitsrelevante Zwischenfälle (Entführungen, Luftangriffe, bewaffnete
Auseinandersetzungen, Verhaftungen, Tötungen, versuchte Tötungen, Waffenlager, Kriminalität,
Demonstrationen, detonierte und entdeckte unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen,
Einschüchterungen, Landminen, Drogen, Selbstmordattentate und „Stand-Off“-Angriffe), davon vom 01.
Januar bis 31. August 2015 1.046 in der Provinz Ghazni (EASO Country of Origin Information Report,
Afghanistan Security Situation, Januar 2016, S. 158). Hochgerechnet auf das Jahr 2015 entspricht dies
landesweit 24.470 sicherheitsrelevanten Zwischenfällen, davon 1.571 – also ca. 6,42 % – in der Provinz
Ghazni. Eine Anwendung des genannten Prozentsatzes auf die von der UNAMA verzeichneten Zahlen der
im Jahr 2015 landesweit 3.545 getöteten und 7.457 verletzten Zivilpersonen (UNAMA Annual Report 2015,
Februar 2016, S. 1) führt zu einer geschätzten Anzahl von 228 getöteten und 479 verletzten Zivilpersonen
in der Provinz Ghazni. Bei einer Einwohnerzahl von 1.228.831 (EASO Country of Origin Information Report,
Afghanistan Security Situation, Januar 2016, S. 89) und 707 Toten/Verletzten ergibt sich eine
Wahrscheinlichkeit von 0,058 %, Opfer eines Anschlags zu werden. Dieser im Promillebereich liegende
ungefähre Wahrscheinlichkeitswert bewegt sich damit weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit.
39 Auch wenn der Vergleich der Opferzahlen mit der Zahl der Angriffe nicht exakt auf die tatsächliche
Opferzahl schließen lässt, gibt er doch eine realistische Basis für die erforderliche Risikoabschätzung. Selbst
wenn man davon ausgeht, dass die Sicherheitslage in Gesamtafghanistan und auch in der Südostregion
weiterhin angespannt bleibt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt
kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass praktisch jede Zivilperson
allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist
(Bayerischer VGH, Beschl. v. 20.08.2015 - 13a ZB 15.30062 -, juris). Dies gilt auch unter Berücksichtigung
der unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan, die eine Notfallbehandlung
Schwerverletzter nur eingeschränkt ermöglichen dürfte.
40 Des Weiteren gibt es keine besonderen, in der Person des Klägers liegenden, individuellen Umstände, die auf
eine erhöhte Gefährdung im Verhältnis zu sonstigen Angehörigen der Zivilbevölkerung schließen lassen.
Auch diesbezüglich ist nicht von einer signifikant höheren Gefahr für Angehörige der Hazara auszugehen
(s.o.). Für den Kläger besteht somit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, Opfer des Konflikts
zu werden.
41 3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 60 Abs. 7 AufenthG.
42 Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat
abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Für eine konkrete, den Kläger betreffende Gefährdungslage hat der Kläger nichts dargetan. Gefahren, denen
die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden
gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bei Entscheidungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt.
Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG kann zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung
überwunden werden, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten
Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, juris; VGH Baden-
Württemberg, Urt. v. 14.05.2009 - A 11 S 610/08 -, juris). Aus den Erkenntnismitteln ergibt sich jedoch
nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher afghanischer Rückkehrer mit hoher
Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die
eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die
Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht
anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder
alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären (Bayerischer VGH, Urt. v. 12.02.2015 -
13a B 14.30309 -, juris; Urt. v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 -, juris; Urt. v. 03.02.2011 - 13a B 10.30394 -,
juris). Anhaltspunkte für eine solche extreme Gefahrenlage bestehen im Fall des Klägers nicht und lassen
sich auch dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen. Ein arbeitsfähiger Mann, der mangels familiärer
Bindungen keine Unterhaltslasten zu tragen hat, kann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im
Falle einer Rückführung in sein Heimatland Afghanistan ein ausreichendes Auskommen erzielen (vgl.
Bayerischer VGH, Urt. v. 15.03.2014 - 13a B 12.30406 -, juris). Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger
mit seiner Erfahrung als Bauarbeiter in der Lage ist, Gelegenheitsarbeiten zu finden und auszuführen und
ggf. unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe zumindest ein kleines Einkommen erzielen kann, um sein
Überleben zu sichern (vgl. Bayerischer VGH, Urt. v. 13.03.2014 - 13a ZB 14.30043 -, juris Rn. 10). Der
Kläger ist auch nicht deswegen einer besonderen Gefährdung ausgesetzt, weil er der Volksgruppe der
Hazara angehört. Die Erkenntnismittel enthalten keine Hinweise, dass der Kläger als Angehöriger der
Minderheit der Hazara in der multiethnischen Stadt Kabul keine Chance hätte, sich etwa als Tagelöhner zu
verdingen (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 26.04.2016 - W 1 K 16.30269 -, juris; VG Bayreuth, Urt. v. 13.08.2015
- B 3 K 15.30135 -, juris). Zudem kann der Kläger auf das soziale Netzwerk aus Bekannten in seiner
Heimatprovinz zurückgreifen.
43 Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach
den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig (EMRK) ist. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urt. v.
11.11.1997 - 9 C 13.96 -, BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich
Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der
Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse). Dabei sind alle Verbürgungen der
EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Schlechte humanitäre
Bedingungen im Abschiebezielstaat können jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3
EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine
Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C
15.12 -, NVwZ 2013, 1167 unter Verweis auf EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland,
Nr. 30696/09 -, NVwZ 2011, 413; Urt. v. 28.06.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 -,
NVwZ 2012, 681; Urt. v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952; Bayerischer
VGH, Urt. v. 12.02.2015 - 13a B 14.30309 -, juris). Besondere Umstände, die vorliegend eine andere
Beurteilung gebieten würden, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch nicht erkennbar. Im Übrigen
wird auf die Ausführungen zu § 60 Abs. 7 AufenthG verwiesen.
44 4. Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist ebenso
wie die nach § 38 Abs. 1 AsylG festgesetzte Ausreisefrist nicht zu beanstanden.
II.
45 Die Entscheidung über die Kostentragung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus
§ 83b AsylG.