Urteil des VG Karlsruhe vom 10.11.2016

personalakte, subjektives recht, behandlung, erlass

VG Karlsruhe Beschluß vom 10.11.2016, 9 K 4614/16
Bewerbung; Beamter; Bewerbungsverfahrensanspruch; Vertraulichkeit; Hinzuziehung der
Personalakte; Vergleichbarkeit von Beurteilungen und Zeugnissen
Leitsätze
Allein die Bitte eines Bewerbers um die vertrauliche Behandlung seiner Bewerbung entbindet den
auswählenden Dienstherrn grundsätzlich nicht davon, eine an den Maßgaben des Art. 33 Abs. 2 GG orientierte
Auswahlentscheidung unter Hinzuziehung der hierfür grundsätzlich erforderlichen Unterlagen zu treffen. Es
obliegt ihm daher, einen Bewerber, der um vertrauliche Behandlung seiner Bewerbung bittet, darauf
hinzuweisen, dass er für die ordnungsgemäße Auswahlentscheidung grundsätzlich Einblick in die Personalakte
beziehungsweise jedenfalls in die bisherigen dienstlichen Beurteilungen benötigt.
Tenor
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die ausgeschriebene Stelle der
Leitung des Geschäftsbereichs Umwelt und Bauen beim Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis mit dem
Beigeladenen zu besetzen, solange nicht eine erneute Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts getroffen worden ist.
Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers jeweils zur Hälfte. Der Beigeladene behält seine außergerichtlichen Kosten auf sich.
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
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1. Der - sachdienlich gefasste - Antrag des Antragstellers, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung zu untersagen, die ausgeschriebene Stelle der Leitung des Geschäftsbereichs Umwelt und Bauen
beim Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis mit dem Beigeladenen zu besetzen, solange nicht eine erneute
Entscheidung über seine Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts getroffen worden
ist, hat Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1
VwGO liegen vor.
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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung,
eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass
durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers
vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Erforderlich ist, dass der Antragsteller die
Eilbedürftigkeit - den Anordnungsgrund - und sein subjektiv-öffentliches Recht - den Anordnungsanspruch -
glaubhaft macht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diesen Anforderungen wird der
vorliegende Antrag gerecht.
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a) Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Zwar folgt dies nicht aus einem zu
befürchtenden Bewährungsvorsprung, der dem Beigeladenen im weiteren Verlauf des Verfahrens einen
Vorteil gegenüber dem Antragsteller bringen könnte (aa). Jedoch liegt eine besondere Bewerberkonstellation
vor, in der die Besetzung des ausgeschriebenen Dienstpostens mit der Verleihung eines Statusamts
verbunden werden soll, so dass diese nicht mehr rückgängig zu machen wäre (bb).
4
aa) Bei der ausgeschriebenen Stelle handelt es sich nicht um ein Statusamt, sondern um ein Amt im
konkret-funktionellen Sinne beziehungsweise einen Dienstposten. Dies ergibt sich aus dem
Ausschreibungstext, mit dem die Besetzung der „Leitung des Geschäftsbereichs Umwelt und Bauen“
ausgeschrieben und weiter ausgeführt wird, dass diese „Stelle nach Besoldungsgruppe A 15 LBesO bzw.
Entgeltgruppe 15 TVöD bewertet“ sei. An anderer Stelle ist aufgeführt, der Antragsgegner biete „eine
Bezahlung für Beschäftigte nach Entgeltgruppe 15 TVöD, für Beamtinnen und Beamte bis Besoldungsgruppe
A 15 LBesO“. Eine statusrechtliche Amtsbezeichnung wird in der Ausschreibung gerade nicht benannt.
Zudem wird offen gelassen, ob eine beamtenrechtliche Besoldung oder eine tarifliche Entlohnung erfolgen
soll. Ausgeschrieben ist damit lediglich das Funktions- und nicht das Statusamt.
5
Während die ältere Rechtsprechung einen Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung,
mit der die vorläufige Besetzung eines bloßen Dienstpostens verhindert werden soll, darin gesehen hat,
dass der rechtswidrig ausgewählte Bewerber auf dem Dienstposten einen Erfahrungsvorsprung sammeln
kann, der bei einer nochmaligen Auswahlentscheidung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen wäre (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 27.09.2011 - 2 VR 3.11 -, NVwZ-RR 2012, 71; VGH Baden-Württemberg, Beschluss
vom 12.12.2013 - 4 S 2153/13 -, VBlBW 2014, 272, m.w.N.), ist der Dienstherr nach der neuesten
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nicht mehr daran gehindert, den
umstrittenen Dienstposten während des laufenden Konkurrentenstreitverfahrens zu besetzen (BVerwG,
Beschluss vom 10.05.2016 - 2 VR 2.15 -, DVBl 2016, 1271). Das Bundesverwaltungsgericht geht nunmehr
davon aus, dass die Auswahlentscheidung ohne weiteres nachträglich korrigiert werden kann, wenn sie sich
später im Rahmen eines Widerspruchs- oder anschließenden Gerichtsverfahrens als rechtswidrig erweist;
denn der gegebenenfalls erzielte Bewährungsvorsprung des rechtswidrig ausgewählten Bewerbers sei bei
der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Besetzung - beispielsweise durch eine fiktive Fortschreibung der
Beurteilungsgrundlagen - außer Acht zu lassen. Hieraus folgt, dass für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung, mit der die Besetzung eines bloßen Dienstpostens mit einem Konkurrenten vorläufig verhindert
werden soll, grundsätzlich kein Anordnungsgrund mehr besteht, da der unterlegene Bewerber zur
Sicherung des geltend gemachten Bewerbungsverfahrensanspruchs nicht auf eine solche angewiesen ist
(vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.07.2016 - 4 S 1083/16 -, IÖD 2016, 218).
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bb) Im vorliegenden Fall liegt indes die besondere Konstellation vor, dass der vom Antragsgegner für den
Dienstposten ausgewählte Beigeladene bislang außerhalb des öffentlichen Dienstes tätig ist und der
Antragsgegner zu ihm erstmals ein Dienstverhältnis begründen muss, um ihm das ausgeschriebene
Funktionsamt zu übertragen. Zwar mag es Wege geben, dies auf eine Art und Weise arbeitsrechtlich so zu
gestalten, dass die Stellenbesetzung rückgängig gemacht werden könnte, sollte sich die
Auswahlentscheidung später als rechtswidrig erweisen. Vorliegend hat sich der Antragsgegner jedoch dazu
entschieden, den Beigeladenen mit der Übertragung des ausgeschriebenen Dienstpostens sogleich in das
Beamtenverhältnis auf Probe zu berufen und ihn zum Kreisverwaltungsrat nach A 13 zu ernennen. Damit
ist die Besetzung des ausgeschriebenen Dienstpostens gleichzeitig mit der Verleihung eines Statusamts
verbunden, die wegen des Grundsatzes der Ämterstabilität auch dann nicht ohne weiteres rückgängig zu
machen wäre, wenn sich die Auswahlentscheidung als rechtswidrig erwiese (vgl. BVerwG, Urteil vom
21.11.1996 - 2 A 3.96 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.12.2005 - 4 S 1997/05 -, NVwZ-
RR 2006, 489). Hieran ändert es auch nichts, dass der Beigeladene zunächst als Beamter auf Probe ernannt
werden würde, da auch ein Beamtenverhältnis auf Probe nur unter bestimmten, gesetzlich im Einzelnen
geregelten Voraussetzungen beendet werden kann (vgl. § 23 Abs. 3 BeamtStG), zu denen gerade nicht die
Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung gehört. Nach alledem besteht hier die Gefahr, dass im Zuge der
Besetzung des Dienstpostens mit dem Beigeladenen Fakten geschaffen werden, die die Rechte des
Antragstellers vereiteln würden.
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b) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein abgelehnter Bewerber, der
geltend macht, sein Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG sei in einem durchgeführten
Auswahlverfahren zur Besetzung einer ausgeschriebenen Stelle durch eine fehlerhafte
Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt worden, kann eine erneute Entscheidung über seine
Bewerbung beanspruchen, wenn seine Erfolgsaussichten bei einer erneuten Auswahl offen sind, seine
Auswahl also möglich erscheint (stRspr; vgl. etwa BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom
24.09.2002 - 2 BvR 857/02 -, NVwZ 2003, 200; BVerwG, Urteil vom 17.08.2005 - 2 C 37.04 -, BVerwGE
124, 99). Dieser Prüfungsmaßstab ist wie im Hauptsacheverfahren auch im Verfahren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Untersagung der beabsichtigten Personalmaßnahme anzulegen
(vgl. BVerwG, Urteil vom 04.11.2010 - 2 C 16.09 -, BVerwGE 138, 102).
8
aa) Der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers wurde vorliegend durch eine fehlerhafte
Auswahlentscheidung des Antragsgegners verletzt.
9
Die Vorschrift des Art. 33 Abs. 2 GG (vgl. auch § 9 BeamtStG) gewährt jedem Deutschen ein
grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und
fachlicher Leistung. Sie vermittelt jedem Bewerber um ein solches Amt einen Anspruch auf
leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl (Bewerbungsverfahrensanspruch; vgl. BVerwG,
Beschluss vom 20.06.2013 - 2 VR 1.13 -, BVerwGE 147, 20). Die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG beziehen
sich auf die Vergabe von Statusämtern. Bei der Vergabe bloßer Dienstposten bindet die Verfassungsnorm
den Dienstherrn grundsätzlich nicht. Anderes gilt jedoch dann, wenn durch die Besetzung eines
(höherwertigen) Dienstpostens die Voraussetzungen für die Vergabe eines statusrechtlichen Amts vermittelt
oder die nachfolgende Auswahlentscheidung über ein Statusamt vorweggenommen oder vorbestimmt wird,
die Vergabe des Dienstpostens materiell also bereits Vorwirkungen auf die Entscheidung über das Statusamt
entfaltet (BVerwG, Beschluss vom 20.06.2013 - 2 VR 1.13 -, BVerwGE 147, 20). So liegen die Dinge auch
hier. Mit der Vergabe des hier ausgeschriebenen Funktionsamts verbindet der Antragsgegner die Absicht,
dem Beigeladenen ein Statusamt zu verleihen und ihn in den nächsten Jahren bei Vorliegen der weiteren
laufbahnrechtlichen Voraussetzungen in höhere Statusämter zu befördern, bis dieses der Bewertung des
Dienstpostens mit A 15 entspricht. Von einer Vorwirkung ist damit ersichtlich auszugehen.
10 Als Akt wertender Erkenntnis ist die Auswahlentscheidung gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (vgl.
BVerwG, Urteil vom 16.08.2001 - 2 A 3.00 -, BVerwGE 115, 58). Die verwaltungsgerichtliche
Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich auf die Überprüfung zu beschränken, ob der Dienstherr den
anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob
er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige
Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 01.06.2012 - 4 S 472/12 -, VBlBW 2012, 423, m.w.N.). Die Entscheidung über die
Bewerberauswahl hat sich vorrangig an leistungsbezogenen Kriterien zu orientieren. Regelmäßig sind dies
die - bezogen auf den Zeitpunkt der Auswahlentscheidung - aktuellsten dienstlichen Beurteilungen (vgl.
etwa BVerwG, Beschluss vom 20.02.2004 - 2 VR 3.03 -, juris; Beschluss vom 20.06.2013 - 2 VR 1.13 -,
BVerwGE 147, 20; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.09.2016 - 4 S 1578/16 -, juris). Die
Ergebnisse von anderen Auswahlverfahren (Auswahlinterviews, strukturierte Auswahlgespräche oder
gruppenbezogene Auswahlverfahren) können grundsätzlich nur ergänzend zu den dienstlichen
Beurteilungen herangezogen werden, weil sie im Vergleich mit diesen eine nur beschränkte Aussagekraft
haben und die Beurteilungsgrundlagen nur erweitern, also das anderweitig gewonnene Bild über einen
Bewerber nur abrunden können (VG Berlin, Beschluss vom 30.07.2014 - 7 L 242/14 -, juris). Prüfungen
dieser Art vermitteln in der Regel nicht mehr als eine Momentaufnahme, decken zwangsläufig nur einen Teil
der Anforderungen des neuen Amtes beziehungsweise der neuen Laufbahn ab und sind von der Tagesform
des Bewerbers abhängig. Wer sich in einer Prüfungssituation bewährt, ist nicht zwangsläufig der
leistungsstärkste und beste Bewerber. Dienstliche Beurteilungen beziehen sich demgegenüber regelmäßig
auf einen längeren, meist sogar mehrjährigen Zeitraum, in dem der Beamte den konkreten vielfältigen
Anforderungen seines Amtes gerecht zu werden hatte, und bieten nach ihrer Zweckbestimmung eine
weitaus gesichertere Grundlage für die Feststellung der Eignung im Rahmen einer am Leistungsgrundsatz
orientierten Personalentscheidung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.05.2007 - OVG 4 S
13/07 -, juris m.w.N.; zum Ganzen VG Karlsruhe, Beschluss vom 28.07.2016 - 7 K 2211/16 -, juris).
Entsprechend verhält es sich mit der Durchführung von Vorstellungsgesprächen. Grundsätzlich bestehen
keine rechtlichen Bedenken, wenn der Dienstherr seine Entscheidung in einem auf aktuellen Beurteilungen
aufbauenden Auswahlverfahren ergänzend auf Vorstellungsgespräche stützt. Hierbei muss er allerdings
berücksichtigen, dass es sich bei Vorstellungsgesprächen nicht um ein leistungsbezogenes Auswahlkriterium
handelt, sowie dass auch diese allenfalls eine Momentaufnahme von der Persönlichkeit des Bewerbers
vermitteln können und der Eindruck eines solchen Gesprächs daher nur eine beschränkte Aussagekraft hat
(VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.09.2016 - 4 S 1578/16 -, juris).
11 Die verfassungsrechtliche Pflicht zur Berücksichtigung vorhandener dienstlicher Beurteilungen ist auch nicht
völlig aufgehoben, wenn das Auswahlverfahren - wie hier - von einer „asymmetrischen“ Bewerbersituation
geprägt ist, in der Einstellungsbewerber (wie der Beigeladene) mit Versetzungsbewerbern (wie dem
Antragsteller) konkurrieren und nicht alle Bewerber über dienstliche Beurteilungen verfügen. Dann ist es
geboten, mithilfe anderer Erkenntnismittel Eignung und Leistung (auch) der Bewerber ohne dienstliche
Beurteilung festzustellen, um so eine verlässliche Entscheidungsgrundlage zu gewinnen. Heranzuziehen
sind dabei insbesondere aktuelle Zeugnisse des privatwirtschaftlichen Arbeitgebers. Es obliegt im Übrigen
dem Ermessen des Dienstherrn, welche anderweitigen leistungsbezogenen Auswahlkriterien er in einer
solchen Konstellation zur Grundlage seiner Auswahlentscheidung macht. Angesichts der jeweiligen
Bewerbungsverfahrensansprüche darf aus einer solchen Asymmetrie indes weder für denjenigen
Konkurrenten, der über eine aktuelle Beurteilung verfügt, noch für denjenigen, der eine solche nicht
beibringen kann, ein Nachteil erwachsen. Der Dienstherr ist in einem solchen Fall nicht gehindert,
maßgeblich auf die Ergebnisse von mit den Bewerbern geführten strukturierten Auswahlgesprächen
abzustellen, denn diese stellen ebenfalls leistungsbezogene Kriterien dar und liefern, sofern ihr Inhalt am
Anforderungsprofil des zu besetzenden Amtes ausgerichtet ist, ein aktuelles und auf das jeweilige Amt
zugeschnittenes Eignungs- und Befähigungsbild. Ein völliges Ausblenden der dienstlichen Beurteilungen und
Arbeitszeugnisse ist aus den vorgenannten Gründen jedoch auch dann nicht gerechtfertigt. Vielmehr ist es
erforderlich, die im Rahmen der Auswahlgespräche gewonnenen Erkenntnisse mit dem Inhalt der
dienstlichen Beurteilungen abzugleichen und so zu plausibilisieren, zu ergänzen oder zu relativieren. Auch
die Tatsache, dass es sich um die dienstliche Beurteilung durch einen anderen Dienstherrn handelt,
rechtfertigt ein völliges Ausblenden nicht (vgl. zum Ganzen VG Berlin, Beschluss vom 30.07.2014 - 7 L
242/14 -, juris und VG Karlsruhe, Beschluss vom 28.07.2016 - 7 K 2211/16 -, juris, jeweils m.w.N.).
12 Gemessen an diesen Maßstäben dürfte sich die Auswahlentscheidung des Antragsgegners hier als fehlerhaft
erweisen, da diese die grundsätzliche Notwendigkeit der Hinzuziehung aktueller dienstlicher Beurteilungen
und Arbeitszeugnisse gänzlich außer Acht lässt. Bewirbt sich ein Beamter auf eine ausgeschriebene Stelle,
ist regelmäßige Erkenntnisquelle über seine bisherigen fachlichen Leistungen, seine Befähigung und Eignung
dessen Personalakte und die darin enthaltenen dienstlichen Beurteilungen. Dies ist auch dann der Fall,
wenn der Beamte für einen anderen Dienstherrn tätig war. Grundsätzlich obliegt es daher dem
auswählenden Dienstherrn, die Übersendung der Personalakte beim bisherigen Dienstherrn zu erbitten.
Hierzu bedarf es zwar regelmäßig des Einverständnisses des betreffenden Beamten, entgegen der Ansicht
des Antragsgegners jedoch nicht eines ausdrücklichen Angebots des sich bewerbenden Beamten. Denn es ist
Sache des auswählenden Dienstherrn, auf ein ordnungsgemäßes Auswahlverfahren hinzuwirken und in
diesem Zuge die notwendigen Unterlagen beizuziehen beziehungsweise jedenfalls die Bewerber zur Vorlage
der für eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Auswahlentscheidung erforderlichen
Unterlagen zu veranlassen. Im vorliegenden Fall ist aus der der Kammer vorliegenden, die Stellenbesetzung
betreffenden Verfahrensakte des Antragsgegners nicht ersichtlich, dass dieser in irgendeiner Weise auf die
Beiziehung der Personalakte des Antragstellers oder jedenfalls auf die Vorlage der darin enthaltenen
dienstlichen Beurteilungen durch ihn selbst hingewirkt hätte. Gleichermaßen ist in keiner Weise
dokumentiert, dass die Vorlage eines aktuellen Arbeitszeugnisses durch den Beigeladenen tatsächlich
unmöglich gewesen wäre.
13 Die Berufung des Antragstellers auf die fehlende Hinzuziehung seiner Personalakte und dienstlichen
Beurteilungen ist auch nicht treuwidrig. Zwar ist zwischen den Beteiligten streitig, inwieweit der
Antragsteller um Vertraulichkeit seiner Bewerbung gebeten hat und was mit einer solcher Bitte konkret
gemeint gewesen sein könnte. Dies muss die Kammer jedoch nicht im Einzelnen aufklären. Denn allein die
Bitte eines Bewerbers um die vertrauliche Behandlung seiner Bewerbung entbindet den auswählenden
Dienstherrn grundsätzlich nicht davon, eine an oben ausgeführten Maßstäben orientierte
Auswahlentscheidung unter Hinzuziehung der hierfür grundsätzlich erforderlichen Unterlagen zu treffen. Es
obliegt ihm daher, einen Bewerber, der um vertrauliche Behandlung seiner Bewerbung bittet, darauf
hinzuweisen, dass er für die ordnungsgemäße Auswahlentscheidung grundsätzlich Einblick in die
Personalakte beziehungsweise jedenfalls in die bisherigen dienstlichen Beurteilungen benötigt. Beharrt der
Bewerber sodann auf der Vertraulichkeitsbitte insoweit, als er das Einverständnis zur Beiziehung der
Personalakte verweigert, ist dieser jedenfalls dazu zu veranlassen, die ihm selbst vorliegenden Abschriften
der dienstlichen Beurteilungen vorzulegen. Allein aus dem Umstand, dass der Bewerber diese nicht bereits
von sich aus mit seiner Bewerbung vorgelegt hat, kann nicht darauf geschlossen werden, dass er sich dieser
Mitwirkung verweigern wird. So liegt der Fall auch hier. Mag der Antragsteller auch um vertrauliche
Behandlung seiner Bewerbung gebeten haben, oblag es dem Antragsgegner aufzuklären, ob er bereit
gewesen wäre, der Beiziehung seiner Personalakte zuzustimmen, und ihm gegebenenfalls die Möglichkeit
zu geben, die relevanten dienstlichen Beurteilungen zur Vervollständigung seiner Bewerbung beizubringen.
Da dies vorliegend unterblieben ist, ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsgegner sämtliche
verfügbaren Erkenntnismittel in seine Auswahlentscheidung einbezogen hat. Auch aus dem Umstand, dass
der Antragsteller bereits eine ältere dienstliche Beurteilung mit seiner Bewerbung vorgelegt hat, diese
jedoch unvollständig war, kann nicht auf eine grundsätzliche Verweigerung der Vorlage weiterer
Beurteilungen geschlossen und auf die Auswertung der vorgelegten Unterlagen verzichtet werden.
Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Unvollständigkeit der vorgelegten älteren
Beurteilung um nichts weiter als ein Versehen gehandelt haben könnte, hätte es nahe gelegen, den
Antragsteller, der schließlich trotz der Unvollständigkeit in die nähere Auswahl für einen nicht
unbedeutenden Dienstposten gezogen wurde, auf diesen Umstand hinzuweisen und ihm Gelegenheit zur
Vervollständigung seiner Unterlagen zu geben. Stattdessen auf die Berücksichtigung der für die
Auswahlentscheidung grundsätzlich essentiellen Grundlagen zu verzichten und die Entscheidung
ausschließlich auf Auswahl- beziehungsweise Vorstellungsgespräche zu stützen, begegnet rechtlichen
Bedenken.
14 Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass - wie der Antragsgegner meint - die dienstlichen
Beurteilungen des Antragstellers aus dem baden-württembergischen Polizeidienst und dem hessischen
Landesdienst ohnehin nicht mit Arbeitszeugnissen des Beigeladenen als Rechtsanwalt und Referendar
vergleichbar wären, da sie nicht die gleichen Bewertungsmaßstäbe aufweisen könnten. Die Schwierigkeit,
Beurteilungen und Arbeitszeugnisse, die auf unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben beruhen, vergleichbar
zu machen, entbindet den auswählenden Dienstherrn nicht davon, diese verfügbaren Erkenntnisquellen
über die Bewerber beizuziehen, sich auf deren Grundlage ein Bild von den Bewerbern zu machen und diese
sachgerecht zu bewerten (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 21.12.2015 - 5 ME 196/15 -, juris; OVG
Hamburg, Beschluss vom 20.11.2012 - 1 Bs 212/12 -, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 26.04.2016 - 20 E
1225/16 -, juris).
15 bb) Ein abgelehnter Bewerber, dessen subjektives Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte
Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt worden ist, kann eine erneute Entscheidung über seine
Bewerbung beanspruchen, wenn sich ein derartiger Verstoß auf die Erfolgsaussichten der eigenen
Bewerbung auswirken kann, seine Auswahl im Rahmen eines wiederholten Auswahlverfahrens also
zumindest möglich erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.11.2010 - 2 C 16.09 -, BVerwGE 138, 102 m.w.N.;
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.12.2013 - 4 S 2153/13 -, VBlBW 2014, 272). Die
Anforderungen an diese Voraussetzung dürfen nicht überspannt werden. Insbesondere kann von einem
Bewerber nicht verlangt werden, positiv glaubhaft zu machen, dass er in einem erneuten Auswahlverfahren
bei Vermeidung des unterstellten Fehlers anstelle eines ausgewählten Mitbewerbers zum Zuge komme (VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.09.2016 - 4 S 1578/16 -, juris).
16 Nach diesen Maßstäben erscheint es jedenfalls möglich, dass der Antragsteller bei der vom Antragsgegner
nach obigen Maßgaben erneut vorzunehmenden Auswahlentscheidung den Vorzug erhält. Entgegen der
Ansicht des Antragsgegners folgt nichts anderes aus der grundsätzlichen Notwendigkeit der Herstellung des
Einvernehmens zwischen Kreistag und Landrat nach § 19 Abs. 2 Satz 1 LKrO. Beide Organe sind an Art. 33
Abs. 2 GG gebunden und haben dem Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers Rechnung zu
tragen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sich nach der erforderlichen
Hinzuziehung weiterer Erkenntnisquellen über die Bewerber von diesen ein anderes Bild ergibt und die
Auswahlentscheidung zugunsten des Antragstellers ausfällt.
17 2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO.
18 3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. In Verfahren der
vorliegenden Art, in denen der Antragsteller die einstweilige Sicherung seines
Bewerbungsverfahrensanspruchs erstrebt, ist auf den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG
zurückzugreifen und dieser wegen der besonderen Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes in diesen
Verfahren ungekürzt zu lassen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.04.2013 - 4 S 439/13 -,
juris; Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.04.2013 - 6 C 13.284 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 10.10.2013 - OVG 4 L 28/13 -, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 06.05.2013 - 2 B 322/13 -, juris).