Urteil des VG Karlsruhe vom 21.12.2016

biotop, überwiegendes interesse, befreiung, eingriff

VG Karlsruhe Beschluß vom 21.12.2016, 8 K 6501/16
Untersagung von Baumfäll- und Rodungsarbeiten
Tenor
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, entlang der Bahnstrecke ... – ...
Baumfäll- und Rodungsmaßnahmen in den Bereichen der Bahnkilometer 35,2 bis 36,4; 37,1 bis 37,6; 38,6;
38,9; 39,6; 41,2 bis 43,2; 43,6 bis 43,8; 44 bis 46,1 und 46,7 bis 47,8 durchzuführen. Ferner wird ihm im Wege
der einstweiligen Anordnung untersagt, die entlang der Bahnstrecke ... – ... gelegenen Fledermaushöhlenbäume
gemäß der „Anlage I: Erfassung potenzieller Fledermaushöhlenbäume“ der Anlage 6 zum Schriftsatz des
Antragsgegners vom 01.12.2016 zu fällen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/3 und der Antragsgegner zu 2/3.
Der Streitwert wird auf 5000.- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Untersagung von Baumfäll- und
Rodungsarbeiten auf den Gebieten der Gemeinden ..., ... und ... entlang der Bahnstrecke ... – ... Als
anerkannte Naturschutzvereinigung macht der Antragsteller die Zerstörung gesetzlich geschützter Biotope
sowie Quartiere streng geschützter Arten gegenüber dem Antragsgegner als Eigentümer und
Vorhabenträger der Bahnstrecke ... – ... geltend.
2 Bei der Bahnstrecke ... – ... handelt es sich um eine seit 1988 nicht mehr betriebene und 1994 von dem
Antragsgegner übernommene Strecke. Das Innenministerium ... wies den Landkreis ... im Jahre 2005 darauf
hin, aufgrund des Dritten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 27.04.2005 läge
nunmehr eine öffentliche Eisenbahninfrastruktur vor, man sehe jedoch einstweilen von einer Verpflichtung
des Landkreises zur betriebsbereiten Vorhaltung der Strecke bzw. zur Stellung eines Stilllegungsantrags ab.
3 Nunmehr beabsichtigt der Antragsgegner die Wiederinbetriebnahme der – nach wie vor dem öffentlichen
Bahnverkehr gewidmeten – Strecke (sog. Projekt ...) bis Ende 2018 als eigene Angelegenheit des
Landkreises nach § 6 Abs. 1 ÖPNVG. Mit Beschluss vom 04.07.2016 erließ das Regierungspräsidium ... den
bereits im Oktober 2014 beantragten Planfeststellungsbeschluss „Neubau Tunnel und zweigleisiger Ausbau
...“ (im Folgenden: ...). Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 04.07.2016 bei dem
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg erhobenen Klage (Az. 5 S 1577/16). Demgegenüber ist das
Planfeststellungsverfahren für das im Februar 2016 eingeleitete Vorhaben „...“ (Streckenabschnitt: ... –
...-...) noch nicht abgeschlossen. Für den östlichen Voreinschnitt „Tunnel ...“ sowie für Änderungen an
Bahnübergängen und Verkehrsstationen in ... und ... werden nach Angaben des Antragsgegners zwei
weitere Anträge auf Planfeststellung vorbereitet.
4 Bereits vor Abschluss des Planfeststellungsverfahrens „...“ beantragte der Antragsgegner mit Schreiben vom
28.10.2015 bei dem Regierungspräsidium ... eine Befreiung von den Verboten der Naturschutzgesetz-
Verordnungen (im Folgenden: NSG-VO) „...“ und „...“ zur Durchführung von Baumfällungen und
Gehölzrückschnitten. Die beantragte Befreiung bezog sich hierbei auf Rodungen bzw. Gehölzrückschnitte
max. 5 m beidseits des Gleisbetts „zunächst“ unter Aussparung der gesetzlich geschützten Biotope und
Höhlenbäume. Mit Schreiben vom 25.11.2015 (Bl. 157 d. Gerichtsakten) teilte das Regierungspräsidium ...
mit, eine Befreiung sei „für die jetzt geplanten Arbeiten“ nicht erforderlich, und wies darauf hin, dass zur
Beseitigung gesetzlich geschützter Biotope Ausnahmen nach § 33 Abs. 3 BNatSchG oder Befreiungen gemäß
§ 67 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG von den Bestimmungen des § 30 Abs. 2 BNatSchG beantragt werden müssten.
Ausweislich der beiden seitens des Antragsgegners vorgelegten Kartierungen zum Trassenfreischnitt (Stand
12.07.2016) wurde im Winter 2015/16 Bewuchs in den Abschnitten der Bahnkilometer (ca.-Angaben) 26,5–
26,7; 37,1–37,6; 40,7–40,9 und 41,1–41,3 sowie im (nicht mit Bahnkilometer beschrifteten) Bereich „...“
gefällt.
5 Ende Oktober 2016 begann der Antragsgegner mit Fäll- und Rodungsarbeiten entlang der Bahnstrecke ... –
... mit der Intention, diese bis Februar 2017 abzuschließen. Den Angaben des Antragsgegners zufolge finden
in den beiden Planfeststellungsgebieten „...“ und „...“ derzeit keine vorhabenbezogenen Fäll- und
Rodungsarbeiten statt. Rodungsarbeiten im Bereich ... (Teil des Planfeststellungsgebiets ...) zwischen dem
geplanten Tunnelausgang und der Ortslage sind hingegen bereits durchgeführt worden. Ebenfalls bereits
durchgeführt wurden Rodungen auf dem gesamten Streckenverlauf vom Nordportal des Tunnels ... (ca.
Bahnkilometer 44,3) bis zu dem Beginn der Bebauung von ... (ca. Bahnkilometer 47,0) auf einer Breite von
bis zu 20 m beidseits der Gleise. In diesem Bereich finden sich unstreitig als offene Felsbildungen geschützte
Biotope nach § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG.
6 Nachdem der Antragssteller den Antragsgegner zuvor erfolglos aufforderte, weitere Fäll- und
Rodungsarbeiten zu unterlassen, hat er am 22.11.2016 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und
beantragt,
7
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, entlang der Bahnstrecke ... – ...
(sogenannte ..., ehemalige ...) auf dem Gebiet der Gemeinden ..., ... und ... Baumfällarbeiten und
Rodungsarbeiten durchzuführen.
8 Dem Antragsteller stehe ein Anordnungsanspruch zu. Durch die geplanten Rodungs- und
Rückschnittarbeiten würden in erheblichem Umfang gesetzlich geschützte Biotope nach § 30 BNatSchG
bzw. § 33 LNatSchG BW zerstört oder zumindest erheblich beeinträchtigt. Weisungen, gesetzlich
geschützte Biotope auszusparen, gebe es nicht. Der Antragsgegner setze umfangreiche schwere Maschinen
ein, die bereits durch ihre Fahrbewegungen derartige Biotope zerstörten. Bei der Rodung des Bereichs von
dem Nordportal des Tunnels ... (ca. Bahnkilometer 44,3) bis zu dem Beginn der Bebauung von ... (ca.
Bahnkilometer 47,0) auf einer Breite von bis zu 20 m beidseits der Gleise handele es sich ersichtlich nicht
um Unterhaltungsarbeiten der Bahnstrecke. Zwischen den Bahnkilometern 44 und 46 lägen gleich zwei
gesetzlich geschützte Biotope, die bis auf die Trasse selbst reichten. In diesen offenen Felsbildungen im Sinne
von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG befänden sich zahlreiche Horste von Wanderfalken. Die
Auswirkungen der Arbeiten seien auch deshalb dramatisch, da sich am Nordportal des Tunnels ... ein
bedeutsames Winter- und Schwärmquartier zahlreicher, teilweise sehr seltener Fledermausarten befände
und durch die Vernichtung jeglichen Bewuchses im Umfeld des Tunnelportals auch das Fledermausquartier
im Tunnel selbst geschädigt bzw. erheblich gestört worden sei. Für die Arbeiten läge weder eine Ausnahme
nach § 30 Abs. 3 BNatSchG noch eine Befreiung nach § 67 BNatSchG vor. Da er in einem
Befreiungsverfahren nach § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 zu beteiligen wäre, ein solches aber nicht durchgeführt
worden sei, verletze die faktische Zerstörung sein Mitwirkungsrecht und damit eine subjektive
Rechtsposition, die er nach § 42 Abs. 2 VwGO selbständig durchsetzen könne.
9 Ferner drohe ein Verstoß gegen die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG,
den er ebenfalls kraft des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgebotes und des Art. 9 Abs. 3 Aarhus-
Konvention als Verletzung eigenen subjektiven Rechts geltend machen könne. Es könne nicht
ausgeschlossen werden, dass die kartierten Höhlenbäume Fledermausquartiere seien und damit Individuen
(§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) sowie Fortpflanzungs- und Ruhestätten (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG)
beherbergten. Die Fällung eines Höhlenbaumes erfülle daher auch den Straftatbestand nach § 41 Abs. 1 Nr.
1 i.V.m. § 69 Abs. 2 BNatSchG. Die Herstellung von Ersatzquartieren spiele insofern keine Rolle, da derartige
CEF-Maßnahmen nach § 44 Abs. 5 Satz 3 BNatSchG festgesetzt werden müssten, was ein entsprechendes
Verwaltungsverfahren voraussetze. Der Antragsgegner umgehe mit seinen aktuellen Rodungen ein
Verfahren nach § 17 Abs. 3 BNatSchG. Die Rodung jeglichen Bewuchses auf einem 12 m breiten Streifen
entlang der Bahnstrecke sowie einzelner Bäume in einer Entfernung von bis zu 32,5 m stelle einen Eingriff
in Natur und Landschaft im Sinne von § 14 Abs. 1 BNatSchG dar. So werde auch im landschaftspflegerischen
Begleitplan zu dem planfestgestellten Vorhaben ausdrücklich festgehalten, dass auch die Entfernung von
Gehölzen in überwachsenen Gleisbereichen einen erheblichen Eingriff darstelle. Zudem könne er verlangen,
dass der Antragsteller keinen Umweltschaden i.S.v. § 2 Nr. 1 USchadG i.V.m. § 19 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2 (bzgl.
der Biotope) und Nr. 3 (bzgl. der Höhlenbäume) BNatSchG herbeiführe. Diesbezüglich könne er Rechtsschutz
nach § 11 Abs. 2 UschadG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Umweltrechtsbehelfsgesetz (im Folgenden
UmwRBG) suchen.
10 Auch ein Anordnungsgrund liege vor. Der Antragsgegner beabsichtige, kurzfristig weitere Rodungs- und
Rückschnittsarbeiten entlang der Bahnstrecke durchzuführen. Eine vorherige außergerichtliche Klärung sei
nicht erfolgreich gewesen. Ein weiteres Zuwarten sei unzumutbar, die Eingriffe in die zahlreichen
Umweltgüter seien irreversibel.
11 Schließlich sei der Antrag bereits bei einer reinen Interessenabwägung begründet, denn ein berechtigtes
Interesse des Antragsgegners an der Durchführung der streitgegenständlichen Rodungs- und
Rückschnittsarbeiten in diesem Winter sei nicht erkennbar. Für eine Wiederinbetriebnahme der Strecke
seien noch umfangreiche Baumaßnahmen im Bereich der beiden Planfeststellungsvorhaben erforderlich.
Auch sei der Planfeststellungsbeschluss „...“ mit aufschiebender Wirkung angefochten. Mit Gleisbauarbeiten
in den kommenden drei Jahren sei daher nicht zu rechnen. Ohne Unterlassungsanordnung drohten weitere
Rodungen, insbesondere zwischen dem Südportal Tunnel ... (ca. Bahnkilometer 43,7) und dem Beginn des
Planfeststellungsabschnitts „...“ (ca. Bahnkilometer 41,2), nördlich des Planfeststellungsabschnitts „...“ (ca.
Bahnkilometer 39,6–39,2) und beidseits des Tunnels ... (ca. Bahnkilometer 37,7–35,2). Zwischen dem
Südportal des Tunnels ... und dem Bahnkilometer 41,2 befänden sich beidseits der Gleise nahezu
durchgehend gesetzlich geschützte Biotope. Ebenso befinde sich ein gesetzlich geschütztes Biotop am
westlichen Portal des Tunnels ... zwischen Bahnkilometer 37,7 und 37,0.
12 Der Antragsgegner beantragt,
13 den Antrag abzulehnen.
14 Der Antrag sei bereits deshalb abzulehnen, da der Landkreis ... die Wiederinbetriebnahme der Bahnstrecke
als freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe betreibe und daher nicht passiv legitimiert sei. Dass der
Antragsgegner vorliegend fiskalisch und nicht als Behörde handele, zeige sich bereits daran, dass der
Landkreis ... in seiner Eigenschaft als Vorhabenträger Eingriffe in Natur und Landschaft andernfalls nach §
17 Abs. 1 BNatSchG selbst zulassen könnte. Dass der Landkreis nach § 6 Abs. 1 ÖPNVG auf Aufgabenträger
für den ÖPNV sei, verleihe den streitgegenständlichen Arbeiten keinen öffentlich-rechtlichen Charakter.
15 Ferner könne der Antragsteller nur für die Bereiche von ca. Bahnkilometer 35,2–39,7 sowie 41,25–43,8
überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis geltend machen. Überdies beziehe sich seine Antragsbefugnis
ausschließlich auf eine Zerstörung gesetzlich geschützter Biotope sowie einen Verstoß gegen
artenschutzrechtliche Verbotstatbestände. Sofern der Antragsteller indes auch die Untersagung sämtlicher
Baumfäll- und Rodungsarbeiten und damit auch solche Tätigkeiten, die allenfalls als Eingriff im Sinne von §§
15 ff. BNatSchG einzustufen wären, jedoch von keiner biotop- oder artenschutzrechtlicher Relevanz seien,
und eine Beteiligung des Antragstellers für Zulassungsverfahren nach § 17 Abs. 3 BNatSchG nicht
vorgesehen sei, fehle es insofern bereits an der erforderlichen Antragsbefugnis.
16 Im Übrigen seien die „normalen“ Pflege- und Unterhaltungsarbeiten rechtmäßig. Auf der gesamten Strecke
würden sämtliche Konflikte einer fachlichen und rechtlich tragfähigen Lösung zugeführt. Dies gelte auch für
die angesprochene Problematik im Einschnitt „...“ wie auch für die Fledermausquartiere in den
Bestandstunneln ... und ... Derzeit werde ein entsprechendes Ausgleichskonzept entwickelt. Die
Durchführung der Arbeiten orientiere sich an der Richtlinie 882 „Handbuch Landschaftsplanung und
Vegetationskontrolle“ der Deutschen Bahn AG sowie den Empfehlungen der Albtalverkehrsgesellschaft mbH.
17 Bei den Arbeiten handele es sich um Arbeiten auf der Bestandsstrecke und dementsprechend um
Unterhaltungsmaßnahmen der Eisenbahninfrastruktur, die notwendig seien, da der Antragsgegner im Mai
2017 mit den Bauarbeiten, und hier mit dem Lückenschluss in ...-..., beginnen werde. Um bestehende
Entwässerungseinrichtungen und Durchlässe sowie Felsvorsprünge auf ihren konkreten Sanierungs- bzw.
Sicherungsbedarf zu untersuchen, sei eine Bewuchsfreiheit und damit eine Einsehbarkeit, Begehbarkeit und
Befahrbarkeit der Bahnstrecke mit Zweiwegefahrzeugen unabdingbar. Dies gelte auch für noch erforderliche
ergänzende Baugrunduntersuchungen und Vermessungen. Auch hierfür sei eine freie Sicht auf die
Grundstücke erforderlich. Der Antragsgegner habe die ... (im Folgenden ...) mit der ökologischen
Baubegleitung beauftragt. Somit sei sichergestellt, dass die vom Antragsteller dargelegten möglichen
Verstöße rechtzeitig erkannt und verhindert würden. Sofern Ausnahmeanträge oder Befreiungen
erforderlich würden, würden diese rechtzeitig beantragt. Die Arbeiten stellten keinen Eingriff in Natur und
Landschaft im Sinne des §§ 14 Abs. 1 Alt. 1 BNatschG dar. Eine Beeinträchtigung der Leistungs- und
Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes sei für Arbeiten in der Sicherheitszone auf
dem Gleiskörper (6 m Zone) nicht anzunehmen. Im Bereich der Rückschnittzone (bis zu 12 m) würden
Gehölze regelmäßig „auf den Stock“ gesetzt, die Maßnahmen seien daher als Wechsel der
Nutzungsintensität anzusehen. Die Arbeiten in der Stabilisierungszone (von 12 m bis 32,5 m) stellten
keinen Eingriff dar, da hierbei nur einzelne sicherheitsrelevante Bäume entfernt würden.
18 Ein Verstoß gegen artenschutzrechtliche Verbotstatbestände liege nicht vor. Potenzielle
Fledermausquartierbäume seien erfasst und markiert worden, höchst fürsorglich würden zudem künstliche
Quartiere an geeigneten Waldabschnitten dauerhaft installiert. Zwar komme dem ... Tunnel eine Bedeutung
für ca. 700 Fledermäuse zu, jedoch sei durch die Unterhaltungsmaßnahmen weder eine Schädigung noch
eine erhebliche Störung eingetreten. Ein Verstoß gegen den Biotopschutz läge ebenfalls nicht vor.
Biotoptypen nach § 30 BNatSchG würden durch die Arbeiten nicht beeinträchtigt. Für Hecken und
Trockengebüsche sei das regelmäßige „Auf-den-Stock-setzen“ eine gängige Biotoppflegemaßnahme.
Feldgehölze, soweit diese unter § 30 BNatSchG fielen, seien bisher von den Fäll- und Rodungsarbeiten auf
den Gemarkungen der Stadt ... und der Gemeinden ... und ... nicht betroffen. Zwar sei zutreffend, dass sich
in dem Streckenabschnitt des Nordportals des Tunnels ... bis zu dem Beginn der Bebauung von ... offene
Felsbildungen und damit ein Biotop nach § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG befände. Es sei jedoch durch die
erfolgte Fällung einzelner Bäume nicht beeinträchtigt worden. Auch zukünftig seien entsprechende
Ausnahmeanträge nicht erforderlich, da die Biotope durch die Fäll- und Rodungsarbeiten weder zerstört noch
wesentlich beeinträchtigt würden. Nach dem Konzept der ... seien die Maßnahmen zur Erhaltung und Pflege
der kartierten Biotope sinnvoll und notwendig. Auch die Wanderfalken würden in ihrem Revier von der
Auflichtung eher profitieren und die ökologische Funktion für die Wanderfalkenpopulation sei weiterhin
erfüllt. Daher drohe auch kein Umweltschaden nach dem Umweltschadensgesetz. Der Artenschutz sei
sichergestellt, jedenfalls liege eine Legalausnahme nach § 44 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG vor.
19 Auch eine reine Interessenabwägung gehe zu Gunsten des Antragsgegners aus. Im Frühjahr 2017 werde
mit den Bauarbeiten in den Bereichen, für die es bereits bestandskräftige fachplanerische Zulassungen gebe,
begonnen. Um rechtzeitig mit den Bauarbeiten beginnen zu können, sei die Ausführungsplanung zu
erstellen, wofür Erkundungen und Vermessungen ebenso notwendig seien, wie dass die Trasse teilweise mit
Zweiwegefahrzeugen befahrbar sei. Hierfür sei ein Freischnitt zwingend notwendig. Die Arbeiten müssten
in der vegetationsfreien Periode von Oktober 2016 bis Februar 2017 durchgeführt werden, um den
Projektzeitplan nicht zu gefährden. Der Bewuchs auf der Strecke erschwere es, die Planung zur
Ausführungsreife weiter zu entwickeln. Die Fällarbeiten hätten bereits zu neuen und für die
Ausführungsplanung relevanten Erkenntnissen geführt. Der Detaillierungsgrad der Ausführungsplanung sei
erforderlich, um für die Ausschreibung der Bauleistungen ein ausreichend hohes Maß an Sicherheit vor
Nachtragsforderung der Baufirmen zu gewährleisten. Nachträge gingen vollständig zu Lasten des
Vorhabenträgers. Eine Verschiebung der Arbeiten in den Zeitraum Herbst/Winter 2017/2018 hätte sowohl
finanzielle Risiken für den Vorhabenträger, als auch eine gesamthafte Verschiebung des Projekts mit einer
um ein Jahr späteren Inbetriebnahme zur Folge. Inflationsbedingt resultierten hieraus unweigerlich
Kostensteigerungen. Die Personal- und Maschinenkapazitäten seien so bemessen, dass die Arbeiten bis Ende
Februar 2017 vollständig abgeschlossen werden könnten. Dabei seien lediglich zwei Wochen Puffer für eine
witterungsbedingte Baustellenstilllegung berücksichtigt.
20 Der Antragsgegner, der auf die Bitte des Gerichts vom 22.11.2016, von Vollzugsmaßnahmen vorläufig
abzusehen, die Arbeiten zunächst eingestellt hatte, nahm diese am 30.11.2016 wieder auf. Mit Beschluss
vom 01.12.2016 hat die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe dem Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz
aufgegeben, die entlang der Bahnstrecke ... – ... auf dem Gebiet der Gemeinden ..., ... und ... durchgeführten
Baumfäll- und Rodungsarbeiten und sonstige Arbeiten (einschließlich Räumungsarbeiten) vorläufig
einzustellen. Die Erfolgsaussichten könnten derzeit nicht beurteilt werden, da die Akten dem Gericht bislang
nicht vorlägen und eine Vertiefung der Rechtsverletzung des Antragstellers drohe, der zu Recht
beanspruche, dass der Antragsgegner keine vollendeten Tatsachen schaffe.
21 Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze,
die Gerichtsakten (Band I und II, 751 Seiten) und im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten des
Landkreises ..., die dem Gericht erst seit 14.12.2016 vorliegen (1 Aktenordner), verwiesen.
II.
22 Der auf Untersagung von Baumfäll- und Rodungsarbeiten entlang der Bahnstrecke ... – ... auf den Gebieten
der Gemeinden ..., ... und ... gerichtete Antrag ist nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft und auch im
Übrigen zulässig.
23 Das angerufene Gericht ist zuständig. Streitgegenständlich sind lediglich die Streckenabschnitte – außerhalb
des planfestgestellten Gebiets –, in denen der Antragsgegner aktuell Rodungs- und Baumfällarbeiten
beabsichtigt, sodass eine sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht
begründet ist.
24 Dem Antragsteller steht für die im Folgenden näher bezeichneten Bereichen die erforderliche
Antragsbefugnis zur Seite. Im Übrigen ist der Antrag unzulässig.
25 Der Antragsteller macht geltend, die Maßnahmen verstießen gegen § 30 Abs. 3, § 67 und § 44 Abs. 1
BNatSchG. Im Zuge dessen rügt er einerseits eine Missachtung seines Mitwirkungsrechts aus § 49 Abs. 1
Satz 1 LNatSchG BW und beruft sich andererseits auf ein Recht, objektive Rechtsverstöße als eigene
Rechtsverletzung rügen zu können. Insgesamt beruft er sich demnach auf Verstöße gegen Vorschriften des
BNatSchG und LNatSchG BW. Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Antragsteller hierdurch in seinem
satzungsmäßigen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich berührt wird. Der Antragsteller ist ein nach § 51 Abs. 1
Satz 1 LNatSchG BW anerkannter Landesnaturschutzverband. Ihm steht nach § 49 Abs. 1 Satz 1 LNatSchG
BW über die in § 63 Abs. 2 BNatSchG genannten Fälle hinaus ein Mitwirkungsrecht vor der Erteilung von
Befreiungen von den Verboten des § 30 Abs. 2 BNatSchG zum Schutz der dort und in § 33 LNatSchG BW
gesetzlich geschützten Biotope zu.
26 Aus dem von dem Antragsteller als Anlagenkonvolut 3 vorgelegten Kartenmaterial ergibt sich nach Ansicht
der Kammer nicht, welche der eingezeichneten Biotope nach § 30 Abs. 2 BNatSchG und überdies nach § 33
LNatSchG BW besonders gesetzlich geschützt sind. Die Kammer orientiert sich bei ihrer Entscheidung daher
an den beiden, von dem Antragsgegner vorgelegten Kartierungen zum Trassenfreischnitt (Stand
12.07.2016) zu der Strecke betreffend der Bahnkilometer 26,06–36,42 (Karte 1) und betreffend der
Bahnkilometer 37,06–47,62 (Karte 2). Unterlagen zu eventuellen gesetzlich besonders geschützten
Biotopen zwischen Bahnkilometer 36,42 und 37,06 liegen der Kammer nicht vor. Der Antragsteller ist
ausweislich der in den Karten 1 und 2 verzeichneten Biotope antragsbefugt für folgende Streckenabschnitte
(lediglich ca.-Angaben möglich): 35,2 bis 36,4; 37,1 bis 37,6; 38,6; 38,9; 39,6; 41,2 bis 43,2; 43,6 bis 43,8;
45,5 bis 46,1; 46,7 bis 47,8. Ferner nimmt die Kammer eine Antragsbefugnis des Antragstellers für den
Bereich zwischen Bahnkilometer 44 und 45,5 an. Zwar lässt sich der von dem Antragsgegner vorgelegten
Kartierung zum Trassenfreischnitt nach Ansicht der Kammer ein Biotop nur für den Bereich ab
Bahnkilometer 45,5 entnehmen. Sowohl der Antragsteller als auch der Antragsgegner haben aber
übereinstimmend vorgetragen, dass sich in dem Bereich der Bahnkilometer 44–46 das Biotop „... ...“,
Biotopnummer ...4127, sowie das Biotop „... ...“, Biotopnummer ...4128, befinden.
27 Ferner dürfte dem Antragsteller eine Antragsbefugnis auch bezüglich der in der Kartierung des
Antragsgegners gesondert ausgewiesenen potenziellen Höhlenbäume zukommen, da hier potenzielle
Verstöße gegen artenschutzrechtliche Vorschriften (§ 44 Abs. 1 BNatSchG) drohen. Dieses Verständnis des §
42 Abs. 2 VwGO analog dürfte sich aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot (Art. 4 Abs. 3 EUV) i.V.m.
Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die
Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in
Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention, im Folgenden: AK) ergeben (vgl. dazu im Hinblick auf § 47 Abs.
2 Satz 1 VwGO BayVGH, Urteil vom 28.07.2016 – 14 N 15.1870, BeckRS 2016, 106534 Rn. 38; sowie VGH
Bad.-Württ., Urteil vom 04.02.2014 – 3 S 147/12 –, juris Rn. 49; grundlegend vgl. BVerwG, Urteil vom
05.09.2013 – 7 C 21.12 –, NVwZ 2014, 64; EuGH, Urteil vom 08.03.2011 – C 240/09 – [slowakischer
Braunbär], Slg. 2011, I-1255).
28 Eine Antragsbefugnis dürfte sich zusätzlich dazu auch aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Umweltschadensgesetzes
(im Folgenden USchadG) i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG ergeben. Eine Schädigung von Arten und
natürlichen Lebensräumen im Sinne des Umweltschadensgesetzes ist nach der Legaldefinition des § 19 Abs.
1 Satz 1 BNatSchG jeder Schaden, der erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Erreichung oder
Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands dieser Lebensräume oder Arten hat. Nach § 19 Abs. 2
BNatSchG sind Arten im Sinne des Absatzes die in Artikel 4 Absatz 2 oder Anhang I der Richtlinie
2009/147/EG oder den Anhängen II und IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Arten. Nach § 19 Abs. 3
BNatSchG sind natürliche Lebensräume im Sinne des Absatzes 1 die Lebensräume der Arten, die in Artikel 4
Absatz 2 oder Anhang I der Richtlinie 2009/147/EG oder in Anhang II der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführt
sind, natürliche Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse sowie Fortpflanzungs- und Ruhestätten
der in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Arten. Ausweislich der Stellungnahme der GÖG
vom 22.11.2016 (Bl. 81 der Gerichtsakte) befinden sich diverse Biotope entlang der streitgegenständlichen
Strecke, die zugleich Lebensraumtypen im Sinne des § 19 Abs. 1, Abs. 3 BNatSchG sind. Im betroffenen
Gebiet findet sich mit dem Fledermausvorkommen auch eine sog. Anhang II-Art, die zugleich eine Anhang IV-
Art und damit nach § 19 Abs. 3 BNatSchG eine Art im Sinne des § 19 Abs. 1 BNatSchG ist.
29 Eine Antragsbefugnis dürfte sich indes nicht aus der seitens des Antragstellers gerügten Umgehung eines
Verfahrens nach § 17 Abs. 3 BNatSchG ergeben. Da der Antragsteller an diesem Verfahren nicht zu
beteiligen sein dürfte, dürfte es sich hierbei nicht um ein Recht handeln, welches der Antragsteller als
mögliche Rechtsverletzung im eigenen Namen oder auch altruistisch rügen könnte.
30 Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers beschränkt sich auf diejenigen Bereiche, bezüglich derer der
Antragsgegner weitere Baumfäll- und Rodungsarbeiten einschließlich damit einhergehender
Aufräumarbeiten unmittelbar durchzuführen beabsichtigt. Auszunehmen von dem Rechtsschutzbedürfnis
des Antragstellers sind daher die Bereiche betreffend das Planfeststellungsgebiet „...“, d. h. die
Bahnkilometer (ca.-Angabe) 27,8 bis 35,2, und das Planfeststellungsgebiet „...“, d. h. die Bahnkilometer
39,7–41,25.
31 Mit dem Landkreis ... richtet sich der Antrag auch gegen den richtigen Antragsgegner. Nach sachdienlicher
Auslegung des Antrags des Antragstellers, §§ 122, 88 VwGO, richtet sich dessen Begehren nicht in erster
Linie darauf, seine Beteiligungsrechte durchsetzen, denn dann müsste sich der Antrag gegen die Behörde
richten, die zu der Entscheidung über das Verfahren berufen ist, § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 LNatSchG BW. In
diesem Fall dürfte sich der Antragsgegenstand auf die gerichtliche Kontrolle der erforderlichen Beteiligung
beschränken. Dies dürfte nicht dem Begehren des Antragstellers entsprechen. Es ist vielmehr davon
auszugehen, dass er die Unterlassung der streitgegenständlichen Arbeiten begehrt, um in der Folge die
Schaffung faktischer Zustände vor Einleitung eines Beteiligungsverfahrens und damit die mögliche
Vereitelung seiner verfahrensrechtlichen Stellung durch die Umgehung eines Beteiligungsverfahrens zu
verhindern. In der Hauptsache dürfte daher eine Unterlassungsklage statthaft sein, die sich als Unterform
der allgemeinen Leistungsklage grundsätzlich gegen diejenige Person richtet, gegenüber der der
Antragsteller das von ihm geltend gemachte Recht behauptet. Die Rodungsarbeiten werden im Auftrag und
in der Verantwortung des Landkreises als Selbstverwaltungsaufgabe durchgeführt. Unabhängig davon, ob
man die Maßnahmen als Vorbereitung der Inbetriebnahme der Bahnstrecke im Zusammenhang mit § 6 Abs.
1 BPefG oder als Unterhaltungsmaßnahmen der noch immer eisenbahnrechtlich gewidmeten Strecke sieht,
stehen die Arbeiten in einem öffentlich-rechtlichen Sachzusammenhang.
32 Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht zur Sicherung der Rechte des Antragstellers eine
einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch
eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Dazu sind nach § 123 Abs. 3 VwGO
i.V.m. § 920 ZPO der zu sichernde Anspruch – Anordnungsanspruch – und der Grund, weshalb der Erlass
einer einstweiligen Anordnung geboten ist – Anordnungsgrund – glaubhaft zu machen.
33 Der Antragsteller hat vorliegend sowohl einen Anordnungsgrund als auch – in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang – einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Im Übrigen ist der Antrag
unbegründet.
34 Ein Anordnungsgrund besteht, wenn eine vorläufige gerichtliche Entscheidung erforderlich ist, weil ein
Verweis auf das Hauptsacheverfahren aus besonderen Gründen unzumutbar ist. Dies ist vorliegend zu
bejahen. Der Antragsgegner beabsichtigt die unmittelbare Fortsetzung der Rodungs- und Baumfällarbeiten
in dem Bereich des sog. ... und deren Abschluss bis Februar 2017. Bis zu diesem Zeitpunkt ist eine
abschließende Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren nicht zu erwarten.
Wegen der irreversiblen Schäden, die dem Antragsteller im Falle einer rechtswidrigen Fortführung der
Arbeiten entstünden, ist im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes
auszugehen.
35 Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller in der Hauptsache bei summarischer Prüfung
voraussichtlich Erfolg haben wird. Welche Anforderungen an die Erfolgsaussichten zu stellen sind, hängt
maßgeblich von der Schwere der dem Antragsteller drohenden Nachteile und ihrer Irreversibilität, aber auch
davon ab, inwieweit durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung die Hauptsache vorweggenommen
wird. Wird durch die begehrte Maßnahme die Entscheidung in der Hauptsache insgesamt endgültig und
irreversibel vorweggenommen, kann die einstweilige Anordnung nur erlassen werden, wenn ein
Anordnungsanspruch mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegt und für den Fall, dass die
einstweilige Anordnung nicht ergeht, dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile entstünden.
Dieser besonders strenge Maßstab ist hingegen abzumildern, wenn die begehrte Rechtsposition nur für den
Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung eingeräumt werden soll, weil sie faktisch nicht mehr rückgängig
zu machen ist, während über diesen Zeitpunkt hinaus keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden und
die Rechtsstellung insoweit nur vorläufig gewährt wird. In diesem Fall können schon überwiegende
Erfolgsaussichten in der Hauptsache genügen und die befürchteten wesentlichen Nachteile müssen nicht als
schlechterdings unzumutbar eingestuft werden. Ist eine überwiegende Erfolgsaussicht hingegen nicht
feststellbar, kann eine Anordnung nur ergehen, wenn dem Betroffenen andernfalls schwere und irreversible
Nachteile, insbesondere existentielle Gefahren für Leben und Gesundheit drohen (vgl. zum Ganzen: VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.05.2009 – 10 S 494/09 –, m.w.N.).
36 Nach diesen Maßstäben ist aufgrund der schweren und irreversiblen Nachteile, die durch einen potenziell
rechtswidrigen Eingriff in die im streitgegenständlichen Gebiet belegenen Biotope und Höhlenbäume
verursacht werden könnten, von herabgesetzten Anforderungen an die Erfolgsaussichten in einem
Hauptsacheverfahren auszugehen. Die von dem Antragsteller geltend gemachten Rechtspositionen drohen
hier irreversibel verletzt zu werden.
37 Die Auswirkungen der Rodungsarbeiten auf die Biotope werden von Antragssteller-und Antragsgegnerseite
unterschiedlich beurteilt. Zum derzeitigen Stand besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass die Arbeiten einer
Befreiung bedurft hätten bzw. noch bedürfen und die potenzielle faktische Zerstörung bzw.
Beeinträchtigung gesetzlich geschützter Biotope eine Umgehung des Verfahrens und damit einen Ausschluss
und mithin eine Verletzung der Mitwirkungsrechte des Antragstellers begründet. Zwar hat der
Antragsgegner Ende Oktober 2015 eine Genehmigung bei dem Regierungspräsidium ... beantragt. Die
beantragte Befreiung bezog sich dabei jedoch auf einen Bereich von max. 5 m beidseits des Gleisbetts unter
Aussparung gesetzlich besonders geschützter Biotope. Gerade aus den – wohl nach Rechtshängigkeit dieses
Verfahrens – durchgeführten Arbeiten nördlich des Tunnels ... und damit in einem Bereich, in dem sich ein
Feldgehölzbiotop befindet, ist erkennbar, dass Biotop-Bereiche von den Arbeiten nicht ausgenommen
werden. Ob eine Beeinträchtigung oder gar Zerstörung der Biotope durch die Arbeiten verursacht wird, wie
der Antragsteller meint, oder die Biotope davon zum Teil sogar profitieren, wie der Antragsgegner meint,
vermag die Kammer nach Aktenlage nicht zu beurteilen und wird dies in einem etwaigen
Hauptsacheverfahren zu klären sein. Jedenfalls ergibt die hier aufgrund der Eilbedürftigkeit allein mögliche
Interessenabwägung ein Überwiegen des Interesses des Antragstellers an der Verhinderung weiterer
Rodungs- und Baumfällarbeiten in den oben genannten Biotop-Gebieten gegenüber den von
Antragsgegnerseite vorgebrachten Einwendungen – deren Vereinbarkeit mit dem Vorbringen, es handele
sich um reine Unterhaltungsarbeiten, dahingestellt sei –, die Arbeiten seien notwendig, um die für die
Bauarbeiten notwendige Ausführungsplanung zu erstellen, wofür u.a. erforderlich sei, dass die Trasse
teilweise mit Zweiwegefahrzeugen befahrbar sei. Die für die Wiederinbetriebnahme der seit Jahrzehnten
nicht betriebenen Strecke notwendigen Planfeststellungsverfahren „...“ (anhängige Klage vor dem
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg) und „...“ (Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen
Planfeststellungsverfahrens) sind nicht rechtskräftig abgeschlossen. Auch unter Berücksichtigung der seitens
des Antragsgegners vorgebrachten finanziellen Interessen ist ein überwiegendes Interesse an der Schaffung
vollendeter Zustände vor dem Abschluss dieser Verfahren nicht ersichtlich.
38 Darüber hinaus besteht auch ein Anordnungsanspruch mit Blick auf die artenschutzrechtlichen
Verbotstatbestände gemäß § 44 Abs. 1 BNatSchG. Zwar ist der Antragsgegner dem Einwand des
Antragstellers, die als Fledermausquartiere in Betracht kommenden Höhlenbäume seien nicht mehr
auffindbar bzw. nicht entsprechend gekennzeichnet, hinreichend substantiiert entgegen getreten. Jedoch
plant der Antragsgegner ausweislich der Stellungnahme der ... gemäß der „Anlage I: Erfassung potenzieller
Fledermaushöhlenbäume“ der Anlage 6 zum Schriftsatz des Antragsgegners vom 01.12.2016 (Bl. 423 der
Gerichtsakten), die Entscheidung über die Freigabe der Fällung der Bäume, die als potenzielle
Fledermausquartierbäume in Betracht kommen, dem Vorhabenträger bzw. der Betreibergesellschaft zu
überantworten. Dies erscheint mit Blick auf den möglicherweise einschlägigen Verbotstatbestand des § 44
Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG, nach dem verboten ist, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten wild lebender Tiere der
besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, zumindest
fragwürdig. Auch hier ergibt sich deshalb im Wege einer Interessenabwägung das überwiegende Interesse
an dem Erhalt der Höhlenbäume und dem Verhindern der Schaffung irreversibler Zustände.
39 Mit Blick auf den bereits angenommenen Anordnungsanspruch kommt es auf den ebenfalls angeführten
drohenden Umweltschaden derzeit nicht mehr entscheidend an, weshalb Ausführungen hierzu unterbleiben
können.
40 Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53
Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Eine Halbierung des Streitwerts hielt die Kammer mit Blick auf die mögliche
Schaffung irreversibler Zustände nicht für angezeigt.