Urteil des VG Karlsruhe vom 12.02.2015

zufall, poker, geschicklichkeitsspiel, wahrscheinlichkeit

VG Karlsruhe Urteil vom 12.2.2015, 3 K 3872/13
Poker; Texas Hold'em und Omaha Holdem als Glücksspiele; Feststellungsklage
Leitsätze
Bei den Varianten "Texas Hold'em" und "Omaha Holdem" handelt es sich um
Glücksspiel i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV. Die Gewinnentscheidung hängt auch
dann, wenn es nicht zu einem "Showdown" und damit nicht zu einer
Gewinnentscheidung anhand der zufällig erhaltenen Karten kommt, von dem
ungewissen Verhalten der Mitspieler und damit ebenfalls vom Zufall ab.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt eine gerichtliche Feststellung zur Glücksspieleigenschaft von
Pokerspielen.
2 Sie betreibt seit Jahren auf der Internetseite ... eine Pokerschule, bei der
ausschließlich kostenlose Spielgeldchips zum Einsatz kommen. Nunmehr
beabsichtigt sie, auf der genannten Internetseite auch kostenpflichtige Cash-
Games und Pokerspiele für Spieler aus Deutschland und Europa zu veranstalten.
Geplant ist die Veranstaltung der Pokerspielvarianten „Texas Hold’em“ und
„Omaha Hold’em Pot Limit“.
3 Die Variante „Texas Hold’em“ wird mit einem französischen Blatt (52 Karten) von
mindestens zwei bis maximal zehn Spielern gespielt. Ziel des Spieles ist der
Gewinn des „Pot“, d.h. der Gesamteinsätze der Spieler während einer Spielrunde.
Den Spielern stehen zwei verdeckt bleibende persönliche Karten und fünf offen
sichtbare Gemeinschaftskarten zur Verfügung. Mit den persönlichen Karten und
drei der Gemeinschaftskarten werden Kartenkombinationen gebildet. Gewonnen
hat der Spieler, der entweder - während des Spiels - die anderen Mitspieler zum
Aussteigen aus dem Spiel gebracht oder - am Ende des Spiels - die
höchstgewertete Kartenkombination auf der Hand hat. In insgesamt vier
Spielrunden können die Spieler reihum ihre Ein-sätze tätigen oder abwarten. Zu
Beginn der Runde setzen zwei Spieler den Grundeinsatz („Big blind“) und den
geringeren „Small blind“. Anschließend werden an die Spieler jeweils die beiden
persönlichen Karten ausgegeben. Daraufhin haben die Spieler die Möglichkeit,
entweder aus dem Spiel auszusteigen - wobei die Spieler, welche zuvor den „Big
blind“ und den „Small blind“ gesetzt hatten, ihren Einsatz verlieren - oder den
Mindesteinsatz in Höhe des „Big blind“ zu setzen oder den Spieleinsatz zu
erhöhen. Anschließend werden die ersten drei Gemeinschaftskarten („Flop“) offen
auf den Tisch gelegt. Hierauf folgt eine weitere Setzrunde. Anschließend werden -
mit jeweils anschließender erneuter Setzrunde - die vierte Gemeinschaftskarte
(„Turn“) und die fünfte Gemeinschaftskarte („River“) auf den Tisch gelegt. Zum
Aufdecken der persönlichen Karten („Showdown“) kommt es, wenn nach der
letzten Setzrunde noch zwei oder mehrere Spieler im Spiel sind. Dann gewinnt der
Spieler den „Pot“, der die höchstwertige Kartenkombination hat.
4 Die Variante „Omaha Hold’em“ unterscheidet sich von „Texas Hold’em“ dadurch,
dass jeder Spieler nicht zwei, sondern vier persönliche Karten erhält, von denen er
aber nur zwei für seine endgültige Hand behalten darf. Wie bei „Texas Hold’em“
kommen fünf Gemeinschaftskarten auf den Tisch, wobei der Spieler aber drei
dieser fünf Gemeinschaftskarten zur Vervollständigung seiner Hand verwenden
muss. Für das Spielergebnis beim Showdown ist daher die beste Kombination aus
zwei der vier persönlichen Karten und drei der fünf Gemeinschaftskarten
entscheidend. Vom Spielablauf her unterscheidet sich die Variante „Omaha
Hold’em“ von der Variante „Texas Hold’em“ nicht.
5 Mit Schreiben vom 17.09.2013 beantragte die Klägerin beim Regierungspräsidium
Karlsruhe zu bestätigen, dass sie berechtigt ist, auf der Internetseite ... die
Varianten „Texas Hold’em“ (mit allen Limit-Varianten) und „Omaha Hold’em Pot
Limit“ zu veranstalten. Zur Begründung trug sie vor, zwar werde Poker in der
Rechtsprechung der deutschen Straf-, Zivil- und Verwaltungsgerichte allgemein
und auch in der Variante „Texas Hold’em“ als überwiegend zufallsabhängig und
damit als Glücksspiel eingestuft, in jüngerer Zeit gebe es aber in der juristischen
Fachliteratur zunehmend Autoren, welche Poker als Geschicklichkeitsspiel
einstuften. Auch das Finanzgericht Köln sei in seinem Urteil vom 31.10.2012 zu
dieser Auffassung gelangt. Dem sei zu folgen. Poker sei - wie das Kartenspiel
Skat, das in Deutschland herkömmlich als Geschicklichkeitsspiel eingestuft werde
- als Geschicklichkeitsspiel anzusehen, weil bessere Spieler auf Dauer gewännen.
Zwar seien beim Skat nur 2 der insgesamt 32 Karten nicht im Spiel, so dass
aufmerksame Spieler ungefähr wüssten, welche Karten noch gespielt werden
könnten um ihre Strategie danach auszurichten. Es fehle aber eine überzeugende
Begründung dafür, dass die Zufälligkeitskomponente beim Skat vernachlässigt
werden könne, zumal die Zufälligkeit der Kartenverteilung dort eine dominante
Rolle spiele. Eine unbefangene Analyse ergebe, dass der Spieler bei den in Rede
stehenden Pokervarianten deutlich stärker Einfluss auf das Spiel nehmen könne
als beim Skat. Beim Poker habe der Spieler jederzeit die Möglichkeit, auch mit
schlechten Karten seine Mitspieler durch taktisches Geschick zum Aufgeben zu
drängen, so dass er gewinne. Er könne aber auch durch frühzeitiges Aussteigen
(Aufgabe der Hand) seinen Verlust auf nahezu Null reduzieren. Studien hätten
erheben, dass beim Poker in deutlich mehr als 50 % der Runden nicht der Spieler
gewinne, dem der Zufall die besten Karten zuweise. Demgemäß sei das New York
District Court jüngst in einer überzeugenden Grundsatzentscheidung - welche
vorgelegt werde - zu dem Ergebnis gekommen, dass Poker nicht überwiegend
zufallsabhängig und deshalb kein Glücksspiel im Sinne des - strengen - US-
amerikanischen Glücksspielrechts sei.
6 Mit Bescheid vom 18.11.2013 lehnte das Regierungspräsidium Karlsruhe den
Antrag auf Feststellung, dass es sich bei den Pokervarianten „Texas Hold’em“ (mit
allen Limit-Varianten) und „Omaha Hold’em Pot Limit“ nicht um Glücksspiel
handele, ab und setzte für diese Entscheidung eine Gebühr in Höhe von 500 EUR
fest. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Entgegen der Ansicht
der Klägerin sei die Gewinnentscheidung bei den genannten Pokervarianten
überwiegend vom Zufall abhängig. Die Zufallsabhängigkeit sei offenkundig in
jenen Fällen gegeben, in denen es zwischen zwei oder mehr Spielern zum
„Showdown“ komme und der Spieler gewinne, dessen Karten die höchste
Wertigkeit hätten. Denn die Gewinnentscheidung hänge von der zufälligen
vorangegangenen Kartenvergabe ab. Aber auch dann, wenn es nicht zum
„Showdown“ komme, sondern die Partie durch Aussteigen der Mitspieler
entschieden werde, hänge die Gewinnentscheidung überwiegend vom Zufall ab,
weil die Entscheidung der Mitspieler, auszusteigen oder weiterzuspielen,
ungewiss, nicht direkt beeinflussbar oder vorhersehbar sei. Die Entscheidung,
auszusteigen, werde von dem Mitspieler aufgrund einer autonomen Entscheidung
anhand der ihm zur Verfügung stehenden Kartenkombinationen getroffen. Durch
„bluffen“ könne das Verhalten der Mitspieler zwar beeinflusst werden, aber nicht in
einer Weise, welche die überwiegende Zufallsabhängigkeit ausschließe. Jeder
Mitspieler wisse, dass „bluffen“ zum Spiel gehöre und werde die eigene
Entscheidung, entweder auszusteigen oder weiterzuspielen, immer anhand der
zur Verfügung stehenden Karten und einer darauf beruhenden Risikoeinschätzung
treffen. Das Setzen eines besonders hohen Einsatzes, mit dem auf die Mitspieler
Druck ausgeübt werden solle, erfordere kein besonderes Geschick und zwar auch
dann nicht, wenn es in der Hoffnung geschehe, hierdurch alle anderen Spieler zur
Aufgabe zu bewegen. Ein Mitspieler, der gute Karten habe, werde es auf einen
“Showdown“ ankommen lassen, bei schlechten Karten werde er sich autonom
dafür entscheiden auszusteigen. Die Zufallsabhängigkeit des Pokerspiels werde
nicht dadurch zurückgedrängt, dass ein Spieler durch Beobachten der Mimik der
Mitspieler und durch deren Spielverhalten Rückschlüsse über die Qualität der
diesen zur Verfügung stehenden Kartenkombinationen erhalten könne. Ein
unmittelbarer Kontakt zu den Mitspielern bestehe bei den geplanten Internet-
Pokerspielen nicht. Außerdem bleibe das Verhalten eines Mitspielers letztlich
unberechenbar und zufällig, zumal jedem Pokerspieler bekannt sei, dass die
eigene Spielweise variiert werden sollte um nicht vorhersehbar zu werden. Auch
wenn der Klägerin zuzugeben sei, dass die in Rede stehenden Pokervarianten ein
Geschicklichkeitselement insofern aufwiesen als ein Spieler die Wertigkeit seiner
eigenen Karten und die potentielle Wertigkeit der Karten der Mitspieler anhand der
fünf offenen Gemeinschaftskarten beurteilen könne, handele es sich doch um eine
Prognoseentscheidung zur Risikoabschätzung, welche alle Mitspieler vornehmen
könnten. Ausgangspunkt der Risikoabschätzung blieben in jedem Fall aber die
durch Zufall zugeteilten Karten. Mithin handele es sich bei den Pokervarianten
„Texas Hold’em“ und „Omaha Hold’em“ um Glücksspiel. Dies gelte sowohl für die
einzelne Pokerpartie als auch für die Gesamtheit mehrerer in einem Turnier
abgehaltener Pokerspiele. Zwar könne es aus Gründen der
Wahrscheinlichkeitsverteilung so sein, dass sich bei einer Vielzahl von Spielen
Glück und Pech die Waage hielten, da ein Spieler die Karten der Mitspieler aber
nicht kenne, könne er nie sicher abschätzen, ob nicht dann, wenn er zufällig gute
Karten habe, ein Mitspieler über noch bessere verfüge. Die statistische
Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Vielzahl von Partien jeder Spieler einmal über
die besten Karten verfügen werde, helfe dem Einzelspieler nicht weiter. Der
Ausnahmefall, dass ein Spieler über die denkbar beste Kartenkombination verfüge
und das Spiel in jedem Fall voraussehbar gewinnen werde, ändere am Prinzip der
Zufallsabhängigkeit nichts. Der Bescheid wurde der Klägerin am 25.11.2013
zugestellt.
7 Am 19.12.2013 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage
erhoben, zu deren Begründung sie zusammengefasst ausführt: Sie wolle u.a. in
Baden-Württemberg Hold’em Pokerspiele im Internet anbieten. Handele es sich
hierbei um Glücksspiele, so wäre das Veranstalten und das Vermitteln im Internet
kategorisch verboten (§ 4 Abs. 4 GlüStV) und u.U. strafbar (§ 284 StGB). Sie - die
Klägerin - habe daher ein berechtigtes Interesse an der rechtsgrundsätzlichen
Klärung der Frage, ob Hold’em-Pokerspiele die Voraussetzungen des
gesetzlichen Glücksspielbegriffes erfüllten. Die hierzu erhobene
Feststellungsklage sei zulässig. Die Subsidiaritätsregelung des § 43 Abs. 2 VwGO
stehe nicht entgegen, weil die streitige Frage sachgerecht im Wege einer
gerichtlichen Feststellung geklärt werden könne und die besonderen
Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage nicht umgangen würden.
Die Feststellungsklage sei hier neben der Anfechtungsklage gegen den
ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 18.11.2013 zulässig. Die
Feststellungsklage sei auch begründet, weil Poker kein Glücksspiel i.S.v. § 3 Abs.
1 GlüStV, sondern ein Geschicklichkeitsspiel sei. Der Begriff Poker bezeichne eine
Familie von Kartenspielen mit ähnlichen Regeln. Bei den Hold’em-Varianten
würden an die einzelnen Spieler verdeckte Karten (Hole Cards) und dann
sukzessive Gemeinschaftskarten (offene Tischkarten) ausgegeben, welche allen
konkurrierenden Spielern zur Verfügung stünden. Die „Pokerhand“ eines Spielers
sei die nach einer festgelegten Reihenfolge beste Kombination aus fünf Karten, die
sich ein Spieler aus seinen persönlichen Karten und aus den Gemeinschaftskarten
zusammenstellen könne. Die Spieler hätten auf jeder Entwicklungsstufe einer
Pokerpartie mehrere Handlungsoptionen. Er habe jederzeit die Möglichkeit zu
passen, indem er seine Karten abwerfe und jeden Anspruch auf den Spielgewinn
aufgebe. Er könne auch „schieben“, indem er nicht setze, seine Karten jedoch
behalte. Die dritte Option sei das Setzen von Einsätzen, die dem sog. „Pot“
zugefügt würden. Es gebe pro Pokerpartie insgesamt vier mögliche Setzrunden
(Preflop, Flop, Turn und River). Welche Optionen einem Spieler jeweils zur
Verfügung stünden, hänge von den Aktionen der Mitspieler ab, die vor ihm an der
Reihe gewesen seien. Seien noch keine Einsätze gesetzt, könne der Spieler
entweder schieben oder setzen. Sei ein Einsatz erfolgt, so könnten nachfolgende
Spieler entweder passen, „mitgehen“, d.h. den bestehenden Einsatz einzahlen,
oder durch Anheben des Einsatzes „erhöhen“. Jede Setzrunde gehe so lange bis
alle noch aktiven Spieler Einsätze in gleicher Höhe in den Pot eingezahlt hätten.
Pokerspiele bestünden üblicherweise aus zahlreichen gespielten Runden, in
denen jeweils neue Karten an die Spieler ausgegeben würden. Bei Pokerturnieren
werde eine Art Eintrittsgelds („Buy In“) gezahlt und sei die Anzahl der gespielten
Partien von vornherein beschränkt, wobei die Spieler den Tisch jederzeit verlassen
und sich auszahlen lassen könnten. Bei den im Internet angebotenen
Pokerspielen handele es sich um wettkampfmäßig betriebene strategische
Mehrpersonenspiele, an denen der Veranstalter nicht mitwirke. Diesem sei der
Ausgang der von ihm veranstalteten Spiele gleichgültig. Traditionell werde Poker
von deutschen Gerichten - von Ausnahmen abgesehen - anders als Skat, Billard
oder Bridge, welche als Geschicklichkeitsspiele angesehen würden, als
Glücksspiel eingestuft. Diese Auffassung sei revisionsbedürftig. Rechtlicher
Ausgangspunkt seien die Tatbestandsmerkmale des § 3 Abs. 1 GlüStV, welche
nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter ausgelegt
werden dürften als der Glücksspielbegriff des § 284 StGB. Ein Glücksspiel liege
demnach nur dann vor, wenn die Gewinnentscheidung überwiegend vom Zufall
abhänge und nicht wesentlich von den Fähigkeiten, den Kenntnissen und der
Aufmerksamkeit der Spieler. Entscheidend komme es mithin auf das Maß der
Verursachung durch den Zufall an. Die Zufallskausalität für die
Gewinnentscheidung müsse überwiegen. Bei der Beurteilung der
Zufallsabhängigkeit sei nicht auf den Ablauf von einzelnen Spielen, sondern im
Wege einer einheitlichen Betrachtungsweise auf die allgemeine Struktur des Spiels
abzustellen, so wie es von einem Durchschnittsspieler, welcher die für ein Spiel
erforderlichen typischen Fähigkeiten in angemessener Zeit erlernen könne,
gespielt werde. Maßgebend sei, ob in der Mehrzahl der Spielgänge die
Gewinnzuweisung durch den Zufall wahrscheinlicher sei als die Gewinnzuweisung
durch die Geschicklichkeit der Spieler. Die Wahrscheinlichkeit, auf Verlauf und
Ausgang des Spieles einzuwirken, müsse für den Durchschnitt der in Betracht
kommenden Spieler so gering sein, dass bei der Mehrheit der Einzelspiele hiermit
nicht zu rechnen sei, sondern der Zufall entscheide. Der Zufall entscheide dann
nicht, wenn ein Durchschnittsspieler, der unter Einsatz der ihm gegebenen
Geschicklichkeit versuche, ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen, besser
abschneide als ein Spieler, der allein auf die Chancen setze, die der Zufall ihm
biete und „auf gut Glück“ spiele. Der Durchschnittsspieler müsse mithin eine
zufallsüberwindende Geschicklichkeit aufbringen können um die
Glücksspieleigenschaft ausschließen zu können. Der statistische Nachweis der
überwiegenden Zufallsabhängigkeit erfordere die Beobachtung und Analyse einer
ausreichenden Anzahl von Spielrunden. Gerade bei gemischten Spielen wie Poker
- bei denen auch das Zufallselement eine Rolle spiele - werde hierfür in der Regel
ein Sachverständigengutachten erforderlich sein. Strategische Kartenspiele und
andere agonale Mehrpersonenspiele - wie Poker - seien schwieriger zu
analysieren als einphasige Spiele, bei denen der Einzelspieler gegen den
Veranstalter („Bank“) oder gegen einen Automaten antrete. Denn es konkurrierten
mehrere Spieler nach allgemein anerkannten bzw. festgelegten Regeln
miteinander um ihre unterschiedliche Geschicklichkeit einzusetzen zu dem Zweck,
das Spielergebnis zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Bei Poker sei eine
unbestimmte Vielzahl von Spielabläufen möglich, wobei die Regeln persönliche
Steuerungsprozesse vorgäben. Zwar treffe es zu, dass die Kartenlage und damit
das Spiel als solches in jeder Runde auf Neue durch den Zufallsgenerator (=
Mischen und Verteilen der Karten) in Gang gesetzt und sukzessive beeinflusst
werde. Entscheidender Erfolgsfaktor sei aber, die durch den Zufallsgenerator
geschaffene Kartenhand richtig zu erfassen und zu bewerten, die Gewinnchancen
der eigenen Hand anhand der bekannten Wahrscheinlichkeiten realistisch
einzuschätzen und auf der Grundlage dieser Risikoeinschätzung sachgerechte
Entscheidungen zu treffen. Dabei böten sich einem Spieler in jeder Lage des
Spieles eine Fülle von Entscheidungsmöglichkeiten mit einer großen Auswahl an
Handlungsoptionen. Es zeichne das Pokerspiel aus, dass die Spieler - anders als
z.B. beim Skat - auf die jeweilige Kartenlage flexibel reagieren könnten und zwar
bis zum verlustvermeidenden bzw. zumindest verlustbegrenzenden Ausstieg aus
der Partie. Durch diese strategischen Optionen, die den Spielern auf den
verschiedenen Entwicklungsstufen des Spiels zur Verfügung stünden, würden in
der großen Mehrzahl der Spiele die Wirkungen des Zufallsgenerators so stark
abgeschwächt, dass das Geschick der Spieler den Spielausgang überwiegend
bestimme. Anders als beim Skat bestehe bei ungünstiger Kartenverteilung schon
zu Beginn der Runde die Möglichkeit des Aussteigens. Nach den Regeln und der
Struktur des Spielablaufs könnten sich auch Durchschnittsspieler kausale
Gesetzmäßigkeiten durch zielgerichtete Entscheidungen insoweit zunutze machen
als sie den Spielverlauf mit einer für den Spielgewinn geeigneten
Wahrscheinlichkeit steuern und prognostizieren und dadurch die Zufallskausalität
unterbrechen bzw. dominieren könnten, z.B. durch frühzeitiges Aufgeben
schlechter Hände. Sichere Gewinnhände gebe es - anders als beim Skat - so gut
wie nie, so dass es darauf ankomme abzuschätzen wie sich die eigene Hand
entwickeln könne, wenn in der weiteren Spielabfolge sukzessive die offenen
Gemeinschaftskarten aufgedeckt würden und wie wahrscheinlich anhand der dem
jeweiligen Spieler bekannten Karten sei, dass ein Gegner eine bessere oder eine
schlechtere Hand halte. Dieses Ergebnis werde durch die vorgelegten Unterlagen,
insbesondere die Pokerstudie (Rechtsanwälte ..., TÜV Rheinland, Prof. Dr. ..., ...:
„Texas Hold’em: strafloses Geschicklichkeitsspiel oder strafbares Glücksspiel ?“)
und das Gutachten des amerikanischen Pokersachverständigen Dr. ... vom
05.07.2012 bestätigt. Für dessen Richtigkeit spreche auch der Umstand, dass es
Pokerspieler gebe, die mit Pokern ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten.
Demgemäß habe das Regierungspräsidium Karlsruhe den gestellten
Feststellungsantrag zu Unrecht abgelehnt. Denn der Bescheid stütze sich auf
subjektive Bewertungen und nicht auf einen empirischen Nachweis bzw. eine
statistisch-mathematische Analyse. Der Prüfungsansatz des
Regierungspräsidiums sei fehlerhaft, denn die Zuteilung der Karten durch den
Zufallsgenerator sei erst die Grundlage dafür, dass sich die in aller Regel strukturell
und auch nach der „Tagesform“ unterschiedliche Geschicklichkeit der
konkurrierenden Spieler entfalten könne. Trotz zufälliger Kartenverteilung
gewännen diejenigen, welche aufgrund von Fähigkeiten und Erfahrungen anderen
Spielern überlegen seien. Das Regierungspräsidium erkenne zwar auch den
Einfluss der Geschicklichkeitselemente an, verkenne aber, dass lediglich ein
relatives Geschicklichkeitsmaß zu verlangen sei, das zur Beeinflussung des
Spielausganges aufgewendet werden müsse. Es komme nämlich nicht darauf an,
ob der Durchschnittsspieler absolut gesehen gewinne oder nicht. Maßgeblich sei
allein, ob sich Durchschnittsspieler gegen „Zufallsspieler“ durchsetzten.
Bekanntlich würden 75 % der im Internet gespielten Pokerhände ohne Showdown
entschieden. Dies zeige, dass von der entscheidungsgeleiteten Option des
Aussteigens aus einer Partie überwiegend Gebrauch gemacht werde. Die
Erwägungen des Regierungspräsidiums auf S. 3f des Bescheides stellten das
Pokerspiel allzu vereinfacht dar. Es möge vorkommen, dass das Ergebnis eines
Einzelspiels durch das Kartenglück eines Spielers überwiegend zufallsabhängig,
weil formal determiniert sei; solche Spielausgänge gebe es aber vor allem beim
Skatspiel, weniger häufig beim Poker, das gewöhnlich nicht als „Partie zwischen
Fill House und Straight Flush“ entschieden werde. Die Möglichkeit, schlechte
Hände, die aller Wahrscheinlichkeit nach keinerlei Gewinnaussichten böten,
aufzugeben und dadurch Verluste zu vermeiden bzw. zu minimieren, gebe es
beim Pokern, nicht aber beim Skatspiel. Die Erwägungen des
Regierungspräsidiums müssten daher bei Skat erst Recht zu einer Bejahung der
überwiegenden Zufallsabhängigkeit führen.
8 Die Klägerin beantragt,
9
1. den Ablehnungsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom
18.11.2013 aufzuheben,
10 2. festzustellen, dass sie berechtigt ist, auf der Internetseite ... Pokerspiele der
Varianten „Texas Hold’em“ (mit allen Limit-Varianten) und „Omaha Hold’em Pot
Limit“ in Baden-Württemberg zu veranstalten.
11 Der Beklagte beantragt,
12 die Klage abzuweisen.
13 Zur Begründung verweist er auf den angefochtenen Bescheid und führt ergänzend
im Wesentlichen aus: Nach § 3 Abs. 1 GlüStV müsse sich die Zufallsabhängigkeit
auf die Gewinnentscheidung beziehen. Daher sei es für den Begriff des
Glücksspiels unerheblich, dass ein Spieler mittels Geschicklichkeitselementen
eventuell sein Verlustrisiko begrenzen oder nahezu ausschließen könne. Ein
Spieler, der wegen schlechter Karten aus dem Spiel aussteige, handele zwar
vernünftig, habe aber verloren und gerade keinen durch ein
Geschicklichkeitselement hervorgerufenen Einfluss auf die Gewinnentscheidung
zu seinen Gunsten bewirken können. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei für die
rechtliche Einordnung gemischter Spiele nicht maßgeblich, ob Spieler, die ihre
Geschicklichkeit einsetzten, im Vergleich zu Spielern, welche ohne
Geschicklichkeitseinsatz nur auf gut Glück spielten, erfolgreicher seien. Denn nach
dem Gesetz liege ein Glücksspiel bereits dann vor, wenn der Anteil des Zufalls bei
der Gewinnentscheidung überwiege. Eine ausschließliche Zufallsabhängigkeit sei
nicht erforderlich. Würde man der Argumentation der Klägerin folgen, so wären alle
gemischten Spiele Geschicklichkeitsspiele. Die gesamten Ausführungen der
Klägerin - und der vorgelegten Pokerstudie - krankten daran, dass durch die
Möglichkeit, durch den Einsatz von Strategie und Taktik Verluste zu minimieren,
der Glücksspielcharakter nicht in Frage gestellt werde. Der Verlauf einer
Pokerpartie sei aber maßgeblich durch die zufallsabhängige Kartenvergabe
determiniert. Selbst der geschickteste Spieler werde verlieren, wenn ihm der Zufall
schlechte, den Mitspielern aber gute Karten zugeteilt habe. Andererseits werde
selbst der geschickteste Spieler aus eigenen schlechten Karten keine guten
Karten machen. Entscheidend komme es für das Vorliegen eines
zufallsabhängigen Glücksspiels darauf an, ob Spieler, die in etwa das gleiche
Geschicklichkeitslevel aufwiesen, die Gewinnentscheidung noch durch den
Einsatz des Geschicks maßgeblich beeinflussen könnten oder ob dann doch
überwiegend der Zufall entscheide. Die vorgelegte Pokerstudie spreche insoweit
eher dafür, dass Poker ein Glücksspiel sei. Denn wenn bei einem Vergleich von
Durchschnittsspielern und Profispielern die Profispieler bei 10 Tischen nur 4 mal
gewonnen hätten, zeige dies eindrucksvoll, dass das Geschick keine tragende
Rolle spielen könne. Noch extremer sei der Vergleich der Durchschnittsspieler mit
Spielern ohne Geschick. Hier hätten die Durchschnittsspieler bei der Variante
Fixed Limit von 20 Tischen zwar 19 gewonnen, bei der Variante No Limit aber alle
20 Tische verloren. Der Umstand, dass die Profispieler bei einem Vergleich mit den
Spielern, welche ohne Geschick gespielt haben, überdurchschnittlich gut
abgeschnitten haben, sei Folge des Umstandes, dass bei Poker
Geschicklichkeitselemente gerade bei einer Vielzahl hintereinander gespielter
Partien einen gewissen Einfluss auf das Gesamtergebnis ausmachten. Dies
belege aber nicht, dass der Geschicklichkeitsfaktor das Zufallselement übersteige.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sei es nicht erforderlich, das Verhältnis von
Zufalls- und Geschicklichkeitselementen auf der Basis eines Spielversuchs zu
ermitteln. Bei der Pokervariante Texas Hold’em gewinne ein Spieler entweder
dann, wenn alle anderen Mitspieler vor ihm aus der Partie ausgestiegen seien oder
er beim Showdown die Karten mit der höchsten Wertigkeit aufbieten könne. Beide
Gewinnentscheidungen seien überwiegend zufallsabhängig. Bei der
Gewinnentscheidung ohne Showdown hänge alles vom Verhalten der Mitspieler
ab. Eine überwiegende Zufallsabhängigkeit der Gewinnentscheidung fehle hier nur
dann, wenn der gewinnende Spieler durch sein eigenes Verhalten einen
nennenswerten Einfluss auf die Ausstiegsentscheidung des Mitspielers ausüben
könne. Dies sei nicht der Fall, weil der Mitspieler, der aufgebe, sein Verhalten
maßgeblich von den ihm zur Verfügung stehenden persönlichen Karten und den
offen ausliegenden Gemeinschaftskarten abhängig machen werde. Je besser
diese Karten seien, desto eher werde er weiterspielen; seien die Karten hingegen
schlecht und sei er der Ansicht, dass sie dies auch im Verhältnis zu den möglichen
Kartenkombinationen der Mitspieler seien, so werde er aussteigen. Ein Spieler
könne aber die ihm zugeteilten Karten nicht beeinflussen, ebenso wenig wie er die
Entscheidung der Mitspieler, aufzugeben oder weiterzumachen, nicht maßgeblich
beeinflussen könne. Dem stehe nicht entgegen, dass ein Spieler bluffen oder
äußerst selbstsicher auftreten könne. Mit einem solchen Verhalten werde er dann
keinen Einfluss ausüben können, wenn der Mitspieler seinerseits gute Karten habe
und sich aufgrund dessen gute Gewinnchancen ausrechne. Außerdem wisse
jeder Laie, dass Bluffen zum Spiel gehöre, so dass entsprechendes Auftreten nicht
zwingend bedeuten müsse, der sich so verhaltende Spieler werde auch
entsprechend gute Karten besitzen. Auch durch Studieren des Verhaltens und der
Mimik der Mitspieler sei es nicht möglich, einen maßgeblichen Einfluss auf deren
Verhalten zu nehmen. In dem vorgelegten Gutachten werde der Eindruck erweckt,
als könne ein Spieler durch sorgfältiges Beobachten seiner Mitspieler die
Wertigkeit deren Karten zutreffend bestimmen, so eine eigene Spielstrategie
aufbauen und bei eigenen schlechten Karten durch das Platzieren hoher Einsätze
die Mitspieler zum Aussteigen bewegen. Diese Annahme verkenne aber, dass
Verhalten und Mimik der Mitspieler niemals sicheren Rückschluss auf deren
Karten zuließen. Entsprechendes gelte auch für das eigene Setzverhalten. Bei der
zweiten Gewinnmöglichkeit, des Gewinns aufgrund der höchstbewerteten
Kartenkombination im Showdown, sei die Zufallsabhängigkeit der
Gewinnentscheidung unproblematisch gegeben. Soweit die Klägerin
argumentiere, zu einem Showdown komme es nur in etwa 25 % aller Spiele,
verkenne sie, dass auch die Ausstiegsentscheidung der Mitspieler maßgeblich
von der Kartenvergabe beeinflusst sei. Auch beim Pokerturnier, einer Vielzahl an
gespielten Pokerrunden, hänge die Gewinnentscheidung überwiegend vom Zufall
ab. Insoweit sei allerdings nicht auf die einzelne Pokerrunde, sondern auf das
gesamte Turnier abzustellen. Zwar dürfte der Vortrag der Klägerin richtig sein, dass
bei einer langfristigen Betrachtungsweise (mehrere hundert Partien) die Spieler in
etwa im gleichen Verhältnis zueinander schlechte und gute Karten erhielten, doch
helfe dieser Umstand dem Spieler nicht weiter, weil er zu keiner Zeit wisse, ob nicht
dann, wenn ihm der Zufall gute Karten bescherte habe, ein Mitspieler noch
bessere bekommen habe und umgekehrt. Bei Pokerturnieren sei daneben zu
berücksichtigen, dass sich der Gewinn letztlich aus der Summe der Einzelspiele
ergebe. Insoweit gebe es aber keine Gesetzmäßigkeit dahingehend, dass ein
Spieler mit guten Karten immer hohe Gewinne mache, welche dann quasi seine
Verluste bei schlechten Karten ausglichen. Der Klägerin sei auch nicht darin zu
folgen, die Tatsache, dass es stabile Weltranglisten im Pokerbereich gebe, belege,
dass der Spielerfolg primär vom Geschick des Spielers abhängig sei. Die
Gesamtliste der Gewinner der inoffiziellen Pokerweltmeisterschaft könne über
Wikipedia eingesehen werden. Es sei auffällig, dass es seit ... (1987/1988) keinem
Spieler mehr gelungen sei, seinen Titel zu verteidigen und alle Gewinner nach ...
die Pokerweltmeisterschaft nur einmal gewonnen hätten. Entsprechendes gelte für
die auf der Liste angegebenen Zweitplatzierten. Gleiche man die Sieger der
inoffiziellen Pokerweltmeisterschaft mit den bestehenden Weltranglisten im
Pokerbereich ab, so stelle man fest, dass keiner der dort aufgeführten Spieler
jemals die inoffizielle Pokerweltmeisterschaft gewonnen oder wenigstens den
zweiten Platz erzielt habe. Der Umstand, dass es professionelle Pokerspieler
gebe, die mit ihren Gewinnen ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten, sei kein
Indiz für ein Geschicklichkeitsspiel. Denn angesichts der Gewinnsummen, welche
bei der inoffiziellen Pokerweltmeisterschaft an den Gewinner ausgeschüttet
würden (zuletzt über 8 Mio. Dollar) leuchte ein, dass bereits ein Sieg genüge, um
von den Gewinnen einige Zeit leben zu können. Entsprechendes gelte auch für
Turniere, in denen Gewinne in sechsstelliger Höhe ausgeschüttet würden. Der
nach seinen Gesamteinkünften derzeit erfolgreichste Pokerspieler ...
(www.pokerpages.com), welcher bislang über 25 Mio. Dollar gewonnen habe,
habe bisher an 56 Turnieren teilgenommen, von diesen aber nur 6 gewonnen.
Fast 75 % seines in der gesamten Karriere erzielten Preisgeldes habe er bei einem
einzigen Turniersieg im Juli 2012 gewonnen. Die Ergebnisschwankungen sowie
die Tatsache, dass es immer wieder „Amateuren“ gelinge, Pokerturniere mit
mehreren hundert oder tausend Teilnehmern zu gewinnen, zeigten, dass das
Geschicklichkeitselement nur eine untergeordnete Bedeutung habe.
14 Mit Schriftsätzen vom 21.01.2015 und vom 03.02.2015 hat die Klägerin ergänzend
vorgetragen und ihre bisherige Argumentation weiter vertieft: Die Feststellung
überwiegender Zufallsabhängigkeit anhand des anzuwendenden
Durchschnittsmaßstabes sei Tatfrage und müsse gegebenenfalls mit Hilfe eines
Sachverständigen geklärt werden. Man habe wissenschaftliche Untersuchungen
und Entscheidungen in- und ausländischer Gerichte vorgelegt, die aufgrund
entsprechender Versuchsreihen und der Auswertung von mehr als 400 Mio.
Online-Spielrunden zu dem Ergebnis kämen, dass die Gewinnentscheidung bei
Hold’em Poker nicht überwiegend vom Zufall abhänge. Der Behauptung des
Regierungspräsidiums, der Verlauf einer Pokerpartie werde maßgeblich durch die
zufallsabhängige Kartenverteilung determiniert, sei entgegenzuhalten, dass die
Kartenverteilung nur eine Ursache für die Gewinn- und Verlustentscheidung sei,
diese aber keineswegs determiniere. Entgegen der Auffassung des
Regierungspräsidiums sei auch maßgeblich in den Blick zu nehmen, dass die
Pokerspieler - anders als die Skatspieler - ihr Verlustrisiko durch Aussteigen aus
dem Spiel begrenzen könnten und insoweit nicht der zufälligen Kartenverteilung
ausgeliefert seien. Sie könnten - auf der Grundlage der Kartenverteilung - vielmehr
rationale Entscheidungen über ihr Spielverhalten treffen. Es überzeuge nicht, die
Zufallsabhängigkeit nur auf die Gewinnentscheidung zu beziehen. Entscheidend
sei vielmehr, ob die Entscheidung über Gewinn und Verlust überwiegend
zufallsabhängig sei oder nicht. Dies sei zu verneinen. Die Wahrscheinlichkeit, im
Falle „2 aus 52“ die beste Starthandkarte (ein Paar mit zwei Assen) zu erhalten,
betrage nur 0,45 %. Die für die Gewinnentscheidung maßgebliche Rangfolge der
Kartenkombinationen ergebe sich aus der Wahrscheinlichkeit, wie oft eine
bestimmte Kombination im Falle „5 aus 52“ auftrete. Hier betrage die
Wahrscheinlichkeit, dass die „höchste Karte“ entscheide, dass also mit 5 von 52
Karten keine höherrangige Kategorie erreicht werde, ziemlich genau 50 %. Höher
als 1% sei nur die Wahrscheinlichkeit, ein Paar (42,3 %), ein Doppelpaar (4 %)
oder einen Drilling (2,1 %) zu erhalten. Bei allen anderen Kartenkombinationen
(Straße, Flush, Full House, Vierling, Straight Flush, Royal Fush) liege die
Wahrscheinlichkeit deutlich unter 1 %. Die eindimensionale, nur am Wert der Hand
des einzelnen Spielers orientierte Betrachtungsweise des Regierungspräsidiums
werde den überaus komplexen Gesetzmäßigkeiten des Pokerspieles nicht
gerecht. Bei Poker könne ein Spieler mit anfangs scheinbar „schlechten Karten“
gewinnen und ein Spieler mit anfangs „guten Karten“ verlieren. Ein erfahrener
Spieler werde auch mit „guten Karten“ aussteigen, wenn er Grund zu der Annahme
habe, dass der Mitspieler bessere Karten habe. Diese Fähigkeit, von Fall zu Fall
auch mit scheinbar „guten Karten“ auszusteigen, werde oft als wesentlicher
Erfolgsfaktor beim Pokerspiel identifiziert. Die Ergebnisse der Pokerstudie würden
vom Regierungspräsidium irreführend referiert. Die Testreihe 1 habe darin
bestanden, dass 100 Testspieler, die zu Durchschnittsspielern ausgebildet worden
seien, an insgesamt 20 Tischen in einem virtuellen Pokerraum gegen jeweils einen
Profispieler angetreten seien. Bei Testreihe 2 habe ein Durchschnittsspieler gegen
5 virtuelle Spieler gespielt, deren Verhalten von einem Zufallsgenerator bestimmt
worden seien. Als Erfolg sei definiert worden, wenn Profis und Durchschnittsspieler
am Ende des Versuchs überdurchschnittlich gut abgeschnitten hätten, also zu den
besten drei der sechs Spieler am jeweiligen Tisch gehört hätten. Wäre Hold’em
Poker ein reines Glücksspiel, so bestünde eine so definierte
Erfolgswahrscheinlichkeit von 50 %, denn am Ende des Versuchs wäre dann
sowohl beim Profispieler als auch beim Durchschnittsspieler jeder der möglichen
Rangplätze 1 bis 6 gleich wahrscheinlich. Die Versuchsergebnisse würden
verfälscht, wenn man ausschließlich darauf abstelle, wie häufig der Profispieler
bzw. der Durchschnittsspieler an den verschiedenen Tischen den Rangplatz 1
erreicht habe. Es treffe gewiss zu, dass ein Spieler eine Gewinnentscheidung zu
einen Gunsten auch durch noch so gutes Einschätzen der Gewinnchancen von
bestimmten Kartenkombinationen, welche in einer Partie konkret vorhanden oder
erreichbar seien, nicht unmittelbar herbeiführen könne. Die Vielzahl der
Handlungsoptionen gewährleiste jedoch, dass die zufallsabhängige
Kartenverteilung in der ganz überwiegenden Anzahl der Partien die
Gewinnentscheidung nicht determiniere. Bei Hold’em Poker gewinne in deutlich
mehr als 70 % aller Partien nicht der Spieler, der die besten Karten erhalten habe.
Der Sachverständige Dr. ... habe festgestellt, dass bei einem Vergleich von
Spitzenspielern, die zu den besten 10 % aller Pokerspieler gehörten, mit den
schlechtesten 30 % der Pokerspieler 80 % der Spitzenspieler nach nur 240
Spielrunden und über 90 % der Spitzenspieler nach nur 300 Spielrunden vorne
lägen. Diese Anzahl von Spielrunden lasse sich selbst von Gelegenheitsspielern
eines geselligen Spiels leicht in einer einzelnen Pokersitzung erreichen. Gehe man
von 30 gespielten Händen in einer Stunde aus, könnten in zehn Stunden 300
Hände gespielt werden. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Geschicklichkeit
nicht anhand einer zeitlich zu kurzen Einzelprobe gemessen werden dürfe,
vielmehr der Zeitraum so gewählt werden müsse, dass er die Art und Weise
widerspiegele, in der das Spiel normalerweise gespielt werde. Es werde daran
festgehalten, dass viele Pokerprofis mit dem Spiel zuverlässig ihren
Lebensunterhalt verdienen könnten. Die vom Regierungspräsidium präsentierte
Liste der Gewinner und Zweitplatzierten der inoffiziellen jährlichen
Pokerweltmeisterschaft (WSOP) sei nur beschränkt aussagekräftig. Es werde eine
Wikipedia-Liste bekannter Pokerspieler vorgelegt, in der nicht nur die WSOP-
Titelträger, sondern auch alle anderen Spieler angegeben seien, die bei der
inoffiziellen Weltmeisterschaft ein Preisgeld erhalten hätten. Aus dieser ergebe
sich, dass sehr viele Titelträger bei weiteren WSOP-Turnieren Preisgelder erhalten
und erfolgreich abgeschnitten hätten. Extrem große Schwankungen, wie sie das
Regierungspräsidium für den Spieler ... referiere, seien in gleicher Weise bei der
Geschicklichkeitssportart Golf zu beobachten.
15 Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 02.02.2015 erwidert und seinen bisherigen
Vortrag aufrechterhalten.
16 Dem Gericht liegen die das Verfahren betreffenden Behördenakten der
Regierungspräsidiums Karlsruhe vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-
und Streitstandes wird auf die genannten Akten, auf die Gerichtsakte und die
Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 12.02.2015 verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
17 Die Klage ist in beiden Klageanträgen zulässig. Soweit die Klägerin die Aufhebung
der ergangenen Ablehnungsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe
vom 18.11.2013 begehrt, ist sie als isolierte Anfechtungsklage statthaft und auch
im Übrigen zulässig. Denn die Klägerin hat ein anerkennenswertes
Rechtsschutzinteresse daran, die Entscheidung des Regierungspräsidiums, mit
der ihr Feststellungsantrag abgelehnt wurde, nicht bestandskräftig werden zu
lassen (Eyermann, VwGO, 14. Aufl. § 42 Rdnr. 19).
18 Soweit die Klägerin die gerichtliche Feststellung begehrt, dass sie berechtigt ist,
auf der Internetseite ... Pokerspiele der Varianten „Texas Hold’em“ (mit allen Limit-
Varianten) und „Omaha Hold’em Pot Limit“ in Baden-Württemberg zu veranstalten,
ist die Klage als Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) zulässig. Die begehrte
Feststellung betrifft ein Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO. Ein solches liegt
bereits dann vor, wenn es um eine rechtliche Beziehung geht, die sich aus einem
konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-
rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen
untereinander ergibt (BVerwG, Urt. v. 23.01.1992 - 3 C 50.89 -, BVerwGE 89, 327).
Dies ist der Fall, denn zwischen dem Beklagten als baden-württembergischer
Glücksspielaufsicht (§ 9 GlüStV) und der Klägerin als derjenigen, die den
Maßnahmen der Glücksspielaufsicht prinzipiell unterworfen ist, wird hier konkret
die Glücksspieleigenschaft der o.g. Pokervarianten und mithin die Zulässigkeit der
Veranstaltung dieser Pokervarianten im Internet von Baden-Württemberg aus
unterschiedlich beurteilt. Das Rechtsverhältnis ist auch in der erforderlichen Weise
durch subjektive Rechten und Pflichten gekennzeichnet, denn der Meinungsstreit
besteht gerade darin, ob eine der beteiligten Personen - hier die Klägerin - „etwas
Bestimmtes tun darf oder nicht“ (so BVerwG, Urt. v. 08.12.1995 - 8 C 37/93 -, juris
Rdnr. 22). Von der Berechtigung dieses Tuns hängt es ab, ob der Beklagte als
Glücksspielaufsicht Veranlassung hat, gegen das beschriebene Geschäftsmodell
der Klägerin einzuschreiten, sobald sie es wie beabsichtigt im Internet anbietet. Die
begehrte Feststellung betrifft ferner nicht nur unselbständige Elemente bzw.
Vorfragen eines Rechtsverhältnisses, denen für sich genommen die
Feststellungsfähigkeit fehlt, wie etwa die Frage, ob einzelne
Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm erfüllt sind oder nicht (vgl. Eyermann
a.a.O. Rdnr. 15), sondern das Rechtsverhältnis selbst.
19 Ein berechtigtes Interesse (vgl. § 43 Abs. 1) der Klägerin an der begehrten
Feststellung ergibt sich ohne weiteres daraus, dass diese ohne diese Feststellung
Gefahr liefe, bei Veranstaltung der in Rede stehenden Pokerspiele Adressatin
glücksspielaufsichtsrechtlicher Maßnahmen, insbesondere einer auf § 9 Abs. 1
Satz 2 GlüStV gestützten Untersagungsverfügung, zu werden und möglicherweise
auch Strafverfolgungsmaßnahmen wegen Veranstaltens unerlaubten Glücksspiels
(§ 284 StGB) ausgesetzt ist.
20 Schließlich scheitert die Zulässigkeit der Feststellungsklage auch nicht daran,
dass die Klägerin ihr Begehren durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen
könnte bzw. hätte verfolgen können (§ 43 Abs. 2 VwGO). Zwar ließe sich gerade
im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin bereits bei der Behörde eine
entsprechende Feststellungsentscheidung beantragt, aber nicht erhalten hatte,
daran denken, dass diese eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines feststellenden
Verwaltungsakts hätte erheben können. Die begehrte Feststellung durch das
Gericht ist hier jedoch effektiver als die Verpflichtung der Behörde durch das
Gericht. Denn die genannte Verpflichtungsklage erwiese sich nur dann als
begründet, wenn zum einen der Beklagte - handelnd durch das
Regierungspräsidium Karlsruhe - überhaupt berechtigt wäre, einen feststellenden
Verwaltungsakt zu treffen („Verwaltungsaktsbefugnis“) und zum anderen die
Klägerin einen Anspruch hierauf hätte (Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 43 Rdnr.
132). Die Frage, ob die Behörde für den Erlass eines feststellenden
Verwaltungakts eine Ermächtigungsgrundlage benötigt, wird in Rechtsprechung
und Literatur ebenso unterschiedlich beurteilt wie die sich anschließende Frage
nach der Reichweite des ggf. erforderlichen Gesetzesvorbehalts (zum Streitstand
Sodan/Ziekow a.a.O. Rn. 133). Hier enthält der GlüStV jedenfalls keine
ausdrückliche Ermächtigung an die Glücksspielaufsicht, feststellende
Verwaltungsakte zu treffen. Daher wäre vorliegend die o.g. Frage zu klären, ob
und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine Verwaltungsaktsbefugnis für
den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts überhaupt erforderlich ist. Zudem
wäre zu klären, ob der Klägerin ein entsprechender Feststellungsanspruch
gegenüber dem Regierungspräsidium zusteht. Beide Fragen ließen sich nicht
ohne weiteres beantworten. In einem solchen Fall ist jedenfalls aus Gründen der
Prozessökonomie die Feststellungsklage statthaft, denn es wäre
prozessökonomisch unsinnig, wenn zur Klärung des Rechtsanspruchs der
Klägerin auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes ein erheblicher Aufwand
betrieben werden müsste nur um herauszufinden, ob das Gericht selbst oder die
Behörde die Feststellung treffen muss.
21 Der Erhebung einer Feststellungsklage steht hier auch nicht entgegen, dass die
besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage umgangen
würden. Denn die Klagefrist des § 74 Abs. 2 VwGO ist hier eingehalten, die
Durchführung eines Vorverfahrens entbehrlich (§ 47 Abs. 1
Landesglücksspielgesetz vom 29.11.2012 (GBl. 2012, 604) i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz
1 AGVwGO).
B.
22 Die mithin zulässige Klage ist jedoch in beiden Klageanträgen unbegründet.
I.
23 Die Klägerin kann die begehrte Feststellung, dass sie berechtigt ist, auf der
Internetseite ... Pokerspiele der Varianten „Texas Hold’em“ (mit allen Limit-
Varianten) und „Omaha Hold’em Pot Limit“ in Baden-Württemberg zu veranstalten,
nicht beanspruchen.
24 Nach § 3 Abs. 1 des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom
15.12.2011 in der Fassung des Ersten Glückspieländerungsstaatsvertrages
(GlüStV) liegt ein Glückspiel vor, wenn im Rahmen eines Spieles für den Erwerb
einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den
Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt (Satz 1). Die Entscheidung
über den Gewinn hängt in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse
Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist (Satz 2).
25 1. Es ist unter den Beteiligten unstreitig, dass es sich bei den in Rede stehenden
Pokervarianten um ein „Spiel“ i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV handelt. Der GlüStV
definiert diesen Begriff nicht, jedoch kann insoweit auf die zivilrechtliche
Begriffsbestimmung des § 762 BGB zurückgegriffen werden (VGH Bad.-Württ., Urt.
v. 23.05.2013 - 6 S 88/13 -, juris Rdnr. 21). Für das Spiel ist in objektiver Hinsicht
charakteristisch, dass jeder Spieler ein Vermögensrisiko in der Hoffnung eingeht,
auf Kosten des jeweils anderen Spielers einen Gewinn zu erzielen. Die am Spiel
Beteiligten sagen sich für den Spielgewinn gegenseitig eine Leistung - meist Geld
(den sog. Einsatz) - zu. Nach den zuvor festgesetzten Regeln erhält der Gewinner
eine seinem Einsatz entsprechende oder höhere Leistung, der Verlierer muss
seinen Einsatz dem Gewinner überlassen. In subjektiver Hinsicht ist es Zweck des
Spiels, sich unter Eingehung eines Wagnisses zu unterhalten oder zu gewinnen.
Die Spieler wollen einen Gewinn zulasten des anderen erzielen und handeln
infolgedessen in der erforderlichen Spielabsicht; einen ernsten sittlichen und/oder
wirtschaftlichen Zweck verfolgen sie mit dem Spiel nicht (VGH Bad.-Württ., a.a.O.
m.w.N.). Es unterliegt hier keinem Zweifel, dass die genannten objektiven und
subjektiven Voraussetzungen bei den von der Klägerin als Internetangebot
vorgesehenen Pokervarianten „Texas Hold’em“ und „Omaha Hold’em“ vorliegen.
Es ist nach dem vorliegenden Konzept insbesondere davon auszugehen, dass die
weit überwiegende Anzahl der Spieler mit ihrer Teilnahme in Spielabsicht handelt,
mithin keinen wirtschaftlichen Zweck - etwa der Lebensunterhaltssicherung -
verfolgt.
26 2. Im Rahmen des Spiels wird „für den Erwerb einer Gewinnchance“ auch „ein
Entgelt verlangt“. Das Tatbestandsmerkmal des Entgelts für eine Gewinnchance
deckt sich mit dem des Einsatzes für ein Glücksspiel i.S.v. § 284 StGB insoweit,
als verlangt wird, dass die Gewinnchance gerade aus dem Entgelt erwächst. Unter
den „Einsatz“ fällt jede Leistung, die erbracht wird in der Hoffnung, im Falle des
„Gewinnens“ eine gleiche oder höherwertige Leistung zu erhalten und in der
Befürchtung, dass sie im Falle des „Verlierens“ dem Gegenspieler oder dem
Veranstalter anheimfällt (BVerwG, Urt. v. 22.01.2014 - 8 C 26.12 -, juris Rdnr. 12
m.w.N). Entgelt in diesem Sinne ist der von den Pokerspielern regelgerecht im
Rahmen jeder Runde zu erbringende (Geld-)Einsatz.
27 3. Bei den Pokervarianten „Texas Hold’em“ (mit allen Limitvarianten) und „Omaha
Hold’em Pot Limit“ hängt die Entscheidung über den Gewinn ganz oder
überwiegend vom Zufall ab, weshalb es sich um ein Glücksspiel i.S.v. § 3 Abs. 1
GlüStV handelt und nicht um ein Geschicklichkeitsspiel.
28 a) Dies ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die Entscheidung über den
Gewinn nach § 3 Abs. 1 Satz 2 GlüStV bereits dann „in jedem Fall vom Zufall
anhängt, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse
maßgeblich ist“. Zum einen kann diese Bestimmung schon von ihrem Wortlaut her
nicht dahin verstanden werden, dass damit bei ungewissem Eintritt oder Ausgang
zukünftiger Ereignisse automatisch auch eine „ganze oder überwiegende“
Zufallsabhängigkeit i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV fingiert werden soll (so aber
wohl OLG Köln, Urt. v. 12.05.2010 - 6 U 142/09 -, juris Rdnr. 38, im
Revisionsverfahren von BGH, Urt. v. 28.09.2011 - I ZR 93/10 - juris Rdnr. 80
unbeanstandet gelassen). Zum anderen steht die Vorschrift in systematischem
Zusammenhang zu § 3 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 GlüStV, wonach Wetten gegen
Entgelt auf den Eintritt oder Ausgang eines zukünftigen Ereignisses Glücksspiele
und Sportwetten Wetten zu festen Quoten auf den Ausgang von Sportereignissen
oder Abschnitten von Sportereignissen sind. Die bereits seit dem
Lotteriestaatsvertrag 2004 bestehende Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 2 GlüStV
hatte insbesondere vor der Einführung des § 3 Abs. 1 Satz 3 GlüStV (durch den
GlüStV a.F. vom 14.12.2006) den Zweck klarzustellen, dass Sportwetten, bei
denen auf den Ausgang zukünftiger Ereignisse getippt wird, als Glücksspiel zu
verstehen sind (Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den
Medien, § 3 GlüStV, Rdnr. 14).
29 b) Bei der Frage, ob die Gewinnentscheidung ganz oder überwiegend vom Zufall
abhängt, sind die Spielverhältnisse zugrunde zu legen, unter denen das Spiel
eröffnet ist und gewöhnlich betrieben wird. Denn das von der Klägerin
vorgesehene Spielangebot richtet sich nicht an bestimmte Personen, sondern an
eine unbestimmte Anzahl von Interessenten unterschiedlichen Kenntnisstandes.
Maßgeblich für die Prüfung der Zufallsabhängigkeit ist daher weder der
professionell geübte Spieler noch der geübte Amateur, der sich gegebenenfalls
auch Lehrbuchwissen angeeignet haben mag (BGH, Urt. v. 28.09.2011 - I ZR
93/10 -, juris Rdnr. 80) noch der Befähigungsdurchschnitt einer spielerfahrenen
Anhängerschaft (BVerwG, Urt. v. 09.10.1984 - 1 C 20.82 -, juris Rdnr. 14), sondern
die Geschicklichkeit und die Fähigkeit eines durchschnittlichen Spielers aus der
spielinteressierten Bevölkerung im Sinne eines mittleren Maßstabs. Es kommt
darauf an, ob die zufallsüberwindende Beeinflussung der Gewinnentscheidung
einem spielinteressierten Menschen mit durchschnittlichem Standard in so kurzer
Zeit möglich wird, dass sich die Herrschaft des Zufalls allenfalls auf eine
Einspielzeit beschränkt, deren Länge sich nach der erfahrungsgemäßen
durchschnittlichen Dauer der Spielteilnahme bestimmt (BVerwG, Urt. v. 09.10.1984
- 1 C 20.82 -, juris Rdnr. 14; Urt. v. 24.10.2001 - 6 C 1/01 -, juris Rdnr. 28f; Urt. v.
22.01.2014 - 8 C 26.12 -, juris Rdnr. 16). Bei reinen Glücksspielen ist das
Spielergebnis durch Überlegung oder Geschick des Spielers nicht beeinflussbar.
Er setzt allein auf den Zufall. Kann das Spielergebnis durch den Spieler hingegen
beeinflusst werden - wovon bei den hier in Rede stehenden Pokervarianten
allgemein ausgegangen wird und was auch der Beklagte nicht in Abrede stellt - ,
so ist zu prüfen, ob nach den Spielbedingungen trotz dieser Beeinflussbarkeit die
nicht zu beeinflussenden Spielelemente den Ausgang des Spieles überwiegend
bestimmen (zu diesen Maßstäben BVerwG, Urt. v. 24.10.2001 - 6 C 1/01 -, juris
Rdnr. 29).
30 aa) Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs kommt es entgegen der Auffassung
der Klägerin nicht auf den relativen Erfolg eines Durchschnittsspielers - der unter
Einsatz seiner Geschicklichkeit versucht, ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen
- im Vergleich mit dem „Zufallsspieler“ an, der alleine auf den Zufall setzt. Denn ein
Glücksspiel setzt nach den gesetzlichen Vorgaben des § 3 Abs. 1 GlüStV nicht
voraus, dass die Gewinnentscheidung - wie es bei reinen Zufallsspielern der Fall
wäre - ausschließlich zufallsabhängig ist. Es genügt, dass der Anteil des Zufalls
bei der Gewinnentscheidung überwiegt. Daher führt der Vergleich mit „reinen
Zufallsspielern“, welcher auch der von der Klägerin vorgelegten Pokerstudie
zugrunde liegt (Rechtsanwälte ..., TÜV Rheinland Secure iT GmbH, Prof. Dr. ...,
Leiter des Instituts für Stochastik an der Universität Karlsruhe, Dipl. Math. ...:
„Texas Hold’em: strafloses Geschicklichkeitsspiel oder strafbares Glücksspiel ?“,
S. 102, 103, 104, 113, 153) nicht weiter. Maßgeblich ist vielmehr das Maß der
Zufallsabhängigkeit der von den Durchschnittsspielern tatsächlich gewonnenen
Spiele.
31 Aus diesem Grund kommt der mit Beweisanträgen Nr. 4 und 5 unter Beweis
gestellten „Attraktivität von Fernsehübertragungen von Pokerwettkämpfen und
anderen traditionell legal veranstalteten Geschicklichkeitsspielen für
Fernsehzuschauer“ hier keine entscheidende Bedeutung zu. Diese
Beweistatsache ist vielmehr - auch soweit mit ihr lediglich Indizien beschafft
werden sollen - unerheblich. Das gleiche gilt für Beweisanträge Nrn. 13 und 19, mit
denen festgestellt werden soll, dass bei „Hold’em Poker“ wesentlich höhere
Strategieanteile bestünden als bei Skat und bei Skat die Bedeutung der
Kartenverteilung für die Gewinnentscheidung sehr viel höher sei als bei Hold’em
Poker. Der vergleichende Blick auf Skat ist hier nicht relevant. Unerheblich ist nach
dem Ausgeführten ferner, ob sich „kenntnisreiche Durchschnittsspieler“ - wie mit
Beweisanträgen Nrn. 11 und 12 unter Beweis gestellt -, in statistisch relevanter
Weise gegen „reine Zufallsspieler“ durchsetzen.
32 bb) Die genannte Pokerstudie, welche zu dem Ergebnis kommt, dass „die nach
den höchstrichterlichen Vorgaben ausgebildeten Durchschnittsspieler bei der
durchgeführten Anzahl von Versuchen gegen Zufallsspieler gewinnen“ überzeugt
auch deshalb nicht, weil dort als Versuchsparameter eine durchgehende Spielzeit
von 6 Stunden bzw. ca. 600 Händen zugrunde gelegt wurde (S. 24/25, 71, 75),
d.h. es wurde so lange gespielt, bis die genannten Parameter erreicht wurden.
Abzustellen ist aber auf die Spielverhältnisse, unter denen das Spiel gewöhnlich
betrieben wird (s.o.). Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt, dass die von ihr
zur Veranstaltung beabsichtigten Pokervarianten gewöhnlich durchgängig sechs
Stunden bzw. „mindestens ca. 600 Hände lang“ gespielt werden. Eine solche
Spielzeit dürfte nach allgemeiner Lebenserfahrung bei Zugrundelegung üblicher
Lebensgewohnheiten (Arbeitszeiten etc.) von vorneherein nicht den
durchschnittlichen Verhältnissen entsprechen (so zu Recht VG Düsseldorf, Urt. v.
21.06.2011 - 27 K 6586/08 -, juris Rdnr. 90-92).
33 cc) Soweit die Klägerin zur Untermauerung ihrer Behauptung, bei den in Rede
stehenden Pokervarianten hänge die Gewinnentscheidung überwiegend vom
Geschick der Spieler ab, auf die Entscheidung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 10.04.1979 (- II OE 41/77 -, juris [nur Ls.]) verweist,
führt dies hier nicht weiter. Denn diese Entscheidung betraf die Pokervariante
„Search Poker“, welche sich von den hier streitgegenständlichen Pokervarianten
darin unterscheidet, dass dort „das verdeckte Verteilen des Handblattes durch eine
eigenständige Regelung der Kartenentnahme aus einer vorher eingesehenen
Kartenauslegung ersetzt worden ist“ (Urteilsabschrift S. 16). Gerade in dem
Umstand, dass der Spieler aufgrund der offenen Kartenauslegung in der Lage ist,
sich die für seine Spielgestaltung wichtigen Karten zu merken, lag für den
Hessischen Verwaltungsgerichtshof der entscheidende Grund für die Annahme,
der Spieler könne das Spiel im Sinne eines Geschicklichkeitsspiels planvoll
steuern (Urteilsabschrift S. 14,15,16). Die hierzu angestellten Überlegungen des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs sind auf die hier zu entscheidende
Fallvariante nicht übertragbar. Wegen der völlig anderen Ausgangslage bei
„Search Poker“ musste das Gericht dem auf eine vergleichende Betrachtung zu
Search Poker gerichteten Beweisantrag Nr. 14 nicht nachgehen.
34 Unergiebig sind auch die Ausführungen des Finanzgerichts Köln in dem
Zwischenurteil vom 31.10.2012 (- 12 K 1136/11 -, juris). Das Finanzgericht ist zwar
- u.a. auch in Bezug auf Texas Hold’em - zu dem Ergebnis gekommen, dass im
Streitfall „die Erzielung der Preisgelder“ unter Berücksichtigung der „individuellen
Gegebenheiten“ des dortigen Klägers - eines erfahrenen, seit fast 20 Jahren
regelmäßig spielenden Pokerspielers - wesentlich und überwiegend von dessen
Fähigkeiten und weniger vom Zufall abhängig gewesen sei, weshalb es sich um
Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb handele. Das Finanzgericht hat bei seiner
Würdigung aber ausdrücklich auf die - von ihm im Einzelnen näher dargelegten -
besonderen Fähigkeiten dieses Klägers und ausdrücklich nicht auf die hier
maßgebliche Perspektive eines Durchschnittsspielers abgestellt (a.a.O. Rdnr. 55f
und 58f).
35 dd) Aus demselben Grund kommt es im vorliegenden Zusammenhang auf den
Vortrag der Klägerin, es gebe Pokerspieler, welche mit dem Pokerspiel ihren
Lebensunterhalt verdienen können, nicht an. Denn bei diesen Personen handelt
es sich nicht um durchschnittliche Pokerspieler aus der spielinteressierten
Bevölkerung im Sinne des o.g. mittleren Maßstabs, sondern um Profispieler. Da
auch die Teilnehmer der inoffiziellen Pokerweltmeisterschaft (World Series of
Poker, WSOP), die in der „Liste bekannter Pokerspieler“ (GA Bl. 403) genannten
Personen und der von den Beteiligten erwähnte Pokerspieler ... Profispieler sind,
kann aus deren Siegchancen, Preisgeldern und Turniergewinnen kein
überzeugendes Argument für die entscheidungserhebliche Frage gewonnen
werden, ob die Gewinnentscheidung bei einem Durchschnittsspieler überwiegend
zufallsabhängig ist oder nicht.
36 Aus diesem Grund musste das Gericht den Beweisanträgen Nrn. 1, 2, 3, 8, 11 und
12 keine Folge geben. Ob Berufsspieler mit Poker ihren Lebensunterhalt bestreiten
können oder ob eine stabile Weltrangliste der besten Pokerspieler geführt wird, ist
für die hier zu entscheidende Frage ebenso wenig relevant wie der Umstand, ob
sich „kenntnisreiche“ - und damit nicht den o.g. Durchschnittsmaßstab bildende
Spieler - gegenüber Anfängern durchsetzen.
37 ee) Soweit die Klägerin die überwiegende Zufallsabhängigkeit der hier in Rede
stehenden Pokervarianten mit den Überlegungen der Entscheidung des
Bezirksgerichts („Rechtbank“) Amsterdam vom 23.01.2014 zu begründen
versucht, führt dies nicht weiter. Dieses Gericht hat bei seiner Entscheidung -
Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf des Verstoßes gegen das
niederländische Glücksspielgesetz - maßgeblich darauf abgestellt, „ob die
überwiegende Mehrheit der Spieler auf das Spiel so viel Einfluss nehmen könnte,
dass infolgedessen der durch das Vorhandensein des Zufallsgenerators
bestimmte Zufall in bedeutendem Ausmaß durch die Berechnung der
Wahrscheinlichkeit oder auf andere Weise eliminiert“ werde. Das ist ersichtlich
nicht der Maßstab, ob im Falle eines Durchschnittsspielers die nicht zu
beeinflussenden Spielelemente den Ausgang des Spieles bestimmen oder nicht.
38 Soweit die Klägerin in Zusammenhang mit der niederländischen Rechtsprechung
auf das mathematische Gutachten von ... verweist, wonach bei Poker der
Spielvariante „Texas Hold’em“ der Geschicklichkeitsfaktor („Skill-Faktor“) immer
größer als 0,3 sei und es sich bei einem Skill-Faktor von 0,3 oder größer immer um
ein Geschicklichkeitsspiel handele (vgl. Anlage Nr. 2 zum Kläger-Schriftsatz vom
28.05.2014), ist diese Bewertung schon für sich genommen nicht nachvollziehbar.
Auch die von den Klägern selbst vorgelegte Pokerstudie geht (auf S. 147f) davon
aus, dass die von ... erstellte Rangliste (beginnend mit reinen Glücksspielen und
endend bei reinen Geschicklichkeitsspielen) nicht geeignet ist, die nach
deutschem Recht erforderliche Grenze zwischen Glücksspiel und
Geschicklichkeitsspiel zu ziehen.
39 ff) Gleiches gilt in Bezug auf das Gutachten, welches ... für den United States
District Court Eastern District of New York gefertigt hat. Dieser Gutachter stützt sich
maßgeblich auf eine Analyse von 415 Mio. Spielrunden auf der Online-Poker Site
von Poker Stars (S. 3 und 9ff) und berücksichtigt hierbei maßgeblich den
Erfahrungsschatz der dort tätigen - erfahrenen - Spieler inclusive der
„Spitzenspieler“ (S. 10,17). Dies gilt insbesondere, soweit der
Geschicklichkeitscharakter des Pokerspiels (auch) daraus abgeleitet wird, dass
„ein geschickter Spieler mit einem bestimmten Spiel zuverlässig seinen
Lebensunterhalt bestreiten kann“ (S. 3).
40 gg) Nach Auffassung der Kammer kommt den unter aa) bis ff) erwähnten
Stellungnahmen und Äußerungen lediglich indizielle Wirkung zu. Sie bestätigen
die Plausibilität der in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen aufgestellten
und wohl auch von der Klägerin (GA Bl. 395) geteilten These, Poker sei ein sowohl
vom Zufall als auch von der Geschicklichkeit der Spieler abhängiges, „gemischtes“
Spiel, bei dem die relative Bedeutung des Zufalls gegenüber dem Geschick
aufgrund der Konvergenz der Streuung mit zunehmender Wiederholungshäufigkeit
abnehme (Rock/Fiedler, ZfWG 2008, 412 (417); Holznagel, MMR 2008, 439 (443);
Peren/Clement, „Messung und Bewertung des Suchtgefährdungspotentials des
Onlinepokerspiels Texas Hold’em No Limit“, Februar 2012 S. 25f, abrufbar unter
www.forschung-gluecksspiel.de/publikationen; ebenso die Ausführungen von Prof.
... in der Pokerstudie, S. 86).
41 Die Frage, ob bei einem Durchschnittsspieler von Texas Hold’em die nicht zu
beeinflussenden Spielelemente den Ausgang des Spieles bestimmen oder nicht,
lässt sich nach den o.g. Maßstäben nur anhand einer wertenden Analyse der
Spielverhältnisse entscheiden, unter denen das Spiel gewöhnlich betrieben wird.
Einer abstrakten wissenschaftlichen Klärung ist diese Frage nicht vollständig
zugänglich (vgl. Rock/Fiedler a.a.O. S. 415 und 422; Holznagel MMR 2008, 444:
„Abwägung“; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 10.08.2009 - 11 ME 67/09 -, juris
Rdnr. 9: „wertende Gesamtbetrachtung“; ebenso Dietlein/Hecker/Ruttig, GlüStV 2.
Aufl. § 3 Rdnr. 4; VG Düsseldorf, Urt. v. 21.06.2011 - 27 K 6586/08 -, juris Rdn. 82;
a.A. wohl BGH, Urt. v. 28.11.2002 - 4 StR 260/02 -, juris Rdnr. 10: „Frage
tatsächlicher Art, die einer tatrichterlichen einzelfallorientierten Abgrenzung (…)
bedarf). Denn aufgrund der Komplexität des Pokerspiels ist eine mathematische
Modellierung des Spielverlaufs unmöglich (Rock/Fiedler a.a.O.). Möglich ist
allenfalls, mit den Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung Aussagen darüber zu
treffen, wie wahrscheinlich es ist, dass eine bestimmte Pokerhand das Spiel
gewinnt oder nicht. Eine - rechtlich allerdings notwendige - Kausalitätsaussage ist
aber auch mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung naturgemäß nicht zu treffen.
Dementsprechend hat Prof. ... die Ergebnisse der Feldversuche der Pokerstudie in
seinem stochastischen Gutachten nur als „starkes“ bzw. „überwältigendes Indiz“
dafür gewertet, dass das Spielergebnis beim Online-Spiel von Texas Hold’em
überwiegend vom Geschick des Spielers abhänge und nicht vom Zufall bestimmt
werde (Pokerstudie S. 84/85). Soweit Rock/Fiedler (ZfWG 2008, 412ff) versucht
haben, beim Online-Poker mit Hilfe eines CRF-Wertes (d.h. des Verhältnisses des
Erwartungswertes - Geschick - zur Streuung des Spielergebnisses - Zufall -) die
kritische Wiederholungshäufigkeit zu bestimmen, ab der das Geschick einen
stärkeren Einfluss auf das Spielergebnis hat als der Zufall, haben sie selbst die
Grenzen dieser Methodik aufgezeigt und darauf hingewiesen, dass es sich nur um
eine „Momentaufnahme“ handele, welche sich retrospektiv auf eine bestimmte be-
obachtete Spielperiode beziehe. Poker lasse sich „für die Zukunft“ auch mit Hilfe
des CRF-Wertes daher nicht eindeutig als Glücks- oder Geschicklichkeitsspiel
einordnen. Gutachterlich könnte allenfalls in Wege einer Vergleichsbetrachtung
festgestellt werden, in wie vielen Pokerpartien - über das reine Anfängerstadium
hinaus geschulte - Durchschnittsspieler gegen reine Zufallsspieler gewinnen.
Diesen Weg ist die von der Klägerin vorgelegte Pokerstudie gegangen (dort S.
100ff). Das Ergebnis hätte aber allenfalls indizielle Bedeutung, weil es nichts
darüber aussagt, ob in den von den Durchschnittsspielern gewonnenen Spielen
tatsächlich deren Fertigkeiten - und nicht der Zufall - den Ausschlag für die
Gewinnentscheidung gegeben haben.
42 Aus diesen Gründen musste das Gericht den Beweisanträgen Nrn. 6, 7, 8, 9, 10,
15, 16, 17, 18 und 20 keine Folge geben. Teilweise tut man sich außerordentlich
schwer, aus der Begründung dieser Beweisanträge eine fassbare, konkrete
Beweistatsache herauszudestillieren und zu erkennen, welcher Erkenntnisgewinn
mit den unter Beweis gestellten Behauptungen - unterstellt, sie könnten durch
einen Sachverständigen bestätigt werden - überhaupt verbunden sein könnte
(Beweisanträge Nrn. 7, 8, 9, 10, 15, 20). Teilweise ist die Beweiserhebung darauf
gerichtet, herauszufinden, ob und inwieweit der behauptete überwiegende
Geschicklichkeitsanteil von Poker überhaupt einer wissenschaftlichen Klärung
zugänglich ist (Beweisanträge Nrn. 9, 10 und 20). In jedem Fall sind die
Beweisanträge Nrn. 6, 7, 8, 9, 10, 15, 16, 17, 18 und 20 aber darauf gerichtet,
mithilfe empirischer Spielversuche und deren Auswertung nach den Grundsätzen
der Statistik/ der Stochastik/der Wahrscheinlichkeitsrechnung Indizien für eine
Erfassung und Bewertung der Geschicklichkeitsanteile bei der
Gewinnentscheidung zu gewinnen. Die Frage, ob bei den Gewinnern dieser
Spielversuche tatsächlich deren Fertigkeiten und nicht der Zufall den
bestimmenden Einfluss ausgeübt hat, wird damit aber nicht beantwortet. Eine
wertende Analyse der Spielverhältnisse anhand der Regeln, unter denen das Spiel
unter gewöhnlichen Umständen betrieben wird, durch das Gericht bliebe selbst
dann, wenn eine sachverständige Auswertung in der Vergangenheit liegender
Spielversuche entsprechend den Vorstellungen der Klägerin das von ihr erwartete
Ergebnis brächte, unumgänglich.
43 Bei der wertenden Analyse der Spielverhältnisse der hier in Rede stehenden
Texas Hold’em-Varianten sind zunächst zwei Situationen getrennt zu betrachten:
Die Spielentscheidung aufgrund eines „Showdown“, d.h. anhand der besten
Kartenkombination, wenn am Ende der letzten Bietrunde noch mehr als ein Spieler
im Spiel ist, und die Spielentscheidung ohne „Showdown“.
44 (1) Bei der Entscheidung aufgrund eines „Showdown“ ist die überwiegende
Zufallsabhängigkeit der Entscheidung über Gewinn des Spieles einigermaßen
offensichtlich: Der Spieler erhält zu Anfang des Spieles seine beiden (bei Omaha
Hold’em: vier) persönlichen Karten, welche nur er kennt. Die Karten der übrigen
Mitspieler kennt er nicht. Den Umstand, ob er ein gutes Startblatt erhält, kann der
Spieler nicht beeinflussen. Er ist hier vollständig zufallsabhängig. Bei seinem
weiteren Agieren im Rahmen der ersten Bietrunde wird sich der Spieler von der
Einschätzung des ihm vom Zufall in die Hand gespielten Startblattes leiten lassen.
Hat er ein gutes Startblatt, so wird er in der Runde mitgehen. Hat er ein schlechtes
Startblatt und steigt er deshalb aus dem Spiel aus, dann wirkt die Zufälligkeit der
Kartenverteilung bei der Handlungsentscheidung unmittelbar fort. Geht er trotz
mäßigen oder gar schlechten Startblattes in der ersten Bietrunde mit in der
Hoffnung, dass er durch das Aufdecken der ersten drei Gemeinschaftskarten eine
günstige Kartenkombination erhält, dann ist sein Handeln insoweit weiterhin
zufallsabhängig. Auch soweit der Spieler bei seiner Handlungsentscheidung die
mögliche Qualität der gegnerischen Handkarten bewertet und in diese
Bewertungsentscheidung das Bietverhalten der übrigen Mitspieler berücksichtigt,
ist sein Handeln zufallsabhängig. Denn wie sich die Mitspieler entscheiden - ob in
dem von ihm erhofften bzw. erwarteten Sinne oder nicht - ist aus seiner Sicht als
zukünftiges Ereignis ungewiss (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 GlüStV). Durch das
Aufdecken der drei Gemeinschaftskarten („Flop“) ergibt sich dann wiederum eine
zufallsgeleitete Handlungssituation: Denn in der folgenden zweiten Bietrunde wird
sich der Spieler erneut entweder von der Einschätzung des eigenen Blattes
anhand der neuen Kartenkombination oder von der möglichen Qualität der
gegnerischen Handkarten bzw. dem voraussichtlichem Verhalten der Mitspieler
oder von beidem leiten lassen. Im ersten Fall hängt das Verhalten des Spielers
vom „Flop“ ab, im zweiten und dritten Fall zusätzlich auch noch von dem Verhalten
der Mitspieler als eines zukünftigen ungewissen Ereignisses. Dieselbe Situation
ergibt sich sodann beim Aufdecken der vierten Gemeinschaftskarte („Turn“) und
der anschließenden dritten Bietrunde bzw. dem Aufdecken der letzten
Gemeinschaftskarte („River“) und der anschließenden vierten Bietrunde. Mitspieler,
die im Verlauf der geschilderten Spielrunden das Spiel verlassen haben bzw. in
den Setzrunden nicht mehr weiter „mitgegangen“ sind, haben zwar ihr Verlustrisiko
minimiert, weil sie - mit Ausnahme der von ihnen u.U. zwangsweise zu setzenden
„Blinds“ - keine (weiteren) Einsätze verloren haben. Dies ändert aber nichts daran,
dass sie den „Pot“ nicht gewinnen und diese Verlustentscheidung maßgeblich
durch die aufgezeigten Zufallselemente bestimmt wird. Bleibt am Ende der letzten
Runde noch mehr als ein Spieler im Spiel, so entscheidet sich die Frage, wer den
„Pot“ gewinnt, nach der höchstwertigen Kartenkombination aus persönlichen
Karten und Gemeinschaftskarten. Diese Entscheidung ist unmittelbar
zufallsgeleitet, denn auf die Zuteilung dieser Karten hat kein Mitspieler Einfluss.
Auch dann, wenn Spieler beim „Showdown“ eine identische oder gleichwertige
Kartenkombination haben und sich den „Pot“ zu gleichen Anteilen teilen,
entscheidet allein die Zufälligkeit der Kartenvergabe über den (anteiligen) Gewinn
des „Pots“.
45 An dieser Aussage ändert sich nichts, wenn man mit der Klägerin - entsprechend
dem von ihr gestellten Beweisantrag Nr. 6 - davon ausgeht, dass nur ca. 30 % der
Texas-Hold’em-Spiele durch einen „Showdown“ entschieden werden.
46 (2) Ist am Ende der vierten Bietrunde nur noch ein Spieler im Spiel verbleiben - und
kommt es daher nicht zum „Showdown“ -, so ist die Verlustentscheidung
derjenigen Spieler, die schon vorher aus den Bietrunden ausgestiegen sind,
maßgeblich zufallsgeleitet. Denn sie sind zu dieser Entscheidung entweder
aufgrund der Bewertung der zufällig erhaltenen eigenen Karten (in Verbindung mit
den zufällig ausgelegten Gemeinschaftskarten) oder aufgrund einer Bewertung der
möglichen Qualität der gegnerischen Karten oder aufgrund einer bestimmten
Erwartung des voraussichtlichen Verhaltens der Mitspieler - und damit aufgrund
eines als Zufall anzusehenden ungewissen zukünftigen Ereignisses - oder aus
einer Kombination aus alldem gekommen.
47 Der zuletzt im Spiel verbliebene Spieler gewinnt den „Pot“ alleine deshalb, weil er
noch im Spiel ist und die übrigen Mitspieler ihn - trotz einer möglicherweise
„schlechten“ Pokerhand und obwohl sie im Falle eines Showdowns
möglicherweise bessere Karten gehabt hätten - nicht zum Aufgeben bewegen
konnten. In dieser Situation kommen sicherlich die beim Pokerspiel unzweifelhaft
vorhandenen Geschicklichkeits-elemente zum Tragen: Auch ein nur
durchschnittlich geübter Spieler wird aus dem Verhalten der Mitspieler - etwa ihrer
Reaktionsgeschwindigkeit oder ihres Setzverhaltens - Rückschlüsse ziehen
können und in der Lage sein zu versuchen, die Mitspieler durch eigene
strategische Entscheidungen zu beeinflussen - z.B. durch die sofortige Erhöhung
des Einsatzes noch vor dem Aufdecken des „Flops“, um Mitspieler zum Aufgeben
zu bewegen (Holznagel, MMR 2008, 439). Der durchschnittliche Spieler wird auch
bestrebt sein, die Mitspieler zu verwirren oder zu falschen Schlüssen kommen zu
lassen in dem Bestreben, einen Showdown zu vermeiden und den „Pot“ trotz
eigenen schlechten Blattes zu gewinnen. Aus den der Kammer vorliegenden
sachverständigen Stellungnahmen (insb. Holznagel a.a.O., Peren/Clement a.a.O.,
König/Ciszewski, GewArch 2007, 402ff, auch Heeb a.a.O. S. 40f) wird man den
Schluss ziehen können, dass beim Pokerspiel - anders als bei einem „reinen“,
ausschließlich vom Zufall abhängigen Glücksspiel - geschickte Spielzüge und
Taktiken in gewissem Maße erlernbar sind und dass die so erworbenen
Fertigkeiten in den Spielverlauf eingebracht werden können. Diese erlernbaren
Elemente führen aber weder automatisch noch gar zwingend zum Erfolg, nämlich
zu einer positiven Gewinnentscheidung. Der Erfolg hängt vielmehr von dem
ungewissen Verhalten der Mitspieler, von deren eigenen Fertigkeiten und
Entscheidungen und damit aus Sicht jedes einzelnen Mitspielers wiederum vom
Zufall ab (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 GlüStV, so auch zu Recht VG Düsseldorf a.a.O.
Rn. 104). Damit aber handelt es sich um Glücksspiel i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1
GlüStV. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin liegt hierin keine
unzulässige Ausweitung des Glücksspielbegriffs über den in § 284 StGB
bundeseinheitlich geregelten Glücksspielbegriff hinaus. Zwar hat das
Bundesverwaltungsgericht inzwischen mehrfach festgestellt (Urt. v. 22.01.2014 - 8
C 26.12 -, juris Rdnr. 11; Urt. v. 16.10.2013 - 8 C 21.12 -, juris Rdnr. 16), dass der
Landesgesetzgeber den Glücksspielbegriff des GlüStV aus kompetenzrechtlichen
Gründen jedenfalls nicht weiter fassen dürfe als der Bundesgesetzgeber in § 284
StGB i.V.m. § 33 h Nr. 3 GewO. Auch ein Glücksspiel § 284 StGB liegt aber schon
dann vor, wenn der Spielerfolg „überwiegend“ vom Zufall abhängt, wobei das
Überwiegen des Zufalls nicht bereits dadurch in Frage gestellt wird, dass über den
Ausgang des Spieles anhand bestimmter Kriterien eine begründete Vorhersage
getroffen werden kann. Ausreichend für die Bejahung der Glücksspieleigenschaft
ist vielmehr, dass der Spielausgang von weiteren wesentlichen
Unsicherheitsfaktoren bestimmt wird, die für den Spieler weder beeinflussbar noch
vorausberechenbar sind (BGH, Urt. v. 28.11.2002 - 4 StR 260/02 -, juris Rdnr. 8).
Dies ist bei den hier in Rede stehenden Glücksspielvarianten wie ausgeführt der
Fall.
48 Aus den genannten Gründen musste das Gericht den Beweisanträgen Nrn. 6 und
7 nicht nachgehen. Es kann im vorliegenden Zusammenhang als wahr unterstellt
werden und ist für die Qualifizierung der hier streitgegenständlichen
Pokervarianten unerheblich, dass ca. 70 % der Spiele nicht durch einen
„Showdown“ beendet werden. Es kann mit der Klägerin auch angenommen
werden, dass die Gewinnentscheidung in diesen Fällen „nicht unmittelbar“ von der
Kartenverteilung und damit „nicht unmittelbar“ vom Zufall abhängt. Auch die von ihr
mit Beweisanträgen Nrn. 6 und 7 behaupteten Einflussnahmemöglichkeiten
(insbesondere) geschickterer Spieler auf das Spielergebnis mögen gegeben sein.
All dies ändert nichts daran, dass es völlig ungewiss und damit zufällig ist, ob sich
die gegebenen Einflussnahmemöglichkeiten im weiteren Spielverlauf auch
tatsächlich realisieren und - darüber hinaus - bei der konkreten
Gewinnentscheidung den Ausschlag geben.
II.
49 Aus den unter I. genannten Gründen hat die Anfechtungsklage gegen den
ablehnenden Bescheid vom 18.11.2013 keinen Erfolg. Da es sich bei den
Pokervarianten „Texas Hold’em“ und „Omaha Hold’em Pot Limit“ um Glücksspiele
handelt, hat es der Beklagte zu Recht abgelehnt, im Verwaltungsverfahren eine
gegenteilige Feststellung zu treffen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
50 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO
51 Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, ob
Poker in den Hold’em Varianten als unerlaubtes Glücksspiel anzusehen ist oder
nicht (§ 124a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Zwar hat die obergerichtliche
Rechtsprechung Texas Hold’em bislang als Glücksspiel qualifiziert. Ob hieran
angesichts der in dem vorliegenden Verfahren verwerteten neueren Erkenntnisse
und sachverständigen Äußerungen festgehalten werden soll, erscheint
grundsätzlich bedeutsam.
52
BESCHLUSS
53 Der Streitwert wird in Anlehnung an die Wertung des § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr.
54.1 und 54.2.1. des Streitwertkatalogs auf EUR 15.000 EUR festgesetzt. Die
Kammer geht davon aus, dass dem Klageantrag zu 1. neben dem umfassenderen
Klageantrag zu 2. keine selbständige Bedeutung zukommt.
54 Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf §
68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.