Urteil des VG Karlsruhe vom 12.01.2017

freiheit der person, behandlung, gewahrsam, einstellung des verfahrens

VG Karlsruhe Urteil vom 12.1.2017, 3 K 141/16
Leitsätze
Zur Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Umschließung (Ingewahrsamnahme) und erkennungsdienstlichen
Behandlung in der Öffentlichkeit bei einem Fußballspiel.
Tenor
Die Klagen werden abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1 Die Kläger begehren die Feststellung der Rechtswidrigkeit verschiedener polizeilicher Maßnahmen, die gegen
sie im Zusammenhang mit einem Fußballspiel ergangen sind.
2 Die Kläger trafen sich nach ihren eigenen Angaben am 24.10.2015 mit ca. 160 anderen Personen vor dem
Heimspiel des Karlsruher Sport-Clubs (KSC) gegen den 1. Fußball-Club Kaiserslautern (FCK) in der Karlsruher
Oststadt, um gemeinsam zum Wildparkstadion zu laufen. Gegen zehn Uhr setzte sich die Gruppe in
Bewegung und gelangte um ca. 10:40 Uhr zur Einmündung Lärchenallee/Adenauerring. Dort wurde die
Gruppe in dem östlich des Adenauerrings gelegenen Waldstück ca. 100 Meter vom Stadion entfernt von
Einsatzkräften der Polizei angehalten. Ab etwa 11:10 Uhr war die Personengruppe von Polizeibeamten
vollständig umschlossen, sodass die Kläger diese Umschließung nicht mehr verlassen konnten.
3 Auf die Durchsage der Polizei gegen 11:30 Uhr, alle festgehaltenen Personen einzeln zu durchsuchen,
warfen mehrere der festgehaltenen Personen unter anderem Vermummungsgegenstände und Gegenstände
zur Schutzbewaffnung auf den Boden. In der Folge wurden alle festgehaltenen Personen einzeln aus der
Umschließung heraus- und zu Einsatzwagen der Polizei geführt, die in einer Reihe entlang der mittlerweile
für den regulären Verkehr gesperrten Adenauerallee abgestellt waren. Dort folgte die
Personalienfeststellung, Durchsuchung und erkennungsdienstliche Behandlung. Diese Maßnahmen wurden
außerhalb der Polizeifahrzeuge und auch auf der straßenzugewandten Seite der Fahrzeugreihe
durchgeführt, was von zahlreichen Passanten auf dem Weg zum Stadion beobachtet werden konnte. Bei
ihrer fotografischen Erfassung wurde den Klägern auferlegt, ein Schild mit einer Nummer vor den Körper
halten. Nach Abschluss der Individualmaßnahmen wurden die Betroffenen in eine separate polizeiliche
Umschließung geführt, nach jeweils unterschiedlichen Wartezeiten von dort in Gruppen zum Eingang
„Mitte“ des Stadions begleitet; anschließend konnten sie sich frei bewegen.
4 Gegen alle festgehaltenen Personen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Ermittlungsverfahren
gegen die Kläger wurden von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. In den
jeweiligen Einstellungsverfügungen heißt es, dass die aufgefundenen Gegenstände zwar unter § 27 Abs. 1
und Abs. 2 VersG fielen, eine individuelle Zuordnung zu einzelnen Personen aber nicht möglich sei. Für eine
Strafbarkeit nach § 127 StGB fehle es am individuellen Nachweis der Kenntnis, dass in der Gruppe
gefährliche Gegenstände vorhanden waren. Mit einer Straftat nach den §§ 125, 125a StGB sei infolge des
polizeilichen Einschreitens noch nicht begonnen worden.
5 Die Kläger haben am 18.01.2016 Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, dass von den
festgehaltenen Personen keinerlei Gefahr ausgegangen sei. In der Gruppe hätten sich Kinder, Jugendliche
und Erwachsene beiderlei Geschlechts befunden. Zu keinem Zeitpunkt hätte jemand aus dem Fanmarsch
heraus provoziert oder angegriffen werden sollen. Kurz vor der Umschließung sei die Gruppe friedlich auf die
Polizei zugelaufen; Fans oder Busse der Gästemannschaft seien nicht zu sehen gewesen. Die Polizei habe
erstmals um 11:30 Uhr mit der Gruppe kommuniziert, indem sie angekündigt habe, dass die umschlossenen
Personen nunmehr einzeln kontrolliert und fotografiert werden würden. Am Festhalteort seien tatsächlich
nur wenige Mützen, Handschuhe, Tücher und Schals aufgefunden worden. Durch die Art und Weise der
polizeilichen Einzelmaßnahmen seien die Kläger öffentlichkeitswirksam in stigmatisierender und
diskriminierender Form „zur Schau gestellt“ worden. Die polizeilichen Maßnahmen seien nicht
verhältnismäßig gewesen. Insbesondere wären etwa Platzverweise und die Feststellung der Personalien
gegenüber der Ingewahrsamnahme und der erkennungsdienstlichen Behandlung mildere Mittel gewesen.
Vor allem aber hätte die Möglichkeit bestanden, die Personengruppe mittels umschließender Begleitung über
den Eingang „Mitte“ ins Stadion zu führen. Die polizeilichen Einzelmaßnahmen hätten pro Person ca. 15
Minuten gedauert. Die Einzelmaßnahmen zulasten des Klägers zu 1 seien gegen 13 Uhr beendet gewesen,
zu diesem Zeitpunkt seien gerade einmal 20-30 Personen erkennungsdienstlich behandelt gewesen. Das
Spiel habe um 13 Uhr begonnen, die Kläger hätten aber erst gegen 14:10 Uhr ins Stadion gehen können. Zu
diesem Zeitpunkt sei die Begegnung mit 2:0 für den KSC bereits entschieden gewesen.
6 Die Kläger beantragen,
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festzustellen, dass die durch den Polizeivollzugsdienst des Beklagten gegenüber den Klägern durchgeführte
Umschließung sowie die erkennungsdienstliche Behandlung am 24.10.2015 zwischen 10:40 Uhr und 14:10
Uhr im Bereich der Einmündung Lärchenallee/Adenauerring rechtswidrig gewesen sind.
8 Der Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Zur Begründung wird vorgetragen, die Begegnung des KSC gegen den FCK sei aufgrund zahlreicher Vorfälle
in der Vergangenheit und teilweiser verfeindeter Fangruppierungen aus polizeilicher Sicht als Hochrisikospiel
eingestuft worden. Zur Verhinderung der erwarteten körperlichen Auseinandersetzungen zwischen
einzelnen Fangruppen – wie bei vorangegangenen Begegnungen geschehen – habe die Polizei versucht,
Anhänger der beiden Mannschaften vor, während und nach dem Spiel räumlich zu trennen. Wie in der
Vergangenheit auch sei im Vorfeld ein Fanmarsch vom Fanprojekt Karlsruhe in der Nordstadt über den
Kanalweg, die Willy-Brandt-Allee und den nördlichen Adenauerring zum Stadion abgesprochen worden.
Fanmärsche von der Oststadt zum Stadion am Gästeeingang vorbei seien wegen des damit verbundenen
Konfliktpotentials in der Vergangenheit bereits mehrfach untersagt und auch unterbunden worden.
11 Am Morgen des 24.10.2015 habe man von der Polizei in Kaiserslautern mitgeteilt bekommen, dass mehrere
Busse mit sogenannten Problemfans des FCK bereits gegen halb neun Uhr in Richtung Karlsruhe losgefahren
seien. Ab der Rheinbrücke Maxau sei dieser Konvoi gegen 10:15 Uhr von Einsatzkräften der Polizei begleitet
worden. Während der Fahrt zum Stadion hätten sich zahlreiche Businsassen direkt an den Türen aufgestellt,
weshalb davon auszugehen gewesen sei, dass diese Personen bei einem Angriff sofort aus dem Bus
gestiegen wären und die Konfrontation aufgenommen hätten. Der Konvoi habe um 10:38 Uhr den
Gästeeingangsbereich des Stadions erreicht. Um 10:39 Uhr habe sich eine größere Gruppe von als KSC-
Anhänger erkennbaren Personen aus dem Bereich der Einmündung Adenauerring/Lärchenallee auf den
Gästeeingangsbereich zubewegt. Eine solche Annäherung an gegnerische Bereiche werde von Fangruppen
als Provokation angesehen und habe regelmäßig verbale und auch tätliche Auseinandersetzungen zur Folge.
Die Gruppe habe offensichtlich die Konfrontation gesucht und die Busse der Gästefans abpassen wollen.
Durch das Einschreiten der Polizei sei die Personengruppe gestoppt und damit ein weiteres Vordringen in
Richtung des Gästeeingangsbereichs knapp vermieden worden.
12 Ab ca. elf Uhr habe der Shuttle-Transport von rund 1.300 Gästefans vom Karlsruher Hauptbahnhof vorbei an
der Einmündung Adenauerring/Lärchenallee zum Stadion begonnen. Durch die anhaltende Präsenz von
Anhängern des FCK auf dem Adenauerring, im Bereich des Gästeeingangs und im Gästeblock im Stadion
habe die von der umschlossenen Personengruppe ausgehende Gefahr einer gewalttätigen
Auseinandersetzung fortbestanden. Entgegen der Behauptung der Kläger hätten sich in der umschlossenen
Gruppe weder Kinder noch Frauen befunden. Es habe sich vielmehr um 121 Erwachsene und 31
Heranwachsende männlichen Geschlechts gehandelt, die in erster Linie dunkel gekleidet gewesen seien.
Darunter hätten sich viele Angehörige der Fangruppierung „...“ befunden, die in der Vergangenheit bereits
mehrfach für tätliche Auseinandersetzung verantwortlich gewesen seien. Auch die Kläger seien in der Datei
„Gewalttäter Sport“ erfasst. Ab ca. 11:30 Uhr habe mit der Personalienfeststellung und der körperlichen
Durchsuchung der festgehaltenen Personen begonnen werden sollen. Nach Ankündigung dieser Maßnahmen
hätten zahlreiche Personen aus der umschlossenen Gruppe Vermummungsgegenstände, Pyrotechnik und
Schutzbewaffnung auf den Boden geworfen, um eine individuelle Zuordnung zu vereiteln. Nach Beendigung
aller polizeilichen Maßnahmen seien an der Örtlichkeit 88 schwarze Schlauchschals, neun Sturmhauben,
zwei spezielle Vermummungswesten, sieben Gebissschutze und ein Abschussgerät für Pyrotechnik mit acht
Schuss Munition aufgefunden worden. Damit habe festgestanden, dass die Gruppe gezielt eine körperliche
Auseinandersetzung beabsichtigt habe. Wegen der Gefahr weiterer Übergriffe sei zunächst geplant
gewesen, die umschlossenen Personen bis zur Abfahrt der Anhänger des FCK nach dem Spiel in
Folgegewahrsam zu nehmen. Hierfür hätte die Gruppe zum Polizeirevier West in der Moltkestraße verbracht
werden sollen. Zur Vorbereitung des Gewahrsams sei vor Ort damit begonnen worden, die Personen nach
Feststellung ihrer Identität einzeln zu durchsuchen und zu fotografieren. Bis 12:30 Uhr seien etwa 25
Personen auf diese Weise bearbeitet worden. Zu diesem Zeitpunkt habe die telefonisch verständigte
Bereitschaftsrichterin des Amtsgerichts Karlsruhe den Folgegewahrsam abgelehnt. Deshalb sei die
erkennungsdienstliche Behandlung erforderlich geworden, um die festgehaltenen Personen aus der
Anonymität zu reißen und auf diesem Wege weitere Straftaten zu unterbinden. Die polizeilichen
Einzelmaßnahmen hätten auf beiden Seiten der in einer Reihe abgestellten Fahrzeuge stattgefunden, was
zu einer Verkürzung der Bearbeitungszeiten zugunsten der Betroffenen geführt habe. Ein gezieltes „zur
Schau stellen“ der Betroffenen sei nicht beabsichtigt gewesen.
13 Nach den jeweiligen Einzelmaßnahmen seien die festgehaltenen Personen in eine weitere Umschließung
verbracht und von dort um 13:00 Uhr, 13:21 Uhr, 13:37 Uhr und 13:57 Uhr in kleinen Gruppen vorbei am
Gästeeingangsbereich zum Stadion begleitet worden. Die Personen hätten das Stadion allerdings erst
betreten, als die polizeilichen Maßnahmen abgeschlossen und alle festgehaltenen Personen am Stadion
angekommen seien. Nach den polizeilichen Aufzeichnungen sei der Kläger zu 1 um 12:10 Uhr, der Kläger zu
2 um 13:06 Uhr und der Kläger zu 3 um 13:08 Uhr erkennungsdienstlich behandelt worden. Es sei davon
auszugehen, dass der Kläger zu 1 in der ersten Gruppe und die Kläger zu 2 und 3 in der zweiten Gruppe
zum Stadion gebracht worden seien
.
Insgesamt seien 152 Personen erkennungsdienstlich behandelt
worden.
14 Vor dem 24.10.2015 seien von den Klägern zu 2 und 3 in den polizeilichen Auskunftssystemen keine
Lichtbilder vorhanden gewesen. Von dem Kläger zu 1 seien aus einer erkennungsdienstlichen Behandlung
vom ...2006 zwar Lichtbilder (Porträtaufnahme, Profil rechts, Halbprofil links, Ganzkörperansicht,
Tätowierungen) vorhanden gewesen, diese seien angesichts ihres Alters aber nicht mehr ausreichend
gewesen, um eine Wiedererkennung zu ermöglichen.
15 Das Gericht hat eine dienstliche Stellungnahme der am 24.10.2015 diensthabenden Bereitschaftsrichterin
des Amtsgerichts Karlsruhe eingeholt. Hierin heißt es, dass zu dem Vorgang weder ein schriftlicher Antrag
der Polizei noch eigene Aufzeichnungen existieren würden. Soweit erinnerlich sei der Folgegewahrsam
abgelehnt worden, weil ein Gewahrsamsgrund nicht hinreichend konkret benannt worden sei. Eine
gerichtliche Entscheidung über einen Identitätsgewahrsam nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 PolG sei – soweit
erinnerlich – nicht beantragt worden.
16 In der mündlichen Verhandlung wurden die Kläger informatorisch befragt. Auf die Anlage zur Niederschrift
vom 12.01.2017 wird verwiesen. Im Wesentlichen haben die Kläger auf Fragen das Folgende ausgeführt: Sie
seien der Fangruppierung „...“ zugehörig, dies sei eine lose Gemeinschaft leidenschaftlicher Unterstützer des
KSC. Gewöhnlich laufe man bei Heimspielen zusammen mit anderen KSC-Anhängern vom Fanprojekt in der
Nordstadt zum Stadion. Etwa ein- bis zweimal pro Saison organisiere man bei besonderen Spielen aber
einen eigenen Fanmarsch mit eigener Route zum Stadion. Diese eigenen Fanmärsche seien regelmäßig von
der Polizei aufgehalten worden. Am 24.10.2015 habe man früh am Stadion sein wollen, um eine
Choreographie für das Spiel einzuüben. Sie seien in der Gruppe weiter hinten gelaufen. Als sie die
Adenauerallee erreicht haben, hätten sie nicht bemerkt, dass sich zu diesem Zeitpunkt Anhänger des FCK
beim Stadion aufgehalten hätten. Die Gruppe sei auch nicht ausgewichen, als man Polizeikräfte
wahrgenommen habe, sondern man sei auf die Beamten zu in Richtung Stadion gelaufen. Sie selbst hätten
keine verbotenen Gegenstände mitgeführt. Ihnen sei auch nicht bekannt gewesen, dass andere Personen
aus der Gruppe derartige Gegenstände bei sich hatten. Die Maßnahmen der Polizei seien unverhältnismäßig
gewesen; von der Gruppe sei überhaupt keine Gefahr ausgegangen. Durch das öffentliche Fotografieren mit
einer Nummer vor dem Körper sei bei den zahlreichen Passanten der Eindruck erweckt worden, sie seien
Kriminelle. Der Kläger zu 1 erklärte, ein Polizeibeamter habe ihn auf dem Weg zu den Polizeifahrzeugen
festgehalten und dabei zu ihm gesagt, dass er festgenommen sei und man dies auch sehen solle. Er sei auf
der straßenzugewandten Seite der Fahrzeuge fotografiert worden. Währenddessen seien hunderte
Passanten auf dem Adenauerring an ihm vorbei zum Stadion gelaufen. Dies sei etwa gegen 12:15 Uhr
gewesen. Nach Abschluss der Maßnahmen sei er in die zweite Umschließung gebracht worden. Erst nach 13
Uhr sei er zum Stadion geführt worden. Der Kläger zu 2 gab an, seine erkennungsdienstliche Behandlung
sei nach 13 Uhr zwischen zwei Polizeifahrzeugen durchgeführt worden. Er habe in der zweiten
Umschließung etwa eine halbe Stunde warten müssen. Der Kläger zu 3 erklärte, auch er sei erst nach 13
Uhr und auf der straßenzugewandten Seite der Polizeifahrzeuge durchsucht und fotografiert worden.
17 Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch die Vernehmung der Polizeibeamten
... und ... Auf die Anlage zur Niederschrift vom 12.01.2017 wird auch insoweit verwiesen. Die Lichtbilder der
festgehaltenen Personengruppe und der aufgefundenen Gegenstände wurden in der Verhandlung in
Augenschein genommen.
18 Der Zeuge ... gab auf Fragen im Wesentlichen an: Er sei am fraglichen Tag Einsatzleiter gewesen. In der
Vergangenheit habe es bei Begegnungen des KSC gegen den FCK immer wieder Auseinandersetzungen
gegeben. Bei dem vorangegangenen Spiel in Kaiserslautern sei es zu schweren Auseinandersetzungen vor
und während dem Spiel gekommen, weil es den Polizeikräften nicht gelungen sei, die Fangruppen zu
trennen. In Karlsruhe hätten bestimmte Fangruppen in der Vergangenheit wiederholt versucht, zum
Gästeeingangsbereich zu gelangen. Zuletzt sei dies bei einer Begegnung gegen den VfB Stuttgart
geschehen, damals seien die Angreifer aus Richtung Schlossgarten gekommen. Am 24.10.2015 sei die
Theodor-Heuss-Allee die Trennlinie zwischen den jeweiligen Problemfans der beiden Mannschaften gewesen,
dort sei auch ein Gitterzaun aufgebaut worden. Gegenüber dem KSC-Fanprojekt sei im Vorfeld kommuniziert
worden, dass organisierte Fangruppen im Bereich des Gästeeingangs nicht erwünscht seien.
19 Er habe selbst festgestellt, dass die Insassen der Busse aus Kaiserslautern auf dem Weg zum Stadion an den
Türen Aufstellung genommen hätten. Er habe sich von szenekundigen Beamten bestätigen lassen, dass es
sich bei der festgehaltenen Personengruppe um die Karlsruher „Ultras“ gehandelt habe. Die beiden Gruppen
hätten sich damit nur knapp verfehlt. Bei einem Zusammentreffen hätte es mit Sicherheit körperliche
Auseinandersetzung und auch pyrotechnische Schüsse gegeben. Auch die „Ultras“ des FCK seien mit
Pyrotechnik munitioniert gewesen und hätten diese nach Anpfiff im Stadion abgefeuert. Nach Umschließung
der Personengruppe habe er zunächst die Identitätsfeststellung und die Durchsuchung der festgehaltenen
Personen angeordnet. Eine umschließende Begleitung der Gruppe vorbei am Gästeeingangsbereich sei zur
Gefahrenabwehr nicht ausreichend gewesen, weil sich der Konflikt dann zu einem späteren Zeitpunkt
verwirklicht hätte. Nachdem er die Mitteilung erhalten habe, dass die festgehaltenen Personen
Vermummungsgegenstände bei sich führten, habe er beim Amtsgericht wegen der Verbringung der Gruppe
in den Zentralgewahrsam in der Moltkestraße anrufen lassen. Das Festhalten vor Ort sei für ihn noch kein
Gewahrsam und damit auch nicht Gegenstand des Telefonats mit der Bereitschaftsrichterin gewesen. Nach
Ablehnung des Gewahrsams habe er die erkennungsdienstliche Behandlung der Gruppe angeordnet, um sie
bei weiteren Auseinandersetzungen gegebenenfalls identifizieren zu können. Er sei weiterhin von einer
bevorstehenden Auseinandersetzung der „Ultra“-Gruppierungen ausgegangen. Weil der
Veranstaltungsleiter des KSC kein Stadionverbot habe aussprechen wollen, seien keine Platzverweise
erlassen worden. In den genauen Ablauf der durchgeführten polizeilichen Maßnahmen sei er nicht
eingebunden gewesen, diese habe Herr ... organisiert.
20 Der Zeuge ... gab auf Fragen im Wesentlichen an: Er sei am fraglichen Tag der zuständige Abschnittsleiter
für den Bereich Interventionseinsatzkräfte gewesen. Er habe die Information erhalten, dass bestimmte, als
problematisch eingestufte Unterstützer des FCK bereits sehr früh mit eigens angemieteten Bussen
losgefahren seien und sich auf dem Weg mit zwei Anhängern des KSC getroffen hätten. Aus der Bevölkerung
habe man um kurz nach zehn Uhr die Mitteilung erhalten, dass sich eine Gruppe KSC-Fans in der Nähe der
Haid-und-Neu-Straße aufhalten würde. Nach Lage der Dinge sei man deshalb von einer geplanten und
abgesprochenen Konfrontation ausgegangen. Er habe einen Teil der Einsatzkräfte in Richtung Haid-und-Neu-
Straße verlegt, weil er dort mit einem Angriff auf die Gästebusse gerechnet habe. Von dem plötzlichen
Erscheinen der sich erkennbar als „Ultra“-Gruppierung bewegenden Personen in der Nähe des
Gästeeingangsbereichs sei er überrascht worden. Unmittelbar zuvor seien die Busse mit den Kaiserslauterer
„Ultras“ am Stadion angelangt. Zunächst habe er vor Ort nur 30 Beamte zur Verfügung gehabt, mit denen
er die Personengruppe angehalten habe. Erst durch Hinzuziehung weiterer Beamter habe er die Gruppe
gegen 11:10 Uhr vollständig umschließen können, sodass sich die festgehaltenen Personen nicht mehr
hätten wegbewegen können. Parallel dazu habe er den Adenauerring in diesem Bereich für den normalen
Kraftfahrtverkehr sperren lassen. Zu dieser Zeit habe auch der Shuttleverkehr für die mit dem Zug
angereisten Gästefans vom Bahnhof zum Stadion über den Adenauerring begonnen.
21 Aufgrund der Situation und der polizeilichen Erkenntnis, dass einige der festgehaltenen Personen
Vermummungsgegenstände mit sich führten, habe er angeregt, einen Folgegewahrsam zu beantragen. Zur
Vorbereitung der im Raum stehenden Verbringung in den Zentralgewahrsam in der Moltkestraße habe er
Einsatzfahrzeuge mit Büroausstattung (sogenannte Module) angefordert. Um die hierfür erforderlichen
Maßnahmen – Identitätsfeststellung, Durchsuchung, fotographische Erfassung – möglichst ohne Eskalation
durchführen zu können, seien über den Fanbeauftragten des KSC Gespräche mit der umschlossenen Gruppe
geführt worden. Nach etwa 15 bis 20 Minuten, etwa gegen 11:30 Uhr, sei dann nach einer entsprechenden
Durchsage mit den polizeilichen Maßnahmen begonnen worden. Dabei seien in großem Umfang
Vermummungsgegenstände auf den Boden geworfen worden. Infolge der Vermittlung des Fanbetreuers sei
es nur zu wenigen Widerstandshandlungen gekommen. Die Personen seien einzeln zu den Modulen
verbracht und dort durchsucht und fotografiert worden. Das Abfotografieren mit einer vorgehaltenen
Nummer ermögliche die Zuordnung der Fotos zu den festgestellten Personalien. Für einen Polizeigewahrsam
müsse - bundeseinheitlich - ein mehrseitiges Formular ausgefüllt werden, die Bearbeitung einer Person
dauere dadurch etwa 15 bis 20 Minuten. Im weiteren Verlauf hätten immer mehr Beamte und Module für
die Maßnahmen zur Verfügung gestanden. Nachdem festgestanden habe, dass kein Folgegewahrsam
durchgeführt werde, habe mit Videodurchlassstellen gearbeitet werden können. Hierbei werde die jeweilige
Person samt Ausweisdokumente nur kurz abgefilmt, wodurch sich der Ablauf erheblich beschleunigt habe.
Ab ca. 12:30 Uhr seien bis kurz vor 14 Uhr 127 Personen per Videodurchlassstelle bearbeitet worden. Am
Ende seien es sieben oder acht Bearbeitungsstellen gewesen.
22 Er habe die polizeilichen Fahrzeuge in einer Reihe an der östlichen Seite des Adenauerrings aufstellen
lassen, um eine optische Trennung zur Straße herzustellen und damit Solidarisierungen und Provokationen
durch andere Fans zu verhindern. Gleichzeitig habe aber auch verhindert werden müssen, dass sich die noch
in der Umschließung befindlichen Personen mit den einzeln bearbeiteten Personen solidarisierten und es
hierdurch zu einer Eskalation komme. Später habe er im Interesse einer möglichst kurzen
Bearbeitungsdauer einer Bearbeitung auch auf der straßenzugewandten Seite zugestimmt. Nach seiner
Erinnerung seien die polizeilichen Maßnahmen überwiegend auf der straßenabgewandten Seite
durchgeführt worden. Bei der Vielzahl der über den Adenauerring zum Stadion gelangenden Zuschauer sei
letztlich nicht zu verhindern gewesen, dass einzelne Personen unmittelbar an den Betroffenen vorbei
gelaufen seien.
23 Nach Abschluss der Maßnahmen habe es zwar eigentlich keinen Grund für ein weiteres Festhalten gegeben.
Allerdings hätten die festgehaltenen Personen noch in das Stadion gehen wollen und wären auf dem Weg
zum Eingang Mitte unmittelbar am Gästeeingang vorbeigekommen. Dort hätten sich auch nach Spielbeginn
um 13 Uhr noch einzelne Anhänger des FCK aufgehalten, denen - aus welchen Gründen auch immer - der
Eintritt ins Stadion verwehrt worden war. Es sei wahrscheinlich gewesen, dass diese Personen einzelne der
freigelassenen Personen angegriffen hätten. Vor allem aber habe er damit gerechnet, dass die freigelassenen
Personen auf einander gewartet hätten und gemeinsam am Gästeeingang vorbei zum Stadion gelaufen
wären. In jedem Fall sei er davon ausgegangen, dass es ohne polizeiliche Begleitung dort zwangsläufig zu
wechselseitigen Provokationen und Konflikten gekommen wäre. Nach seiner Erfahrung genügten
Kleinigkeiten, um eine solche Situation eskalieren zu lassen. Personen aus dem Stadion hätten ohne
Schwierigkeiten wieder herauskommen können. Die an den Stadioneingängen vorhandenen Polizeikräfte
hätten eine Eskalation nicht sofort unterbinden können. Deshalb seien die Betroffenen nicht an Ort und
Stelle freigelassen worden, sondern zunächst in eine zweite Umschließung aus Polizeibeamten gebracht und
später in kleinen Gruppen zum Stadioneingang „Mitte“ geführt worden. Für eine Einzelbegleitung zum
Stadion seien nicht genügend Einsatzkräfte vorhanden gewesen.
24 Dem Gericht liegen die Verwaltungsakte des Beklagten – in Auszügen – und die Einstellungsverfügungen
der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird hierauf sowie
auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen und Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
25 Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Soweit die Kläger die Feststellung
der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Ingewahrsamnahme begehren, liegt hierüber keine gerichtliche
Entscheidung vor, die nach § 28 Abs. 4 Satz 6 PolG zu einem Ausschluss verwaltungsgerichtlicher
Rechtsbehelfe führt. Nach den Angaben des Zeugen ... und der eingeholten schriftlichen Stellungnahme der
zuständigen Bereitschaftsrichterin des Amtsgerichts Karlsruhe steht zur Überzeugung des Gerichts fest,
dass die durchgeführte Umschließung nicht Gegenstand einer amtsgerichtlichen Entscheidung war. Der
Beklagte hat um 12:30 Uhr telefonisch eine gerichtliche Entscheidung über die von ihm als Folgegewahrsam
bezeichnete Maßnahme beantragt. Gegenstand des Verfahrens war damit die Verbringung der
Personengruppe zum Polizeirevier West in der Moltkestraße und die dortige Ingewahrsamnahme bis zur
Abreise der Gästefans. Das Festhalten der Personengruppe im Bereich der Einmündung
Lärchenallee/Adenauerring wurde dem Amtsgericht hingegen nicht zur Entscheidung gestellt. Nach
Ablehnung des Folgegewahrsams wurde seitens der Polizei auch keine gerichtliche Entscheidung über die
Fortdauer der Umschließung bis zum Abschluss der Einzelmaßnahmen beantragt. Damit sind die
angegriffenen polizeilichen Maßnahmen einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung in vollem Umfang
zugänglich.
II.
26 Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Dabei kann offen bleiben, inwiefern es sich bei den angegriffenen
polizeilichen Maßnahmen um Verwaltungsakte oder Realakte handelt und statthafte Klageart damit eine
Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) oder eine allgemeine Feststellungsklage
(§ 43 Abs. 1 VwGO) ist. Denn in beiden Fällen ist jeweils angesichts der Erledigung der polizeilichen
Maßnahmen kein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Auch ist eine Klage, die auf Feststellung der
Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts gerichtet ist, der sich vor Eintritt der Bestandskraft erledigt hat,
nicht an die Fristen der §§ 74 Abs. 1 bzw. 58 Abs. 2 VwGO gebunden (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C
7/98 -, BVerwGE 109, 203, juris). Zudem ist bei beiden Klagearten ein besonderes Feststellungsinteresse
erforderlich. Ein solches Interesse ist in Fällen gewichtiger Grundrechtseingriffe gegeben, in denen sich die
direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verlauf auf eine Zeitspanne
beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung in der Regel nicht erlangen kann (vgl.
BVerfG, Urt. v. 27.02.2007 - 1 BvR 538/06, 1 BvR 2045/06 -, BVerfGE 117, 244, juris Rn. 69, m.w.N.). Dies
ist der Fall. Bei der angegriffenen Umschließung handelt es sich um einen Eingriff in die Freiheit der Person
gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Die erkennungsdienstliche Behandlung betrifft das allgemeine
Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Beide Maßnahmen sind typischerweise
nur von kurzer Dauer.
III.
27 Die Klagen haben allerdings in der Sache keinen Erfolg.
28 1. Die Ingewahrsamnahme der Kläger war über ihre gesamte Dauer rechtmäßig.
29 a) Entgegen der Einschätzung des Polizeivollzugsdienstes lag ein polizeilicher Gewahrsam im Sinne des § 28
Abs. 1 PolG vor. Ab wann eine Freiheitsentziehung gemäß Art. 104 Abs. 2 GG (und nicht bloß eine
Freiheitsbeschränkung) und damit ein Gewahrsam nach Polizeirecht vorliegt, richtet sich nach der Intensität
des Eingriffs (sogenannter materieller Gewahrsamsbegriff). Eine Freiheitsentziehung setzt mindestens
voraus, dass die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder
Richtung hin aufgehoben wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.05.2002 – 2 BvR 2292/00 –, BVerfGE 105, 239-
252, juris Rn. 23). Dies war jedenfalls ab etwa 11:10 Uhr bis mindestens 13 Uhr der Fall. Bei dieser
Zeitdauer hatte der Eingriff in die Freiheitsrechte eine solche Intensität erreicht, dass eine
Freiheitsentziehung gegeben war (vgl. Belz/Mußmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz für Baden-
Württemberg, 8. Auflage 2015, § 26 Rn. 29: ab einer Stunde; ähnlich auch Stephan/Deger, Polizeigesetz für
Baden-Württemberg, 7. Auflage 2014, § 4 Rn. 12). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
kommt es nicht darauf an, dass das Festhalten der Hauptzweck der Maßnahme ist oder dass eine
Verbringung an einen anderen als den Festhalteort erfolgt (so der sogenannte formelle Gewahrsamsbegriff;
ausführlich hierzu Gusy, Freiheitsentziehung und Grundgesetz, NJW 1992, 457).
30 b) Gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme bestehen keine Bedenken. Die Zuständigkeit
des Polizeivollzugsdienstes folgt aus § 60 Abs. 3 PolG. Eine Anhörung der Kläger war nach § 28 Abs. 2 Nr. 1
LVwVfG entbehrlich. Weil der Verwaltungsakt mündlich erlassen wurde, war auch keine Begründung
erforderlich (vgl. § 39 Abs. 1 LVwVfG). Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 PolG kommt vorliegend nicht zur
Anwendung. Hiernach sind dem Betroffenen der Grund des Gewahrsams und die zulässigen Rechtsbehelfe
unverzüglich bekanntzugeben. Diese Belehrungspflicht - ebenso wie etwa § 1 DVO PolG und im Unterschied
zu den übrigen Absätzen des § 28 PolG trotz identischer Formulierung - setzt (neben einer gewissen
Intensität der Maßnahme) die Verbringung in behördliche Gewahrsamsräume voraus (vgl. - insoweit
folgerichtig schweigend - VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 17.03.2011 - 1 S 2513/10 -, juris Rn. 23). Im Fall
einer kurzzeitigen Ingewahrsamnahme einer größeren Personengruppe durch polizeiliche Umschließung an
Ort und Stelle ist eine Belehrung nach § 28 Abs. 2 PolG nicht praktikabel und auch vom Zweck der Norm
nicht gefordert.
31 c) Als die Personengruppe von Einsatzkräften der Polizei umschlossen und damit auch die Kläger in
Gewahrsam genommen wurden, lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG vor.
Nach dieser Vorschrift kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn eine unmittelbar
bevorstehende erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung auf andere Weise nicht
verhindert werden kann. Die Rechtmäßigkeit der hierfür anzustellenden Gefahrenprognose bestimmt sich
aus Sicht eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Polizeibeamten ex ante. Der Polizei steht insoweit
eine Einschätzungsprärogative zu (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 17.03.2011, a. a. O., Rn. 25). Ob
im Nachhinein betrachtet tatsächlich eine Gefahr vorgelegen hat, ist für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme
nicht von Bedeutung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 14.12.2010 - 1 S 338/10 - juris Rn. 26, m.w.N.).
Unmittelbar bevor steht eine Störung, wenn mit ihr sofort oder in allernächster Zeit gerechnet werden
muss.
32 Die Ingewahrsamnahme hält einer Überprüfung an diesem Maßstab stand. Es bedarf zunächst keiner
näheren Ausführungen, dass die Begehung von Straftaten, insbesondere die Anwendung von körperlicher
Gewalt jeglicher Art gegenüber anderen Personen eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit im
Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG darstellt. Auch ist die Annahme der Polizei nicht zu beanstanden, die
umschlossene Personengruppe habe gezielt die körperliche Auseinandersetzung mit Fangruppierungen des
FCK gesucht. Vor dem Hintergrund der Vorfälle bei dem vorangegangenen Spiel der beiden Mannschaften
war von einer latenten Gefahr auszugehen. Nach der nachvollziehbaren und überzeugenden Einschätzung
des Beklagten bestand die Gefahr einer gewaltsamen Auseinandersetzung insbesondere bei einem
unkontrollierten Aufeinandertreffen der jeweiligen „Ultra“-Gruppierungen. Genau diesem
Gefährdungsszenario entsprach dann die aus Sicht der Polizei unvermittelte Annäherung der Gruppe aus
Richtung Oststadt - entgegen der üblichen Route des abgesprochenen Fanmarsches - an den
Gästeeingangsbereich weit vor Spielbeginn und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Ankunft
der Busse der Kaiserslauterer „Ultra“-Gruppierungen, deren Insassen sich in scheinbarer Erwartung einer
Auseinandersetzung bereits an den Türen aufgestellt hatten. Das Erscheinungsbild der geschlossen
auftretenden, einheitlich gekleideten ca. 150 Personen ausschließlich männlichen Geschlechts ließ keinen
anderen Schluss zu, als dass hier eine organisierte Gruppe bewusst die Konfrontation suchte. Die
gegenteilige Behauptung der Kläger, es hätten sich Kinder und Frauen an dem friedlichen Marsch beteiligt,
wurde in der mündlichen Verhandlung nicht weiter konkretisiert und ist widerlegt durch die in Augenschein
genommenen Lichtbilder, die eine Gruppe ausschließlich erwachsener, einheitlich gekleideter Männer zeigt,
von denen einer bereits vermummt ist. Durch die räumlich-zeitliche Nähe des Erscheinens der
Personengruppe zu den unmittelbar zuvor unter Polizeibegleitung am Stadion angekommenen Bussen aus
Kaiserslautern stand die Gefahr einer erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit aus ex-ante-Sicht auch
unmittelbar bevor. Der Verdacht, dass eine Auseinandersetzung von beiden Lagern abgesprochen war, lag
auf der Hand. Die Kläger wurden zu Recht jedenfalls als Anscheinsstörer angesehen. Ob sie von der
zeitgleichen Anwesenheit der Kaiserslauterer „Ultra“-Busse selbst Kenntnis hatten bzw. sich an einer
körperlichen Auseinandersetzung beteiligen wollten, ist für die Gefahrenprognose aus objektiver ex-ante-
Sicht nicht von Relevanz.
33 d) Die Umschließung der Kläger war auch verhältnismäßig. Bei der Ingewahrsamnahme handelt es sich um
eine der einschneidendsten polizeilichen Standardmaßnahmen, nämlich um eine die Freiheit der Person nicht
nur beschränkende, sondern aufhebende Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG (vgl. BVerfG,
Beschl. v. 15.05.2002 – 2 BvR 2292/00 –, BVerfGE 105, 239, juris Rn. 23). Daher ist bei der Anwendung der
Vorschrift, insbesondere bei der Prüfung der Erforderlichkeit bzw. der Möglichkeit des Einsatzes anderer
geeigneter, milderer Mittel ein strenger Maßstab anzulegen.
34 Die zur Gefahrenabwehr geeignete Ingewahrsamnahme der Kläger war aus ex-ante-Perspektive
erforderlich, weil mildere Mittel zur Störungsbeseitigung nicht ersichtlich waren. Ein Platzverweis nach §
27a Abs. 1 PolG, welcher nötigenfalls im Wege des unmittelbaren Zwanges (§§ 49 Abs. 2, 50 PolG) hätte
durchgesetzt werden müssen, wäre wegen der Gefahr, dass zumindest ein Teil der umschlossenen Personen
zum Gästeeingangsbereich vordringt oder sonst in unmittelbarer Umgebung auf gewaltbereite Fans des FCK
trifft, nicht gleichermaßen geeignet gewesen, die Störung der öffentlichen Sicherheit zu beseitigen. Mit den
konkret vorhandenen Polizeikräften wäre es nach den glaubhaften Angaben des Zeugen ... nicht möglich
gewesen, Platzverweise effektiv zu vollziehen. Viele der eingesetzten Beamten waren bis Spielbeginn durch
andere Aufgaben gebunden. Damit kam ein Platzverweis, der grundsätzlich im Verhältnis zur
Ingewahrsamnahme für den Betroffenen eine weniger belastende Maßnahme darstellt und daher vorrangig
zu ergreifen gewesen wäre, hier nicht in Betracht (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 17.03.2011,
a. a. O., Rn 27). Zur Abwehr der Gefahr für die körperlichen Unversehrtheit auch Unbeteiligter war der mit
der Ingewahrsamnahme verbundene Grundrechtseingriff auch angemessen.
35 e) Da es sich bei der Ingewahrsamnahme um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, müssen die
rechtlichen Voraussetzungen nicht nur beim Erlass, sondern auch während der Gesamtdauer des
Gewahrsams vorliegen. Dies kommt auch in § 28 Abs. 3 Satz 1 PolG zum Ausdruck, wonach der Gewahrsam
aufzuheben ist, sobald sein Zweck erreicht wurde.
36 Auch unter diesem Gesichtspunkt begegnet die Aufrechterhaltung des Gewahrsams keinen durchgreifenden
Bedenken. Der Zweck des Gewahrsams war, Auseinandersetzungen im Bereich des Gästeeingangs mit
bestimmten Fangruppen des FCK zu verhindern. Nach den auch insoweit schlüssigen Angaben der Zeugen
bestand die Gefahr einer derartigen Auseinandersetzung bis nach Spielbeginn unverändert fort, weil sich
Fangruppierungen des FCK weiterhin in unmittelbarer Nähe befanden. Die Gefahr eines Aufeinandertreffens
konnte letztlich nur dadurch beseitigt werden, dass die Karlsruher „Ultra“-Gruppierung bis hinter die
Gitterzaunlinie zum Eingang „Mitte“ begleitet wurden.
37 Im Hinblick auf die bestehende Gefahr einer Auseinandersetzung nach Spielende ist nicht zu beanstanden,
dass die Polizei die Personengruppe nicht unmittelbar aus dem Gästebereich heraus und zum
Stadioneingang Mitte geführt hat, sondern für die Personalienfeststellung, Durchsuchung und
erkennungsdienstliche Behandlung weiter festgehalten hat. Dies lässt sich zwar aufgrund der verstrichenen
Zeitdauer nicht mehr auf § 26 Abs. 2 Satz 3 PolG stützen. Auf Grundlage des § 28 Abs. 1 Nr. 3 PolG ist zum
Zweck der Identitätsfeststellung aber auch ein Gewahrsam zulässig. Dass die Kläger für die genannten
Maßnahmen festgehalten wurden, war auch im Hinblick auf die zeitliche Dauer nicht unverhältnismäßig.
Wie der Zeuge ... nachvollziehbar dargelegt hat, gab es sachliche Gründe für die Dauer der Maßnahmen.
Auch die Kläger haben nicht gerügt, dass die einzelnen Maßnahmen hätten zügiger durchgeführt werden
können.
38 Soweit die Kläger nach Abschluss der polizeilichen Einzelmaßnahmen nicht sofort freigelassen, sondern
zunächst in eine zweite Umschließung gebracht wurden, ist dies ebenfalls gerechtfertigt. Denn auch zu
diesem Zeitpunkt stand eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 1
PolG noch unmittelbar bevor. Wären die Kläger unmittelbar freigelassen worden, wären sie einzeln - und für
Dritte erkennbar aus der polizeilichen Umschließung der „Ultras“ stammend - oder (nach vorherigem
aufeinander warten) als gesamte Gruppe auf dem Weg zum Stadion direkt am Gästeeingangsbereich
vorbeigekommen. Hierbei wäre es aller Voraussicht nach zu Provokationen und in der Folge mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit doch noch zu den befürchteten Auseinandersetzungen gekommen. Dass
für eine Begleitung der bearbeiteten Personen jeweils einzeln zum Eingang Mitte nicht genügend
Polizeibeamte zur Verfügung standen, ist für das Gericht nach den Angaben des Zeugen ... nicht zweifelhaft.
39 f) Der Gewahrsam der Kläger war auch nicht wegen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur
unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung rechtswidrig. Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1
und 2 GG muss ein Richter über die Zulässigkeit und Fortdauer der polizeilichen Freiheitsentziehung
entscheiden. Deshalb hat die Polizei nach § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG unverzüglich eine richterliche
Entscheidung über den Gewahrsam herbeizuführen. Die richterliche Entscheidung muss also ohne jede
Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden (vgl. BVerfG,
Beschl. v. 15.05.2002, a. a. O., Rn. 26). Ein Verstoß gegen das Gebot der unverzüglichen Herbeiführung
einer richterlichen Entscheidung hat die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme zur Folge. Die Polizei
genügt dem Gebot zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung grundsätzlich
dadurch, dass sie die Sache beim zuständigen Amtsgericht anhängig macht, d.h. dem Gericht den
Sachverhalt vorträgt mit der Bitte um Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung. Aber auch
die weitere Sachbehandlung durch das Amtsgericht muss den Anforderungen des § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG,
Art 104 Abs. 2 Satz 2 GG genügen, insbesondere muss dessen Entscheidung grundsätzlich unverzüglich
ergehen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27.09.2004 – 1 S 2206/03 –, juris Rn. 53). Gemäß § 28 Abs.
3 Satz 4 PolG bedarf es einer unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung allerdings
nicht, wenn eine Prognose ergibt, dass die gerichtliche Entscheidung erst ergehen kann, wenn der Grund für
den Gewahrsam wieder weggefallen ist (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Ausnahme vgl. zuletzt BVerfG,
Beschl. v. 02.11.2016 – 1 BvR 289/15 –, juris Rn. 22).
40 Gemessen hieran lässt sich ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer
richterlichen Entscheidung nicht feststellen. Der Beklagte war nicht verpflichtet, den tatsächlich
durchgeführten Gewahrsam bei Gericht anhängig zu machen. Denn bis zur Beendigung des Gewahrsams
hätte eine gerichtliche Entscheidung hinsichtlich aller festgehaltenen Personen nicht ergehen können. Die
richterliche Anordnung der Freiheitsentziehung setzt - zur Gewährung rechtlichen Gehörs - grundsätzlich
die persönliche Anhörung der Betroffenen voraus (vgl. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG), die bei 152
festgehaltenen Personen mit Sicherheit länger gedauert hätte als die tatsächliche Dauer des Gewahrsams.
Für diese rechtliche Beurteilung ist unerheblich, dass der Einsatzleiter des Beklagten, der Zeuge ..., nicht
vom Vorliegen eines Gewahrsams ausging. Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Satz 4 PolG
vorliegen, bestimmt sich aus objektiver Sicht ex-ante. Es kann auch dahinstehen, ob der beabsichtigte
Folgegewahrsam in der Moltkestraße unverzüglich im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG bei Gericht
anhängig gemacht wurde. Dieser Gewahrsam wurde letztlich nicht durchgeführt und ist nicht Gegenstand
verwaltungsgerichtlicher Überprüfung.
41 2. Auch die erkennungsdienstliche Behandlung der Kläger war rechtmäßig.
42 a) Die erkennungsdienstliche Behandlung der Kläger erfolgte zur (präventiven) Verhütung künftiger
Straftaten und nicht zum Zweck der (repressiven) Strafverfolgungsvorsorge (zur schwierigen Abgrenzung
vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.12.2003 – 1 S 2211/02 –, juris Rn. 27 ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v.
16.09.2009 – 11 ME 402/09 –, juris Rn. 26 f.). Die Betroffenen sollten durch die erkennungsdienstlichen
Behandlung aus der Anonymität gerissen und durch die geschaffene Möglichkeit, Straftaten gegebenenfalls
leichter aufklären zu können, von der Begehung von Straftaten gegen die Allgemeinheit oder gegen
Anhänger der Gästemannschaft nach Entlassung aus dem polizeilichen Gewahrsam abgeschreckt werden
(eine solche Wirkung - für den „genetischen Fingerabdruck“ - bezweifelnd allerdings BVerfG, Beschl. v. 14.
12.2000 – 2 BvR 1741/99, 2 BvR 276/00, 2 BvR 2061/00 –, BVerfGE 103, 21, juris Rn. 48). Rechtsgrundlage
ist damit nicht § 81b Alt. 2 StPO, sondern § 36 Abs. 1 Nr. 2 PolG. Im Übrigen ist die Wahl der
Ermächtigungsgrundlage ohne Konsequenz, weil beide Vorschriften weitgehend die gleichen
Voraussetzungen besitzen und in beiden Fällen der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (zu den
Unterschieden vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 05.04.2016 - 1 S 275/16 -, VBlBW 2016, 424, juris;
vgl. auch BVerfG, Urt. v. 27.07.2005 - 1 BvR 668/04 -, BVerfGE 113, 348; sowie VGH Baden-Württemberg,
Urt. v. 18.12.2003, a. a. O.).
43 b) Hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen keine Bedenken.
44 c) Auch die materiellen Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 2 PolG lagen vor. Hiernach kann der
Polizeivollzugsdienst erkennungsdienstliche Maßnahmen durchführen, wenn dies zur vorbeugenden
Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist, weil der Betroffene verdächtig ist, eine Straftat begangen zu
haben, und die Umstände des Einzelfalles die Annahme rechtfertigen, dass er zukünftig eine Straftat
begehen wird.
45 aa) Zunächst bestand jedenfalls ab dem Zeitpunkt, als mehrere Vermummungsgegenstände, Gegenstände
zur Schutzbewaffnung und Pyrotechnik aus der Gruppe heraus auf den Boden geworfen wurden,
hinsichtlich aller umschlossener Personen der Verdacht von Straftaten nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2
VersG sowie § 127 StGB. Dementsprechend wurden auch gegen die Kläger Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Dass bei Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung noch kein förmliches Ermittlungsverfahren
eingeleitet worden war, schließt einen Verdacht im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 2 PolG nicht aus. Auch die
spätere Einstellung der Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO bleibt bei der Beurteilung der ex-ante-
Einschätzung der Polizei außer Betracht. Zudem kann auch nach Einstellung des Verfahrens ein Tatverdacht
im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 2 StPO zu bejahen sein (vgl. zum Vorstehenden VGH Baden-Württemberg,
Beschl. v. 05.04.2016, a. a. O.).
46 bb) Nach den Umständen des Einzelfalls war auch die Annahme gerechtfertigt, dass die Kläger zukünftig
solche Straftaten begehen werden (zur Einschränkung dieses Tatbestandsmerkmals auf Straftaten, für die
im konkreten Fall eine Wiederholungsgefahr begründet werden kann, vgl. - zu § 81b Alt. 2 StPO - VGH
Baden-Württemberg, Urt. v. 18.12.2003, a.a.O., Rn. 9). Die Zeugen ... und ... haben in der mündlichen
Verhandlung angegeben, sie seien trotz der durchgeführten Maßnahmen davon ausgegangen, dass es im
weiteren Verlauf zu Auseinandersetzungen zwischen den festgehaltenen Personen und bestimmten
Fangruppierungen des FCK kommen könne. Aus ihrer Sicht seien Auseinandersetzungen geplant gewesen.
Erfahrungsgemäß fänden die meisten Auseinandersetzungen nach Spielende statt. Im Rahmen der Abreise
der Gästefans hätte es hierzu auch zahlreiche Möglichkeiten in der Nähe des Gästeeingangsbereichs und auf
den Abfahrtswegen vom Stadion gegeben. Diese Einschätzung ist nachvollziehbar und nicht zu
beanstanden. Im Übrigen wäre auch die Annahme gerechtfertigt gewesen, die festgehaltenen Personen
würden bei künftigen Spielen des KSC gegen Anhänger bestimmter gegnerischer Mannschaften Straftaten
begehen.
47 cc) Die erkennungsdienstliche Behandlung der Kläger war auch verhältnismäßig.
48 Sie war zur Gefahrenabwehr geeignet, weil potentielle Störer hierdurch aus der Anonymität gerissen
werden und wissen, dass sie fortan für jede weitere ihnen zuzurechnende Störung verantwortlich gemacht
werden können. Hierfür genügte die bloße Personalienfeststellung nach § 26 Abs. 1 PolG als milderes Mittel
grundsätzlich nicht. Im Hinblick auf die Vielzahl der kontrollierten Personen, die überwiegend ähnlich
gekleidet waren, hätte man die Kläger nicht ohne weiteres wiedererkannt. Zu den ebenfalls erfassten
Personalien musste die fotografische Erfassung hinzukommen, um die Betroffenen vollständig der
Anonymität zu entreißen und ihnen bewusst zu machen, dass sie etwa aufgrund von Videoaufzeichnungen
möglicher weiterer Ausschreitungen anhand der Lichtbilder identifiziert und strafrechtlich verfolgt werden
könnten (vgl. VG Frankfurt, Urt. v. 24.09.2014 – 5 K 659/14.F –, juris Rn. 106).
49 Mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedarf es allerdings in jedem
Einzelfall der Prüfung, ob die durchgeführten erkennungsdienstlichen Maßnahmen (§ 36 Abs. 2 PolG) auch
ihrem Umfang nach notwendig sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.12.2003, a. a. O., Rn. 13).
Eine erkennungsdienstliche Behandlung ist nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig, wenn von dem
Betroffenen bereits technisch einwandfreie Daten aus der jüngeren Vergangenheit vorliegen und zudem
feststeht, dass diese genauso geeignet sind wie neues Material. Allerdings kann die Behörde dabei nicht auf
Datenmaterial verwiesen werden, das möglicherweise nicht mehr hinreichend aktuell ist. Daher ist es trotz
der vorhandenen Lichtbilder des Klägers zu 1 aus dem Jahr 2006 rechtlich nicht zu beanstanden, dass nach
Ablauf von zehn Jahren eine Aktualisierung erkennungsdienstlicher Unterlagen für erforderlich gehalten
wird (vgl. zum Ganzen OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 18.08.2016 – 5 A 2212/15 –, juris Rn. 5).
50 Entgegen dem Vorbringen der Kläger bestehen auch gegen die Art und Weise der Durchführung der
erkennungsdienstlichen Behandlung keine Bedenken.
51 Zwar gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, polizeiliche Maßnahmen so durchzuführen, dass
diskriminierende Begleitumstände vermieden werden (Grundsatz der geringsten Beeinträchtigung). Eine
polizeiliche Maßnahme in aller Öffentlichkeit ist für die Betroffenen grundsätzlich mit einem zusätzlichen
Eingriff in die Privat- und Intimsphäre verbunden, weil sie von Passanten wahrgenommen werden kann (vgl.
Bayerischer VGH, Beschl. v. 08.03.2012 – 10 C 12.141 –, juris Rn. 18). Insbesondere das durch Dritte
wahrnehmbare Abfotografieren mit einer Nummer vor dem Körper stellt einen erheblichen Eingriff in die
Persönlichkeitsrechte des Betroffenen dar.
52 Der Zeuge ... hat jedoch nachvollziehbar dargelegt, dass es bei der Durchführung der
erkennungsdienstlichen Maßnahmen zunächst zu verhindern galt, dass die Situation durch Solidarisierungen
bzw. Provokationen eskaliert. Die optische Trennung der Gruppe sowohl von Passanten auf dem
Adenauerring als auch von den einzeln bearbeiteten Personen sei hierfür zeitweise notwendig gewesen.
Erst mit zunehmender Dauer habe er Polizeikräfte in ausreichender Zahl zur Verfügung gehabt. Die mit der
Art und Weise der polizeilichen Maßnahmen verbundenen zusätzlichen Rechtseingriffe sind insoweit aus
Gründen der Gefahrenabwehr gerechtfertigt. Soweit im Interesse einer möglichst kurzen Dauer des
Gewahrsams für alle Betroffenen die Entscheidung getroffen wurde, erkennungsdienstliche Maßnahmen
auch auf der straßenzugewandten Seite durchzuführen, weil auf der straßenabgewandten Seite der
Polizeifahrzeuge hierfür nicht genügend Platz zur Verfügung stand, ist dies aus
Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ebenfalls nicht zu beanstanden. Denn anderenfalls hätten die Kläger
zwar von weniger Personen wahrgenommen werden können, was den mit der Maßnahme verbundenen
zusätzlichen Eingriff in die Privat- und Intimsphäre verringert hätte. Zugleich hätten aber auch weniger
Personen parallel bearbeitet werden können. Dies hätte für die meisten Betroffenen zu einer Verlängerung
der Freiheitsentziehung und damit insgesamt zu schwereren Grundrechtsbeeinträchtigungen geführt. Aus
den gleichen Gründen wäre die Verbringung zur nächstgelegenen Polizeidienststelle zur Durchführung der
erkennungsdienstliche Behandlung kein schonenderer Eingriff gewesen. Eine mildere Form der Durchführung
der – im Übrigen rechtmäßigen – Maßnahme bestand folglich nicht.
53 Sonstige Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung sind nicht ersichtlich
und wurden auch von den Klägern nicht vorgetragen. Zur Verhinderung von Straftaten waren die mit dieser
Maßnahme verbundenen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Kläger auch angemessen.
III.
54 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 VwGO i. V. m. § 100 ZPO. Ein Grund für die
Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegt
nicht vor.
55
Beschluss
56 Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG, § 39 Abs. 1 GKG auf 30.000 Euro festgesetzt.
57 Angesichts ihres Gewichts ist für beide angegriffenen Maßnahmen jeweils der Auffangstreitwert
festzusetzen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 14.10.2010 – 1 S 338/10 –, juris Rn. 10). Dieser
Streitwert war für jeden der drei Kläger gesondert festzusetzen und gemäß § 39 Abs. 1 GKG
zusammenzurechnen. Von diesem Vorgehen ist bei subjektiver Klagehäufung nur abzusehen, wenn die
Klageanträge keine selbstständige Bedeutung haben, sondern wirtschaftlich denselben Gegenstand
betreffen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 04.05.2006 - 1 S 2525/05, openJur 2013, 14370). Das
ist hier nicht der Fall. Insbesondere stehen die Kläger nicht in dem Sinne in einer Rechtsgemeinschaft, dass
ihnen gegenüber das Verfahren nur einheitlich entschieden werden könnte (siehe auch Streitwertkatalog für
die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, Nr. 1.1.3).
58 Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und
5 GKG verwiesen.