Urteil des VG Karlsruhe vom 02.03.2017

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VG Karlsruhe Urteil vom 2.3.2017, 10 K 4888/16
Leitsätze
Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach eines landwirtschaftlichen Betriebes ist kein mit dem
landwirtschaftlichen Betrieb verbundenes Nebengewerbe im Sinne des § 2 Abs. 2 IHKG, sofern der gewonnene
Strom in das öffentliche Netz eingespeist wird.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er kein Mitglied der beklagten Industrie- und Handelskammer ist.
2 Der Kläger ist Landwirt und züchtet Schafe. Zu diesem Zweck errichtete er im Außenbereich einen
Schafstall mit Heu- und Strohlager. Ausweislich der Baugenehmigung ist das Gebäude nach Aufgabe der
landwirtschaftlichen Nutzung umgehend ohne jegliche Entschädigung zu entfernen und der alte Zustand
wiederherzustellen. Jegliche andere Nutzung ist nicht zulässig.
3 2009 und 2012 errichtete der Kläger auf dem Dach des Schafstalls eine Photovoltaikanlage mit einer Fläche
von ca. 300 m². Den gewonnenen Strom speist er in das öffentliche Netz ein und erzielt so einen Gewinn
von über 5.200 EUR/ Jahr.
4 Nachdem die Steuerbehörden den Kläger zur Gewerbesteuer veranlagt hatten, zog die Beklagte den Kläger
für das Jahr 2014 mit Bescheid vom 19.02.2016 zur Zahlung eines Beitrags zur Industrie- und
Handelskammer in Höhe von 55 EUR heran. Für das Jahr 2016 wurde gegen den Kläger ein Beitrag in Höhe
von 55 EUR vorläufig festgesetzt.
5 Der Kläger legte gegen diesen Beitragsbescheid Widerspruch ein. Er sei kein Mitglied der Industrie- und
Handelskammer, da private Photovoltaikanlagen gewerberechtlich nicht angemeldet werden müssten. Die
Photovoltaikanlage sei ein untergeordneter Betriebsteil seines landwirtschaftlichen Betriebs. Es handle sich
um ein bloßes Nebengewerbe.
6 Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.2016 zurück. Der Kläger sei zum
Handelskammerbeitrag heranzuziehen, da sein Gewinn aus Gewerbebetrieb 5.200 EUR übersteige. Ein
landwirtschaftlicher Nebenbetrieb liege nicht vor, weil es an der Be- und Verarbeitung von Rohstoffen und
einer Verwendung der hierbei gewonnenen Erzeugnisse im eigenen Betrieb fehle. Hinzu komme, dass die
Photovoltaikanlage von der Tierzucht und den sonstigen landwirtschaftlichen Einrichtungen wirtschaftlich
nicht abhängig sei.
7 Der Kläger hat daraufhin am 28.09.2016 Klage erhoben und zugleich einen Antrag im Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Zwischen der Photovoltaikanlage und dem landwirtschaftlichen
Betrieb bestehe ein hinreichender Bezug. Er benötige Strom, um den Stall zu beleuchten. Würde der
landwirtschaftliche Betrieb aufgegeben, müssten die Gebäude entfernt werden und der Betrieb der
Photovoltaikanlage sei nicht mehr möglich. Jedenfalls aber müsse es ihm zugutekommen, dass er Mitglied
des Landwirtschaftsamtes Calw sei und diesem Gebühren bezahlen müsse. Auf die Höhe der an eine
Landwirtschaftskammer zu entrichtenden Beiträge komme es nicht an.
8 Der Kläger beantragt,
9
festzustellen, dass er kein Kammermitglied der Beklagten ist,
hilfsweise die Bescheide der Beklagten vom 19.02.2016 und vom 01.09.2016 aufzuheben.
10 Die Beklagte beantragt,
11 die Klage abzuweisen.
12 Die Einstufung als landwirtschaftlicher Nebenbetrieb setze voraus, dass die Verbindung zwischen dem
Haupt- und dem Nebenbetrieb landwirtschaftlicher Art sei, also regelmäßig die Verarbeitung oder
Verwertung der Erzeugnisse des Hauptbetriebes betreffe. Hieran fehle es im Fall der Photovoltaikanlage des
Klägers.
13 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Gericht vorliegende Akte der Beklagten sowie die im
Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
14 Die Beteiligten haben das Eilverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte erklärt
hat, die Beitreibung bis zur gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen. Das Gericht hat das
Eilverfahren daraufhin mit Beschluss vom 12.01.2017 (10 K 4889/16) eingestellt und dem Antragsteller die
Kosten des Verfahrens auferlegt.
15 Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung sowie mit einer
Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
A.
16 Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer
sowie ohne mündliche Verhandlung (§ 87a Abs. 2 und 3, § 101 Abs. 2 VwGO).
B.
17 Die zulässige Feststellungsklage ist unbegründet. Der Kläger ist Zugehöriger der beklagten Industrie- und
Handelskammer.
I.
18 Gemäß § 2 Abs. 1 IHKG gehören zur Industrie- und Handelskammer, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt
sind, natürliche Personen, Handelsgesellschaften, andere Personenmehrheiten und juristische Personen des
privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Bezirk der Industrie- und Handelskammer eine
Betriebsstätte unterhalten (Kammerzugehörige). Der Kläger ist hiernach ein Kammerzugehöriger der
Beklagten. Er ist eine natürliche Person, unterhält im Bezirk der Beklagten eine Betriebsstätte und wurde in
den vergangenen Jahren mit Blick auf seinen Gewinn von über 5.200 EUR/ Jahr, den er mit Hilfe der
Photovoltaikanlage erwirtschaftet, zur Gewerbesteuer veranlagt. Den Entscheidungen der Steuerbehörden
über die Veranlagung zur Gewerbesteuer kommt insoweit Tatbestandswirkung zu. Die Industrie- und
Handelskammern sind an die Festsetzung der Finanzverwaltung gebunden und können nicht in eine eigene
materielle Prüfung der Gewerbesteuerpflicht eintreten (VG Karlsruhe, Urteil vom 23.02.2016 - 1 K 537/13 -;
VG Magdeburg, Urteil vom 13.02.2012 - 3 A 355/10 -, juris Rn. 17; Jahn, in: Frentzel/Jäkel/Junge, IHKG, 7.
Auflage 2009, § 2 Rn. 41).
II.
19 Die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 IHKG kommt dem Kläger nicht zugute. Nach dieser Norm gilt Abs. 1
für natürliche Personen und Gesellschaften, welche ausschließlich einen freien Beruf ausüben oder welche
Land oder Forstwirtschaft oder ein damit verbundenes Nebengewerbe betreiben, nur, soweit sie in das
Handelsregister eingetragen sind. Der Kläger fällt nicht unter diese Ausnahmevorschrift. Denn er übt weder
einen freien Beruf aus, noch betreibt er ausschließlich Landwirtschaft oder ein damit verbundenes
Nebengewerbe.
20 Die Photovoltaikanlage auf dem Dach des Schafstalles stellt kein landwirtschaftliches Nebengewerbe dar.
Wann ein landwirtschaftliches Nebengewerbe im Sinne des § 2 Abs. 2 IHKG vorliegt, ist anhand der zu § 3
Abs. 3 HGB entwickelten Grundsätze zu beurteilen. Danach liegt ein landwirtschaftliches Nebengewerbe
vor, wenn es sich um ein besonderes Unternehmen neben dem land- und forstwirtschaftlichen Unternehmen
handelt (Merkmal der Selbständigkeit), der Inhaber identisch ist (Merkmal der Personenidentität) sowie eine
innere Verbundenheit zwischen beiden Unternehmen und eine Abhängigkeit des nebengewerblichen
Unternehmens von dem land- und forstwirtschaftlichen Hauptunternehmen besteht (Merkmal der
Verbundenheit und Abhängigkeit). Entscheidend ist die Verkehrsanschauung (OVG Niedersachsen, Urteil
vom 14.09.2016 - 8 LB 107/15 -, juris Rn. 28; OLG Köln, Urteil vom 27.08.1999 - 3 U 205/98 -, juris Rn. 9
ff.; Hopt, in: Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 37. Auflage 2016, § 3 Rn. 10; Emmerich, in: Horn,
Handelsgesetzbuch, 2. Auflage 1995, § 3 Rn. 17). Im Fall der Photovoltaikanlage des Klägers fehlt es
jedenfalls an der erforderlichen inneren Verbundenheit und der Abhängigkeit des Nebenbetriebes von dem
landwirtschaftlichen Hauptbetrieb.
21 Die erforderliche innere Verbundenheit und Abhängigkeit des Nebenbetriebes von dem landwirtschaftlichen
Hauptbetrieb liegt nur vor, wenn in dem Nebenbetrieb Erzeugnisse des Hauptbetriebes verwertet oder die
Zwecke des Hauptbetriebes auf andere Weise gefördert werden. Der Gegenstand des Nebenbetriebes muss
eine Beziehung zu dem Hauptbetrieb aufweisen (Roth, in: Koller/Roth/Morck, Handelsgesetzbuch, 8. Auflage
2015, § 3 Rn. 5; Kindler, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 2014, § 3 Rn. 18;
Emmerich, in: Horn, Handelsgesetzbuch, 2. Auflage 1995, § 3 Rn. 17; vgl. RG, Urteil vom 12.11.1930 - I
208/30 -, RGZ 130, 233, 235, juris). Dass sich die Landwirtschaft und das daneben betriebene Gewerbe
wirtschaftlich zweckmäßig ergänzen, reicht nicht (OVG Niedersachsen, Urteil vom 14.09.2016 - 8 LB 107/15
-, juris Rn. 31). Die Photovoltaikanlage ist von dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers hiernach nicht
abhängig im obigen Sinne. Weder verwertete sie Erzeugnisses des landwirtschaftlichen Betriebes, noch
fördert sie ihn auf andere Weise. Der Gegenstand des Nebenbetriebes - Erzeugung von Solarenergie - weist
keinerlei Beziehung zu dem Hauptbetrieb - Schafszucht - auf. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach eines
landwirtschaftlichen Betriebes ist kein mit dem landwirtschaftlichen Betrieb verbundenes Nebengewerbe im
Sinne des § 2 Abs. 2 IHKG, sofern der gewonnene Strom - wie hier - in das öffentliche Netz eingespeist wird
(vgl. Jahn, in: Frenzel/Jaeckel/Junge, Industrie- und Handelskammergesetz, 7. Auflage 2009, § 2 Rn. 106).
C.
22 Die hilfsweise erhobene Anfechtungsklage ist ebenfalls abzuweisen, da sie unbegründet ist. Der
Beitragsbescheid der Beklagten vom 19.02.2016 sowie der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom
01.09.2016 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23 Der Kläger ist - wie oben erörtert - Zugehöriger der beklagten Industrie- und Handelskammer. Die Höhe des
gegen den Kläger (vorläufig) festgesetzten Grundbeitrags ist nicht zu beanstanden.
24 1. Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung 2014 sind § 1 Abs. 1 und 2 der Beitragsordnung der Beklagten
vom 14.12.2005. Im Fall der festgesetzten Vorauszahlung für 2016 ist auf die - in den relevanten Bereichen
identische - Beitragsordnung vom 10.12.2014 abzustellen. § 1 Abs. 1 der Beitragsordnungen erlaubt es der
Beklagten, von den IHK-Zugehörigen Beiträge zu erheben, welche gemäß § 1 Abs. 2 der Beitragsordnungen
als Grundbeiträge und Umlage erhoben werden. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 4 der Beitragsordnungen i.V.m. Nr.
II.2.1 der Wirtschaftssatzungen der Beklagten für die Wirtschaftsjahre 2014 und 2016 beträgt der
Grundbeitrag für Kammerzugehörige, die nicht im Handelsregister eingetragen sind und deren
Gewerbebetrieb nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht
erfordert, im Falle eines Gewerbeertrages bis 25.000 EUR, hilfsweise eines entsprechenden Gewinns aus
Gewerbebetrieb, 55 EUR. Die Erhebung von Vorauszahlungen ist gemäß § 16 der Beitragsordnung vom
10.12.2014 zulässig. Die Voraussetzungen für eine Beitragsbefreiung nach Nr. II.1. der
Wirtschaftssatzungen liegen nicht vor, da der Gewinn des Klägers 5.200 EUR überschreitet.
25 2. Die sogenannte Zehntelregelung des § 3 Abs. 4 Satz 3 IHKG ist nicht zu Gunsten des Klägers
anzuwenden. Zwar wird nach dieser Norm bei der Veranlagung von Kammerzugehörigen, welche auf einem
im Bezirk der Industrie- und Handelskammer belegenen Grundstück Landwirtschaft betreiben, nur ein
Zehntel des Gewerbeertrages zu Grunde gelegt. Dies gilt nach dem Gesetzeswortlaut aber nur, wenn diese
Kammerzugehörigen „Beiträge für eine oder mehrere andere Kammern entrichten“. Die Anwendung der
Zehntelregelung im vorliegenden Fall setzte also voraus, dass der Kläger Beiträge zur
Landwirtschaftskammer entrichtete. Hieran fehlt es. In Baden-Württemberg gibt es keine
Landwirtschaftskammern (vgl. Frentzel/Jäkel/Junge, IHKG, 7. Auflage 2009, § 3 Rn. 106). Dem Einwand des
Klägers, er müsse dem Landwirtschaftsamt Calw Gebühren bezahlen, vermag der Berichterstatter nicht zu
folgen. Denn derartige Gebühren werden nur für Amtshandlungen erhoben. Eine Doppelbelastung mit
Kammerbeiträgen zweier verschiedener Kammern, vor der § 3 Abs. 4 Satz 3 IHKG schützen soll (vgl. OVG
Niedersachsen - Urteil vom 14.09.2016 - 8 LB 107/15 -, juris Rn. 54), liegt im Fall des Klägers gerade nicht
vor.
26 3. Sonstige Einwände gegen die Höhe des Kammerbeitrages wurden nicht geltend gemacht und drängen
sich dem Verwaltungsgericht auch nicht auf.
D.
27 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
28 Gründe, die eine Berufungszulassung durch das Verwaltungsgericht ermöglichen (§ 124a Abs. 1 Satz 1, §
124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO), sind nicht erkennbar.
29
Beschluss vom 02.03.2017
30 Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 165 EUR festgesetzt.
31
Gründe
32 Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG (vgl. Nr. 14.2 des Streitwertkatalogs 2013 für
die Verwaltungsgerichtsbarkeit (VBlBW 2014, Beilage zu Heft 1)).
33 Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und
5 GKG verwiesen.