Urteil des VG Karlsruhe vom 08.10.2010

VG Karlsruhe: grundstück, aufrechnung, grundbuch, zwangsvollstreckung, rechtssicherheit, eigentum, eigentümer, tauschvertrag, beitragspflicht, gestaltungsrecht

VG Karlsruhe Urteil vom 8.10.2010, 2 K 634/10
Vollstreckungsabwehrklage
Leitsätze
Eine Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i. V. m. § 767 ZPO ist unstatthaft und damit unzulässig, wenn der
Vollstreckungsabwehrkläger sich erfolglos mit einer Anfechtungs- und Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen einen Vorausleistungsbescheid gewehrt
hat.
Tenor
1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich im Wege der Klage gegen die Vollstreckung aus Vorausleistungsbescheiden.
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Mit zwei Bescheiden vom 12.11.2004 forderte die Beklagte Vorausleistungen für die Herstellung von Erschließungsanlagen.
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Der Bescheid mit dem Buchungszeichen 5.1686.400067.0 betrifft ein im Eigentum des Klägers stehendes Grundstück mit der Fl.St.Nr. ... der
Gemarkung ....
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Der Bescheid mit dem Buchungszeichen 5.1686.400068.8 betrifft seinerseits ein Grundstück mit der Fl.St.Nr. ...der gleichen Gemarkung. Dieses
Grundstück sollte laut notariellem Vertrag vom 23.01.1970 vom Grundstück Fl.St.Nr. ... abgetrennt und von der Beklagten erworben werden. In
der Folgezeit wurde aber weder die Auflassung erklärt noch die Beklagte als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
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Die Bescheide vom 12.11.2004 sind bestandskräftig, nachdem der Kläger gegen diese Bescheide nicht fristgerecht Klage erhoben hatte (vgl.
Urteil des VG Karlsruhe vom 21.07.2009, Az. 11 K 2937/08 und Beschlüsse des VGH Bad.-Württ. vom 20.10.2009, Az. 2 S 1948/09, und vom
17.12.2009, Az. 2 S 2602/09).
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Die Beklagte betreibt die Zwangsvollstreckung aus den bestandskräftigen Bescheiden, gegen die sich der Kläger im Wege der Klage, die er
zunächst vor dem Amtsgericht Pforzheim erhoben und die das Gericht mit Beschluss vom 19.11.2009 (AS 5) an das Verwaltungsgericht
Karlsruhe verwies hatte, wendet.
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Hierzu macht er geltend,
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dass der Erschließungsbeitragsbescheid nichtig sei, weil er sich hinsichtlich des Grundstücks Fl.St.Nr. ... gegen einen Nichteigentümer richte.
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Darüber hinaus rechne er mit einem Schadensersatzanspruch auf. So habe Ende der 1970er Jahre die Beklagte im Rahmen der
versorgungstechnischen Erschließung und beim Wiedereinfüllen der Baugrube eine westliche Natursteinmauer schwer beschädigt. Hieraus
stünde ihm Schadensersatz in Höhe von mindestens 24 744,86 EUR zu.
10 Der Kläger beantragt,
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die Zwangsvollstreckung aus den Bescheiden der Beklagten vom 12.11.2004 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom
27.08.2008 wird für unzulässig erklärt.
12 Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
14 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze, Anlagen und beigezogenen Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe
15 Die Klage ist unzulässig.
16 Die vom Kläger erhobene Vollstreckungsabwehrklage ist nicht statthaft. Gegen die bestandskräftigen Bescheide der Beklagten, aus denen sie
vollstreckt, findet ein weiterer gerichtlicher Rechtsbehelf nicht statt.
17 Mit der Verweisnorm des § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO in das achte Buch der Zivilprozessordnung (ZPO) ist der Rückgriff auf die Vorschriften der ZPO
über das Vollstreckungsverfahren grundsätzlich eröffnet. § 167 ZPO steht aber unter dem Vorbehalt, dass sich aus der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht anderes ergibt. So liegt der Fall aber hier, denn dem Kläger waren Rechtsbehelfe in Form der
Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO) und der Nichtigkeitsfeststellungsklage (§ 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO) eröffnet. Von beiden hat er –
wenngleich erfolglos – Gebrauch gemacht. Eine Vollstreckungsabwehrklage gegen die unanfechtbaren Grundverwaltungsakte, also die
Erschließungsbeitragsbescheide, scheidet daher aus (vgl. zum Streitstand auch Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010; Kopp/Schenke,
VwGO, 16. Aufl. 2009, § 167, Rn. 18; Verwaltungsgericht des Saarlandes, Gerichtsbescheid vom 19.01.2009, Az. 11 K 1177/08, juris, dort Rn. 16
m. w. N.).
18 Selbst wenn zugunsten des Klägers von der Statthaftigkeit der Vollstreckungsabwehrklage analog § 767 ZPO und damit von der Zulässigkeit
seiner Klage insgesamt ausgegangen wird, wäre sie unbegründet.
19 Einwendungen können nach § 767 Abs. 2 ZPO zulässigerweise nur insoweit geltend gemacht werden, als die Gründe, auf denen sie beruhen,
erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes spätestens hätten geltend
gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können.
20 Der vom Kläger vertretene Einwand, nicht er, sondern die Beklagte sei Eigentümerin zumindest des Grundstücks mit der Fl.St.Nr. ..., hätte
demnach im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Erschließungsbeitragsbescheide geltend gemacht werden müssen. Dies umso mehr, als der
Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, dass zumindest ihm die vertragliche und besitzrechtliche Situation bei Erlass der streitigen
Bescheide bekannt war. Hinsichtlich dieses Einwands wird im Übrigen nochmals betont, dass es nicht auf den im streitigen Tauschvertrag
enthaltenen Passus ankommt, dass mit der Übergabe der Tauschflächen auch der Übergang von Nutzen und Lasten sofort erfolgt (§ 4 des
Tauschvertrags). Dieser vertragliche Passus befasst sich nur mit der tatsächlichen, also der besitzrechtlichen Situation am Grundstück. Hiervon
unberührt bleibt die eigentumsrechtliche Lage: das Eigentum geht nicht bereits mit Abschluss des notariellen Vertrags über, sondern begründet
nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung des Eigentums. Der Eigentumswechsel vollzieht sich erst im Zeitpunkt des
Zusammentreffens von Auflassung und Eintragung im Grundbuch (§§ 873, 925 BGB). Eine Auflassung wurde aber gerade nicht erklärt. Die
Stellung als Eigentümer ist aber Anknüpfungspunkt für die Beitragspflicht (§§ 134 BauGB, 21 Abs. 1 S. 1 KAG).
21 Soweit der Kläger darüber hinaus die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch erklärt, ist er ebenfalls nach § 767 Abs. 2 ZPO
präkludiert; das Verfahren musste über diese rechtswegfremde Forderung daher nicht ausgesetzt werden.
22 In Bezug auf die Aufrechnung vertritt die ständige höchstrichterliche zivilrechtliche Rechtsprechung, dass ein selbständiges Gestaltungsrecht wie
die Aufrechnung nach § 387 BGB, das zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung bestand, aber erst nach Schluss der mündlichen
Verhandlung ausgeübt wird, nicht mehr im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht werden kann (vgl. BGHZ 100, 222, 224).
Dieser Auffassung schließt sich das Gericht an. Die durch die Bestandskraft der Beitragsbescheide vermittelte Rechtssicherheit genießt Vorrang
vor dem Grundsatz der absoluten materiellen Gerechtigkeit. Demnach hätte die Aufrechnung spätestens im Laufe der Rechtsbehelfsverfahren
gegen die Erschließungsbeitragsbescheide ausgeübt werden müssen. Mit deren Bestandskraft ist dem Kläger aber ihr Einwand zugunsten der
Rechtssicherheit abgeschnitten.
23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 ZPO.
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Beschluss
25 Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG unter Anlehnung an § 6 ZPO für die Zeit ab Erhebung der Klage auf 811,74 EUR, für die Zeit ab
Erweiterung der Klage (AS 69) auf 20.623,27 EUR festgesetzt.
26 Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.