Urteil des VG Karlsruhe vom 28.04.2009

VG Karlsruhe (treu und glauben, genehmigung, antrag, zeitpunkt, verwirkung, linie, kenntnis, gesetzliche frist, anhörung, bewerber)

VG Karlsruhe Urteil vom 28.4.2009, 5 K 424/07
Erteilung einer Linienverkehrsgenehmigung bei mehreren Bewerbern
Leitsätze
Zur Frage der Verwirkung des Widerspruchsrechts gegen die einem Konkurrenten erteilte
Linienverkehrsgenehmigung (hier verneint)
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom
15.08.2006, der der Beigeladenen erteilten Genehmigungsbescheide vom 30.03.2006 für die Linien 710, 715, 716
und 717 sowie des Widerspruchbescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 11.12.2006 verpflichtet, über
den Antrag der Klägerin vom 17.05.2006 bzgl. der Linienverkehrsgenehmigungen für die Linien 710, 715, 716 und
717 und den auf dieselben Linienverkehrsgenehmigungen gerichteten Antrag der Beigeladenen erneut zu
entscheiden.
2. Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Klägerin
jeweils zur Hälfte. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen der Beklagte und die Beigeladene jeweils selbst.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen der Beigeladenen erteilte Linienverkehrsgenehmigungen.
2
Die Klägerin und die Beigeladene erbringen Dienstleistungen im Bereich der Personenbeförderung. Sie streiten
um die Zulassung eines Linienverkehrs mit Kraftfahrzeugen auf folgenden Strecken des Verkehrsverbunds …:
… (Linie 710); … (Linie 715); … - (Linie 716); … - (Linie 717) .
3
Der Beigeladenen waren für diese Linien jeweils bis zum 31.05.2006 befristete Linienverkehrsgenehmigungen
erteilt worden. Unter dem 31.01.2006 beantragte sie die Wiedererteilung der Genehmigungen. Das Landratsamt
Rhein-Neckar-Kreis führte ein Anhörungsverfahren durch. Ob auch die Klägerin angehört wurde, ist streitig.
4
Mit Bescheiden vom 30.03.2006 erteilte das Regierungspräsidium Karlsruhe der Beigeladenen die
Genehmigungen bis zum 10.12.2011; die Bescheide wurden der Beigeladenen zwischen dem 04.04. und dem
18.04.2006 zugestellt.
5
Mit Schreiben vom 17.05.2006 beantragte die Klägerin die Erteilung der Linienverkehrsgenehmigungen für
dieselben Linien ab dem 01.06.2006.
6
Mit Bescheid vom 15.08.2006 lehnte das Regierungspräsidium Karlsruhe diese Anträge mit im Wesentlichen
folgender Begründung ab: Nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG sei eine Genehmigung zu versagen, wenn die
öffentlichen Verkehrsinteressen beeinträchtigt würden. Dies sei nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 a PBefG insbesondere
der Fall, wenn der Verkehr mit den vorhandenen Verkehrsmitteln befriedigend bedient werden könne. Der
bisherigen Genehmigungsinhaberin, der Beigeladenen, seien bereits mit Bescheiden vom 30.03.2006
Genehmigungen für den Weiterbetrieb der o.g. Linienverkehre ab dem 01.06.2006 erteilt und die
Genehmigungsurkunden nach Bestandskraft der Entscheidungen ausgehändigt worden. Vor der Entscheidung
über die Anträge sei vom Landratsamt … im Auftrag des Regierungspräsidiums das Anhörungsverfahren nach
§ 14 PBefG durchgeführt worden. Nach den Anhörungsunterlagen des … sei auch die Klägerin am 27.02.2006
gehört worden. Spätestens im Rahmen dieser Anhörung hätte die Klägerin erkennen müssen, dass die
Linienverkehre zur Wiedererteilung anstünden. Gerade deswegen und insbesondere im Hinblick auf die
gesetzliche Frist der Genehmigungsfiktion des § 15 Abs. 1 PBefG hätte die Klägerin zeitnah einen eigenen
Antrag stellen können. Darüber hinaus sei ihr seit längerem bekannt gewesen, dass die streitgegenständlichen
Linien zum 01.06.2006 neu zu genehmigen waren. Sie habe ebenfalls gewusst, dass etwaige
Genehmigungsanträge rechtzeitig vor dem 01.06.2006 zu stellen seien. Dies gelte umso mehr, als sie bereits
mit Schreiben vom 12.10.2005 gegenüber dem … als Aufgabenträger ihre Absicht kund getan habe, sich u.a.
um diese Linien zu bewerben. Ihre Anträge vom 17.05.2006 habe sie zu einem Zeitpunkt gestellt, zu dem
bereits bestandskräftig über den Weiterbetrieb der Linien entschieden gewesen, die Linienverkehre
entsprechend gefahren worden und damit das Verkehrsbedürfnis auf diesen Strecken bereits befriedigend
bedient worden sei. Wegen des Verbots der Doppelbedienung könne während der Geltungsdauer der einem
Unternehmer erteilten Liniengenehmigung einem anderen Bewerber in der Regel eine entsprechende
Genehmigung nicht erteilt werden. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Genehmigungen der Klägerin
gegenüber bereits bestandskräftig geworden seien. Es sei bereits verwaltungstechnisch ausgeschlossen, dass
allen potentiellen Interessenten jede Genehmigung zugestellt werde, um durch Ablauf der Widerspruchsfrist
eine förmliche, vollumfängliche Bestandskraft herbeizuführen. Der Genehmigungsinhaber habe jedoch ein
berechtigtes Interesse daran, bei Inbetriebnahme eines Linienverkehrs im Hinblick auf die damit verbundenen
Investitionen darauf vertrauen zu dürfen, dass kein konkurrierender Parallelverkehr genehmigt werde. Etwaige
Konkurrenten müssten deshalb bei Auslaufen der Genehmigung im eigenen Interesse so rechtzeitig
Genehmigungsanträge stellen, dass ein etwaiger Konkurrenzantrag nicht bereits beschieden sei. Sie könnten
nicht darauf spekulieren, dass sie eine bereits erteilte Genehmigung nachträglich durch Drittwiderspruch zu Fall
bringen könnten, um das Parallelbedienungsverbot zu umgehen.
7
Die Klägerin legte mit am 29.08.2006 beim Beklagten eingegangenem Schreiben sowohl gegen den
Ablehnungsbescheid als auch gegen die der Beigeladenen für die Linien 710, 715, 716 und 717 erteilten
Linienverkehrsgenehmigungen vom 30.03.2006 Widerspruch ein, den sie wie folgt begründete: Es fehle an
einer vom Regierungspräsidium bei konkurrierenden Anträgen zu treffenden Auswahlentscheidung. Die der
Beigeladenen erteilten Linienverkehrsgenehmigungen seien nicht bestandskräftig. Sie seien weder öffentlich
bekannt gemacht noch an sie als Wettbewerberin bekannt gegeben worden. Entsprechend des von ihr
signalisierten Interesses hätte das Regierungspräsidium wissen müssen, dass sie ein in Betracht zu ziehender
Wettbewerber sei. Ein Fall der Verwirkung aufgrund des sicheren Wissens über eine Wiedererteilung liege nicht
vor. Sie hätte auch nicht aufgrund einer Anhörung nach § 14 PBefG von einer Wiedererteilung wissen müssen.
Sie sei nicht angehört worden. Zum anderen erfülle die Anhörung nicht den Zweck, Wettbewerber über
beabsichtigte Konkurrenzangebote zu informieren. Trotz Nachfrage habe das Regierungspräsidium keine
allgemeine Antragsfrist bekannt gegeben oder sonstige Vorkehrungen für ein geordnetes Verfahren bei
Antragskonkurrenz im Genehmigungswettbewerb getroffen. Ihre Anfragen vom 12.10.2005, 21.11.2005 und
08.02.2006 seien unbeantwortet geblieben. Im übrigen sei der Antrag der Beigeladenen wegen der unter
Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht (Art. 87 EG, VO EWG Nr. 1191/69) und gegen Art. 12 GG erfolgenden
einseitigen Subventionierung der Beigeladenen durch die Stadt Schwetzingen (Zuschuss für Stadtbus
Schwetzingen in Höhe von 300.000 EUR pro Jahr) nicht genehmigungsfähig.
8
Das Regierungspräsidium Karlsruhe wies die Widersprüche mit der Klägerin am 14.12.2006 zugestelltem
Widerspruchsbescheid vom 11.12.2006 zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Der
Widerspruch gegen die der Beigeladenen mit Bescheiden vom 30.03.2006 erteilten Genehmigungen sei
unzulässig. Die Linienverkehrsgenehmigung sei ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung. Als übergangener
Bewerber sei die Klägerin widerspruchsberechtigt. Jedoch habe sie ihr Widerspruchsrecht zum Zeitpunkt der
Erhebung des Widerspruchs verwirkt gehabt. Ein Recht dürfe nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der
Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen sei und besondere Umstände hinzuträten, die die
verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließen. Das sei insbesondere der
Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf habe vertrauen
dürfen, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde, der Verpflichtete ferner
tatsächlich darauf vertraut habe, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde, und sich in Folge dessen in
seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet habe, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des
Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Die Behauptung der Klägerin, ein Schreiben des
Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis, mit dem sie gemäß § 14 PBefG gehört worden sei, sei ihr nicht
zugegangen, stelle eine reine Schutzbehauptung dar. Indiz dafür, dass die Klägerin angehört worden sei, sei
ein Schreiben mit Datum des 10.07.2006 an die Stadt …, in dem es u. a. heiße: „Die vom Regierungspräsidium
für das Bestandsunternehmen … erteilten Genehmigungen (… hatte bis 2014 beantragt) sind aufgrund unseres
laufenden Antrags noch nicht bestandskräftig!". Dieses Schreiben belege, dass die Klägerin bereits vor Erhalt
des Bescheids des Regierungspräsidiums vom 15.08.2006 über Detailinformationen aus den
Genehmigungsanträgen der Beigeladenen verfügt habe, insbesondere zur beantragten Laufzeit. Diese Kenntnis
habe sie nur im Rahmen der Anhörung durch das Landratsamt … erlangt haben können. Die Klägerin hätte ab
Mitte April 2006 zuverlässig Kenntnis von der der Beigeladenen erteilten Genehmigung erlangen können.
Aufgrund der Anhörung sei ihr daher bekannt gewesen, dass das Regierungspräsidium nach § 15 Abs. 2
PBefG verpflichtet gewesen sei, spätestens bis zum 11.04.2006 eine Entscheidung zu treffen. Da sie sich zu
dem Antrag nicht geäußert habe, sei ihr die Entscheidung zwar nicht zugestellt worden. Die auch ihr bekannten
gesetzlichen Entscheidungsfristen hätten für sie jedoch Anlass sein müssen, beim Regierungspräsidium
nachzufragen, ob und ggf. wie dort entschieden worden sei. Die Beigeladene habe zum Zeitpunkt der
Widerspruchserhebung im August 2006 darauf vertrauen dürfen, dass die ihr erteilten
Linienverkehrsgenehmigungen nicht mehr mit Rechtsbehelfen angegriffen würden. Insoweit sei ihr Vertrauen
mit Blick auf die von ihr getätigten Investitionen geschützt. Da die Klägerin den Antrag so kurz vor Ablauf der
zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Genehmigungen gestellt habe, habe sie nicht mehr davon ausgehen
dürfen, das Regierungspräsidium sei angesichts der nach dem Personenbeförderungsgesetz durchzuführenden
Verfahrensschritte in der Lage, rechtzeitig darüber zu entscheiden. Dies lasse den Schluss zu, dass es der
Klägerin darauf angekommen sei, das Verfahren zu verzögern und die Bestandskraft der erteilten
Genehmigung mutwillig im Nachhinein zu „torpedieren“. Soweit sich der Widerspruch gegen die Ablehnung der
Anträge auf Erteilung einer Linienverkehrsgenehmigung richte, sei er ebenfalls unzulässig, weil der Klägerin
das Widerspruchsinteresse fehle. Da der Widerspruch gegen die der Beigeladenen erteilten
Linienverkehrsgenehmigungen unzulässig sei, seien diese bestandskräftig. Da eine mehreren Unternehmen für
denselben Verkehr parallel zueinander erteilte Linienverkehrsgenehmigung öffentliche Verkehrsinteressen
beeinträchtigen würde, könnte der Klägerin selbst im Fall ihres Obsiegens keine Linienverkehrsgenehmigung
für die hier streitigen Linien erteilt werden.
9
Die Klägerin hat am 12.01.2007 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt: Die
streitgegenständlichen Linienverkehrsgenehmigungen seien ihr gegenüber mangels Zustellung nicht in
Bestandskraft erwachsen; ihr Widerspruch sei nicht verwirkt. Da es sich bei dem hier vorliegenden
Genehmigungswettbewerb um eine „Ausschreibung im weiteren Sinne" handele, hätte der Beklagte alles
Mögliche unternehmen müssen, um die geforderte Transparenz und Diskriminierungsfreiheit zu gewährleisten;
er hätte sich binden und entsprechende Fristen festlegen müssen. Sie habe das beklagte Land mit Schreiben
vom 12.10.2005, 21.11.2005 und 01.12.2005 vergeblich ersucht, verfahrensleitende Fristen festzulegen. Der
hier in Betracht zu ziehende Zeitraum von nicht einmal einem halben Jahr rechtfertige keine Verwirkung.
Darüber hinaus verlange die Rechtsprechung stets, dass der Widerspruchsführer sichere Kenntnis von dem
den Dritten begünstigenden Bescheid erlangt habe oder hätte erlangen können. Mangels Zustellung habe sie
keine Kenntnis von dem Bescheid erlangt. Sie habe aber auch keine Kenntnis erlangen können, da ein Aufruf
zum Wettbewerb mit Bewerbungsfristen unterblieben sei und auf ihre wiederholten Anfragen keine
Bewerbungsfristen genannt worden seien. Daher habe sie davon ausgehen dürfen, dass eine Bewerbung bis
zum Inkrafttreten der neuen Genehmigung ohne weiteres möglich sei, zumal eine vorübergehende
Verkehrsbedienung auch mittels einstweiliger Erlaubnis gemäß § 20 PBefG sichergestellt werden könne. Sie
habe auch nicht durch das Anhörverfahren nach § 14 PBefG Kenntnis von einer bevorstehenden
Genehmigungserteilung gehabt. Dass die Beigeladene eine Genehmigung auf 8 Jahre beantragt hatte und
diese auch erteilt worden sei, habe sie zufällig aus Gesprächen mit Gemeindevertretern erfahren; dies sei
Anlass für den eigenen Antrag gewesen. Sie hätte auch aus anderen Umständen nicht von der Entscheidung
wissen müssen. Die Weiterführung eines Verkehrs bedeute nicht automatisch, dass bereits eine Genehmigung
erteilt worden sei, da dies auch bei einer einstweiligen Erlaubnis möglich sei. Auch der Widerspruch gegen die
Ablehnung der Anträge sei zulässig. Dieser ziele auf die gleichzeitige Aufhebung der ablehnenden Bescheide
und Neuentscheidung über die Anträge, so dass einer Neuentscheidung keine „bestandskräftige" Entscheidung
entgegenstehe. Der Beklagte habe keine - erforderliche - Auswahlentscheidung getroffen. Sie wolle keineswegs
durch das nachträgliche Stellen von Anträgen oder Widersprüchen ordnungsgemäße Verfahren des Beklagten
beeinträchtigen oder gar verhindern. Vielmehr sei es so, dass der Beklagte durch die jahrelange Vorenthaltung
von Informationen und durch die Weigerung, für ordnungsgemäße Verfahrensabläufe zu sorgen, es ihr erheblich
erschwert habe, überhaupt in den Markt des Öffentlichen Personenverkehrs einzusteigen.
10 Die Klägerin beantragt,
11
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom
15.08.2006, der der Beigeladenen erteilten Genehmigungsbescheide vom 30.03.2006 für die Linien 710,
715, 716 und 717 sowie des Widerspruchbescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 11.12.2006
zu verpflichten, über ihren Antrag vom 17.05.2006 bzgl. der Linienverkehrsgenehmigungen für die Linien
710, 715, 716 und 717 und den auf dieselben Linienverkehrsgenehmigungen gerichteten Antrag der
Beigeladenen erneut zu entscheiden.
12 Der Beklagte beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14 Ergänzend trägt er vor: Das Personenbeförderungsgesetz setze für die Abgabe von Anträgen keine Fristen.
Vielmehr bleibe es dem jeweils interessierten Unternehmer überlassen, sich selbst darüber zu informieren,
wann ein öffentliches Verkehrsinteresse die Stellung eines Genehmigungsantrags angezeigt erscheinen lasse.
Diesbezüglich habe dieser zwar gewisse Informationsansprüche gegenüber der Behörde, insbesondere darüber,
wann bereits genehmigte Linienverkehrsgenehmigungen ausliefen. Der Unternehmer dürfe sich aber nicht
darauf verlassen, durch den Staat auf potenzielle Erwerbsmöglichkeiten „gestoßen" zu werden. Zweifel an der
Ernsthaftigkeit der Absichten der Kläger ergäben sich daraus, dass die Klägerin im Wissen, dass die
bisherigen Genehmigungen mit dem 31.05.2006 abliefen, ihren Antrag erst am 17.05.2006 gestellt habe, zu
einem Zeitpunkt also, zu dem sie nicht mehr habe annehmen können, dass eine sachgerechte Bearbeitung
noch innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit möglich gewesen wäre. Das Institut der Verwirkung sei
Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben. Es besage, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden
dürfe, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen sei und besondere Umstände
hinzuträten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließen. Die
Frage, wann im Sinne einer Verwirkung eine „längere Zeit" verstrichen sei, beantworte sich nach den
Umständen des Einzelfalles und liege hier bei einem Zeitraum von dreieinhalb bis vier Monaten. Die von der
Klägerin vertretene Auffassung, die Genehmigungsbehörde sei nicht verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass
möglichst zeitgleich mit Ablauf einer bestehenden Linienverkehrsgenehmigung eine neue Genehmigung erfolge,
finde keine Stütze im Gesetz. Es stehe nicht im freien Ermessen der Behörde, sich zwischen einer
Genehmigung nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, §§ 13, 42 PBefG einerseits und einer einstweiligen Erlaubnis nach § 20
PBefG andererseits zu entscheiden. Abgesehen davon habe es nicht in der Hand der Genehmigungsbehörde
gelegen, die Entscheidung über den von der Beigeladenen am 20.01.2006 gestellten Antrag grundlos zu
verzögern. Dem habe schon die Fiktionsregelung des § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG entgegen gestanden. Die
Voraussetzungen für eine Verlängerung der Entscheidungsfrist hätten nicht vorgelegen. Die Klägerin habe nach
ihrem eigenen Vortrag spätestens Anfang Mai 2006 Kenntnis von der der Beigeladenen erteilten Genehmigung
erlangt gehabt. Sie habe dann zwar einen eigenen Antrag gestellt, es aber unterlassen, gegen die der
Beigeladenen erteilte Genehmigung Rechtsbehelfe zu ergreifen. Hierdurch habe sie entweder den Rechtsschein
gesetzt, gegen die Genehmigung der Beigeladenen nicht vorgehen zu wollen, oder es sei ihr daran gelegen
gewesen, zunächst bewusst untätig zu bleiben, um zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt bei passender
Gelegenheit die bereits ins Werk gesetzte Genehmigung nachträglich zu „torpedieren“. Die Beigeladene habe
sich aufgrund des Verhaltens der Klägerin in ihren Dispositionen so eingerichtet, dass ihr durch die verspätete
Durchsetzung eines Rechts ein der Klägerin unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Der Widerspruch gegen
die Ablehnung der Anträge auf Erteilung der Linienverkehrsgenehmigungen sei ebenfalls unzulässig.
15 Die Beigeladene beantragt,
16
die Klage abzuweisen.
17 Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen des Beklagten und bemerkt ergänzend: Entgegen der
Auffassung der Klägerin habe der Beklagte keine Auswahlentscheidung treffen müssen, da auch im Zeitpunkt
der Widerspruchsentscheidung kein die Notwendigkeit einer Auswahlentscheidung begründender
konkurrierender Antrag vorgelegen habe. Die Klägerin habe ihren Antrag vom 17.05.2006 verspätet gestellt,
zumindest sei dieser Antrag als rechtsmissbräuchlich und damit unerheblich zu behandeln. Wenn sich die
Klägerin auf die Verwaltungspraxis in anderen Bundesländern beziehe, dann sei ihr auch bekannt gewesen,
dass die von ihr herangezogenen Verfahrensregelungen jeweils Fristen nennen, innerhalb deren beabsichtigte
Anträge zu stellen seien, wenn sie berücksichtigt werden sollten. Wenn die Klägerin vor diesem Hintergrund
ihren konkurrierenden Linienantrag erst in der zweiten Hälfte des Monats Mai 2006 gestellt habe, dann hätte sie
in Kenntnis der auch im Übrigen von dem Beklagten geübten Verwaltungspraxis davon ausgehen müssen,
dass über einen zu erwartenden Antrag des bisherigen Genehmigungsinhabers auf Wiedererteilung der
Liniengenehmigungen bereits entschieden gewesen sei. Im Übrigen sei der Antrag vom 17.05.2006
unvollständig, da der darin angekündigte Nachweis über die finanzielle Leistungsfähigkeit und die Auskunft aus
dem Gewerbezentralregister bislang nicht vorgelegt worden seien.
18 Der Kammer liegen folgende Akten des Regierungspräsidiums vor: Genehmigungsverfahren der Beigeladenen
(4 Hefte), Genehmigungsverfahren der Klägerin (3 Hefte) - sowie die Akte Verkehrswesen -
Genehmigungswettbewerb - AZ.: …). Des weiteren wurden die Akten des …, betreffend die
streitgegenständlichen Linien (3 Hefte) beigezogen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird
auf den Inhalt dieser Akten sowie der im vorliegenden Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
19 Die Klage auf Aufhebung der mit Bescheiden des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 30.03.2006 für die
Linien 710, 715, 716 und 717 erteilten Linienverkehrsgenehmigungen an die Beigeladen ist zulässig
(1.)
begründet
(2.)
20
1.
VwGO klagebefugt (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.04.2000 - 3 C 6.99 - DVBl 2000, 1614; Urt. d. Kammer v.
14.01.2003 - 5 K 1141/02 -, Beschl. d. Kammer v. 03.08.2004 - 5 K 1417/04 - m. w. N.; Urt. d. Kammer v.
05.09.2006 - 5 K 1367/05 -). Diese Rechtsposition steht auch einer Kommanditgesellschaft zu (Urt. d. Kammer
v. 14.01.2003, a.a.O.). Als inländische Personengesellschaft kann sich die Klägerin zumindest entsprechend
Art. 19 Abs. 3 GG hinsichtlich der von ihr angestrebten Erwerbstätigkeit auf die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs.
1 GG berufen (vgl. BVerwG, Urt., v. 02.07.2003 - 3 C 46.02- NVwZ 2003, 1114).
21 Der Widerspruch der Klägerin gegen die der Beigeladenen erteilten Genehmigungen war entgegen der
Auffassung des Beklagten zulässig. Insbesondere kann der Klägerin nicht entgegen gehalten werden, dass ihr
Widerspruch nicht innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 70 Abs. 1 VwGO) beim
Regierungspräsidium eingegangen sei. Die Genehmigungen wurden nämlich lediglich der Beigeladenen
gegenüber mit deren Bekanntgabe (§ 41 Abs. 1 VwVfG) wirksam, nicht jedoch gegenüber der Klägerin. Die
Bekanntgabe eines Verwaltungsakts an den Begünstigten genügt bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung nicht
(Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. § 70 RN 6g). Dies hat zur Folge, dass gegenüber der Klägerin der Lauf der
Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt wurde und ein Widerspruch hiergegen grundsätzlich unbefristet
erhoben werden konnte.
22 Entgegen der Auffassung des Beklagten hatte die Klägerin das Widerspruchsrecht nicht deshalb verloren, weil
seine Ausübung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwirkt wäre.
23 Eine zeitliche Einschränkung für die Einlegung von Rechtsbehelfen in Fällen der mangelnden Bekanntgabe
eines Verwaltungsakts kann sich zwar aus dem Rechtsinstitut der Verwirkung ergeben, das eine spezielle
Ausprägung des auch im Prozessrechts geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben ist. Die Verwirkung
bildet einen Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens. Ein Recht darf nicht mehr ausgeübt
werden, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände
hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen
(BVerwG, Beschl. v. 11.01.2006 - 7 B 70.05 - juris). Eine Verwirkung des Widerspruchsrechts ist dann
anzunehmen, wenn die spätere Einlegung des Widerspruchs gegen Treu und Glauben und gegen das
öffentliche Interesse am Rechtsfrieden verstößt, insbesondere weil der Widerspruchsführer, obwohl er von dem
maßgeblichen Sachverhalt bereits längere Zeit Kenntnis hatte oder hätte haben müssen, erst zu einem
Zeitpunkt Widerspruch einlegt, in dem der Widerspruchsgegner oder ein betroffener Dritter schon darauf
vertrauen durfte, dass kein Widerspruch mehr eingelegt wird.
24 Die Frist zur Einlegung des Widerspruchs richtet sich in der Regel vom Zeitpunkt der zuverlässigen
Kenntniserlangung an regelmäßig nach den Fristvorschriften der §§ 70 Abs. 1 und 58 Abs. 2 VwGO, sodass
dem Drittbetroffenen, sofern ihm - wie fast immer - mit der anderweitigen Kenntniserlangung von der
Genehmigung nicht zugleich eine amtliche Rechtsmittelbelehrung erteilt wird, seinen Widerspruch regelmäßig
innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO einlegen muss (Kopp/Schenke a.a.O., § 70 RN 6h, § 74 RN
20; für den baurechtlichen Nachbarwiderspruch: BVerwG, Urt. v. 25.01.1974 - IV C 2.72 -, BVerwGE 44, 294).
Daher wird schutzwürdiges Vertrauen im Allgemeinen erst nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist entstehen können.
Die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO ist hier jedoch bei weitem unterschritten.
25 Umstände, aus denen sich gleichwohl herleiten ließe, die Klägerin habe schon vorher ihr Widerspruchsrecht
verwirkt gehabt, liegen nicht vor. Zu den Voraussetzungen der Verwirkung eines Rechts gehört - neben dem
Zeitablauf - auch der Aspekt des Vertrauensschutzes.
26 Ein Recht ist insbesondere dann verwirkt, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des
Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen
werde, der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde, und
sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die
verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BVerwG, Urt. v. 11.01.2006
- 7 B 70.05 - Juris).
27 Davon, dass die Klägerin einen - für die Widerspruchseinlegung schädlichen - Zeitablauf hat verstreichen
lassen, kann nicht die Rede sein. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 17.05.2006 - eingegangen beim
Regierungspräsidium am 22.05.2006 - Anträge auf Erteilung der Linienverkehrsgenehmigungen für die streitigen
Linien gestellt. Damit hatte sie noch nicht einmal zwei Monate nach der Erteilung der Genehmigungen an die
Beigeladene - die Genehmigung für die Linie 717 wurde der Beigeladenen gar erst am 18.04.2008 zugestellt -
einen Sachverhalt geschaffen, aufgrund dessen das Regierungspräsidium davon ausgehen konnte, dass sie
mit einer Vergabe der Linienverkehrsgenehmigungen an die Beigeladene nicht einverstanden sein würde. Einen
förmlichen Widerspruch hat sie sodann innerhalb der für den ihr am 17.08.2006 zugestellten
Ablehnungsbescheid geltenden Rechtsbehelfsfrist eingelegt.
28 Abgesehen davon, dass es bereits an dem für die Annahme einer Verwirkung notwendigen Element eines
hinreichenden Zeitablaufs fehlt, hat die Klägerin auch nicht durch ihr Verhalten einen Umstand begründet, der
ein schutzwürdiges Vertrauen sowohl des Beklagten als auch der Beigeladenen darauf begründet haben
könnte, dass die streitigen Linienverkehrsgenehmigungen in Bestandskraft erwachsen waren. Einen
Vertrauenstatbestand dergestalt, dass sie anderweitig erteilte Linienverkehrsgenehmigungen, für welche sie
bereits erkennbar Interesse angemeldet hatte, nicht anfechten würde, hat die Klägerin nicht geschaffen.
29 Demgegenüber bestanden für den Beklagten sogar Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die Erteilung der
Genehmigungen an die Beigeladene nicht hinnehmen würde. Zum einen hatte die Klägerin mit Schreiben vom
19.10.2005 ihr Interesse an der Vergabe u.a. der auslaufenden streitgegenständlichen
Linienverkehrsgenehmigung bekundet. Zugleich hatte sie um Mitteilung gebeten, bis zu welchem Zeitpunkt die
Genehmigungsanträge angenommen würden, ob eine Ausschlussfrist gesetzt werde und ob die
Bewertungskriterien für den Genehmigungswettbewerb bekannt gegeben würden. Erst nach mehrmaliger Bitte
um Beantwortung des Schreibens äußerte sich das Regierungspräsidium unter dem 13.02.2006 und vertrat die
Auffassung, dass der Klägerin weitergehende Ansprüche als die Mitteilung des Enddatums von
Genehmigungen und des Streckenverlaufs nicht zustünden. Eine Aussage, bis wann es über die Erteilung der
Genehmigungen entscheiden wird, hat es nicht getroffen. Zum anderen war es dem Regierungspräsidium aus
zahlreichen beim erkennenden Gericht geführten Verfahren (…, …, …, …) bekannt, dass die Klägerin bzw. ihre
Rechtsvorgängerin seit Jahren versucht, in den Wettbewerb bei der Vergabe von …-Linien einzutreten.
Nachdem die Klägerin unter dem 17.05.2006 die Erteilung der Genehmigungen für die streitgegenständlichen
Linien beantragt hatte, konnte das Regierungspräsidium daher davon ausgehen, dass sie auch die der
Beigeladenen erteilten Linienverkehrsgenehmigungen anfechten wird.
30 Angesichts dieser „Vorgeschichte“ vermag der Beklagte der Klägerin auch nicht entgegenzuhalten, dass diese
ihre Anträge erst kurz vor Ablauf der alten Linienverkehrsgenehmigungen mit Schreiben vom 17.05.2006 und -
nach seiner Auffassung - nicht mehr „rechtzeitig“ gestellt habe. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die
kurzfristige Bewerbung der Klägerin - wie vom Beigeladenen geltend gemacht - nicht ernst gemeint war, hat der
Beklagte nicht genannt. Allein aus der zeitlichen Nähe zum Ablauf der alten Linienverkehrsgenehmigungen und
der verfahrensbedingten Dauer eines Genehmigungsverfahrens folgen solche, gerade auch mit Blick auf die
Möglichkeit der Erteilung einer einstweiligen Erlaubnis gem. § 20 PBefG, nicht. Aus der vom Beklagten in der
mündlichen Verhandlung vorgelegten Akte „Genehmigungswettbewerb“ (AZ.: …) geht zudem hervor, dass der
Beklagte in anderen Genehmigungsverfahren Bewerbungsfristen setzt, die erst kurz vor Ablauf der alten
Genehmigungen enden. So hat er im „Ausschreibungsverfahren“ für die zum 31.05.2006 auslaufenden
Buslinien des … Nr. 682 und der Linien 234, 734, 235 als Linienbündel - für welche die Klägerin mit Schreiben
vom 12.10.2005 ebenfalls ihr Interesse bekundet hatte - ausgesprochen knappe Bewerbungsfristen bis zum
18.04.2006 (Linie 682) bzw. gar bis zum 28.04.2006 (Linienbündel) gesetzt.
31 Der nun auftretenden Situation, dass ein Mitkonkurrent die gegenüber dem begünstigen Unternehmen
möglicherweise schon bestandskräftige Genehmigung anficht, hätte der Beklagte durch eine verfahrensleitende
Fristsetzung oder jedenfalls durch Zustellung der Genehmigungsbescheide mit Rechtsbehelfsbelehrung an die
Klägerin begegnen können.
32 Auch aus dem Umstand, dass die Klägerin sich im Rahmen des Anhörungsverfahrens nicht geäußert hat, lässt
sich nicht folgern, sie habe einen Anschein gesetzt, dass sie gegen etwaige an die Beigeladene erst künftig zu
erteilende Genehmigungen nicht vorgehen wolle. Die Klägerin bestreitet, entsprechende Anhörungen erhalten
zu haben. Nachweise dafür, dass sie die Anhörungsschreiben erhalten hat, sind weder in den Akten des
Regierungspräsidiums noch in den vom Gericht beigezogenen Akten des Landratsamts … enthalten. In
letzteren befindet sich lediglich ein auf den 27.02.2006 datiertes Anhörungsschreiben sowie die Verteilerliste für
die streitgegenständlichen Linien, in denen auch die Klägerin aufgenommen ist. Allerdings ist eine
Dokumentation, dass und wann die Anhörungsschreiben abgesandt wurden, nicht erfolgt. Dies wurde auch von
dem in der mündlichen Verhandlung hierzu befragten zuständigen Sachbearbeiter des Landratsamts …
bestätigt. Alleine dessen Angabe, die Anhörungen seien mit der normalen Post abgesandt worden, reicht nicht
für den Nachweis aus, dass die Schreiben tatsächlich an die Klägerin abgesandt wurden, und auch bei ihr
eingegangen sind. Ein Indiz dafür, dass die Klägerin die Anhörungsschreiben erhalten hat, stellt auch nicht ihre
im Schreiben vom 10.07.2006 an die Stadt … geäußerte Kenntnis über die vom Beigeladenen beantragte
Genehmigungsdauer dar. Die Klägerin hat ihr Wissen mit Blick darauf, dass die Stadtverwaltung … im Verteiler
für das die Linie 710 betreffende Anhörungsverfahren aufgenommen war, nachvollziehbar damit erklärt, dass
sie hiervon in einem Gespräch mit Gemeindevertretern erfahren habe.
33 Dessen ungeachtet wäre - selbst wenn eine Anhörung der Klägerin erfolgt wäre - durch eine bloße
Nichtäußerung kein Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Zunächst folgt aus einer erfolgten Anhörung
nicht, ob und ggf. wann anschließend eine Genehmigung erteilt worden ist. Etwas anderes ergibt sich auch
nicht aus der vom Beklagten angeführten Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG, wonach über einen Antrag
innerhalb von drei Monaten nach Eingang bei der Genehmigungsbehörde zu entscheiden ist. Zum einen kann
die Frist bis zu drei Monaten verlängert werden (§ 15 Abs. 1 Satz 4 PBefG). Zum anderen ist angesichts des
Instrumentariums des § 20 PBefG, der die Möglichkeit eröffnet, eine einstweilige Erlaubnis zu erteilen, noch
nicht einmal die Annahme zwingend, dass die (endgültige) Linienverkehrserlaubnis noch vor Ablauf der alten
Genehmigung erteilt wird. Auch kann § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG nicht als Anordnung einer materiellen
Präklusion in dem Sinne ausgelegt werden, dass subjektive Rechte im Rechtsbehelfsverfahren nicht mehr
geltend gemacht werden können. Eine so weitgehende Rechtsbeschränkung würde im Hinblick auf die
Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG besonderer Begründung bedürfen (Heinze,
Personenbeförderungsgesetz 2007, § 14 Nr. 5 RN 9, § 13, Nr. 4; OVG Rh-Pf., Urt. v. 24.02.2000 - 7 A
11343/99 -), an der es fehlt. Es sind durchaus Fallgestaltungen denkbar, in denen der Mitbewerber keine
relevanten Einwendungen erheben kann und will, weil das konkurrierende Unternehmen die
Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt. Auch in einem solchen Fall obliegt es der Genehmigungsbehörde, eine
ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung zu treffen.
34 Schließlich begründet auch der Umstand, dass die Klägerin nicht zusammen mit ihren Anträgen auf Erteilung
der streitigen Linienverkehrsgenehmigungen Widerspruch gegen die der Beigeladenen erteilten Genehmigungen
erhoben hat, kein Vertrauen des Beklagten in den Bestand dieser Genehmigungen. Dies folgt bereits daraus,
dass die Klägerin für dieselben Linien eigene Genehmigungsanträge gestellt hat.
35 Auch zugunsten des Beigeladenen hat die Klägerin keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Ein
Konzessionsinhaber muss bei Ablauf einer ihm erteilen Genehmigung damit rechnen, dass ein Mitbewerber
auftritt. Abgesehen hiervon fehlt es an jeglicher Darlegung, dass und inwieweit der Beigeladene tatsächlich sein
Vertrauen betätigt und sich in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm ein
unzumutbarer Nachteil entstanden wäre.
36 Eine andere Betrachtung folgt auch nicht aus den vom Beklagten zitierten Entscheidungen. Insbesondere die
Urteile des Bundesverwaltungsgericht vom 25.01.1974 a.a.O. und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-
Brandenburg vom 20.12.2005 ( - 10 B 10.05 - juris) betreffen Fälle einer baurechtlichen Nachbarklage. Insoweit
stellt das Bundesverwaltungsgericht darauf ab, dass diese Rechtsverhältnisse in aller Regel durch ein
besonderes "nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis" gekennzeichnet sind, das nach Treu und Glauben von
den grenznachbarlich Verbundenen besondere gegenseitige Rücksicht fordert. Das "nachbarliche
Gemeinschaftsverhältnis" verpflichte den Nachbarn, "durch ein zumutbares aktives Handeln mitzuwirken, einen
wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst niedrig zu halten";
der Nachbar müsse dieser "Verpflichtung dadurch nachkommen, dass er nach Erkennen der Beeinträchtigung
durch Baumaßnahmen ungesäumt seine nachbarlichen Einwendungen geltend mache, wenn ihm nicht der
Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden soll, weil er ohne ausreichenden Grund mit seinen
Einwendungen länger als notwendig zugewartet hat". Eine solche durch das besondere nachbarliche
Austauschverhältnis geprägte Konstellation ist bei der Erteilung von Linienverkehrsgenehmigungen nach § 15
PBefG nicht gegeben. Abgesehen davon würden die in diesen Urteilen genannten Kriterien für den Eintritt der
Verwirkung im Rahmen der hier vorzunehmenden Einzelfallbetrachtung zu keinem anderen Ergebnis führen.
37
2.
auch begründet
.
Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 11.12.2006 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten
(§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 VwGO).
38 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Widerspruchsbescheid vom
11.12.2006 als letzte Verwaltungsentscheidung (BVerwG, Urt. v. 06.04.2000 a.a.O.).
39 Die auf der Grundlage des § 13 PBefG erteilten Genehmigungen sind rechtswidrig. Die vom
Regierungspräsidium getroffene Entscheidung, die Genehmigungen an die Beigeladene zu erteilen, ist
ermessensfehlerhaft und verletzt dadurch zugleich das nach §§ 2 und 13 PBefG gewährleistete Recht der
Klägerin auf eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung.
40 Zwar besteht kein Anlass zu Zweifeln am Vorliegen der subjektiven Zulassungsvoraussetzungen des § 13 Abs.
1 PBefG bei der Beigeladenen. Es liegt auch kein zwingender Versagungsgrund nach § 13 Abs. 2 PBefG vor.
41 Sofern kein Versagungsgrund gegeben ist, muss die Behörde bei mehreren Bewerbern aber eine
Auswahlentscheidung unter korrekter Ermessensausübung treffen. Hieran fehlt es. Bei der für die
Entscheidung über das Vorliegen einer Beeinträchtigung öffentlicher Verkehrsinteressen i. S. des § 13 Abs. 2
Nr. 2 PBefG erforderlichen Bewertung und Gewichtung von Verkehrsbedürfnissen hat die
Genehmigungsbehörde einen Beurteilungsspielraum. Sie hat im Konflikt zwischen verschiedenen öffentlichen
Verkehrsinteressen eine abwägende (planerische) Entscheidung zu treffen. Dazu hat sie zuvor die örtlichen
und die überörtlichen Verkehrsbedürfnisse zu ermitteln und zu bewerten, um dann zu entscheiden, ob und in
welchem Maß sie befriedigt werden können und sollen. Diese Entscheidung unterliegt ähnlich wie andere
planerische Verwaltungsentscheidungen nur beschränkter gerichtlicher Kontrolle. Erfüllen mehrere Bewerber für
dieselbe Linie die Voraussetzungen nach § 13 Abs. 1 PBefG und liegt kein zwingender Versagungsgrund nach
§ 13 Abs. 2 PBefG vor, kann jedoch nur einer der Bewerber zum Zug kommen, hat die Genehmigungsbehörde
nach Ermessen auszuwählen und zu entscheiden, wem sie die Genehmigung erteilt, wobei die öffentlichen
Verkehrsinteressen einschließlich der Frage der Kostengünstigkeit vorrangig und die langjährige
beanstandungsfreie Bedienung einer Linie durch einen Bewerber nach § 13 Abs. 3 PBefG “angemessen“ zu
berücksichtigen sind (BVerwG, Urt. v. 17.01.1969 - VII C 74.67 - BVerwGE 31, 184; Beschl. v. 18.06.1998 - 3
B 223.97 - Buchholz 442.01 § 13 PBefG Nr. 35 S. 3; Beschl. v. 06.04.2000 a. a. O.; VGH Bad.-Württ., Urt. v.
02.05.1995 - 3 S 886/94 - TranspR 1997; Urt. v. 18.05.2000 - 3 S 812/99 -; Beschl. v. 01.02.2006 - 3 S
2407/05, VBlBW 2006, 240; VG Freiburg, Urt. v. 18.12.2002 - 1 K 2400/99).
42 Nachdem im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids zwei
Verkehrsunternehmen um die Genehmigung derselben Linien konkurrierten, hätte der Beklagte eine
Auswahlentscheidung vornehmen müssen. Eine solche ist in den angefochtenen Bescheiden nicht - auch nicht
hilfsweise - getroffen worden.
43 Da die der Beigeladenen erteilten Genehmigungen bereits aus den oben genannten Gründen rechtswidrig sind
und daher aufzuheben waren, kann offen bleiben, ob für die Erteilung der Genehmigungen die Regelung des §
13 PBefG hätte herangezogen werden dürfen oder ob eine Vergabeentscheidung nach § 13 a PBefG und dem
dort vorgesehenen Verfahren hätte erfolgen müssen.
II.
44 Auch die gegen den Ablehnungsbescheid des Regierungspräsidiums vom 15.08.2006 und den hierauf
bezogenen Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums vom 11.12.2006 gerichtete Klage ist zulässig.
Nachdem die der Beigeladenen erteilten Linienverkehrsgenehmigungen vom 30.03.2006 nicht bestandskräftig
geworden sind, vermag der Beklagte nicht einzuwenden, dass der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis für den
vorliegenden Bescheidungsantrag fehle.
45 Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind ebenfalls rechtswidrig und verletzen die
Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO, § 114 VwGO). Die Klägerin hat Anspruch darauf, dass über ihre
Genehmigungsanträge erneut und ermessensfehlerfrei entschieden wird.
46 Das Regierungspräsidium hat den Ablehnungsbescheid allein und - wie sich aus obigen unter Nr. I gemachten
Ausführungen ergibt - unzutreffend darauf gestützt, dass die der Beigeladenen erteilten Genehmigungen für die
streitgegenständlichen Linien in Bestandskraft erwachsen seien und daher der Versagungsgrund der
verbotenen Doppelbedienung von Linienverkehren vorliege (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 a PBefG). Das
Regierungspräsidium ist zum einen weder in die Prüfung eingetreten, ob die (sonstigen)
Genehmigungsvoraussetzungen gegeben sind, noch hat es deren tatsächliche Voraussetzungen ermittelt. Zum
anderen hat es das Regierungspräsidium in den angefochtenen Bescheiden unterlassen, das
Auswahlermessen zu betätigen, das von ihm auszuüben ist, wenn mehrere Bewerber die
Zulassungsvoraussetzungen erfüllen.
47 Das Gericht war nicht gehalten, die Sache hinsichtlich des Vorliegens der Genehmigungsvoraussetzungen
spruchreif zu machen. Die für das Gericht grundsätzlich bestehende Pflicht, die Sache umfassend spruchreif
zu machen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) kann dann entfallen, wenn eine Behörde die Genehmigung eines
Vorhabens, ohne seine Vereinbarkeit mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften umfassend zu prüfen,
wegen eines bestimmten Rechtsverstoßes ablehnt. In einem solchen - hier vorliegenden - „stecken
gebliebenen“ Genehmigungsverfahren entfällt die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife,
wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe Fragen erstmals im gerichtlichen
Verfahren geprüft werden müssten. Dies setzt voraus, dass der von der Behörde herangezogene
Versagungsgrund die Ablehnung des Antrags nicht trägt und die Genehmigung nach dem bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisstand nicht schon aus anderen Gründen offensichtlich zu
versagen ist (BVerwG, Urt. v. 14.04.1989 - 4 C 52.87 -; vorausgehend: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.07.1987 -
10 S 2851/85 -; OVG NW, Urt. v. 19.06.2007 - 8 A 2677/06 - jeweils: juris). Dass die Klägerin die subjektiven
Zulassungsvoraussetzungen gem. § 13 Abs. 1 PBefG nicht erfülle oder dass der Genehmigungserteilung
(sonstige) Versagungsgründe gem. § 13 Abs. 2 PBefG entgegenstünden, behauptet der Beklagte nicht und
ergibt sich auch sonst nicht offensichtlich aus den der Kammer vorliegenden Akten. Soweit die Beigeladene
rügt, die Klägerin habe ihrem Antrag den Nachweis ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit nicht beigefügt, ist nicht
ersichtlich, dass es an dem entsprechenden Erfordernis (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 PBefG) mangelt. Dies gilt
insbesondere mit Blick darauf, dass die Klägerin wohl bereits im Besitz einer Linienverkehrserlaubnis, nämlich
für die Linie …, ist.
48 Das Regierungspräsidium hat es unterlassen, sein Auswahlermessen zu betätigen, das von ihm auszuüben ist,
wenn mehrere Bewerber die Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Dass eine Fallgestaltung vorliegt, die eine
Ermessensreduktion auf Null gebieten würde, mit der Folge, dass die Entscheidung nur zugunsten der
Beigeladenen ergehen dürfte, ist weder vorgetragen noch aufgrund der mangelnden Sachverhaltsermittlung des
Regierungspräsidiums sonst ersichtlich. In solchen Fällen ist das Gericht nicht gehalten, durch
Beweisaufnahmen oder Erörterung des Falles mit den Beteiligten, eine Spruchreife in diesem Sinne
herbeiführen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 RN 207; Bayer VGH, Urt. v. 06.03.2008 - 11 B 04.2449 -
juris -).
49 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Kammer sieht
davon ab, das Urteil insoweit für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO). Die
Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung durch die Kammer sind nicht erfüllt.
50
Beschluss
51 Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1, § 39 Abs. 1 GKG auf EUR 80.000 festgesetzt (EUR 20.000 pro
Genehmigung; in Anlehnung an Nr. 47.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der
Fassung vom 07./08. Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).
52 Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5
GKG verwiesen.