Urteil des VG Hannover vom 21.05.2014

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Festsetzung von Friedhofsgebühren durch
Leistungsbescheid
Die Festsetzung von Friedhofsgebühren durch Leistungsbescheid nach § 8
Abs. 4 Satz 3 Nds. BestattG gegenüber einem nachrangig
Bestattungspflichtigen - z. B. einem Kind des Verstorbenen - ist mangels
Entstehung der subsidiären gemeindlichen Bestattungspflicht nicht
möglich, wenn die Bestattung von einem vorrangig Bestattungspflichtigen -
z. B. Ehegatten - veranlasst worden ist, dieser aber vor Entrichtung der
Gebühren selbst verstorben ist.
VG Hannover 1. Kammer, Urteil vom 21.05.2014, 1 A 6027/12
§ 8 Abs 4 BestattG ND
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2012 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags
leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen seine Inanspruchnahme für die
anlässlich der Bestattung seiner Mutter entstandenen Kosten.
Der Kläger ist der Sohn der verstorbenen G. und des verstorbenen H.. Nach
dem Tod seiner Ehefrau am 23. Juli 2012 stellte Herr H. einen Antrag auf
Verleihung eines Grabnutzungsrechts bei der Beklagten. Als Grabstätte sollte
ein vorhandenes dreistelliges Wahlgrab I., in dem bereits eine Stelle seit Juni
1986 belegt war, dienen. Mit seiner Unterschrift erklärte er zugleich, dass er
„sämtliche Kosten, die für die Beisetzung entstehen, übernehmen und nach
Erhalt eines Gebührenbescheides umgehend an die J. überweisen“ werde.
Die Bestattung der Mutter des Klägers fand am 27. Juli 2012 statt.
Am 28. Juli 2012 starb Herr H.. Der Kläger unterschrieb daraufhin am 1. August
2012 einen inhaltlich gleichlautenden Antrag auf Verleihung eines
Grabnutzungsrechts, mit dem er sich - wie zuvor sein Vater - zur Übernahme
der Beisetzungskosten verpflichtete. Sein Vater wurde am 3. August 2012 in
der oben bezeichneten Wahlgrabstätte beigesetzt.
Die Beklagte erließ am 20. August 2012 einen Gebührenbescheid über
2.660,00 EUR, mit dem sie dem Kläger die Kosten für die Bestattungen seiner
Eltern inklusive einer Verlängerung der Nutzungszeit für das Wahlgrab um 11
Jahre und 2 Monate zur Wahrung der in der Friedhofssatzung der Beklagten
festgelegten 25jährigen Ruhezeit auferlegte. Dagegen wandte sich der Kläger
mit Schreiben vom 25. August 2012. Er habe nur die Beisetzung seines
Vaters, nicht dagegen die seiner Mutter in Auftrag gegeben. Erbe seines
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Vaters sei er nicht geworden und könne damit nicht für dessen
Verbindlichkeiten herangezogen werden. Daraufhin hob die Beklagte den
zunächst erlassenen Gebührenbescheid auf und nahm den Kläger mit
Bescheid vom 29. August 2012 in Höhe von 597,00 EUR lediglich für die
Bestattungskosten seines Vaters exklusive der oben benannten
Nutzungszeitverlängerung in Anspruch.
Die Erkundigungen der Beklagten beim zuständigen Amtsgericht Alfeld
hinsichtlich der zivilrechtlichen Erbfolge nach K. und H. ergaben, dass der
Kläger das Erbe für sich und seine Kinder nach testamentarischer und
gesetzlicher Erbfolge wirksam ausgeschlagen hatte. Weitere Erben waren dem
Amtsgericht nicht bekannt. Wegen des fehlenden Nachlasses stellte dieses
auch keine Nachforschungen an.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2012 zog die Beklagte den Kläger erneut für die
Kosten der Bestattung seiner Mutter einschließlich der oben bezeichneten
Nutzungszeitverlängerung in Höhe von 2.063,00 EUR heran. Sie begründete
dies damit, dass der Kläger als nächster unterhaltspflichtiger Angehöriger
seiner Mutter gemäß § 1615 Abs. 2 BGB verpflichtet sei, die
Bestattungskosten zu tragen.
Der Kläger hat am 24. Oktober 2012 Klage erhoben. Zur Begründung führt er
aus:
§ 1615 Abs. 2 BGB sei vorliegend nicht einschlägig, da sich die Vorschrift in
erster Linie gegen die Eltern eines verstorbenen Kindes richte. Im Übrigen sei
er für seine Mutter nicht unterhaltspflichtig.
Soweit sich die Beklagte auf die Regelung des § 8 Abs. 4 Niedersächsisches
Bestattungsgesetz (Nds. BestattG) berufe, lägen die Voraussetzungen nicht
vor. Es sei unstreitig, dass die Bestattung der Mutter des Klägers von seinem
Vater in Auftrag gegeben worden sei. Im Übrigen würden jedenfalls die Kosten
für die Verlängerung der Nutzungszeit der Grabstelle in Höhe von 1.541,00
EUR nicht zu den Bestattungskosten gehören.
Der Kläger beantragt,
den Gebührenbescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2012 in Höhe
von 2.063,00 EUR aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor:
Die erbrechtlichen Vorschriften des Zivilrechts seien in dem vorliegenden Fall
nicht entscheidungsrelevant, da sich die Kostentragungspflicht des Klägers
bereits aus Regelungen des öffentlichen Rechts, genauer des
Niedersächsischen Bestattungsgesetzes ergebe.
Der Kläger sei Bestattungspflichtiger im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 Nds.
BestattG. Diese Verpflichtung schließe bereits die Kostentragungspflicht für die
Bestattungskosten mit ein. Das ergebe sich aus der Rechtsprechung des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, welches für den Fall der
fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit des Bestattungspflichtigen keine
Ausnahme von der Bestattungspflicht naher Angehöriger annehme. Auch der
Umstand, dass zum Todeszeitpunkt der Mutter des Klägers deren Ehemann
noch gelebt habe, stehe der Kostentragungspflicht des Klägers nicht
entgegen. Maßgeblich sei insoweit die Sach- und Rechtslage zu dem
Zeitpunkt, in dem der Gebührenbescheid erlassen wurde.
Auch die Regelung des § 8 Abs. 4 S. 4 Nds. BestattG setze nicht zwingend
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Auch die Regelung des § 8 Abs. 4 S. 4 Nds. BestattG setze nicht zwingend
voraus, dass die Gemeinde die Bestattung veranlasst habe. Vielmehr sei die
Vorschrift, die darauf gerichtet sei, die Gemeinde von Bestattungskosten zu
entlasten, weit auszulegen. § 8 Abs. 4 Nds. BestattG regele die
Kostentragungspflicht für Bestattungen auch nicht abschließend. Darauf
komme es jedoch ohnehin nicht an, da für den vorliegenden Fall allein die
Regelung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 Nds. BestattG entscheidend sei.
Die Kosten für die Verlängerung der Nutzungszeit seien Teil der notwendigen
und von dem Bestattungspflichtigen zu tragenden Bestattungskosten, da nur
auf diese Weise die Einhaltung der Ruhezeit von 25 Jahren zu gewährleisten
sei. Für die Wahlgrabstätte habe die Nutzungszeit insgesamt verlängert
werden müssen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Gebührenbescheid vom 4. Oktober 2012 ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1
VwGO.
Die Voraussetzungen für einen Leistungsbescheid nach § 8 Abs. 4 S. 3 Nds.
BestattG liegen nicht vor, da hinsichtlich der Bestattung der Mutter des Klägers
die subsidiäre Bestattungspflicht der Beklagten nicht entstanden ist. Diese ist
in § 8 Abs. 4 S. 1 Nds. BestattG geregelt und entsteht, wenn niemand für die
Bestattung sorgt. Dabei ist maßgeblich auf die in § 9 Nds. BestattG genannten
Zeitpunkte abzustellen. Nach dem Tod der Mutter des Klägers veranlasste der
Vater des Klägers, also der nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 Nds. BestattG vorrangig
bestattungspflichtige Ehemann der Verstorbenen, die Bestattung u. a.
dadurch, dass er am 23. Juli 2012 einen Antrag auf Verleihung eines
Grabnutzungsrechts bei der Beklagten stellte und sich mit seiner Unterschrift
verpflichtete, sämtliche Kosten für die Beisetzung zu übernehmen. Am 27. Juli
2012 wurde die Mutter des Klägers bestattet. Diese Bestattung auf
Veranlassung des Vaters des Klägers erfolgte innerhalb der von § 9 Nds.
BestattG bestimmten Fristen, so dass dieser rechtzeitig für die Bestattung
seiner Ehefrau gesorgt hatte. Der Vater des Klägers ist damit allein
Gebührenpflichtiger i. S. d. §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 6 Niedersächsisches
Kommunalabgabengesetz (NKAG) hinsichtlich der verwirklichten
Gebührentatbestände der Friedhofsgebührensatzung der Beklagten
geworden. Sein Tod am 28. Juli 2012, also einen Tag nach der Beerdigung
seiner Frau, ändert daran nichts. Der Kläger war nicht vorrangig
Bestattungspflichtiger im Sinne des § 8 Abs. 3 Nds. BestattG und haftet nicht
nach § 8 Abs. 4 S. 2 Nds. BestattG. Dies wäre jedoch die Voraussetzung für
seine Inanspruchnahme durch Leistungsbescheid, § 8 Abs. 4 S. 3 Nds.
BestattG. § 8 Abs. 4 S. 4 Nds. BestattG ist systematisch und inhaltlich mit den
Vorschriften über die subsidiäre Bestattungspflicht der Gemeinde und deren
Rechtsfolgen (§ 8 Abs. 4 S. 1-3 Nds. BestattG) verknüpft. Eine eigenständige
Regelung dergestalt, dass die Gemeinde in jedem Fall durch
Leistungsbescheid auf den nächstrangig Bestattungspflichtigen zurückgreifen
kann, wenn sie - unabhängig von dem Vorliegen der subsidiären
Bestattungspflicht - die für die Bestattung entstandenen Kosten von dem
vorrangig Bestattungspflichtigen nicht erlangen kann, lässt sich § 8 Abs. 4 S. 4
Nds. BestattG nach Auffassung des Gerichts nicht entnehmen.
Ob sich die Haftung des Klägers auch nach Erlass des Nds. BestattG weiterhin
auf § 66 Nds. Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Ersatzvornahme) stützen
ließe (in diesem Sinne Nds. OVG, Beschluss vom 21.11.2006 - 8 PA 118/06 -,
Barthel, Bestattungsgesetz Niedersachsen, Kommentar, 2. Aufl. 2009, § 8
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Anm. 4.3; anders dagegen Horn, Nds. Bestattungsgesetz, Kommentar, § 8
Anm. § 6a)), kann hier dahinstehen, da es bereits an den Voraussetzungen für
eine Ersatzvornahme fehlt. Diese kommt nur dann in Betracht, wenn der
Bestattungspflichtige seiner Pflicht aus § 8 Abs. 3 Nds. BestattG innerhalb der
gesetzlich bestimmten Frist nicht nachkommt. Dies ist aber vorliegend, wie
oben ausgeführt, geschehen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist § 8 Abs. 3 Nds. BestattG keine eigene
Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines Leistungsbescheids. Die von
der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts, nach der die Bestattungspflicht gemäß § 8 Abs. 3
Nds. BestattG unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen bestehe
(Nds. OVG, Beschluss vom 02.09.2010 - 8 PA 211/10 -, Beschluss vom
10.08.2009 - 8 PA 128/09 - m. w. N.), führt zu keinem anderen Ergebnis. Aus
dieser Rechtsprechung ergibt sich lediglich Folgendes: Wenn ein
Bestattungspflichtiger im Sinne von § 8 Abs. 3 Nds. BestattG tätig geworden
ist, hat dieser auch die Kosten - unbeschadet eventuell bestehender
zivilrechtlicher Regressansprüche - nach öffentlichem Recht zu tragen. Soweit
niemand für die Bestattung gesorgt und daher die zuständige Gemeinde nach
§ 8 Abs. 4 S. 1 Nds. BestattG die Bestattung veranlasst hat, kann der
Bestattungspflichtige gegenüber dem Leistungsbescheid, mit dem die
Gemeinde die entstandenen Kosten ihm gegenüber geltend macht, die
fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit nicht erfolgreich einwenden. Übertragen
auf die vorliegende Konstellation ergibt sich daraus lediglich, dass der Vater
des Klägers, der die Bestattung veranlasst hat, die Kosten zu tragen hatte. Die
Kosten sind mit der Beerdigung der Mutter des Klägers am 27. Juli 2012
entstanden. Zu diesem Zeitpunkt war der Vater des Klägers
Gebührenpflichtiger der Beklagten und hätte gegebenenfalls seine fehlende
finanzielle Leistungsfähigkeit dieser nicht entgegen halten können.
Auch der Einwand der Beklagten, es sei für die Kostentragungspflicht auf die
Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Leistungsbescheides
abzustellen und zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger nach dem Tod des Herrn
H. als dessen Sohn der vorrangig Bestattungspflichtige (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 Nds.
BestattG) gewesen, führt zu keiner anderen Bewertung. Die Voraussetzung für
den Erlass eines Leistungsbescheids nach § 8 Abs. 4 S. 3 Nds. BestattG
lagen, wie oben ausgeführt, im Zeitpunkt der Vornahme der Bestattung der
Mutter des Klägers und damit der Entstehung der Gebühren nicht vor. Es fehlte
bereits an den Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlage. Daran hat
sich auch mit dem Tod des Vaters des Klägers nichts geändert.
Die Kostentragungspflicht des Vaters des Klägers ist auch nicht im Wege der
Gesamtrechtsnachfolge, § 1922 BGB, auf den Kläger übergegangen. Die
Forderung gegen den Vater, die nach § 11 Abs. 1 Nr. 4b) NKAG i. V. m. § 155
Abs. 1 S. 1 Abgabenordnung (AO) diesem gegenüber durch Bescheid
festgesetzt werden konnte, ist mit dem Tod des Vaters eine
Nachlassverbindlichkeit geworden. Diese wäre gegen den Erben geltend zu
machen (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2b) NKAG i. V. m. § 45 AO). Der Kläger hat das
Erbe wirksam ausgeschlagen, ist folglich nicht Erbe geworden und damit nicht
in die Stellung seines Vaters als Gebührenpflichtiger eingerückt.
Ob der Beklagten gegen den Kläger ein zivilrechtlicher Erstattungsanspruch,
beispielsweise gestützt auf § 1615 Abs. 2 BGB, zusteht, kann hier
dahinstehen. Diesen durfte sie jedenfalls nicht im Wege des
Leistungsbescheids geltend machen, da es hierfür an einer gesetzlichen
Grundlage fehlt. § 8 Abs. 4 S. 3 Nds. BestattG und - soweit anwendbar - § 66
Nds. Sicherheits- und Ordnungsgesetz setzen eine öffentlich-rechtliche
Forderung voraus. Zivilrechtliche Forderungen hat die Gemeinde dagegen -
nach Aufhebung der §§ 61, 62 Niedersächsisches
Verwaltungsvollstreckungsgesetz - nach den Vorschriften des Bürgerlichen
Gesetzbuchs, d.h. durch zivilrechtliches Anspruchsschreiben und
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gegebenenfalls durch Klage vor den ordentlichen Gerichten geltend zu
machen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §
708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.