Urteil des VG Hannover vom 20.11.2013

VG Hannover: aufenthaltserlaubnis, registerauszug, rücknahme der klage, libanon, eltern, neues beweismittel, grobes verschulden, geschwister, verwandtschaft, analyse

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Richtigkeit des türkischen Personenstandsregisters
Keine rückwirkende Verlängerung des Aufenthaltstitels seit 2001 im Wege
des Wiederaufgreifens des Verfahrens wegen Vorliegens eines neuen
Beweismittels (DNA-Analyse).
VG Hannover 5. Kammer, Urteil vom 20.11.2013, 5 A 195/12
Art 44 StAngG TUR, Art 38 StAngG TUR, Art 1 StAngG TUR, § 51 Abs 1 S 2 VwVfG
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags
leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Wege des Wiederaufgreifens des
Verwaltungsverfahrens rückwirkend ab dem 15.04.2001 die Verlängerung der
Aufenthaltsbefugnis, seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes zum
01.01.2005 in der Form der Aufenthaltserlaubnis.
Der Kläger lebt mit seinen beiden älteren Kindern, der 16 Jahre alten Tochter
C. und der 15 Jahre alten Tochter D. im Landkreis Hildesheim. Sein 1996
erstmalig ausgestellter libanesischer Pass ist seit 2006 abgelaufen. Im
Behördenführungszeugnis vom 01.08.2011 ist für den Kläger eine Verurteilung
zu 100 Tagessätzen durch das Amtsgericht Peine vom E. vermerkt wegen
vorsätzlichen Verstoßes gegen das Fleischhygienegesetz in mindestens 100
rechtlich zusammenhängenden Fällen, des Weiteren eine Verurteilung durch
das Amtsgericht Hildesheim zu 25 Tagessätzen am F. wegen versuchter
Nötigung einer Lehrerin seiner Töchter am G.. Zur Zeit ist gegen den Kläger
bei der Staatsanwaltschaft Hannover (Az. H.), ein strafrechtliches
Ermittlungsverfahren wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerentgelten
anhängig, des Weiteren bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig (Az. I.) ein
strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung. Er ist verdächtig,
telefonisch gedroht zu haben, das Haus einer Familie in die Luft zu sprengen
und die Familie „auszulöschen“.
Die mit dem Kläger nach islamischem Ritus verheiratete J., geb. am K..1980 in
Mardin/Türkei, wurde vom Beklagten mit den Kindern im Jahr 2000
ausgewiesen. Im Februar 2005 wurde sie zusammen mit der 2003 geborenen
Tochter L. in die Türkei abgeschoben. Im März 2013 kehrte sie mit
Zustimmung der deutschen Behörden mit der Tochter L. und dem 2005 in der
Türkei geborenen Sohn M. zurück. Die drei Personen erhielten eine
Aufenthaltserlaubnis. Sie leben getrennt von der übrigen Familie in der Stadt
Hildesheim. Die Kinder sind zwischenzeitlich im türkischen
Personenstandsregister registriert. Die älteren Kinder sind im Besitz türkischer
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Personalausweise.
Der Kläger ist im Jahr 1979 im Libanon geboren. Im Jahr 1985 reiste er
zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in die Bundesrepublik
Deutschland ein. Das Asylbegehren der Familie wurde 1988 als offensichtlich
unbegründet abgelehnt. Aufgrund der Niedersächsischen
Bleiberechtsregelung vom 18.10.1990 wurde dem Kläger, seinen Eltern und
seinen Geschwistern am 02.11.1990 vom Landkreis Hannover eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt, die laufend verlängert wurde, seit Inkrafttreten des
AuslG 1990 zum 01.01.1991 in der Form der Aufenthaltsbefugnis. Dem lag
zugrunde, dass die Familie zunächst aufgrund ihrer Angaben als „Kurden aus
dem Libanon mit ungeklärter bzw. nicht aufklärbarer Staatsangehörigkeit“
angesehen worden war. Im Jahr 1994 wurde der Kläger im Wege der
Sammeleinbürgerung libanesischer Staatsangehöriger.
Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 09.04.2001 auf Verlängerung
der Aufenthaltsbefugnis mit Bescheid vom 08.10.2001 ab, zusammengefasst
mit der Begründung, der Vater des Klägers sei türkischer Staatsangehöriger.
Er nenne sich nach arabischem Sprachgebrauch N.. Mit türkischem Namen
heiße er O. und sei ausweislich des türkischen Familienregisterauszugs vom
07.08.2001, übersandt vom Türkischen Generalkonsulat Hannover, am
01.01.1945 in der Türkei in Ückavak, Provinz Mardin, geboren. Nach dem
türkischen Abstammungsprinzip sei der 1979 im Libanon geborene Kläger
ebenfalls türkischer Staatsangehöriger. Er hätte nach Abschluss des
Asylverfahrens 1988 in die Türkei abgeschoben werden können. Er könne in
der Türkei seine Registrierung beantragen und einen türkischen Pass
erlangen. Die Staatsangehörigkeit des Klägers sei daher nicht unaufklärbar
gewesen. Der Vater des Klägers, O., habe die Behörden über seine Identität,
insbesondere über seine türkische Abstammung und über seine Geburt in der
Türkei getäuscht. Dieses Verhalten müsse sich der Kläger zurechnen lassen.
Der Vater des Klägers sei zwar im Jahr 2001 wegen Nichtableistung des
Wehrdienstes aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen worden. Das
habe aber keinen Einfluss auf die türkische Staatsangehörigkeit seiner Kinder.
Den dagegen gerichteten Widerspruch wies die frühere Bezirksregierung
Hannover mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2003 zurück mit der
Begründung, der Nds. Bleiberechtserlass von 1990 erfasse - auch wenn der
Wortlaut insoweit nicht eindeutig sei -. seinem Sinn und Zweck nach nur
staatenlose Kurden oder Kurden mit unaufklärbarer Staatsangehörigkeit aus
dem Libanon, nicht jedoch Kurden, sofern sie nur längere Zeit vor der Einreise
in das Bundesgebiet im Libanon gelebt hätten. Der Vater des Klägers habe
nach Art. 1 des Türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes (tStAG) die
türkische Staatangehörigkeit durch Abstammung an den Kläger
weitergegeben. Durch Ermittlungsergebnisse des Landkreises Northeim sei
bekannt geworden, dass die nach islamischem Ritus mit dem Kläger
verheiratete P. - die Tochter seines Cousins Q. - 1980 in der Türkei geboren
sei. Ihre Eltern R. und S. seien bei der Einreise im Besitz rechtmäßig
ausgestellter türkischer Pässe gewesen, die diese Identität nachwiesen.
Sämtliche vom Vater des Klägers angegebenen Vornamen seiner Geschwister
stimmten mit den im türkischen Registerauszug aufgeführten Kindern von T.
und U. aus Ückavak/Türkei überein. Die in Wilhelmshaven lebende Schwester
des Vaters des Klägers, V. (die Großmutter der P.), habe damit
übereinstimmende Angaben gemacht. In der Akte des W. - einem Bruder des
Vaters des Klägers - sei in einer Aufzählung seiner Kinder u. a. seine Tochter
X. benannt. Es handele sich ausweislich der Ermittlungen der
Ausländerbehörde in Bremen um die türkische Staatsangehörige Y. aus
Ückavak, im Register von Mardin-Savur-Ückavak registriert unter Cilt Z., Hane
AA.. Die Registrierung im türkischen Personenstandsregister erfolge im
Register des Vaters. Unter Zugrundelegung dieser Erkenntnisse folge daraus,
dass der Vater der Y. ebenfalls aus Ückavak stamme und dessen Vater
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ebenfalls. Die Zurückverfolgung ergebe, dass auch O. - der Vater des Klägers
- somit ebenfalls aus Ückavak stamme. Zudem habe dieser am 10.10.2002
anlässlich eines Gesprächs in einer ausländerrechtlichen Angelegenheit
zugegeben, in der Türkei geboren und später in den Libanon gegangen zu
sein. Bei rechtzeitiger Kenntnis der Behörden wäre der Kläger nicht unter die
Zielgruppe der Bleiberechtsregelung von 1990 gefallen. Der Erlass gewähre
bei zu Unrecht erfolgter Bejahung der Voraussetzungen kein
Daueraufenthaltsrecht. Humanitäre Gründe für den Verbleib im Bundesgebiet
seien nicht ersichtlich. Der Kläger könne mit seiner Familie in der Türkei leben.
Er sei dort nicht auf sich allein gestellt.
Dagegen erhob der Kläger Klage, die im Urteil des erkennenden Gerichts vom
21.06.2006 - 6 A 3691/03 - zur Verpflichtung zur Neubescheidung führte. Das
Niedersächsische Oberverwaltungsgericht änderte die Entscheidung mit Urteil
vom 27.09.2007 - 11 LB 69/07- und wies die Klage ab. Im Revisionsverfahren
(1 C 40.07) hob das Bundesverwaltungsgericht am 27.01.2009 das Urteil auf
und wies das Verfahren im Hinblick auf die Prüfung des § 104 a Abs. 2 Satz 1
AufenthG und die noch fehlende Prüfung der Voraussetzungen des § 25 Abs.
4 Satz 2 AufenthG zur erneuten Entscheidung an das Nds. OVG zurück.
Die Beteiligten schlossen am 07.07.2010 einen Vergleich, aufgrund dessen
der Kläger die Klage zurücknahm. Das Gerichtsverfahren wurde vom Nds.
OVG am 09.08.2010 eingestellt und die vorausgegangenen gerichtlichen
Entscheidungen für unwirksam erklärt. Für den Fall der Einhaltung der im
Vergleich genannten Vorgaben war dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis im
Rahmen einer Härtefallentscheidung nach § 23a AufenthG zugesagt worden.
Zu einem Härtefallersuchen an das Niedersächsische Ministerium für Inneres
und Sport kam es aufgrund der zwischenzeitlich bekannt gewordenen
erneuten Straffälligkeit des Klägers im Hinblick auf die Nötigung der Lehrerin
seiner Kinder am G. nicht.
Mit Antrag vom 30.08.2011 begehrte der Kläger vom Beklagten das
Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf den Aufenthaltsbefugnis-
Verlängerungsantrag vom 09.04.2001. Durch Vorlage des DNA-Gutachtens
der AB. - vom 24.03.2011 sei nunmehr belegt, dass der türkische
Registerauszug vom 07.08.2001 falsch sei oder er jedenfalls nicht seine
Familie betreffe. Hiernach sei AC. - sein Vater - nicht der Bruder von AD., wie
es aber in dem türkischen Registerauszug vom 07.08.2001 vermerkt sei.
Dadurch sei bewiesen, dass der Registerauszug keinen Beweiswert habe,
sodass die türkische Staatsangehörigkeit für ihn - den Kläger - zu verneinen
sei. Er habe auf der Grundlage des Niedersächsischen Bleiberechtserlasses
vom 18.10.1990 einen Anspruch auf Verlängerung des Aufenthaltstitels
gehabt. Ihm und seinen Familienangehörigen sei im Rahmen eines
Folgenbeseitigungsanspruchs rückwirkend eine Aufenthaltsbefugnis bzw. ab
dem 01.01.2005 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Der Beklagte lehnte nach vorheriger Anhörung den Antrag mit Bescheid vom
16.11.2011 ab. Dazu führte er aus, der Antrag auf Wiederaufgreifen des
Verfahrens sei nur dann begründet, wenn sich aus den Darlegungen ergebe,
dass nachträglich eine andere Entscheidung getroffen werden müsste.
Hiervon sei nicht auszugehen. Dazu verwies er auf den
Familienregisterauszug des AE. vom 07.08.2001 (Mardin-Savur-Ückavak, Cilt
Z., Hane AA.), in den als Kinder von AF. und von U. die 9 Kinder AG., AH., AI.,
AJ., AK., AL., AM., AN. und AO. eingetragen seien. Auch lägen weitere
Registerauszüge der Kinder vor. Ausweislich des vom Landgericht Bückeburg
eingeholten DNA-Gutachtens sei praktisch erwiesen, dass AP. (Tante des
Klägers) und sein Vater AQ. Vollgeschwister seien (Wahrscheinlichkeit
99,99994 %). AR. (Onkel des Klägers) sei laut Gutachten mit dem
Geschwisterpaar nicht voll verschwistert. Es bestehe aber eine enge
Verwandtschaft zwischen AN. und AP.. Diese habe im Rahmen eines gegen
sie gerichteten Strafverfahrens angegeben, die Brüder AS., AT., AU., AV. und
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die Schwestern AW., AX. und AY. zu haben. Der Vater des Klägers, O., habe
im Rahmen einer Anhörung bei der Ausländerbehörde des Beklagten am
19.09.2001 angegeben, er habe neben seinem verstorbenen ältesten Bruder
weitere Brüder, nämlich AZ., AT., BA. und die Schwestern AI. und AW., AL.
und AK. (auch: BB., BC.). O. und auch BD. hätten übereinstimmend die Namen
der Eltern mit T. (auch: BE.) und BF. angegeben. Das Nds. OVG habe aus
diesem hohen Maß an Übereinstimmung der Angaben seines Vaters mit den
in verschiedenen Registerauszügen aufgeführten Kindern von T. und BF.
geschlossen, dass die Annahme des Beklagten, O. sei identisch mit dem Vater
des Klägers namens N., gerechtfertigt sei. Zudem sei zu berücksichtigen, dass
AP. als Ehefrau des BG. mit gemeinsamen Kindern in einem weiteren
Familienregister der Familie Önder in Ückavak, Hane AA., registriert sei. Deren
Sohn R. sei bei seiner Einreise ins Bundesgebiet im Besitz eines türkischen
Passes gewesen. Er habe als „BH.“ im Landkreis Northeim gelebt und sei
Vater von 8 Kindern, worunter sich BI., die Ehefrau des nach muslimischem
Ritus verheirateten Klägers befinde.
Die aufgrund des DNA-Gutachtens unwahrscheinliche Vollgeschwisterschaft
von BJ. zu den erwiesenen Vollgeschwistern AM. und BD. (BK.) führe nicht
dazu, dass die Unrichtigkeit des Registers erwiesen sei in Bezug auf den Vater
des Klägers. Eine mögliche fehlerhafte Eintragung in Bezug auf AN. (BL.) habe
keine Auswirkungen auf die übrigen im Register aufgeführten Personen. Es
könne daher dahingestellt bleiben, ob der in Stadthagen lebende BM. mit dem
im Familienregisterauszug aufgeführten BJ. identisch sei. Die Eintragung in
das Personenstandsregister habe nach türkischem Recht den Charakter einer
öffentlichen Urkunde. Zwar seien Registereintragungen nach türkischem Recht
dem Gegenbeweis zugänglich. Hierfür reiche es aber nicht aus zu behaupten,
der Vater des Klägers habe zum Zeitpunkt der Eintragung in das
Familienregister im Jahr 1975 bereits im Libanon gelebt. Der Aufenthalt im
Libanon schließe die Eintragung von Angaben zum Personenstand im
türkischen Personenstandsregister nicht aus. Eine mangelnde Plausibilität
einzelner Daten gebe keinen Anlass, die inhaltliche Richtigkeit des
Registerauszugs insgesamt in Frage zu stellen. Daraus folge, dass es auf eine
bestehende oder nicht bestehende biologische Verwandtschaft zwischen dem
Vater des Klägers und AD. nicht ankomme. Eine Änderung der Sach- und
Rechtslage zu Gunsten des Klägers oder ein Beweismittel, das eine
günstigere Entscheidung rechtfertige, liege nicht vor. Auch ein
Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen komme
nicht in Betracht. Gründe, die eine Durchbrechung der Bestandskraft durch
Aufhebung der Entscheidung rechtfertigten, seien nicht ersichtlich. Der
Bescheid wurde am 21.11.2011 zugestellt.
Der Kläger hat - zusammen mit seinen Familienangehörigen, deren
Klageverfahren abgetrennt wurde und nicht Gegenstand dieser Entscheidung
ist - am 21.12.2011 Klage erhoben. Er trägt vor, der türkische Registerauszug
sei nachweisbar unrichtig. Einträge in türkische Personenstandsregister seien,
so das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom BN. - BO., nicht verlässlich. Sie
könnten auch von Dritten vorgenommen oder veranlasst werden. Viele
Personen seien in der Türkei offiziell gemeldet, obwohl sie nicht in der Türkei
gelebt hätten. Die ursprüngliche Nichtverlängerung der Aufenthaltsbefugnis sei
rechtswidrig gewesen. Nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes zum
01.01.2005 hätte gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG die Aufenthaltsbefugnis als
Aufenthaltserlaubnis verlängert werden müssen, auch wenn der
Bleiberechtserlass vom 18.10.1990 bei den Übergangsvorschriften nicht
ausdrücklich erwähnt sei. Von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen sei
angesichts der erheblichen Folgen für das Familienleben und insbesondere
das Kindeswohl sowie aufgrund der Folgenbeseitigungslast abzusehen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides
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vom 16.11.2011 auf seinen Antrag vom 09.04.2001 mit Wirkung ab
dem 15.04.2001 eine Aufenthaltsbefugnis und ab dem 01.01.2005
eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Bescheid. Der Kläger sei gegenwärtig nicht in
der Lage, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie sicherzustellen.
Auch die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren stünden der Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Gerichtsakten Az. 6 A 3691/03 und 6 B 3692/03, ferner
auf die Gerichtsakte des Vaters des Klägers Az. 6 A 3853/03 verwiesen. Des
Weiteren wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
(Beiakten A - O) Bezug genommen
Entscheidungsgründe
Die Wiederaufnahmeklage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist unzulässig.
Dem Kläger steht ein Rechtschutzbedürfnis für das Wiedergreifen des
Verwaltungsverfahrens betreffend den von ihm seinerzeit gestellten Antrag
vom 09.04.2001 auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis rückwirkend ab
dem 15.04.2001 nicht zur Seite. Zwar kann die rückwirkende Erteilung eines
Aufenthaltstitels beansprucht werden, wenn hieran ein schutzwürdiges
Interesse besteht (ständ. Rspr. d. BVerwG, vgl. U. v. 09.06.2009 - 1 C 7/08 -,
juris, Rdnr. 17 m. w. N;, Nds. OVG, B. v. 24.07.2012 - 2 LB 278/11 -, juris).
Auch ist anerkannt, dass eine Ausländerbehörde ein abgeschlossenes
Verwaltungsverfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wieder
aufgreifen und bei Vorliegen der Voraussetzungen eine neue
Sachentscheidung treffen kann bzw. muss. Auch in diesem Falle ist die Klage
auf die rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aber nur dann
zulässig, wenn hieran ein schutzwürdiges Interesse besteht (VG Stuttgart, U. v.
29.03.2012 - 11 K 4541/11 -, juris, Rdnr. 30). Das ist im Falle des Klägers nicht
der Fall, da er nach § 102 Abs. 2 AufenthG aufgrund der ihm seit 2001
gewährten Duldungen hinsichtlich des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts
nicht schlechter gestellt war als er gestellt gewesen wäre, wenn die ihm bis
zum 15.04.2001 gewährte Aufenthaltsbefugnis laufend verlängert worden wäre
(BVerwG, U. vom 27.01.2009 - 1 C 40.07 -, juris, Rdnr. 10: betr. das Verfahren
des Klägers). Die Aufenthaltsgenehmigung wurde nach dem AuslG 1990 bei
Vorliegen humanitärer Gründe als Aufenthaltsbefugnis erteilt. Sie führte nach §
35 AuslG 1990 frühestens nach 8 Jahren zu einem Daueraufenthalt, wobei
aber die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 AuslG 1990 gegeben
sein mussten, d. h. unter anderem kein Ausweisungsgrund vorliegen durfte.
Dieses Kriterium erfüllte der Kläger bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes
nicht. Die Aufenthaltsbefugnis galt, wenn keine Niederlassungserlaubnis erteilt
werden konnte, gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG als befristete
Aufenthaltserlaubnis nach §§ 22 - 26 AufenthG fort. Einen Daueraufenthalt
hätte der Kläger folglich 2005 nicht erlangen können. Neben
Aufenthaltsbefugnissen wurden aber auch Duldungen nach der
Fortgeltungsregelung des § 102 Abs. 2 AufenthG auf die siebenjährige Frist
des § 26 Abs. 4 AufenthG als Voraussetzung einer Niederlassungserlaubnis
angerechnet. Sämtliche Zeiten des Besitzes einer Duldung sind anzurechnen,
ohne Rücksicht darauf, ob sie nach dem AufenthG für die Erteilung einer
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Aufenthaltserlaubnis qualifizieren (Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 9. A.,
§ 102 Rdnr. 35). Da der Kläger durch die Duldungserteilung keine
Rechtsnachteile erlitten hatte, ist das Rechtsschutzbedürfnis für eine
rückwirkende Aufenthaltsbefugniserteilung daher nicht gegeben.
Davon abgesehen ist die Klage aber auch unbegründet.
Der Beklagte hat die Wiederaufnahme des mit erfolgter Rücknahme der Klage
6 A 3691/03 bestandskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens auf
Erteilung einer Aufenthaltstitels, das der Kläger mit Antrag vom 09.04.2001
eingeleitet hatte, mit Bescheid vom 16.11.2011 zu Recht abgelehnt.
Streitgegenstand der Klage ist die Verpflichtung des Beklagten auf
Wiederaufgreifen des Verfahrens, wie es seinen bestandskräftigen Abschluss
gefunden hatte, mithin der Bescheid des Beklagten vom 08.10.2001 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides der früheren Bezirksregierung Hannover
vom 30.07.2003. Erst wenn der Kläger einen Anspruch auf Wiederaufgreifen
hätte, wäre die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis näher zu prüfen
(Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 13. Aufl. 2012, § 51 Rdnr. 53 f). Das
Gericht vermag nach § 1 Abs. 2 Nds. VwVfG. i. V. m. § 51 VwVfG Abs. 1
VwVfG - Wiederaufgreifen im engeren Sinne - nur den dargelegten
Wiederaufgreifensgrund zu prüfen, wobei für im Klageverfahren
nachgeschobene Wiederaufgreifensgründe jeweils ebenfalls die
Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG seit Kenntnisnahme einzuhalten ist
(BVerwG, u. v. 11.12.1989 - 9 B 320/89 -, juris, Rdnr. 3). Die darin liegende
Beschränkung der Überprüfbarkeit des Ergebnisses des Erstverfahrens ist von
Verfassungs wegen nicht zu beanstanden; sie stellt eine unbedenkliche
Begrenzung des Rechtsschutzanspruchs aus den Gesichtspunkten der
Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie dar (BVerfG, B. v. 19.06.1986 -
NVwZ 1987, 487) Kopp/Ramsauer, a. a. O., VwVfG, § 51 Rdnr. 16a).
Dafür, dass unter Zugrundelegung der vom Landgericht Bückeburg in dem
Strafverfahren gegen BM. eingeholten DNA-Analyse der BP. vom 24.03.2011
sich nachträglich die Sachlage zugunsten des Klägers geändert hat i. S. d. §
51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, ist nichts ersichtlich.
Wird - wie es hier der Fall ist - gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG das Vorliegen
eines neuen Beweismittels geltend gemacht, das eine dem Betroffenen
günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, ist der Antrag nur
begründet, wenn feststeht, dass das Beweismittel tatsächlich eine für den
Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte (BVerwG, U. v.
21.04.1982 - 8 C 75/80 -, NJW 1982, 2204-2205 und juris, Rdnr. 13). Ist es
nicht offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise unmöglich, dass das
Beweismittel eine andere Entscheidung herbeigeführt hätte, ist im wieder
aufgenommenen Verfahren unter Berücksichtigung des jeweils
anzuwendenden materiellen Rechts die abschließende Sachentscheidung zu
treffen (BVerwG, U. v. 15.09.1992, - 9 B 18/12 -, NVwZ-RR 1993, 667 und juris,
Rdnr. 3, 13, 14). Das Beweismittel, wozu ein Sachverständigengutachten zählt,
muss für sich allein oder in Verbindung mit anderen, wenn auch schon
bekannten Beweismitteln geeignet sein, der Behörde die Überzeugung zu
vermitteln, dass sie damals von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist
und bei Kenntnis der wirklichen Tatsachen zugunsten des Betroffenen anders
entschieden hätte.
Nach Maßgabe dieser rechtlichen Grundsätze lässt die Ablehnung des
Wiederaufgreifens des Verfahrens Rechtsfehler nicht erkennen. Die Frist von
drei Monaten (§ 51 Abs. 3 VwVfG) wurde bei Stellung des
Wiederaufgreifensantrags vom 30.08.2011 eingehalten. Der Kläger beruft sich
auf die DNA-Analyse der BP. vom 24.03.2011, die er noch vor der förmlichen
Beantragung des Wiederaufgreifens am 23.06.2011 dem Nds.
Innenministerium vorgelegt hatte. Das Gutachten stellt zwar ein neues
Beweismittel i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG dar, führt aber unter keiner
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denkbaren Betrachtungsweise zur Verpflichtung des Beklagten zur
Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens.
Das Gericht verweist zunächst auf die Ausführungen in dem den Kläger
betreffenden Urteil des Nds. OVG vom 27.09.2007 - 11 LB 69/07-, das zwar
aufgehoben wurde bzw. unwirksam ist. Die Entscheidung enthält aber eine
überzeugende Beweiswürdigung, die auch in dem den Vater des Klägers
betreffenden rechtskräftigen Berufungsurteil vom gleichen Tage - 11 LB
130/07 - (S. 10 - 13) enthalten ist.
Auf S. 17 heißt es:
„Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist deshalb von der
Bleiberechtsregelung ausgeschlossen. Nach dem Ergebnis der
Nachforschungen des Beklagten steht zur Überzeugung des Senats fest,
dass der Vater des Klägers türkischer Staatsangehöriger (gewesen) ist. Als
Kind eines türkischen Staatsangehörigen hat der Kläger kraft
Gesetzes durch Geburt die türkische Staatsangehörigkeit erworben (Art. 1
des Türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 v. 11.2.1964 - tStAG
-). Allerdings wurde der Vater des Klägers am 7. Mai 2001 wegen
Nichtableistung des Wehrdienstes aus der türkischen Staatsangehörigkeit
entlassen. Dies führt aber nicht zum Verlust der türkischen
Staatsangehörigkeit des Ehegatten und der Kinder (vgl. Art. 32 und 34
tStAG).
Der Beklagte stützt seine Überzeugung, der Vater des Klägers sei bis zu
seiner Ausbürgerung türkischer Staatsangehöriger gewesen, auf mehrere
ihm vorliegende Auszüge aus dem türkischen Personenstandsregister und
weitere Beweistatsachen. Diese durch Fakten untermauerte
Überzeugungsbildung hält einer Überprüfung anhand der allgemeinen
Grundsätze zu Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung und des
Grundsatzes der freien Beweiswürdigung stand.
Der Beklagte beruft sich auf einen ihm vorliegenden Auszug vom 7. August
2001 aus dem türkischen Personenstandsregister für das Dorf Ückavak,
Provinz Mardin, Hane AA. (= kleinste Organisationseinheit im türkischen
Personenstandswesen), in dem unter der laufenden Nr. 9 eine Person mit
dem Namen O., geb. am 1. Januar 1945, verzeichnet ist. Nach den
Untersuchungen des Beklagten handelt es sich bei dieser Person um den
Vater des Klägers, der den Namen O., geb. am 1. Januar 1945, führt. Die
Annahme einer Personenidentität stützt der Beklagte auf Aussagen, die der
Vater des Klägers im Rahmen einer Anhörung zu der Absicht, ihn
auszuweisen, am 19. September 2001 in den Räumen der
Ausländerbehörde des Beklagten gemacht hat. Der Vater des Klägers
erklärte, seine Eltern hätten die Namen „T.“ und „BF.“. Ferner benannte der
Vater als Geschwister namentlich die Brüder AZ., AT. und BA. sowie die
Schwestern AI., AJ., AL. und AK.. 9 Personen mit diesen Vornamen sind in
dem 12 Namen umfassenden, oben erwähnten Registerauszug der Familie
G. namentlich (T., BF., AJ., AI., AL. und AK.) oder jedenfalls in ähnlicher
bzw. abgewandelter Schreibweise (BQ. statt AZ., AO. statt AT., und AG.
statt BA.) aufgeführt. Dieses hohe Maß an Übereinstimmung rechtfertigt die
Annahme des Beklagten, bei O. handele es sich um den Vater des Klägers.
Dass die Eintragungen in dem Personenstandsregister nicht in vollem
Umfang mit den Angaben des Vaters des Klägers deckungsgleich sind,
beeinträchtigt den Beweiswert dieser Urkunde nicht. Es ist davon
auszugehen, dass der Vater des Klägers nicht sieben - wie von dem Kläger
im Klageverfahren angegeben -, sondern neun Geschwister hat bzw. hatte.
Der Vater des Klägers hat selbst in seiner Anhörung vom 19. September
2001 neben den sieben namentlich benannten Geschwistern einen
weiteren Bruder erwähnt, diesen aber nicht namentlich benannt, sondern
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lediglich ausgeführt, es handele sich um seinen ältesten Bruder, der bereits
verstorben sei. Insoweit besteht bereits ein Widerspruch zu den Angaben in
der Klagebegründung, wonach der Vater des Klägers lediglich sieben
Geschwister habe. Abgesehen davon hat der Beklagte zu Recht
angenommen, dass es sich bei dem von dem Vater des Klägers nicht
namentlich benannten Bruder um den im Registerauszug aufgeführten BR.
handelt. BR. ist das älteste von neun Kindern der Großeltern des Klägers T.
und BF.. Er wurde am 1. Januar 1926 geboren. Für die Annahme des
Beklagten spricht auch, dass BR. nach einer Auskunft des Auswärtigen
Amtes vom 16. Dezember 2004 an den Beklagten bereits verstorben ist.“
Hinzu kommt, dass sowohl der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom
08.10.2001 als auch der Widerspruchsbescheid der früheren Bezirksregierung
vom 30.07.2003, auf dessen Fassung maßgeblich abzustellen ist (§ 79 Abs. 1
Nr. 1 VwGO), nicht allein darauf gestützt waren, dass sämtliche vom Vater des
Klägers angegebenen Vornamen seiner Geschwister in dem
Familienregisterauszug vom 07.08.2001 von Mardin-Savur-Ückavak, Hane
AA., den das Türkische Generalkonsulat in Hannover dem Beklagten
zukommen lassen hatte, enthalten waren. Vielmehr waren etliche weitere
Beweistatsachen Grundlage der Feststellung, dass der in dem Registerauszug
als Sohn von T. und BF. bezeichnete O. mit der Person des Vaters des
Klägers, der sich im arabischem Sprachraum N. nennt, identisch ist. So haben
die in Wilhelmshaven wohnende BS. und der Vater des Klägers, die nach den
Erkenntnissen aus dem DNA-Gutachten der BP. vom 24.03.2011 mit dem
Prädikat „praktisch erwiesen“ als Vollgeschwister anzusehen sind, im Hinblick
auf ihre Eltern übereinstimmende Angaben gemacht hatten. Die Schwester
hatte - so der Widerspruchsbescheid - gleichfalls angegeben, dass ihre Eltern
T. und BF. heißen und - worauf im Bescheid des Beklagten vom 16.11.2011
hingewiesen wird, im Rahmen des Strafverfahrens gegenüber dem
Amtsgericht Wilhelmshaven (BT.) mitgeteilt, die Brüder AS., AT., AU., AV. und
die Schwestern AW., AX. und AY. zu haben. Die Namen haben lediglich
Unterschiede in der Schreibweise. Es ist aber offensichtlich, dass sie mit
denjenigen im türkischen Registerauszug vom 07.08.2001 übereinstimmen.
Damit sind die von den Geschwistern genannten Kinder von T. und U.
identifizierbar. Ausweislich des rechtskräftigen Strafurteils des Amtsgerichts
Wilhelmshaven vom BU. (BT.) hatte die Schwester des Vaters des Klägers in
der Strafverhandlung eingeräumt, als Kurdin in der Türkei geboren zu sein und
im Alter von etwa 15 Jahren in den Libanon gekommen zu sein. Das
Amtsgericht war aufgrund der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt,
dass die Angeklagte, wie im Personenstandsregister vom 07.08.2001
vermerkt, am 17.04.1937 in Ückavak (Türkei) geboren ist und BD. heißt. Sie
hatte, so das Amtsgericht, falsche Personalien angegeben, nämlich dass sie
unter dem Namen BK. am 01.01.1940 in Beirut/Libanon geboren sei. Dies sei
erfolgt, um der Rückführung in die Türkei zu entgehen.
Im Widerspruchsbescheid wurde des Weiteren berücksichtigt, dass der Sohn
von BS. laut Widerspruchsbescheid unstreitig Q. heißt und der Vater der nach
islamischem Ritus mit dem Kläger verheirateten P. ist. Q., der seit 2006 in der
Türkei lebt, war mit seiner Ehefrau Menci am 15.05.1988 über den Flughafen
Frankfurt/Main eingereist. Sie hatten türkische Pässe bei sich. Unter dem
Namen Q., geb. am 10.03.1955 in Ückavak/Türkei, hatte er mit seinen
Familienangehörigen am 24.05.1988 einen Asylantrag gestellt (und am
27.06.1988 einen weiteren Asylantrag gestellt unter dem Namen BV., geb
1958 in Tyr/Libanon mit dem Vortrag, er und seine Familie seien staatenlose
palästinensische Flüchtlinge). Des Weiteren wurde im Widerspruchsbescheid
die Registrierung von X., der Tochter BW., des ältesten Bruders des Klägers,
unter Ückavak Hane AA., als Beweisanzeichen benannt. Diese und mehrere
im Widerspruchsbescheid und im Urteil des Nds. OVG vom 27.09.2007
genannte weitere Beweistatsachen untermauern die Richtigkeit der Annahme
des Beklagten, dass eine Personengleichheit des Vaters des Klägers mit der
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im Registerauszug genannten Person O., geb. am 01.01.1945 in
Ückavak/Türkei, vorliegt.
Die Ergebnisse des DNA-Gutachtens der BP. vom 24.03.2011 stellen diese
Feststellungen in keiner Weise in Frage. Hieraus folgt, dass BS. und AC. mit
einer Wahrscheinlichkeit von 99,99994 % (S. 6 und S. 14) und damit mit dem
verbalen Prädikat „praktisch erwiesen“ als Vollgeschwister anzusehen sind.
Die Verwandtschaft zwischen AK. und dem im Personenstandsregisterauszug
als Bruder aufgeführten AN., geb. am 01.01.1950 in Ückavak, wurde mit
„höchstwahrscheinlich“ im Hinblick auf die Konstellationen „Halbbruder oder
Neffe“, „Halbbruder und Halbvetter“, sowie mit „sehr wahrscheinlich“ im Hinblick
auf die Konstellationen „Halbbruder und Vetter“ und „Halbneffe oder Vetter“
bewertet. Dass es sich um einen Bruder der AK. handeln kann, ist möglich
(ohne verbales Prädikat, 68,84 %). Die Wahrscheinlichkeit für eine
Vollgeschwisterschaft zwischen AC. und AD. liegt hingegen bei nur 7,07 %
und ist damit mit „unwahrscheinlich“ (S. 14) bewertet. Eine Verwandtschaft in
der väterlichen Erblinie wird in der DNA-Analyse aber bejaht. AN. kann ein
Halbbruder oder Neffe oder Halbvetter und Neffe des Vaters des Klägers sein.
Die Verwandtschaft kann sehr eng oder aber auch sehr weitläufig sein (S. 8).
Dass eine Vollgeschwisterschaft zwischen AC. und AD. als ausgeschlossen
anzusehen ist, kann zahlreiche Gründe haben. Möglicherweise bestand nur zu
einem der im Registerauszug genannten Elternteile eine Verwandtschaft in
direkter Linie. Das DNA-Gutachten schließt diese Möglichkeit nicht aus (S. 8,
14). Auch kann AN. als ein Kind von T. und U. ins Register eingetragen
worden sein, obwohl er in Wirklichkeit ein (naher) Verwandter war, vielleicht,
weil er mit den Geschwistern aufgewachsen ist oder aber aus anderen
Gründen. Darüber zu spekulieren, welche weiteren Gründe für die fehlende
Vollgeschwisterschaft in Betracht kommen könnten, ist müßig, da derartige
Erwägungen für ein In-Zweifel-ziehen der übrigen Registereintragungen in
keiner Weise geeignet sind. Dem in dem abgeschlossenen
Verwaltungsverfahren eingeführten Reisebericht „Staatenlose Kurden aus dem
Libanon“ von BX. vom 20.04.2001 ist zu entnehmen, dass Nüfus-Behörden in
früheren Zeiten Eintragungen in den Registern auf einfachen Antrag
vorgenommen hätten. Dabei seien Fälle vorgekommen, in denen Kinder bei
registrierten Familien (fehlerhaft) als deren Kind eingetragen worden seien. Die
Anzahl der Kinder in den jeweiligen Haushalten (Hane) habe von den
tatsächlichen Gegebenheiten abweichen können. Anhaltspunkte dafür, dass
aufgrund einer möglichen unrichtigen Eintragung alle Eintragungen in dem
Personenstandsregister falsch sind, bestehen aus diesem Grunde aber nicht
und wurden auch nicht konkret dargetan.
Gerade die erwiesene Vollgeschwisterschaft zwischen AC. und BY., die laut
Widerspruchsbescheid übereinstimmend ihre Eltern mit „T. und BF.“ benannt
hatten und gegenüber verschiedenen offiziellen Stellen Geschwister gleichen
Namens, wenngleich mit unterschiedlicher Schreibweise aufgezählt hatten,
erweist, dass die im Registerauszug genannten Personen übereinstimmen mit
den vom Vater des Klägers gegenüber der Ausländerbehörde aufgezählten
Familienmitgliedern. Aufgrund der Vielzahl der übereinstimmenden Namen der
Geschwister ist eine Zufälligkeit ausgeschlossen. Das zeigt zusammen mit den
zahlreichen übrigen Beweisanzeichen auf, dass der Vater des Klägers mit dem
im Familienregisterauszug vom 07.08.2001 aufgeführten, 1945 in Ückavak
geborenen O. identisch ist und eine mögliche Unregelmäßigkeit im
Familienregisterauszug im Hinblick auf den dort genannten BJ. sich auf dieses
Verfahren nicht auswirkt.
Dem steht auch nicht entgegen, dass das Landgericht Bückeburg BM. im
Berufungsurteil vom BN. - BZ. von dem Vorwurf des Erschleichens von
Aufenthaltstiteln in Tateinheit mit mittelbarer Falschbeurkundung
freigesprochen hat. Für eine Bestrafung bedarf es der
Überzeugungsgewissheit, d. h. es reichen bereits geringe Zweifel an der
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Schuld eines Angeklagten für einen Freispruch. Hierfür reichte der durch die
DNA-Analyse erbrachte Nachweis einer Unregelmäßigkeit im
Personenstandsregister im Hinblick auf die Person des Angeklagten aus.
Soweit das Gericht darüber hinaus auf der Grundlage der Zeugenvernehmung
des Mitverfassers des vorgenannten Reiseberichts Ausführungen dazu
gemacht hat, dass das türkische Personenstandsregister in früheren Jahren
nicht immer fehlerfrei geführt wurde, ist dieser Umstand - wie ausgeführt -
durchaus bekannt. Die Einschätzung des Landgerichts Bückeburg, wonach
der Beweiswert des türkischen Personenstandsregisters insgesamt zweifelhaft
sein soll, teilt das Verwaltungsgericht nicht. Nicht zuletzt die vorgenannten
Übereinstimmungen zeigen auf, dass Unregelmäßigkeiten vorkommen mögen,
dass diese die Richtigkeit des türkischen Registerwesens insgesamt aber
nicht in Frage stellen (so in einem vergleichbaren Fall auch Nds OVG, U. v.
16.06.2010 - 11 LA 169/09 -, juris, Rdnr. 11). Eintragungen im
Personenstandsregister der Türkischen Republik beweisen in der Form eines
Strengbeweises nach Art. 38 tStAG Nr. 403 v. 11.902.1964 die türkische
Staatsangehörigkeit. Die Behörde kann eine Berichtigung oder Änderung
vornehmen bei sachlichen Irrtümern (Art. 44). Solange diese nicht veranlasst
wurde, beweist die Eintragung des Vaters des Klägers im türkischen
Personenstandsregister von Mardin-Savur-Ückavak dessen (erst wegen
Nichtableistung des Wehrdienstes im Jahr 2001 erloschene) türkische
Staatsangehörigkeit mit der Folge, dass auch der Kläger als ein (in oder)
außerhalb der Türkei von einem türkischen Vater gezeugtes Kind von Geburt
an nach Art. 1 A) tStAG türkischer Staatsangehöriger ist.
Die vom Landgericht Bückeburg im Berufungsurteil vom BN. angedeutete
rechtliche Einschätzung, wonach der Umstand, dass eine Person lange Zeit
außerhalb der Türkei gelebt haben könnte oder aber nicht selbst die erst in
den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgte Registereintragung
veranlasst haben könnte, bereits dazu führen könnte, dass er nicht als
türkischer Staatsangehöriger anzusehen wäre, teilt das Gericht im Hinblick auf
die Regelung in Art. 1 A) tStAG in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen
Rechtsprechung (wie bereits zitiert: Nds. OVG, Urteile v. 27.09.2007 - 11 LB
130/07 - und 11 LB 69/07 -; vgl. insoweit auch BVerwG, U. v. 27.01.2009,
a.a.O., juris, Rdnr. 12) nicht.
Der Beklagte hat geprüft, ob dem Kläger nach §§ 51 Abs. 5 i. V. m. §§ 48, 49
VwVfG im Ermessenswege rückwirkend die beantragte Aufenthaltsbefugnis
und nach Maßgabe des AufenthG 2004 ab dem 01.01.2005 eine
Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne).
Er hat sich darauf berufen, dass Anhaltspunkte für eine Fehlentscheidung
nicht ersichtlich sind. Diese Ermessensgesichtspunkte tragen die ablehnende
Entscheidung. Erst recht liegen Gesichtspunkte für eine
Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf eine Verpflichtung zur
rückwirkenden Aufenthaltstitelerteilung nicht vor. Ein derartiger
Rechtsanspruch wird bejaht, wenn die Aufrechterhaltung des Erstbescheides
schlechthin unerträglich wäre und unzumutbare Nachteile zur Folge hätte
(BVerwG, U. v. 30.01.1974, BVerwGE 44, 333, 336). Dafür liegen keinerlei
Anhaltspunkte vor. Dem Kläger steht ein Wiederaufgreifensanspruch im
Hinblick auf die rückwirkende Erteilung der am 09.04.2001 beantragten
Aufenthaltsbefugnis nach Maßgabe des Nds. Bleiberechtserlasses vom
18.10.1990 und der Folgeerlasse offensichtlich nicht zu. Insoweit wird auf die
Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in dem den Kläger
betreffenden Urteil vom 27.01.2009 (a.a.O, juris, Rdnr. 11 ff) Bezug
genommen. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 2 AufenthG bzw.
nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG hätte der Kläger möglicherweise in dem
vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 27.01.2009 an das Nds. OVG
zurückverwiesenen Berufungsverfahren erstreiten können, wenngleich dessen
erneute Straffälligkeit dem wohl entgegengestanden hätte. Der Kläger war
jedenfalls nicht ohne grobes Verschulden gehindert, alle für eine Erteilung
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einer Aufenthaltserlaubnis sprechenden Gesichtspunkte in dem früheren
Verfahren geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG).
Der Kläger hat die Klage ausdrücklich beschränkt auf das Wiederaufgreifen
des Verfahrens. Die hilfsweise Prüfung eines Aufenthaltsanspruchs aus
humanitären Gründen auf der Grundlage der gegenwärtigen Sachlage, z. B.
nach § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. ein diesbezüglicher
Neubescheidungsanspruch ist ausdrücklich nicht Gegenstand des
Klageverfahrens. Da der Beklagte nach § 79 Abs. 2 AufenthG berechtigt ist,
ein derartiges Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die gegen den Kläger
laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren auszusetzen, wäre eine
derartige Prüfung derzeit auch nicht erfolgversprechend. Es dürfte
sachdienlich sein, neben der Beendigung der strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren auch die Tilgung der im behördlichen Führungszeugnis
des Klägers zur Zeit noch enthaltenen Straftaten abzuwarten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Abs. 11, 711 VwGO.
Gründe, gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO die
Berufung zuzulassen, liegen nicht vor.