Urteil des VG Hannover vom 07.11.2013

VG Hannover: aufschiebende wirkung, schule, vorläufiger rechtsschutz, privates interesse, hauptsache, verfügung, nbg, beamter, vollziehung, einzelrichter

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Abordnung - Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
VG Hannover 13. Kammer, Beschluss vom 07.11.2013, 13 B 6992/13
§ 105 Abs 2 BG ND, § 27 Abs 2 BG ND, § 114 VwGO
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 11.10.2013
gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.09.2013 wird
wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5000,00 EURO festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist Förderschulrektorin an einer Schule in der Region
Hannover.
Aus den Verfahren 13 A 6235/3 und 13 B 6236/13 ist dem Gericht bekannt,
dass es an dieser Schule Streit zwischen der Antragstellerin und einigen
anderen Lehrkräften, u.a. der 2. Konrektorin, gab. Wegen dieses Streites
sprach die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin zunächst ein
vorläufiges Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte aus. Nachdem das
Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin hiergegen
angeordnet hatte, hob die Antragsgegnerin das Amtsführungsverbot wieder
auf.
Mit Bescheid vom 12.09.2013 ordnete die Antragsgegnerin die Antragstellerin
für die Zeit vom 13.09.2013 bis 31.01.2014 aus dienstlichen Gründen an eine
andere Schule in einer anderen Stadt der Region Hannover mit voller
Stundenzahl ab. Als Begründung wurde angegeben, die Abordnung sei zum
Ausgleich der Unterrichtsversorgung unbedingt erforderlich. Nach Abwägung
der dienstlichen Gründe „einschließlich der Gründe der Zumutbarkeit“
gegenüber den persönlichen Interessen der Antragstellerin könne von der
Abordnung nicht abgesehen werden.
Zum Zeitpunkt der Abordnung war die Antragstellerin selbst zunächst bis
30.09.2013 längerfristig krankgeschrieben, später wurde eine weitere
Krankschreibung bis Ende Oktober 2013 vorgelegt. Über den jetzigen
Gesundheitszustand der Antragstellerin ist nichts bekannt. In einem weiteren
vorgelegten Attest vom 23.09.2013 (Bl. 27 der Gerichtsakte) heißt es lediglich,
ein Ende der Dienstunfähigkeit vor dem vollständigen Abschluss der
Angelegenheit sei nicht sehr wahrscheinlich.
Die Antragstellerin hat am 11.10.2013 Klage erhoben und gleichzeitig um
vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Sie trägt vor: Zwar sei an der aufnehmenden Schule eine Lehrkraft langfristig
erkrankt. Der Pflichtunterricht sei jedoch dort stets gewährleistet. Es sei nicht
sinnvoll, eine selbst längerfristig erkrankte Rektorin zum Ausgleich der
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Unterrichtsversorgung an eine andere Schule abzuordnen. Offenbar sei von
der Antragsgegnerin deshalb dieser Grund nur vorgeschoben.
Im Vorfeld der Abordnung sei ihr, der Antragstellerin, Fehlverhalten
vorgeworfen worden. Diese Vorwürfe seien aber nicht zutreffend.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom
12.09.2013 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
An der aufnehmenden Schule sei eine Stelle frei und besetzbar. Es bestünde
ein öffentliches Interesse, freiwerdende Stellen zu besetzen. Zum Zeitpunkt
der Abordnungsverfügung sei die Antragstellerin nur bis 30.09.2013
krankgeschrieben gewesen. Man habe erwartet, dass die Antragstellerin ihren
Dienst nach den Herbstferien wieder aufnehme.
In der bisherigen Schule habe es ein innerdienstliches Spannungsverhältnis
gegeben. Mit der Abordnung werde der Schulfrieden wieder hergestellt.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 06.11.2013 dem
Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug
genommen.
II.
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter. Die Kammer hat einen
Übertragungsbeschluss gefasst, weil die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1
VwGO vorliegen. Da nur die Antragsgegnerin, nicht jedoch die Antragstellerin
sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt
hat, war eine Entscheidung nach § 87a Abs. 2 und 3 VwGO nicht möglich.
Die Antragsgegnerin hat auf die gerichtliche Verfügung vom 24.10.2013 trotz
Erinnerung vom 01.11.2013 bislang nicht geantwortet und auch die
Verwaltungsvorgänge nicht vorgelegt. Angesichts des Umstandes, dass es
sich um ein eilbedürftiges vorläufiges Rechtsschutzverfahren handelt, in dem
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung begehrt wird und vom Ergebnis
auch die weitere Unterrichtsplanung zweier Schulen abhängt, ist es nicht
gerechtfertigt, noch länger auf eine Reaktion der Antragsgegnerin zu warten.
Der Antrag ist zulässig.
Nach § 105 Abs. 2 NBG hat die Anfechtungsklage gegen eine Abordnung hat
keine aufschiebende Wirkung. Insoweit ist vorläufiger Rechtsschutz über einen
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung möglich.
Der Antrag ist auch begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht der Hauptsache
die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelf (§ 80 Abs. 1 VwGO) ganz oder
teilweise wiederherstellen bzw. in Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO die
aufschiebende Wirkung anordnen. Dabei prüft das Gericht zum einen, ob im
Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die Anordnung der sofortigen Vollziehung
ordnungsgemäß nach § 80 Abs. 3 VwGO begründet wurde. Zum anderen trifft
das Gericht eine eigene Interessenabwägung zwischen dem privaten
Interesse des bzw. der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des
angefochtenen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (Aufschubinteresse)
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und dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung
dieses Verwaltungsaktes (Sofortvollzugsinteresse). Bei dieser
Interessenabwägung sind wiederum zunächst die Erfolgsaussichten des
Rechtsbehelfs des bzw. der Antragsteller in der Hauptsache zu
berücksichtigen, soweit diese bei summarischer Prüfung absehbar sind.
Bestehen bereits bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3
VwGO) und wird der Rechtsbehelf deshalb in der Hauptsache mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben, ist dem Antrag regelmäßig
stattzugeben, denn ein überwiegendes öffentliches (oder anderes privates)
Interesse am sofortigen Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen
Verwaltungsaktes kommt nicht in Betracht. Bestehen solche Zweifel nicht,
erweist sich also der angegriffene Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung
als offensichtlich rechtmäßig und wird der Rechtsbehelf in der Hauptsache
deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben, so ist der
Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel abzulehnen.
Im vorliegenden Fall spricht indes vieles dafür, dass die Abordnungsverfügung
rechtswidrig ist.
Ob eine vorherige Anhörung der Antragstellerin und eine Beteiligung des
Personalrates gem. § 65 Abs. 1 Nr. 8 NPersVG stattgefunden hat, ist mangels
Vorlage der Verwaltungsvorgänge durch die Antragsgegnerin nicht feststellbar.
Die Antragstellerin hat jedenfalls keine Verfahrensverstöße gerügt.
Letztendlich kommt es aber auf diese Fragen nicht mehr an. Die
Abordnungsverfügung wird sich nach der im Eilverfahren gebotenen
summarischen Prüfung aller Voraussicht bereits aus den folgenden Gründen
als rechtswidrig erweisen.
Zwar kann ein Beamter gem. § 27 Abs. 2 NBG aus dienstlichen Gründen ganz
oder teilweise zu einer seinem Amt entsprechenden Tätigkeit abgeordnet
werden. Unstreitig entspricht die neue Tätigkeit dem Statusamt der
Antragstellerin. Sie hat dies jedenfalls nicht bestritten.
Eine Abordnung zum Ausgleich der Unterrichtsversorgung stellt weiterhin
grundsätzlich durchaus einen dienstlichen Grund iSd. § 27 Abs. 2 NBG dar.
Ob eine Abordnung ausgesprochen wird oder nicht liegt im pflichtgemäßen
Ermessen des Dienstherrn und ist vom Gericht nur eingeschränkt auf
Ermessensfehler hin zu überprüfen. Im Rahmen der Kontrolle dieser
Ermessensentscheidung hat das Verwaltungsgericht innerhalb der Grenzen
des § 114 VwGO nur zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung
nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Dazu ist festzustellen, ob
die Behörde in ihre Ermessenserwägungen all das eingestellt hat, was nach
Lage der Dinge einzustellen ist, ob sie dabei von einem richtig ermittelten
Sachverhalt ausgegangen ist und die sodann vorgenommene relative
Gewichtung sachgerecht ist. Nicht zu prüfen ist, ob irgendwelche anderen
Gesichtspunkte für die getroffene Entscheidung sprechen, so dass sie im
Ergebnis aufrechterhalten werden kann. Nach Maßgabe dieses
Prüfungsrahmens ist die Abordnungsentscheidung der Antragsgegnerin zu
beanstanden.
Allerdings kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg auf ihre Erkrankung
berufen, die einer Abordnung entgegengestanden haben soll. Zwar macht es
keinen Sinn, eine längerfristig erkrankte Lehrkraft zur Vertretung einer anderen
langfristig erkrankten Lehrkraft abzuordnen. Nach eigenem Vortrag der
Antragstellerin war sie seinerzeit jedoch nur bis 30.09.2013 krankgeschrieben.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, sie sei bei ihrer Entscheidung davon
ausgegangen, dass jedenfalls nach Ende der Herbstferien die Antragstellerin
ihren Dienst an der neuen Schule antreten werde. Dies ist ihr nicht zu
widerlegen. Da auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung für die
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Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, kommt es auf die
weitere Krankheitsentwicklung der Antragstellerin nach Erlass der Verfügung
hier nicht mehr entscheidend an.
Die Antragsgegnerin hat auf die Nachfrage des Gerichts vom 24.10.2013 -
trotz Erinnerung vom 01.11.2013 - bislang nicht dargelegt, in welchem Umfang
genau die Unterrichtsversorgung an der aufnehmenden Schule nicht
gewährleistet war. Allerdings hat die Antragstellerin selbst in ihrer Klage- und
Antragsschrift eingeräumt, dass an der aufnehmenden Schule tatsächlich eine
dortige Lehrkraft längerfristig ausgefallen war.
Gleichwohl hätte es weitere Ermessenserwägungen bedurft, weshalb
ausgerechnet die Antragstellerin mit voller Stundenzahl abgeordnet wird. Eine
besondere Begründung war schon deshalb zu erwarten, weil es sich bei der
Antragstellerin um eine Schulleiterin handelt. Es dürfte eher nicht die Regel
sein, dass Schulleiter selbst - und dann auch noch mit voller Stundenzahl - an
eine andere Schule zum Ausgleich der Unterrichtsversorgung abgeordnet
werden. Es ist aus der Verfügung vom 12.09.2013 nicht erkennbar, welche
Gründe für eine Auswahl der Antragstellerin gesprochen haben. Von daher
erschließt sich dem Gericht nicht, woher Antragsgegnerin die tatsächliche
Grundlage ihrer Ermessenserwägungen entnommen hat.
Die Stellungnahme der Antragsgegnerin zum Antrag legt allerdings aber auch
die Vermutung nahe, dass die in der angefochtenen Verfügung angegeben
Gründe (Ausgleich der Unterrichtsversorgung) nur - wie schon die
Antragstellerin meint - vorgeschoben waren. Denn in ihrer Stellungnahme vom
22.10.2013 rechtfertigt die Antragsgegnerin die Abordnung mit an der
Stammschule der Antragstellerin aufgetretenen innerdienstlichen Spannungen.
Zwar ist es auch der Rechtsprechung der Kammer möglich, dass zur
Vermeidung weiterer innerdienstlicher Auseinandersetzungen der Dienstherr
deshalb einen der beteiligten Beamten abordnen oder versetzen kann, wobei
es nicht unbedingt darauf ankommt, von wem ursprünglich diese Spannungen
ausgegangen sind bzw. wer „Schuld hat“. Hierzu bedarf es aber umfangreicher
Ermessenserwägungen.
Von innerdienstlichen Spannungen war im Bescheid vom 12.09.2013 noch
nicht die Rede. Die Abordnung bekommt durch die Rechtfertigung der
Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 22.10.2013 einen völlig anderen
Charakter. Es sind ganz andere Ermessenserwägungen anzustellen, wenn es
darum geht, einen an innerdienstlichen Spannungen beteiligten Beamten zur
Vermeidung weiterer Auseinandersetzungen abzuordnen, als wenn ein
Beamter zum Ausgleich einer Unterrichtsfehlversorgung
vorübergehend an einer anderen Schule eingesetzt wird.
Ob überhaupt und falls ja, welche Ermessenserwägungen von der
Antragsgegnerin hinsichtlich der Frage einer Abordnung wegen
innerdienstlicher Spannungen angestellt wurden, ist nicht erkennbar. Sie
ergeben sich entgegen § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG nicht aus der
Abordnungsverfügung. Das Gericht vertritt in diesem Zusammenhang auch die
Auffassung, das - weil sich der Charakter der Abordnungsverfügung
vollkommen ändern würde - kein Fall der „Ergänzung“ iSd § 114 Satz 2 VwGO
vorliegt, sondern ein unzulässiger Austausch der Gründe (zur Frage der
Rechtmäßigkeit des Austausches von Gründen s.a. VG Aachen, Beschl. v.
13.02.2013 - 3 L 477/12 -, zit. n. juris, dort Rdnr. 65; sowie Sächsisches OVG,
Beschl. v. 19.10.2012 . 2 A 762/11, zit. n. juris, Rdnr. 8).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und 53 Abs. 2, 52
Abs. 2 GKG. Da die Abordnung nur bis zum 31.01.2013 ausgesprochen
wurde, nimmt die Entscheidung im Eilverfahren die Hauptsache jedenfalls zum
überwiegenden Teil vorweg. Mit einer Entscheidung über die Klage selbst ist
nicht vor Ablauf des derzeitigen Schulhalbjahres zu rechnen. Dies rechtfertigt
es, den Streitwert nicht im Hinblick auf die Vorläufigkeit dieser Entscheidung zu
reduzieren.