Urteil des VG Hannover vom 06.05.2014

VG Hannover: haushalt, elternurlaub, hauptsache, zusammenleben, lebensgemeinschaft, abgrenzung, geburt, erwerbstätiger, fürsorge, industrie

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Elternzeit - Frage des Anordnungsgrundes, des
gemeinsamen Haushalts und des Europarechts
- Antrag nach § 123 VwGO
VG Hannover 13. Kammer, Beschluss vom 06.05.2014, 13 B 8468/14
§ 15 Abs 1 BEEG, § 81 BG ND, EGRL 34/96
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der im Jahre 1961 geborene Antragsteller steht als Beamter auf Lebenszeit im
Dienst der Antragsgegnerin. Er ist seit 1997 verheiratet und in C. wohnhaft. Am
15. Februar 2014 ist er Vater eines Sohnes geworden. Das Kind lebt mit der
Kindsmutter Frau D. in E..
Mit Schreiben vom 6. Januar 2014 beantragte der Antragsteller erstmals mit
Blick auf die bevorstehende Geburt die Gewährung einer zweimonatigen
Elternzeit. Die Antragsgegnerin lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 9.
Januar 2014 mit der Begründung ab, dass die siebenwöchige Frist des § 16
des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit nicht eingehalten worden sei.
Darüber hinaus teilte sie dem Antragsteller für einen etwaigen
Wiederholungsantrag mit, Nachweise vorzulegen, dass er mit dem Kind in
einem Haushalt lebe, es selbst betreue und selbst erziehe. Insoweit wurde um
Vorlage einer Geburtsurkunde, einer Erklärung über die
Haushaltszugehörigkeit und einer Meldebescheinigung des
Einwohnermeldeamts F. gebeten.
Der Antragsteller legte mit Schreiben vom 15. Januar 2014 den ausgefüllten
Vordruck „Haushaltszugehörigkeit“ vor, worin er anführt, dass das
gemeinsame Kind ab der Geburt bei der Kindsmutter in G. lebt. Er führt in
seinem Schreiben weiter an, dass er für die Dauer der Elternzeit im Haushalt
der Kindsmutter leben werde. Er kündigte an, eine Geburtsurkunde sowie eine
Meldebescheinigung nach zureichen. Eine Geburtsurkunde reichte der
Antragsteller später ein; eine Meldebescheinigung nicht. Mit Schreiben vom
11. Februar 2014 nahm der Antragsteller seinen Antrag zurück.
Unter dem 11. März 2014 erneuerte der Antragsteller seinen Antrag auf
Gewährung von Elternzeit, nunmehr für den Zeitraum vom 14. Mai 2014 bis 13.
Juni 2014.
Mit Schreiben vom 19. März 2014 teile die Antragsgegnerin dem Antragsteller
mit, die beantragte Elternzeit vorerst nicht bewilligen zu können. Sie wies
erneut darauf hin, dass Anspruch auf Elternzeit nur bestehe, wenn der
Elternteil mit dem Kind in einem Haushalt lebe und dieses selbst betreue und
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erziehe. Da der Antragsteller weiterhin in H. lebe, die Kindsmutter mit dem
Sohn hingegen in G., seien die Anspruchsvoraussetzungen weiterhin nicht
erfüllt. Soweit sich die familiären Verhältnisse geändert hätten, möge er dies
mitteilen, damit der Antrag erneut geprüft werden können. Eine
Rechtsbehelfsbelehrung enthielt dieses Schreiben nicht.
Mit Schreiben vom 2. April 2014 machte der Antragsteller gegenüber der
Antragsgegnerin geltend, dass der Bescheid formell wie materiell rechtswidrig
sei. Es reiche aus, dass das Kind für die Zeit der Elternzeit im selben Haushalt
mit dem Antragsteller lebe und von ihm tatsächlich betreut werde. Es müsse
sich nicht zwingend um den Haushalt des Arbeitnehmers handeln. Vielmehr
könne dies entweder die Wohnung der Kindsmutter in Koblenz oder sein Haus
in Bockenem sein. Eine Meldepflicht kenne die maßgebliche Vorschrift über
die Gewährung von Elternzeit nicht. Mit Schreiben vom 16. April 2014 teilte die
Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass die Angelegenheit dem
zuständigen Verwaltungsrat zur Entscheidung vorgelegt werde.
Am 23. April 2014 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz
nachgesucht. Er vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und
beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu
verpflichten, ihm im Zeitraum vom 14. Mai bis 13. Juni 2014 Elternzeit
zu gewähren.
Die Antragsgegnerin tritt dem entgegen und beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache
eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor
allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile
abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen
nötig erscheint.
Da die beantragte einstweilige Anordnung hier die Hauptsache vorwegnimmt,
kommt sie nur dann in Betracht, wenn es für den Antragsteller schlechthin
unzumutbar ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Dem
Antragsteller müssten ohne die begehrte Gewährung von Elternzeit
schwerwiegende Nachteile drohen, die ihm nicht zuzumuten sind und im
Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Der Antragsteller muss
gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft
machen, dass ihm der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch zusteht
(Anordnungsanspruch) und dass ein Grund für die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes besteht (Anordnungsgrund).
Unter Anwendung dieser Grundsätze fehlt es an der notwendigen
Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes (1.) und auch eines
Anordnungsanspruchs (2.).
1. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist vom Antragsteller nicht einmal
ansatzweise dargetan worden. Er trägt lediglich vor, dass in einem
Hauptsacheverfahren eine Entscheidung bis zum beantragten Beginn der
Elternzeit nicht zu erreichen sei. Dies reicht aber für die Annahme eines
Anordnungsgrundes im o.g. Sinne nicht aus. Auch unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ist
nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden, dass der Antragsteller die
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begehrte Elternzeit ausschließlich zu dem hier beantragten Zeitraum antreten
kann bzw. muss. Selbst wenn er aber - aus welchen Gründen auch immer -
zwingend auf diesen Zeitraum festgelegt sein sollte, ergibt sich nichts anderes.
Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist es dem Antragsteller möglich und
zuzumuten für den gewünschten Termin zunächst Erholungsurlaub nach den
Vorschriften der Niedersächsischen Erholungsurlaubsverordnung in Anspruch
zu nehmen und sodann in einem Klageverfahren gegen die Versagung der
beantragten Elternzeit mit dem Ziel vorzugehen, dass ihm der stattdessen
genommene Erholungsurlaub wieder gutzuschreiben ist. Daher fehlt dem
gestellten Eilantrag schon das Rechtsschutzbedürfnis in Form des
Anordnungsgrundes.
2. Darüber hinaus hat der Antragsteller auch keinen Anordnungsanspruch
glaubhaft gemacht. Insoweit kommt es auf die vom Antragsteller
aufgeworfenen Fragen zur formellen Rechtswidrigkeit der Versagung der
Gewährung von Elternzeit nicht streitentscheidend an. Der Antragsteller erfüllt
bereits die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen für den geltend
gemachten Anspruch auf Elternzeit nicht. Dieser Anspruch richtet sich gemäß
§ 81 NBG nach den Rechtsvorschriften des Bundes über den Mutterschutz
und die Elternzeit. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) und Nr. 2 des Gesetzes
zum Elterngeld und zur Elternzeit - Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz
(BEEG) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Elternzeit,
wenn sie mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und dieses Kind selbst
betreuen und erziehen.
Schon nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers lebt das Kind nicht mit
ihm in einem Haushalt. Der Antragsteller hat seinen Lebensmittelpunkt in H.
und sein Kind in G. bei der Kindsmutter. Damit besteht zwischen dem
Antragsteller und dem Kind gerade keine Wirtschafts- und
Lebensgemeinschaft häuslicher Art. Auch spricht derzeit nichts dafür, dass
sich an dieser Aufteilung der jeweiligen Lebensmittelpunkte etwas ändern wird.
Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht dadurch, dass der Antragsteller
beabsichtigt, für die Zeit der Dauer der beantragten Elternzeit bei der
Kindsmutter und dem Kind zu leben. Dem Vorbringen des Antragstellers nach
ist ein mehrwöchiges Zusammenleben mit seinem Kind beabsichtigt. Dies
begründet für sich allein aber keinen gemeinsamen Haushalt mit diesem und
ist erst recht nicht ausreichend, um die Betreuung und Erziehung ausreichend
zu belegen. Unter dem Begriff des Haushalts im Sinne von § 15 Abs. 1 BEEG
ist der Mittelpunkt der privaten Lebensführung zur Befriedigung der
persönlichen Bedürfnisse einer Familie oder einer einzelnen Person zu
verstehen (Rancke, Handkommentar, Mutterschutz/ Elterngeld/Eltern-zeit, 1.
Aufl., § 15 BEEG, Rdnr. 17). Hierzu gehört nicht nur ein örtlich gebundenes
Zusammenleben, sondern eine Schnittmenge von Merkmalen örtlicher
(Familienwohnung), materieller (Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung
von Fürsorge, Begründung eines ähnlichen Bandes) (vgl. hierzu SG Würzburg,
Urt. vom 10.09.2010 - S E EG 15/10 -, juris, zu § 1 BEEG). Insoweit hat der
Antragsteller noch nicht einmal dargelegt, dass er mit der Kindesmutter für die
Zeit des geplanten Zusammenlebens eine gemeinsame (wirtschaftliche)
Haushaltsführung beabsichtigt. Zudem ist die Zeit des kurzzeitigen
Zusammenlebens an einem Ort nicht geeignet, eine Haushaltsgemeinschaft
im dargelegten Sinne zu begründen. Dafür ist eine gewisse - hier nicht
gegebene - Dauerhaftigkeit zu verlangen, damit eine Abgrenzung zu bloßen
Besuchen, mögen sie auch mehrwöchig sein, möglich bleibt. Sinn und Zweck
der gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit ist es, die Vereinbarkeit von
Berufs- und Familienleben erwerbstätiger Eltern zu erleichtern. Es geht
hingegen nicht darum, dem Arbeitnehmer bzw. Beamten zusätzliche
Urlaubstage zu verschaffen.
Entgegen der Ansicht des Antragstellers liegt hierin auch keine
europarechtswidrige Begrenzung des Anspruchs auf Elternzeit. Es trifft zwar
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zu, dass nach § 2 der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub (vgl.
Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von den europäischen
Sozialpartnern, der Union der europäischen Industrie- und
Arbeitgeberverbände (UNICE), dem europäischen Zentralverband der
öffentlichen Wirtschaft (CEEP) und dem Europäischen Gewerkschaftsbund
(EGB) geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub sowie die
Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von
BUSINESS EUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen
überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur
Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG) ein individuelles Recht auf Elternurlaub zur
Betreuung des Kindes vorgesehen ist und dort die Voraussetzung des
Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt nicht verlangt wird. Auch
wenn durch die Übernahme dieser Rahmenvereinbarung als Anhang der
Richtlinie 2010/18/EU diese selbst einen Bestandteil der Richtlinie darstellt und
an deren Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten teilnimmt, führt dies jedoch
nicht dazu, dass § 15 BEEG dahingehend ausgelegt werden müsste, dass der
Berechtigte und das Kind nur während der Zeit der beanspruchten Elternzeit in
einem Haushalt leben müssten.
Abgesehen davon, dass im Falle einer solchen Auslegung eine Abgrenzung
zwischen Besuchen und Betreuung/Erziehung oftmals nicht mehr möglich
wäre, ist das Erfordernis des Zusammenlebens in einem Haushalt gerade als
Ausgestaltung des Zwecks des mit genannten EU-Richtlinie verfolgten Zwecks
anzusehen. Diese wie das nationale Recht soll Mütter und Väter besser als
bisher in die Lage versetzen, Beruf und Familie, insbesondere die Betreuung
und Erziehung ihrer Kinder, miteinander zu vereinbaren. Mit dem Erfordernis
einer Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft häuslicher Art soll letztlich
sichergestellt werden, dass die Elternzeit auch tatsächlich für die Erziehung
des gemeinsamen Kindes genutzt wird. Darin kann keine unzulässige
Beschränkung der europarechtlichen Vorgaben gesehen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und 52 Abs. 2 GKG in
Verbindung mit Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2013, 57). Wegen der Vorwegnahme der
Hauptsache kommt eine Reduzierung des für das Hauptsacheverfahrens
maßgeblichen Auffangstreitwerts nicht in Betracht.