Urteil des VG Hannover vom 13.03.2014

VG Hannover: rückforderung, unterricht, entschuldigung, quote, krankheit, schwangerschaft, säumnis, behandlung, erfüllung, zuschuss

1
2
Rückforderung von Aufstiegsfortbildungsförderung;
hier: entschuldigte Fehlzeiten auf Grund Erfüllung
arbeitsvertraglicher Pflichten
1. Es bestehen keine grundsätzliche Bedenken dagegen, für die Auslegung
des Begriffs der regelmäßigen Teilnahme in § 9 Satz 2, 4 AFBG auf den
zeitlichen Umfang der Teilnahme an der geförderten Maßnahme abzustellen
und dabei zwischen entschuldigten und unentschuldigten Fehlzeiten zu
differenzieren.
2. Für die Unterscheidung zwischen entschuldigten und unentschuldigten
Fehlzeiten kommt es entscheidend darauf an, ob die Ursache für die
Säumnis in Umständen liegt, die der einer grundsätzlichen eigenen
Gestaltungsfreiheit offenen Sphäre des Auszubildenden zuzurechnen sind,
oder ob sie auf Umständen beruht, die von diesem nicht beeinflusst werden
können bzw. nicht zu vertreten sind. Dabei ist von einer hinreichenden
Entschuldigung für eingetretene Fehlzeiten zumindest dann auszugehen,
wenn der Auszubildende gezwungen gewesen wäre, zu deren Vermeidung
gegen eine gesetzliche oder arbeitsvertragliche Rechtspflicht zu verstoßen.
3. Die derzeitige bundesweite Verwaltungspraxis, nach der die für die
Förderung zuständigen Behörden im Rahmen des § 9 Satz 2, 4 AFBG nur
ärztlich attestierte krankheits- oder schwangerschaftsbedingte Fehlzeiten
als entschuldigt ansehen, ist mit dem Gesetz nicht vereinbar.
4. Ob § 16 Abs. 1 Nr. 2 AFBG auf einen Maßnahmebeitrag überhaupt
anwendbar ist, bleibt offen.
VG Hannover 3. Kammer, Urteil vom 13.03.2014, 3 A 4605/12
§ 16 Abs 1 Nr 2 AFBG, § 7 Abs 3a AFBG, § 7 Abs 4 AFBG, § 9 S 2 AFBG, § 9 S 4
AFBG, § 9 S 6 AFBG
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 25.06.2012 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden
nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird
gestattet, eine Kostenvollstreckung seitens der Klägerin mittels
Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn
nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die rückwirkende Aufhebung eines
Bescheides über die Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung sowie die
Rückforderung der an sie bereits ausgezahlten Förderleistung.
Die Klägerin nahm als gelernte allgemeine Transportfacharbeiterin zum
01.10.2010 bei der Fa. D. in Bremen eine Beschäftigung als
Distributionsmitarbeiterin auf. Sie wurde von ihrer Arbeitgeberin als
kommissarische Teammeisterin für den Bereich E. eingesetzt. Nachdem die
3
4
5
6
7
Arbeitgeberin ihr empfohlen hatte, berufsbegleitend eine Fortbildung zur
Logistikmeisterin durchzuführen, schloss die Klägerin im September 2011 mit
dem Fortbildungsträger F. einen Ausbildungsvertrag über die Teilnahme an
dem Fortbildungskurs „geprüfte/r Logistikmeister/in“ im Zeitraum 19.10.2011 -
April 2013. Der Unterricht fand jeweils mittwochs von 18.00 h - 21.00 h sowie
samstags von 13.00 h - 18.00 h in Hamburg statt. Die Fortbildungsmaßnahme
umfasste planmäßig 470 Unterrichtsstunden. Wegen der weiteren Einzelheiten
wird auf den Ausbildungsvertrag verwiesen.
Unter dem 11.12.2011 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf
Förderung der Fortbildungsmaßnahme nach dem
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (im Folgenden: AFBG). Mit
Formularbescheid vom 24.02.2012 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine
Förderung nach dem AFBG in Form eines Maßnahmebeitrags in Höhe von
945,- EUR als Zuschuss sowie in Höhe von weiteren 2.154,50 EUR als
Darlehn. Im Textteil des Bescheides ist ausgeführt, er ergehe „unter dem
Vorbehalt der Einstellung und Rückforderung der Leistungen, dass Sie gemäß
§ 9 AFBG zum 15.04.2012 einen Nachweis des Bildungsträgers über die
regelmäßige Teilnahme an der Maßnahme erbringen“. Auf der Grundlage
dieses Bescheides schloss die Klägerin mit der KfW-Bankengruppe einen
Darlehnsvertrag über den insoweit bewilligten Teilförderbetrag ab.
Die Klägerin nahm ab dem 19.10.2011 an der Fortbildungsmaßnahme teil. Im
Zeitraum vom 19. - 26.11.2011 versäumte sie den Unterricht auf Grund eines
bereits im Juli 2011 gebuchten Urlaubs. Am 07.12.2011 nahm die Klägerin
wegen einer an diesem Tag durchgeführten ärztlichen Behandlung nicht am
Unterricht teil. Weiterhin versäumte sie am 11.02., 18.02. und 25.02.2012 den
Unterricht, weil sie an diesen Tagen auf Grund entsprechender Weisungen
ihrer Arbeitgeberin arbeitete.
Mit Schreiben vom 28.02.2012 erinnerte die Beklagte die Klägerin daran, dass
sie bis zum 15.04.2012 einen Nachweis des Fortbildungsträgers auf dem
Formblatt F über ihre regelmäßige Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme
vorzulegen habe. Am 16.05.2012 ging bei der Beklagten das vom
Fortbildungsträger ausgefüllte Formblatt F ein. Darin ist vermerkt, dass die
Klägerin im Zeitraum vom 19.10.2011 - 25.02.2012 an der Maßnahme
teilgenommen und dabei von 160 Unterrichtsstunden 30 Stunden versäumt
habe. Zu der Frage, ob bzw. in welchem Umfang die Fehlzeiten entschuldigt
waren, enthält die Bescheinigung keine Aussage. Nach telefonischer Auskunft
des Fortbildungsträgers gegenüber dem Berichterstatter prüft der Träger die
Gründe für eingetretene Fehlzeiten nicht generell sondern nur dann, wenn im
Einzelfall der Erfolg der Maßnahme gefährdet erscheint. Eine solche Prüfung
sei im Falle der Klägerin nicht erfolgt.
Mit Schreiben vom 29.05.2012 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass
die vom Fortbildungsträger vorgelegte Bescheinigung Fehlzeiten von
insgesamt 18,75% im Zeitraum 19.10.11 - 25.02.12 ausweise. Zur Prüfung, ob
aus diesem Grund die Leistung einzustellen sei und die Förderung
zurückgefordert werden müsse, solle sie ihre Fehlzeiten allgemein erläutern
und ggf. ärztliche Atteste vorlegen. Nur ärztlich attestierte Krankheitstage
könnten Fehlzeiten über 10% entschuldigen. Die Klägerin reichte daraufhin
ihre Gehaltsabrechnung für Februar 2012 ein, die den 11., 18, und 25. des
Monats als Arbeitstage ausweist. Fernmündlich teilte sie dazu mit, ihre
Arbeitgeberin habe sie angewiesen, an diesen Tagen zu arbeiten. Außerdem
legte sie eine ärztliche Bescheinigung über die am 07.12.2011 erfolgte
Behandlung vor.
Mit Bescheid vom 25.06.2012 setzte die Beklagte die der Klägerin zu
gewährende Förderung rückwirkend zum 19.10.2011 auf 0,- EUR fest und
forderte sie zur Rückzahlung des an sie als Zuschuss geleisteten Betrages
von 945,- EUR auf. In einer - gesondert übersandten - „Anlage zum Bescheid“
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
ist ausgeführt, dass nur die Fehlzeiten vom 07.12.2011 (4 Std.) als
entschuldigt angesehen werden könnten, die beruflich bedingten Fehlzeiten
dagegen nicht. Damit blieben insgesamt 26 Stunden (16,25%) unentschuldigt,
so dass es an der geforderten regelmäßigen Teilnahme an der
Fortbildungsmaßnahme fehle. Die Förderung sei deshalb zu widerrufen.
Die Klägerin hat am 26.07.2012 Klage erhoben. Sie macht im Kern geltend,
dass die beruflich bedingten Fehlzeiten nicht als unentschuldigt gewertet
werden könnten. Sie sei arbeitsvertraglich verpflichtet gewesen, den
Weisungen ihrer Arbeitgeberin, an den betroffenen Tagen zu arbeiten, Folge
zu leisten. Es könne ihr nicht zugemutet werden, zum Erhalt des
Förderanspruchs eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung zu begehen. Dem
AFBG sei auch nicht zu entnehmen, dass lediglich ärztlich attestierte
Krankheitstage als entschuldigte Fehlzeiten angesehen werden könnten. Das
ihr im Rahmen des Bewilligungsverfahrens von der Beklagten übersandte
„Merkblatt zur regelmäßigen Teilnahme“ verweise zur Möglichkeit einer
Entschuldigung von Fehlzeiten selbst ausdrücklich nur beispielhaft auf die
Vorlage ärztlicher Atteste.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25.06.2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und teilt ergänzend mit, auf einer
„OBLAFBG-Sitzung“ am 29./30. März 2011 in Bonn sei festgelegt worden,
dass nur ärztlich attestierte krankheits- bzw. schwangerschaftsbedingte
Fehlzeiten, soweit sie die in § 7 Abs. 4 AFBG genannten Zeiten nicht
überschritten, als entschuldigt angesehen werden könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten sowie des
Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt des
beigezogenen Verwaltungsvorgangs verwiesen.
Die Beteiligten haben im Nachgang zu dem PKH-Beschluss der Kammer vom
25.09.2013 gemäß § 101 Abs. 2 VwGO auf die Durchführung einer
mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch den
Berichterstatter anstelle der Kammer gemäß § 87a Abs. 2, 3 VwGO
einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom
25.06.2012 ist aufzuheben, denn er ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid kommt nur § 16 Abs.
1 Nr. 2 AFBG (hier i. d. F. vom 08.10.2012, BGBl. I S. 2126) in Betracht.
Danach ist - außer in den Fällen der §§ 44 - 50 SGB X - insoweit der
Bewilligungsbescheid aufzuheben und der Förderungsbetrag zu erstatten, als
die Voraussetzungen für die Leistung an keinem Tag des Kalendermonats
vorgelegen haben, für den sie gezahlt worden ist, und die Förderung unter
dem Vorbehalt der Rückforderung geleistet worden ist. Eine Auflösung dieses
Vorbehalts gegenüber dem Auszubildenden kommt dabei gemäß § 9 Satz 6
18
19
20
21
22
AFBG u.a. in Betracht, wenn die Fördervoraussetzungen des § 9 Satz 1, 2
AFBG nicht vorgelegen haben, weil dieser nicht regelmäßig an der
Fortbildungsmaßnahme teilgenommen hat.
a) Es kann offen bleiben, ob diese Vorschriften auf einen Fall wie dem
vorliegenden, in dem es ausschließlich um die Rückforderung eines
Maßnahmebeitrags geht, überhaupt anwendbar sind (bejahend: VG Minden,
Urt. vom 09.12.2011, 6 K 1464/11, juris, best. von OVG NW, Beschl. vom
12.04.2012, 12 A 236/12, juris; verneinend: VG Augsburg, Urt. vom
11.06.2013, Au 3 K 12.1564, juris). Denn selbst wenn man diese Frage bejaht,
lagen jedenfalls die Voraussetzungen für eine rückwirkende „Einstellung der
Leistung“ - rechtlich ist das entgegen der insoweit redaktionell missglückten
Formulierung in § 9 Satz 6 AFBG als rückwirkende Aufhebung des
ursprünglichen Bewilligungsbescheides zu werten - und für die Rückforderung
der bereits an die Klägerin ausgezahlten Förderleistung in der Sache nicht vor.
b) Zwar hatte die Beklagte die der Klägerin gewährte Förderungsleistung im
Sinne von § 16 Abs. 1 Nr. 2 AFBG mit dem Bewilligungsbescheid vom
24.02.2012 gemäß § 9 Satz 6 AFBG unter den Vorbehalt der Einstellung und
Rückforderung im Falle der nicht regelmäßigen Teilnahme an der
Fortbildungsmaßnahme gestellt. Das ergibt sich mit noch hinreichender
Deutlichkeit aus dem Textteil jenes Bescheides, wonach die Klägerin bis zum
15.04.2012 einen Nachweis des Bildungsträgers über die regelmäßige
Teilnahme an der Maßnahme zu erbringen hatte. Die Beklagte durfte aber
diesen Vorbehalt im vorliegenden Fall nicht auflösen, denn die Klägerin hat
nicht im Sinne von § 9 Satz 2, 4 AFBG lediglich unregelmäßig an der
geförderten Maßnahme teilgenommen.
aa) Das AFBG selbst definiert nicht näher, unter welchen Voraussetzungen
eine regelmäßige Teilnahme an der geförderten Maßnahme im Sinne des § 9
Satz 2, 4 AFBG vorliegt. Es handelt sich dabei vielmehr um einen
unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung seitens der
Verwaltung der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt.
Dagegen, dass die Beklagte insoweit dem Grunde nach unter Berufung auf die
Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zum Entwurf eines
zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes
(BT-Drs. 16/10996) auf den zeitlichen Umfang der Teilnahme abstellt und im
Weiteren eine Unterscheidung zwischen entschuldigten und unentschuldigten
Fehlzeiten vornimmt, bestehen keine grundsätzlichen Bedenken (so auch VG
Oldenburg, Urt. vom 09.11.2012, 13 A 3804/12, juris). Nach der
Gesetzentwurfsbegründung soll von einer regelmäßigen Teilnahme noch
ausgegangen werden können, wenn die Teilnehmer oder Teilnehmerinnen
nicht mehr als 10% der gesamten Maßnahme unentschuldigt versäumt haben
(vgl. BT-Drs. 16/10996, Nr. 9 zu § 9, S. 27). Nach Angaben der Beklagten ist
diese Quote allerdings in der Verwaltungspraxis seit Juli 2012 - ohne dass sich
insoweit am Gesetz etwas geändert hätte - auf 15% angehoben worden, was
darauf hindeutet, dass es sich bei dieser quotenmäßigen Betrachtung nur um
ein grobes, relativ zu betrachtendes Interpretationskriterium handelt.
bb) Es kann offen bleiben, ob - wie das VG Oldenburg annimmt (Urt. vom
09.11.2012, 13 A 3804/12, a.a.O.), die Beurteilung der Frage einer
regelmäßigen Teilnahme und in dem Zusammenhang die Beurteilung der
Frage einer genügenden Entschuldigung von Fehlzeiten von Gesetzes wegen
grundsätzlich und primär dem Fortbildungsträger obliegt. Denn im
vorliegenden Fall hat sich der Fortbildungsträger in dem von ihm ausgefüllten
Formblatt F (Teilnahmebescheinigung) zu dieser Frage nicht geäußert und,
wie die telefonische Nachfrage des Berichterstatters ergeben hat, eine
derartige Bewertung auch nicht vorgenommen, weshalb eine Prüfung dieser
Frage von der Beklagten vorzunehmen war.
23
24
25
26
cc) Es kann im Übrigen auch offen bleiben, ob - was die Verwaltungspraxis
offenbar annimmt - das o.a. Quotenkriterium in dem Sinne absolut zu
verstehen ist, dass bei einer Überschreitung der Quote zwingend von einer
nicht mehr regelmäßigen Teilnahme auszugehen wäre. Denn im Falle der
Klägerin liegt die Quote der unentschuldigten Fehlzeiten nicht über dem in der
Verwaltungspraxis angesetzten Wert von 10% bzw. nunmehr 15%. Es sind
nämlich nicht nur die wegen der ärztlichen Behandlung am 07.12.2011
sondern auch die wegen der Arbeitstätigkeit der Klägerin am 11., 18. und
25.02.2012 eingetretenen Fehlzeiten als entschuldigt anzusehen.
(1) Die gegenteilige, auf einer entsprechenden Festlegung auf der OBLAFBG-
Sitzung am 29./30.März 2011 beruhende, aber argumentativ
bemerkenswerterweise nicht weiter unterfütterte Auffassung der Beklagten,
dass ausschließlich ärztlich attestierte krankheits- oder
schwangerschaftsbedingte Fehlzeiten im Rahmen des § 9 AFBG als
entschuldigt angesehen werden können, lässt sich weder aus dem Gesetz
selbst noch aus den Gesetzesmaterialien ableiten. Namentlich taugt dafür
nicht der Blick auf die Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 1 AFBG, wonach, solange
die Teilnahme an der Maßnahme wegen Krankheit oder Schwangerschaft
nicht möglich ist, die Förderung bei Krankheit bis zu drei Monate und bei
Schwangerschaft bis zu vier Monate weitergeleistet wird. Diese Regelung kann
nämlich nicht isoliert betrachtet werden, sondern sie steht in einem
offenkundigen unmittelbaren Zusammenhang mit der Regelung in § 7 Abs. 3a
AFBG, der aber gerade neben Krankheit und Schwangerschaft auch den
„anderen wichtigen Grund“ für eine prinzipiell förderunschädliche
Unterbrechung der Maßnahme anerkennt. Außerdem wären die Regelungen
in § 7 Abs. 4 Satz 1 AFBG einerseits und § 9 AFBG andererseits auch
inkompatibel, wenn man sie in der von der Beklagten vertretenen Weise als
inhaltlich aufeinander bezogen ansehen wollte. Denn es kommt durchaus in
Betracht, dass etwa bei einer schwangerschaftsbedingten Unmöglichkeit zur
Teilnahme an der Maßnahme die von der derzeitigen Verwaltungspraxis als
absolute Obergrenze förderunschädlicher Säumnis angesetzte
Fehlzeitenquote von insgesamt 30% der Gesamtmaßnahme bereits deutlich
vor dem Ablauf von vier Monaten erreicht werden könnte. Gleichwohl wird in
solchen Fällen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 AFBG erst nach Ablauf von vier
Monaten die Förderung einzustellen und im Übrigen auch gerade nicht nach §
16 Abs. 1 Nr. 2 AFBG für die Vergangenheit zurückzufordern sein. Ergänzend
kann im Übrigen zur Untauglichkeit des Rückgriffs auf § 7 Abs. 4 Satz 1 AFBG
für die Interpretation des Begriffs der regelmäßigen Teilnahme in § 9 AFBG auf
die Ausführungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts in seinem
Beschluss vom 23.11.2012 (1 B 351/12, juris) verwiesen werden, denen sich
das erkennende Gericht anschließt.
(2) Wie bereits in dem PKH-Beschluss der Kammer vom 25.09.2013
angedeutet, kommt es im Rahmen des § 9 AFBG bei der Auslegung des
Begriffs der regelmäßigen Teilnahme für die Unterscheidung zwischen
entschuldigten und unentschuldigten Fehlzeiten entscheidend darauf an, ob
die Ursache für die Säumnis in Umständen liegt, die der einer grundsätzlichen
eigenen Gestaltungsfreiheit offenen Sphäre des Auszubildenden zuzurechnen
sind, oder ob sie auf Umständen beruht, die von diesem nicht beeinflusst
werden können bzw. nicht zu vertreten sind. Dabei ist von einer hinreichenden
Entschuldigung für eingetretene Fehlzeiten zumindest dann auszugehen,
wenn der Auszubildende gezwungen gewesen wäre, zu deren Vermeidung
gegen eine gesetzliche oder eine arbeitsvertragliche Rechtspflicht zu
verstoßen.
So ist es z. B. förderrechtlich - aus Sicht der Kammer offenkundig - nicht
begründbar, von einem (potenziell) förderschädlichen unentschuldigten Fehlen
auszugehen, wenn der Auszubildende den Unterricht deshalb versäumt, weil
er auf dem Weg dorthin Zeuge oder Beteiligter eines Verkehrsunfalls wird und
27
28
29
30
31
32
deshalb von Gesetzes wegen - sogar strafbewehrt -verpflichtet ist, am
Unfallort zu verbleiben. Gleiches gilt etwa auch für eine angeordnete
Teilnahme an einem Gerichtstermin (als Beteiligter/Partei, Zeuge oder
ehrenamtlicher Richter/Schöffe) während der Unterrichtszeit.
Solchen gesetzlich verankerten Hinderungsgründen sind weiterhin auch
arbeitsvertraglich zulässige Weisungen des Arbeitgebers zur Erfüllung
arbeitsvertraglicher Pflichten während der Unterrichtszeit gleichzustellen. An
dieser dem PKH-Beschluss zu Grunde liegenden Rechtsauffassung hält die
Kammer ausdrücklich fest, zumal die Beklagte dem auch nichts Substanzielles
entgegen gehalten hat. Zutreffend weist die Klägerin insoweit darauf hin, dass
es ihr förderungsrechtlich nicht zugemutet werden könnte, zum Erhalt der
persönlichen Fördervoraussetzungen einen arbeitsrechtlichen Pflichtenverstoß
zu begehen, der u. U. sogar zum Verlust des Arbeitsplatzes führen könnte.
Damit würde vielmehr die arbeitsmarktpolitische Zielsetzung des AFBG
konterkariert, die ausweislich der Begründung des o.a. Gesetzentwurfs gerade
darin liegt, „die Attraktivität beruflicher Aufstiegsfortbildungen zu steigern und
noch mehr Menschen als bisher für Fortbildungen zu gewinnen, um durch eine
kontinuierliche Höherqualifizierung über alle Altersgruppen hinweg dem
Fachkräftemangel in Deutschland zu begegnen, die Beschäftigungsfähigkeit
der Menschen auf Dauer zu erhalten und die Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands zu sichern“ (BT-Drs. 16/10996, S. 1).
dd) Im vorliegenden Fall verbleiben damit als der Sphäre der Klägerin
zurechenbare und in dem Sinne unentschuldigte Fehlzeiten nur diejenigen
Unterrichtszeiten, die die Klägerin im Zeitraum vom 19. - 26.11.2011
urlaubsbedingt versäumt hatte. Das waren lediglich 13 Stunden (2 x samstags
je 5 Std. + 1 x mittwochs 3 Std.) und damit nur 8,125% der bis zum 25.02.2012
regulär angefallenen 160 Unterrichtsstunden. Damit lag die Klägerin sogar
noch unter der ursprünglich auf der Basis der Begründung des Gesetzentwurfs
von der Verwaltungspraxis zu Grunde gelegten Toleranzgrenze von 10%
unentschuldigter Fehlzeiten.
ee) Angesichts dessen kommt es im Übrigen nicht mehr darauf an, ob die von
der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid getroffene Bewertung auch
schon deshalb fehlerhaft ist, weil ihr ein kürzerer als der in § 9 Satz 4 AFBG
genannte Zeitraum zu Grunde liegt, nämlich lediglich eine Zeitspanne von rund
vier Monaten (19.10.2011 - 25.02.2012).
2. Die rechtswidrige rückwirkende Aufhebung des ursprünglichen
Bewilligungsbescheides und Rückforderung des an die Klägerin ausgezahlten
Maßnahmebeitrags verletzen diese in ihren Rechten zumindest aus Art. 2 Abs.
1 GG.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 VwGO. Die
Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
III.
Das Gericht lässt gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO die Berufung und gemäß § 134 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i. V. m. § 132 Abs.
2 Nr. 1 VwGO die Sprungrevision zu, weil die Rechtssache angesichts des
Umstands, dass die Verwaltungspraxis zu der entscheidungserheblichen
Frage, wie der Begriff der regelmäßigen Teilnahme in § 9 Abs. 1, 2, 4, 6 AFBG
auszulegen ist, über diesen Fall hinaus soweit ersichtlich bundesweit auch
nach der Entscheidung des Sächs. OVG vom 23.11.2012 (1 B 351/12, juris)
weiterhin eine vom Gericht als fehlerhaft bewertete Auffassung vertritt und
ihren Entscheidungen zu Grunde legt, grundsätzliche Bedeutung hat.