Urteil des VG Hannover vom 28.05.2014

VG Hannover: vorbehalt des gesetzes, schule, anerkennung, niedersachsen, schüler, erlass, eigenschaft, physiotherapie, verwaltungsakt, physiotherapeut

1
2
3
4
5
6
Staatliche Schulaufsicht über Physiotherapieschulen
Für den Erlass schulaufsichtlicher Verfügungen gegenüber den Trägern von
staatlich anerkannten Schulen für Physiotherapie gibt es in Niedersachsen
keine Rechtsgrundlage.
VG Hannover 6. Kammer, Urteil vom 28.05.2014, 6 A 8169/13
Art 20 Abs 3 GG, Art 7 Abs 1 GG, § 12 Abs 1 MPhG, § 9 MPhG, § 1 Abs 5 SchulG
ND, § 167 SchulG ND, § 1 Abs 2 PhysTh-APrV
Tatbestand
Die Klägerin ist Trägerin der in F. unter dem Namen Schulen G. betriebenen
Berufsfachschule für Physiotherapie. Der Schule ist mit Bescheid der
ehemaligen Bezirksregierung Hannover vom 12. September 1995 unter
Bezugnahme auf § 9 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie
(Masseur- und Physiotherapeutengesetz - MPhG) die Eigenschaft einer
staatlich anerkannten Berufsfachschule für Physiotherapie verliehen worden.
Mit Bescheid vom 21. Februar 1996 hat die Bezirksregierung die Aufnahme
eines 2. Lehrganges pro Schuljahr genehmigt, die Aufnahmetermine und die
Lehrgangsgröße festgesetzt und erklärt, dass die staatliche Anerkennung in
der Form des Bescheides vom 12. September 1995 im Übrigen weitergilt.
Bei einem Schulbesuch am 22. November 2012 stellte die Beklagte fest, dass
die Klägerin auch Lehrgänge für die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 bis 3 MPhG auf
18 oder 12 Monate verkürzte Physiotherapeutenausbildung durchführt. Die
Beklagte wies mit Schreiben vom 23. November 2011 darauf hin, dass für die
Durchführung der verkürzten Ausbildungen keine Genehmigung vorliege und
der Unterricht grundsätzlich in jeweils getrennten Lehrgängen durchgeführt
werden müsse. Daraufhin beantragte die Klägerin mit einem Schreiben ihrer
Schule vom 17. Dezember 2012 die Erteilung einer Genehmigung für die
Durchführung der verkürzten Ausbildung.
Mit Bescheid vom 27. November 2013 untersagte die Beklagte der Klägerin,
zukünftig die verkürzte Ausbildung gemäß § 12 Abs.1 MPhG durchzuführen.
Zur Begründung vertrat sie die Auffassung, dass die Klägerin nur über eine
staatliche Anerkennung für die dreijährige Physiotherapeutenausbildung
verfüge und mehrfach vergeblich aufgefordert worden sei, die Genehmigung
der auf 18 oder 12 Monate verkürzten Ausbildungen zu beantragen und
Curricula vorzulegen. Abweichend von der Praxis der Klägerin, Schülerinnen
und Schüler mit Erlaubnis für eine der verkürzten Ausbildungen auf die
Klassen der regulären dreijährigen Ausbildung zu verteilen, sei es notwendig,
deren Vorwissen aus der nachgewiesenen Berufsausbildung aufzufrischen
und zu ergänzen. Es sei zwar durchaus möglich, nach entsprechender
Genehmigung gemeinsame Lernsituationen bzw. Unterrichtseinheiten zu
schaffen. Die Zusammenlegung von Klassen setze aber ein strukturiertes
Curriculum voraus, aus dem hervorgehe, mit welchem Lernstand die Schüler
diese Sequenz beginne und welche Kompetenzen angestrebt werden.
Die Klägerin hat am 27. Dezember 2013 Klage erhoben.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die in identischen Fächern
vorgenommene Zusammenlegung des Unterrichts für die verkürzten
Ausbildungen von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten rechtlich
7
8
9
10
11
12
zulässig sei. Allerdings entscheide die staatlich anerkannte Schule nach § 14
Abs. 2 in Verbindung mit § 9 MPHG in eigener Verantwortung darüber, ob und
wie sie eine verkürzte Ausbildung organisiere. Eine gesetzliche Vorgabe,
wonach die Schule gesonderte Lehrgänge oder eine eigene Schule für eine
verkürzte Ausbildung genehmigen lassen müsse, gebe es nicht. Die
inhaltlichen Anforderungen an die Physiotherapieausbildung seien in der
(bundesrechtlichen) Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für
Physiotherapeuten festgelegt. Demzufolge unterliege eine staatlich anerkannte
Physiotherapeutenschule nicht aber der Fachaufsicht des Landes. Die
zuständige Behörde des Landes entscheide nach § 14 Abs. 2 MPHG nur über
die Anträge von einzelnen Schülerinnen und Schülern auf Verkürzung der
Ausbildung. Allein darauf beschränkten sich ein Genehmigungserfordernis und
die Behördenzuständigkeit der Beklagten. Wenn die Behörde der Auffassung
sei, die Ausbildung an dieser Schule sei unzureichend, müsse sie die
Verkürzungsanträge von Schülerinnen und Schülern ablehnen.
Die Lehrgänge nach § 12 Abs. 1 Satz 1 bis 3 MPhG seien auch keine
speziellen Ausbildungen, sondern Teil des einheitlichen Bildungsgangs der
dreijährigen Physiotherapeutenausbildung nach § 9 MPhG, welche in diesen
Fällen nur gemäß § 12 Abs. 1 MPhG wegen bereits erbrachter Vorleistungen
verkürzt werde und mit einer staatlichen Ergänzungsprüfung abschließe. Das
folge aus der Anrechnungsvorschrift des § 12 Abs. 3 MPhG und aus § 14 Abs.
2 MPHG, wonach der Gesetzgeber gerade nicht von separaten Ausbildungen
der in § 12 Abs. 1 MPhG genannten Personen ausgehe. Dem entspreche die
Praxis bei der Verkürzung von Ausbildungszeiten in anderen
Ausbildungsberufen. Daher habe sie die Teilnehmer an der verkürzten
Ausbildung in die vorhandenen Lehrgänge gemäß § 9 MPhG insoweit
integriert, als aus dem Stoff des Gesamtlehrganges die für die verkürzten
Ausbildungen relevanten Fächer und Inhalte herausgesucht und den
entsprechenden Teilnehmern angeboten würden.
Die verkürzte Ausbildung werde in den Schulen G. ordnungsgemäß
durchgeführt. An der Schule seien in den letzten drei Jahren mehrere
Abschlussprüfungen für Schülerinnen und Schülern stattgefunden, denen die
Beklagte die Genehmigung zur Verkürzung der Ausbildung erteilt habe.
Beanstandungen habe es dabei nicht gegeben, alle Schülerinnen und Schüler
hätten die Ergänzungsprüfung mit Erfolg bestanden. Mängel der Ausbildung
habe die Beklagte bei ihren Schulbesuchen nach Einblick in die Curricula,
Stoffverteilungspläne und Klassenbücher ebenfalls nicht festgestellt.
Dass das Vorwissen der Ausbildung zum Masseur und Medizinischen
Bademeister in der verkürzten Ausbildung bei den Schulen G. nicht
aufgefrischt und ergänzt werde, treffe nicht zu. Die verkürzte Ausbildung
basiere auf einem Curriculum, welches sich im Wesentlichen auf die Vorgaben
in den Anlagen 2 und 3 der Physiotherapeutenausbildungs- und
Prüfungsverordnung stütze. Diesen sei deutlich zu entnehmen, welche Fächer
und praktischen Ausbildungszeiten für die verkürzten Ausbildungen wegfielen
und welche Inhalte in den restlichen Fächern noch gelehrt werden müssten.
Die verbleibenden Ausbildungsinhalte der Anlagen 2 und 3 fänden sich
vollständig in den inhaltlichen Vorgaben der dreijährigen Ausbildung in Anlage
1 der Physiotherapeutenausbildungs- und Prüfungsverordnung wieder.
Demzufolge vermittle die Schule bei der verkürzten Ausbildung in jedem Fall
die in der Physiotherapeutenausbildungs- und Prüfungsverordnung
vorgeschriebenen Inhalte.
Die Klägerin beantragt,
den zum Geschäftszeichen H 4.3-41062 ergangenen Bescheid der
Beklagten vom 27. November 2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
13
14
15
16
17
18
19
20
21
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die der Klägerin im Jahre 1995
verliehene staatliche Anerkennung nur den Regelfall der dreijährigen
Ausbildung für Lehrgänge gemäß § 9 MPhG umfasse. Die nach § 12 Abs. 1
MPhG angebotene verkürzte Ausbildung stehe unter Aufsicht des Staates,
zumindest aber nach Art. 7 Abs. 4 GG unter einem Genehmigungsvorbehalt.
Die Wahrnehmung der staatlichen Aufsicht mache es erforderlich, dass ein
Schulträger das Angebot von Lehrgängen für die verkürzte Ausbildung unter
Vorlage von entsprechenden Unterlagen anzeige und ihm dann die
entsprechende staatliche Anerkennung erteilt werde. Dies sei nicht nur zur
Sicherheit des Schulträgers erforderlich, sondern auch damit Schülerinnen und
Schüler wüssten, dass auch ihre verkürzte Ausbildung unter staatlicher
Aufsicht erfolge.
Dafür seien mit Schreiben vom 1. März 2013 konkrete Unterlagen von der
Klägerin angefordert worden. Bei den Lehrgängen nach § 12 Abs. 1 Satz 1
und 3 MPhG handele es sich um eine eigenständige Ausbildung, die sich von
der Ausbildung nach § 9 MPhG nicht nur im zeitlichem Umfang, sondern auch
hinsichtlich ihrer Inhalte unterscheide und deshalb ein
unterrichtsorganisatorisches und methodisches Konzept voraussetze. Die
Klägerin habe dieses Konzept trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Bislang seien
die Schüler gemeinsam unterrichtet worden, wobei die Klägerin angeblich
Unterrichtseinheiten für abweichende Unterrichtsinhalte angeboten habe.
Konkrete Nachweise dafür lägen aber nicht vor. Erst wenn ein Curriculum für
die jeweiligen beiden Verkürzungskurse vorgelegt werde, könne die Beklagte
im Rahmen ihrer staatlichen Aufsichtsaufgabe entscheiden, ob und welche
Fächer und Inhalte sich gemeinsam unterrichten ließen.
Der Klägerin sei mehrfach angeboten worden, die rechtswidrigen Zustände mit
einem nachträglichen Antrag auf Änderung der staatlichen Anerkennung unter
Vorlage von Unterlagen zu heilen. Da sie dies bis heute verweigere, sei davon
auszugehen, dass sie weiter Personen mit einer verkürzten Ausbildung
gemeinsam mit Personen mit dreijähriger Ausbildung unterrichte und sich
absichtlich der staatlichen Aufsicht entziehe.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie
der im vorliegenden Verfahren (Beiakte A zu 6 A 8169/13) und der im
Verfahren 6 A 6162/13 beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakte A zu 6 A
6162/13) der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen
Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. November 2013, mit welchem der
Klägerin untersagt worden ist, eine nach § 12 Abs. 1 MPhG verkürzte
Ausbildung für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten durchzuführen,
ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
aufzuheben, denn der Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin
in ihren Rechten.
Für das mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verbot der
Durchführung einer verkürzten Ausbildung fehlt es an einer rechtlichen
Grundlage. Es verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz vom
Vorbehalt des Gesetzes.
Jeder Verwaltungsakt, der in die Rechte des von ihm Betroffenen eingreift,
22
23
24
bedarf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Dieser Grundsatz vom
Vorbehalt des Gesetzes folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem
Demokratieprinzip des Grundgesetzes (BVerfG, Beschl. vom 9. 5. 1972,
BVerfGE 33, 125 ff., 163 = DÖV 1972 S. 748) und ist nach Art. 28 Abs. 1 Satz
1 Grundgesetz (GG) auch für die Verwaltung der Länder verbindlich. Ihm wird
nur dann Rechnung getragen, wenn eine gesetzliche Regelung vorhanden ist,
die den in Frage stehenden Sachverhalt des behördlichen Tätigwerdens nach
allgemeinen Grundsätzen der Gesetzesauslegung erfasst und dabei inhaltlich
verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Der Grundsatz vom Vorbehalt
des Gesetzes verpflichtet danach auch den Landesgesetzgeber, in
grundrechtsrelevanten Bereichen die wesentlichen Entscheidungen selbst zu
treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen, wobei es dem Gesetzgeber
allerdings nicht von vornherein verwehrt ist, Generalklauseln zu verwenden
und Spielräume zu eröffnen (vgl. BVerfG, Urt. vom 24.05.2006 – 2 BvR 669/04
–, BVerfGE 116, 24 ff. = NVwZ 2006 S. 807 ff.). Dies gilt auch für die
Grundrechtsrelevanz von Verwaltungsakten, welche in die von Art. 7 Abs. 4
Satz 1 GG erfasste Freiheit der Träger von Privatschulen, die gesetzlich
vorgesehene Ausbildung der Schülerinnen und Schüler eigenverantwortlich zu
organisieren, eingreifen.
Seitdem die ehemalige Bezirksregierung Hannover der unter dem Namen
Schulen G. betriebenen Berufsfachschule für Physiotherapie mit dem
Bescheid vom 12. September 1995 die Eigenschaft einer staatlich
anerkannten Schule verliehen hat, ist sowohl im Rechtsverhältnis zwischen
den Beteiligten als auch gegenüber den Schülerinnen und Schülern dieser
Schule bestandskräftig geregelt, dass Schülerinnen und Schüler an dieser
Schule nach § 9 Satz 2 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie
(Masseur- und Physiotherapeutengesetz - MPhG - vom 26.05.1994, BGBl. I S.
1084, zuletzt geändert durch Artikel 45 des Gesetzes vom 06.12.2011, BGBl. I
S. 2515) eine Ausbildung mit den in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für
Physiotherapeuten (- PhysTh-APrV - vom 06.12.1994, BGBl. I S. 3786; zuletzt
geändert durch Art. 13 der Verordnung vom 02.08.2013, BGBl. I S. 3005)
vorgeschriebenen Inhalten erhalten, so dass ihnen nach dem erfolgreichen
Abschluss der Ausbildung die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung
„Physiotherapeutin“ oder „Physiotherapeut“ erteilt werden kann.
Eine gesetzliche Grundlage für den Erlass eines Verwaltungsakts, mit dem die
Beklagte der Klägerin untersagt, die bundesgesetzlich vorgesehene und
inhaltlich vorgegebene Berufsausbildung in bestimmten Teilen durchzuführen,
gibt es nicht. Demzufolge gibt es auch keine gesetzliche Regelung der Fragen,
welche Behörde des Landes Niedersachsen für den Erlass eines solchen
Verwaltungsakts zuständig wäre, welchen Inhalt dieser Verwaltungsakt haben
dürfte und ob der zuständigen Behörde ein Ermessen für ihr Tätigwerden und
die Auswahl und Umfang der behördlichen Maßnahme eingeräumt wäre.
Aus dem MPhG und der PhysTh-APrV lässt sich eine solche gesetzliche
Grundlage nicht herleiten. Der Bundesgesetzgeber hat insoweit von seiner
Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz (GG) keinen
Gebrauch gemacht. Er beschränkt sich in § 14 Abs. 1 und 2 MPhG darauf zu
bestimmen, welches Land für die gegenüber den Ausgebildeten bzw. den
Schülerinnen und Schülern zu treffenden Entscheidungen nach § 2 Abs. 1 und
§ 7 Abs. 4 MPhG und nach § 6 Abs. 2 oder § 12 MPhG jeweils zuständig ist.
Die Regelung der Zulassung der Physiotherapeutenschulen, der
diesbezüglichen Behördenzuständigkeiten sowie der Eingriffsmöglichkeiten
der staatlichen Aufsicht (Art. 7 Abs. 1 GG) ist gemäß Art. 72 Abs. 1 GG eine
Aufgabe der Gesetzgebung der Länder, die Rechtsnormen nicht nur für die
staatliche Anerkennung dieser Schulen, sondern auch für die Fachaufsicht für
die Physiotherapeutenschulen schaffen muss (VG Hannover, Urt. vom
28.05.2014 - 6 A 6162/13 -). Die Länder haben in eigener Zuständigkeit die
nähere Ausgestaltung der schulischen Ausbildung zu anderen als ärztlichen
25
26
Heilberufen als Substanz des ihnen obliegenden Ausbildungsrechts zu
bestimmen und hierfür die notwendigen Rechtsgrundlagen zu schaffen (vgl.
BVerfG, Urt. vom 24.10.2002, BVerfGE 106, S. 62, 131 = NJW 2003, S. 41,
49).
Rechtsgrundlagen für die nach Art. 7 Abs. 1 GG als Institution vorgesehene
staatliche Schulaufsicht über Physiotherapeutenschulen und deren Inhalt sind
in Niedersachsen nicht geschaffen worden. Dementsprechend existieren auch
keine Verwaltungsvorschriften, welche die Art und den Inhalt des Tätigwerdens
einer staatlichen Aufsicht im Zusammenhang mit der staatlichen Anerkennung
von Physiotherapieschulen und den Gebrauch diesbezüglicher
Entscheidungsspielräume lenken könnten. Das Niedersächsische
Kultusministerium und die anderen beteiligten obersten Landesbehörden
haben in dem gemeinsamen Runderlass „Zuständige Behörden für andere als
ärztliche Hilfsberufe“ (vom 23.11.2004, Nds. MBl. S. 866) nur festgelegt, dass
die Niedersächsische Landesschulbehörde zuständige Behörde für die in § 14
MPhG genannten Gegenstände der gegenüber den Ausgebildeten bzw.
Auszubildenden zu treffenden Erlaubnis-, Verkürzungs- und
Anrechnungsentscheidungen und für die Anwendung der Ausbildungs- und
Prüfungsordnung für Physiotherapeuten ist. In dem Erlass des
Niedersächsischen Kultusministeriums „Mindestanforderungen an Schulen für
andere als ärztliche Heilberufe“ (vom 13.04.2010, Nds. MBI. S. 553)
beschränkt sich die oberste Landesbehörde darauf, für die Ausbildung von
Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten bestimmte verwaltungsintern
bindende Mindeststandards der Anforderungen an Leitungskräfte, an die
räumliche und sächliche Ausstattung der Schulen und die Ausgestaltung der
Ausbildung vorzuschreiben. Eine Verwaltungsvorschrift, welche die zuständige
Behörde übergangsweise bis zur Schaffung der gesetzlichen Grundlagen
ermächtigen könnte, die rechtlichen Verhältnisse einer staatlich anerkannten
Schule für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten hoheitlich zu
gestalten, existiert hingegen nicht. Aus diesem Grund kann die sich an eine
entsprechende Verwaltungsvorschrift anknüpfende Frage, ob der
regelungslose Zustand im Land Niedersachsen in Anbetracht des bereits
verstrichenen Zeitraums von 20 Jahren seit Erlass des MPhG für eine (weitere)
Übergangszeit noch hingenommen werden könnte, offen bleiben.
Auf die im Niedersächsischen Schulgesetz (NSchG) verankerten Regelungen
über die von den Schulbehörden wahrgenommene staatliche Schulaufsicht
(§§ 120, 167 NSchG) kann als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für
Eingriffe der Beklagten in die Berechtigung der Klägerin zur Durchführung der
Ausbildung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten nicht
zurückgegriffen werden. Sie sind, soweit das NSchG in seinem Elften Teil
bestimmte Anforderungen an die Schulleitungen und den Unterricht an
Schulen in freier Trägerschaft stellt, auf die Rechtsverhältnisse von Schulen im
Sinne von § 9 Satz 2 MPhG weder unmittelbar noch entsprechend
anzuwenden. Bezüglich der staatlich anerkannten Physiotherapeutenschule
Schulen G. in F. besteht zwar die Besonderheit, dass das Rechtsverhältnis
zwischen der Klägerin und dem Land Niedersachsen durch das den
Beteiligten bekannte Urteil des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 28.
November 2001 - 13 L 2847/00 - (n. v.) insoweit rechtskräftig geklärt ist, als es
sich bei beiden Schulen um Ersatzschulen im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 2
GG handelt, für die das Land Niedersachsen rechtswidrig nicht den Zugang zu
einem Genehmigungsverfahren nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG, 4 Abs. 3 Nds.
Verfassung (NV) eröffnet hat. Daraus allein ergibt sich aber noch nicht die
Möglichkeit einer analogen Anwendung der Regelungen des NSchG auf die
staatliche Schulaufsicht über diese Schule. Denn der Landesgesetzgeber hat
in § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 NSchG ausdrücklich festgelegt, dass das NSchG auf
die Schulen für andere als ärztliche Heilberufe keine Anwendung findet. Mit der
abschließenden Aufzählung der in § 1 Abs. 5 Satz 2 NSchG namentlich
genannten Rückausnahmen ist das Gesetz in diesem Punkt auch nicht
27
28
29
lückenhaft, denn der Landesgesetzgeber hat sich bei der Einführung der
Regelung des § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 NSchG durch das Gesetz zur
Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten
(vom 02.07.2003, Nds. GVBl. S. 244) bewusst dafür entschieden, die
vorhandenen Schulen für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten nicht
in den Geltungsbereich des NSchG einzubeziehen. Er hat die bis zum Erlass
jenes Gesetzes geltende Verordnungsermächtigung zur Einbeziehung dieser
Schulen in den Geltungsbereich des NSchG aufgehoben, um zu verhindern,
dass sich Schulträger „in den Geltungsbereich des NSchG einklagen und
damit erhebliche Finanzhilfeansprüche auslösen“ (vgl. Nds. Landtag,
Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und FDP vom 10.03.2003, LT-Drs.
15/30 S. 15). Demzufolge lässt sich eine Genehmigungspflicht der verkürzten
der Physiotherapeutenausbildung abweichend von der Rechtsauffassung der
Beklagten nicht aus dem Genehmigungserfordernis von Ersatzschulen (Art. 7
Abs. 4 Satz 2 GG) herleiten.
Unterstellt, es ließe sich die von der Beklagten ersichtlich in Ausschöpfung
eines angenommenen Ermessensspielraums getroffene
Untersagungsverfügung auf eine rechtliche Grundlage stützen, wäre sie
dennoch rechtswidrig, denn die Entscheidung der Beklagten stützt sich auf
eine unzutreffende Grundlage. Entscheidend für das behördliche Einschreiten
der Beklagten ist ihre Auffassung, dass die staatliche Anerkennung der
Schulen G. nicht zur Durchführung der nach § 12 Abs. 1 MPhG vorgesehenen
verkürzten Ausbildung berechtige, dass die Beklagte vielmehr für die
Durchführung der diesbezüglichen Lehrgänge bei der Schulbehörde eine
gesonderte Genehmigung beantragen müssen (s. Schreiben der Beklagten
vom 06.02.2013).
Beides trifft nicht zu. Eine gesetzliche Regelung, die dem Träger einer staatlich
anerkannten Physiotherapieschule aufgibt, eine behördliche Genehmigung für
die Durchführung von Lehrgängen für Schülerinnen und Schüler, deren
Ausbildung durch Bescheid der Beklagten nach § 12 Abs. 1 bis 3 MPhG
verkürzt worden ist, einzuholen, existiert nicht. Eine solche Regelung stünde
auch im Widerspruch zum Wesen und Inhalt der staatlichen Anerkennung. Wie
bereits oben ausgeführt ist mit der am 12. September 1995 verliehenen
Eigenschaft der Schulen G. als staatlich anerkannte Schule im Sinne von § 9
Satz 2 MPhG ein Rechtsstatus begründet worden, der Voraussetzung dafür
ist, dass die von der Klägerin an dieser Schule ausgebildeten und erfolgreich
geprüften Personen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zum Führen der
Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“ und „Physiotherapeut“ haben.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die der Klägerin verliehene staatliche
Anerkennung auch das Recht zur Ausbildung von Personen, für die die
Beklagte die Verkürzung der Ausbildungszeit gemäß § 12 Abs. 1 MPhG
genehmigt hat, umfasst. Der objektive Erklärungswert des Ausspruchs über
die Verleihung der staatlichen Anerkennung im Bescheid der ehemaligen
Bezirksregierung Hannover vom 12. September 1995 enthält keine inhaltliche
Einschränkung der Ausbildung von Physiotherapeutinnen und
Physiotherapeuten. Sie lässt sich insbesondere nicht dem Zitat des § 9 MPhG
im Entscheidungsausspruch des Bescheides entnehmen. Dieses Zitat stellt
ersichtlich darauf ab, dass einer Schule nach § 9 Satz 2 MPhG die Eigenschaft
einer staatlich anerkannten Schule verliehen worden sein muss, wenn die
erfolgreiche Ausbildung an dieser Schule zur Erteilung der Erlaubnis des
Führens der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“ oder „Physiotherapeut“
führen soll. Eine nur teilweise oder abschnittsweise Verleihung der Eigenschaft
einer staatlich anerkannten Physiotherapeutenschule ist im MPhG nicht
vorgesehen. Vielmehr bezieht sich die gegenüber den Schülerinnen und
Schülern zu treffenden Verkürzungsentscheidungen der Beklagten nach dem
Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 MPhG auf „die Ausbildung nach § 9 Satz 1“.
Die als „Maßgaben“ bezeichneten Einschränkungen und
30
Nebenbestimmungen des Anerkennungsbescheides vom 12. September
1995 geben ebenfalls nichts für eine inhaltliche Einschränkung der staatlichen
Anerkennung der Schulen G. her. Das gilt auch, soweit in dem
Anerkennungsbescheid bestimmt worden ist, dass die mit dem
Anerkennungsantrag der 15. März 1995 vorgelegten Unterlagen Gegenstand
der staatlichen Anerkennung ist. Der hierzu von der Klägerin vorgelegte
Lehrplan bezog sich zwar unter Bezugnahme auf Anlage 1 zur PhysTh-APrV
(nur) auf die dreijährige Physiotherapeutenausbildung. Allerdings enthielten die
vorgelegten und nachgereichten Antragsunterlagen der Klägerin (Bl. 3 ff.
Beiakte A zu 6 A 6162/13) keine Erklärung der Klägerin, dass sie die
Verleihung der Eigenschaft einer staatlichen Anerkennung ausschließlich und
vorbehaltlos für die Durchführung der dreijährigen Ausbildung beantragte.
Zwar ist aus dem Verfahren 6 A 6162/13 bekannt, dass die Beklagte die
staatliche Anerkennung vom 12. September 1995 mit einem Bescheid vom 22.
Juli 2013 geändert und dabei unter anderem angeordnet hatte, dass die
Lehrgänge nach § 1 Abs.1 PhysTh-APrV und dem Stoffverteilungsplan der
Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 PhysTh-APrV durchzuführen seien, ferner dass der
theoretische und praktische Unterricht getrennt nach Lehrgängen durchgeführt
werden müsse und Ausnahmen (nur) nach der Zustimmung der Schulbehörde
möglich seien. Der Bescheid vom 22. Juli 2013 ist aber in jenem Verfahren von
der Klägerin angefochten und mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. Mai
2014 - 6 A 6162/13 - aufgehoben worden, weil es in Niedersachsen auch für
die nachträgliche Änderung staatlicher Anerkennungen von Schulen nach § 9
Satz 2 MPhG an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.