Urteil des VG Hannover vom 07.01.2014

VG Hannover: ausreise, eheliche gemeinschaft, unternehmen, anfang, vollstreckung, lebensmittelpunkt, einzelrichter, arbeitsmarkt, eugh, zugang

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Feststellung der Gültigkeit einer
Niederlassungserlaubnis
VG Hannover 13. Kammer, Urteil vom 07.01.2014, 13 A 6157/13
§ 51 Abs 1 Nr 6 AufenthG, § 51 Abs 2 AufenthG
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers nicht durch
seine Türkeiaufenthalte in der Zeit von 13.01.2011 bis Ende Mai 2013
erloschen ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die
Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass seine Niederlassungserlaubnis nicht
erloschen ist.
Bei dem Kläger handelt es sich um einen türkischen Staatsbürger, dem im
Jahr 2005 eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden war. Er reiste nach
1979 aus der Türkei nach Deutschland ein. Soweit in den Ausländerakten ein
Hinweis enthalten ist, dass der Kläger Anfang 1999 von Amtswegen
abgemeldet und erst im September 1999 wieder angemeldet wurde, weil er in
die Türkei ausgereist sei (vgl. Bl. 128, 130 der Beiakte A), ist eine derartige
Ausreise nicht feststellbar. Nach Angaben des Klägers hatte er seinerzeit die
Bundesrepublik nicht verlassen.
Nach einer Mitteilung des zuständigen Jobcenters stand der Kläger dort bis
einschließlich Januar 2012 im Leistungsbezug (zuletzt Leistungen nach dem
SGB II).
Noch während seines Leistungsbezuges schloss der Kläger einen
Beratervertrag mit geringfügigem Einkommen mit dem Unternehmen Nordwind
für dessen Türkeigeschäft. Im September 2012 schloss der Kläger einen
Arbeitsvertrag mit INW Energie GmbH und will bei diesen Unternehmen als
Koordinator für das Türkeigeschäft zuständig gewesen sein.
Der Kläger hielt sich wie folgt in der Türkei auf:
- vom 13.01.2011 bis 01.02.2011
- vom 15.02.2011 bis 19.02.2011
- vom 21.02.2011 bis 23.02.2011
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- vom 28.02.2011 bis 24.03.2011
- vom 11.04.2011 bis 19.06.2011
- vom 27.06.2011 bis 06.12.2011
- vom 15.12.2011 bis 19.03.2012
- vom 27.03.2012 bis 19.05.2012
- vom 21.05.2012 bis 22.05.2012
- vom 25.05.2012 bis 17.09.2012
- vom 22.09.2012 bis 18.02.2013
- vom 22.02.2013 bis 18.02.2013
- vom 22.02.2013 bis Ende Mai 2013.
Die älteste Tochter des Klägers zog Anfang des Jahres 2011 in die Türkei.
Bei einer Vorsprache des Klägers Ende Mai 2013 bei der Beklagten stempelte
diese die Niederlassungserlaubnis im Reisepass des Klägers „ungültig“ und
erteilte ihm lediglich eine auf 5 Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis.
Der Kläger hat am 22.08.2013 Klage erhoben.
Er trägt vor: Er habe sich lediglich aufgrund seines Arbeitsvertrages mehrmals
in der Türkei aufgehalten und sei deshalb nur vorübergehend aus Deutschland
ausgereist. Der Umzug seiner Tochter in die Türkei sei unabhängig davon
geschehen. Seine Ehefrau lebe weiterhin in Hannover; die eheliche
Lebensgemeinschaft werde in Hannover geführt. Nach § 51 Abs. 2 AufEnthG
sei seine Niederlassungserlaubnis nicht erloschen.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass seine Niederlassungserlaubnis nicht kraft
Gesetzes erloschen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage entgegen. Sein Auslandsaufenthalt sei nicht nur
vorübergehender Natur gewesen. Fast das gesamte Jahr 2011 habe er sich in
der Türkei aufgehalten. Auch im Jahr 2012 sei sein Türkeiaufenthalt nur
kurzfristig für wenige Tage unterbrochen worden. Aufgrund der Länge der
Auslandsaufenthalte könne nicht mehr vonr einer nur vorübergehenden
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Abwesenheit vom Bundesgebiet ausgegangen werden. Die Beschäftigung in
der Türkei sei offenkundig auf längere Dauer angelegt und ihr Ende nicht
absehbar gewesen. Seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik habe der
Kläger durch den zeitlich fast ausschließlichen Aufenthalt in der Türkei
aufgegeben. Dafür spreche auch der Umstand, dass die älteste Tochter
zwecks Schulbesuches ebenfalls in die Türkei gezogen sei.
Eine Ausnahme nach § 51 Abs. 2 Satz 1 , 1. Alt. AufEnthG komme nicht in
Betracht, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Verlagerung seinen
Lebensmittelpunkt in die Türkei Sozialleistungen bezogen habe.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 23.10.2013 dem
Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Einzelrichter.
Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO zulässig, und
begründet.
Die Niederlassungserlaubnis des Klägers ist nicht durch seine
Türkeiaufenthalte in der Zeit von 13.01.2011 bis Ende Mai 2013 erloschen.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufEnthG erlischt eine Niederlassungserlaubnis, wenn
der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde
ausreist
Ob ein Ausländer nicht nur vorübergehend ausreist, beurteilt sich nicht nach
dem inneren Willen des Ausländers, sondern maßgebend sind jeweils die
gesamten Umstände des Einzelfalls. Eine nicht nur vorübergehende Ausreise
liegt unter anderem dann vor, wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwar
wegen eines begrenzten Zwecks mit der Absicht der späteren Rückkehr
verlässt, wenn sich der Zweck aber nicht auf einen überschaubaren Zeitraum
bezieht, sondern langfristig und zeitlich völlig unbestimmt auf unabsehbare Zeit
ausgerichtet ist (Schäfer, in: GK-AufenthG, § 51, Rdnr. 48 m.w.N. zur Rspr.).
Hierbei ist auch die Dauer der Abwesenheit zu berücksichtigen. Je länger sie
wird und je deutlicher sie über einen bloßen Besuchs- und Erholungsaufenthalt
im Ausland hinausgeht, desto mehr spricht dafür, dass der Auslandsaufenthalt
nicht nur vorübergehender Natur ist. Dabei ist es selbstverständlich, dass der
Ausländer das Erlöschen seines Aufenthaltstitels nicht dadurch vermeiden
kann, dass er jeweils kurz vor Ablauf von sechs Monaten nach der Ausreise
mehr oder weniger kurzfristig ins Bundesgebiet zurückkehrt (s.a. VG Ansbach,
Beschluss vom 14.08.2013 - AN 5 E 13.01304, zit. n. juris).
Der Beklagten ist einzuräumen, dass der Kläger sich in dem Zeitraum, die
Grundlage der „Ungültigkeitsstempelung“ der Niederlassungserlaubnis war,
überwiegend in der Türkei aufgehalten hat und immer nur kurzfristig nach
Deutschland zurückgekehrt ist. Ein gewisses Indiz für eine Verlagerung des
Lebensmittelpunktes in die Türkei ist auch, dass die Tochter des Klägers, Frau
D., ebenfalls Anfang 2011 zwecks Schulbesuches in die Türkei gezogen ist.
Zu Recht weist die Beklagte weiterhin darauf hin, dass § 51 Abs. 2 AufEnthG
nicht zugunsten des Klägers eingreift. Nach dieser Vorschrift erlischt die
Niederlassungserlaubnis eines Ausländers dann nicht, wenn sich der
Ausländer mindestens 15 Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten
hat und sein Lebensunterhalt gesichert ist. Sollte der Kläger tatsächlich im
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Zeitraum 1998/1999 in die Türkei ausgereist und im September 199 erst
wieder eingereist sein, wären schon die nach dieser Vorschrift erforderlichen
15 Jahre noch nicht herum. Schäfer (in: Gemeinschaftskommentar zum
Aufenthaltsgesetz, § 51 Rdnr. 79) vertritt allerdings die Auffassung, weil das
Gesetz nicht die Formulierung „seit“ verwende, verlange diese Vorschrift
keinen ununterbrochenen Aufenthalt. Ob dem zu folgen ist, ist fraglich, bedarf
hier indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Kläger bestreitet
eine entsprechende Ausreise und Nachweise für diese Ausreise liegen nicht
vor. Im Übrigen kommt es schon deshalb darauf nicht an, weil - wie unten noch
ausgeführt - der Kläger tatsächlich nur aus einem vorübergehenden Grund
ausgereist ist. Entsprechend kommt es nicht darauf an, ob die zweite
Voraussetzung des § 51 Abs. 2 AufEnthG - Sicherung des Lebensunterhalts -
erfüllt ist oder nicht. Aber auch hier wäre nach Auffassung des Gerichts der
Beklagten zu folgen. Es erscheint alleine sachgerecht, bei der Frage der
Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die
Niederlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt.
Angesichts der mit dem Fortbestand einer Niederlassungserlaubnis
verbundenen Rechtsfolgen (etwa dem Erwerb der deutschen
Staatsangehörigkeit des Kindes nach § 4 Abs. 3 StAG) muss bereits zu
diesem Zeitpunkt geklärt sein und gegebenenfalls festgestellt werden können,
ob die Niederlassungserlaubnis noch besteht oder nicht (so auch Schäfer,
a.a.O., Rdnr. 85). Zu diesem Zeitpunkt bezog der Kläger jedoch Leistungen
nach dem SGB II, sein Lebensunterhalt war nach alledem nicht gesichert.
Auch auf Art. 13 ARB 1/80, wonach keine neuen Beschränkungen der
Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt eingeführt werden dürfen,
kann sich der Kläger nicht berufen. Der EuGH hat in seine Urteil vom
9.12.2010 (Toprak und Oguz, C-300/09 und C 301/09, zit. n. juris) ausgeführt:
„Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Stillhalteklausel in Art. 13
des Beschlusses Nr. 1/80 nicht dazu dient, die schon in den Arbeitsmarkt
eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen zu schützen,
sondern gerade für die türkischen Staatsangehörigen gelten soll, die noch
keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt
nach Art. 6 Abs. 1 dieses Beschlusses genießen.“ Und der Kläger dürfte vor
seiner Ausreise 2011 bereits über Ansprüche auf Aufenthaltstiteln nach den
ARB 1/80 verfügt haben. Und im Übrigen gab es auch im früheren
Ausländergesetz bereits den Erlöschenstatbestand bei einer Ausreise aus
einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr.
3 AuslG 1965, § 44 BS: ! Nr: 2 AuslG 1990).
Letztendlich kommt es auf all diese Fragen im vorliegenden Fall aber nicht
entscheidend an. Denn der Kläger hat nach Auffassung des Gerichts in den
Jahren 2011 bis Mai 2013 die Bundesrepublik nur aus einem
vorübergehendem Grund verlassen.
Der Kläger hatte Arbeitsverhältnisse mit deutschen Unternehmen. Nur zur
Erfüllung seiner aus den Arbeitsverträgen ergebenen Verpflichtung reiste er
immer wieder in die Türkei und hielt sich dort auf. Nun kann die Tätigkeit für ein
deutsches Unternehmen in der Türkei auch durchaus mit einer Verlagerung
des Lebensmittelpunktes in die Türkei einhergehen. Das dies beim Kläger
nicht der Fall war, zeigt sich aber daran, dass seine Familie - seine Ehefrau,
von der er nicht getrennt lebte - und seine Kinder (bis auf die älteste Tochter)-
in Deutschland verblieben und er diese Familienbeziehungen auch durch
immer wieder erfolgte Rückreisen nach Deutschland aufrechterhielt. Bei dieser
Sachlage kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger trotz
des zeitlichen Umfangs seiner Türkeiaufenthalte die Bundesrepublik nicht nur
vorübergehend verlassen hat. Der Sachverhalt, den das Verwaltungsgericht
Ansbach in seinem Beschluss vom 14.08.2013 (a.a.O.) zu entscheiden hatte,
ist mit der vorliegenden Fallgestaltung nicht vergleichbar. Im dortigen Fall war
der Kläger von seiner in Deutschland verbliebenen Frau geschieden und
besuchte lediglich für kurze Zeit im Jahr das gemeinsame Kind, ging
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ansonsten jedoch seiner Tätigkeit aus dem unbefristeten Arbeitsvertrag nach,
in dem als Einsatzort Afghanistan bestimmt war. Beim Kläger hingegen war
und ist die eheliche Gemeinschaft nicht aufgehoben und wurde durch die
immer wieder erfolgten noch hinreichend häufigen Rückreisen auch gepflegt
und aufrechterhalten. Dieser Umstand spricht deshalb gegen eine nicht nur
vorübergehende Ausreise.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3
und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§
708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.