Urteil des VG Hannover vom 08.07.2014

VG Hannover: ausstrahlung, gewalt, selbstkontrolle, schutz der menschenwürde, beurteilungsspielraum, stellvertreter, alleinerziehende mutter, historische auslegung, verfassungskonforme auslegung

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Menschenwürdeverstoß durch TV Sendung (Die
Super Nanny)
1. Beanstandet die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) eine
Fernsehsendung, ist die Niedersächsische Landesmedienanstalt
gleichwohl berechtigt, darüber hinaus auch gegenüber dem
Rundfunkveranstalter und dem für die Sendung Verantwortlichen
anzuordnen, den Verstoß zukünftig zu unterlassen.
2. Folgt aus der an die Mitglieder der KJM und deren Stellvertreter
nachrichtlich gerichteten Einladung zur Sitzung, dass in der Anlage zu
dieser Einladung der Mitschnitt der beanstandeten Sendung auf DVD
beigefügt ist, besteht für das Gericht kein Anlass aufzuklären, ob tatsächlich
jedes Mitglied der KJM sowie deren zur Sitzung herangezogene
Stellvertreter den Sendemitschnitt tatsächlich in Augenschein genommen
haben.
3. In dem Sitzungsprotokoll der KJM zu einem einstimmig gefassten
Beanstandungsbeschluss darf zur Begründung auch dann auf die
Sitzungsvorlage verwiesen werden, wenn diese ihrerseits teilweise auf die
Prüfvorlage und die Prüfbegründung aus der Sitzung der Prüfgruppe Bezug
nimmt, zugleich jedoch in der Vorlage zur KJM Sitzung ausführlich das
Ergebnis der Anhörung des Rundfunkveranstalters gewürdigt wird.
4. Die Sperrwirkung des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV entfällt auch bei Verstößen
nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV (Berufung zugelassen).
5. Die wiederholte Darstellung einzelner gegen Kinder gerichteter Schläge
ihres ersichtlich einer Psychotherapie bedürftigen Erziehungsberechtigten
und die hierbei wiederholt gezeigten (zumindest) seelischen Leiden der
Kinder in einer Fernsehsendung können auch dann gegen die
Menschenwürde gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV verstoßen, wenn die
gesamte Sendung darauf ausgerichtet ist, diese Erziehungspraktiken
zukünftig zu verhindern.
VG Hannover 7. Kammer, Urteil vom 08.07.2014, 7 A 4679/12
Art 1 Abs 1 GG, § 17 JMStVtr, § 20 Abs 3 S 1 JMStVtr, § 4 Abs 1 S 1 Nr 8 JMStVtr, §
11 Abs 3 MedienG ND
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 110% des festgesetzten Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin strahlte in ihrem Fernsehprogramm „RTL“ am …….. ab 20.15 Uhr
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eine insgesamt einstündige Folge der Fernsehserie „Die Super Nanny“ aus,
die abzüglich der Werbeunterbrechungen eine Netto-Laufzeit von ca. 48
Minuten hatte. Bei diesem von der Klägerin inzwischen eingestellten
Sendeformat besucht die Diplom-Pädagogin Katharina T. im Rahmen eines
tatsächlichen Geschehens Familien, die Erziehungsprobleme mit ihren
minderjährigen Kindern haben und nimmt Einfluss auf sie (sog. „Coaching“-
Format).
In der ausgestrahlten Folge wurde ausweislich des von der Kammer in
Augenschein genommenen Sendemitschnitts eine alleinerziehende Mutter mit
ihren drei minderjährigen Kindern - der damals dreijährigen S., dem
vierjährigen D. und dem siebenjährigen B. - in deren Wohnung besucht. Die
Sendung gliedert sich in folgende Teile: (1.) Ein sogenannter „Teaser“ als
Zusammenschnitt einzelner Szenen aus der Sendung als „Appetitmacher“, (2.)
Vorspann, (3.) Beobachtung der Familie ohne Hinzutreten von Frau T. (im
Nachfolgenden als „Teil I“ bezeichnet), (4.) Hinzutreten von Frau T. und
Konfrontation der Mutter mit einzelnen zuvor vom Kamerateam gefilmten
Szenen (im Nachfolgenden als „Teil II“ bezeichnet) und (5.)
erziehungspädagogische Einflussnahme durch Frau T. auf die Familie und
insbesondere die Mutter, Einschaltung von Jugendamt, Rechtsmedizin sowie
Therapie der Mutter durch eine dritte Person (im Nachfolgenden als „Teil III“
bezeichnet).
Sowohl im Teaser als auch in den Teilen I und II der Sendung wurden
Beschimpfungen und Bedrohungen sämtlicher Kinder durch die
sorgeberechtigte Mutter dargestellt, die diese in rüdem Tonfall äußerte („Ich
klatsch Dir eine!“) und die zur Einschüchterung der verängstigten Kinder
führten. Hinzu kamen insgesamt zehn Gewalthandlungen - nahezu vollständig
in Gestalt von Schlägen - die teilweise innerhalb der Sendung bis zu dreimal
wiederholt und damit insgesamt bis zu viermal ausgestrahlt wurden. Die
Gesamtzahl der gezeigten Gewaltszenen beträgt danach 22 Handlungen, die
sich in ihrer Mehrzahl gegen den vierjährigen D. richteten. Die Söhne D. und B.
beklagten sich vor der Kamera über Schläge der Mutter. Die Kinder D. und S.
weinten verschiedentlich. Im Einzelnen stellt sich die Ausstrahlung der zuvor
gefilmten Gewalthandlungen der Mutter gegenüber ihren Kindern wie folgt dar,
wobei die Nrn. 1 bis 4 im Rahmen des Teasers, die Nrn. 5 bis 14 im Rahmen
des Teils I, die Nrn. 15 bis 21 im Teil II der Sendung und die Nr. 22
nachfolgend ausgestrahlt wurden:
Nr. Zeit Gewalthandlung (Schläge) gegen:
wiederholt
unter:
Gewalttat
1 8:15:24 D. (auf dem Sofa, B. sitzt davor)
6, 17
1
2 8:15:25 S. (bei Tisch)
7, 13, 21
2
3 8:15:26 D. (auf dem Bett)
11,19
3
4 8:15:46 D. mit Eingreifen von Frau T.
15
4
5 8:17:13 B. (wegen Süßigkeitenverzehrs)
16
5
6 8:18:34 D. (auf dem Sofa, B. sitzt davor)
1
5
6
7 8:18:35 S. (bei Tisch)
2
8 8:18:36 D. (bei Tisch)
6
9 8:18:41 D. (auf dem Sofa)
7
10 8:18:42 D. (läuft in Richtung Sofa)
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8
11 8:18:55 D. (auf dem Bett)
3, 19
12 8:20:30 D. (Hinterkopf bei Tisch)
20
9
13 8:21:19 S. (bei Tisch)
2, 7, 21
14 8:23:14 Grober Griff bzw. Kneifen gegen B.
22
10
15 8:26:13 (Doppelschlag) gegen D. mit
Eingreifen von Frau T.
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16 8:27:11 B. (wegen Süßigkeitenverzehrs)
5
17 8:27:15 D. (auf dem Sofa, B. sitzt davor)
1, 6
18 8:27:21 D. (läuft in Richtung Sofa)
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19 8:27:42 D. (auf dem Bett)
3, 11
20 8:28:46 D. (Hinterkopf bei Tisch)
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21 8:29:05 S. (bei Tisch)
2, 7, 13
22 8:32:04 Grober Griff bzw. Kneifen gegen B.
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Die Klägerin hatte die Folge vor ihrer Ausstrahlung der Freiwilligen
Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) vorgelegt, dessen Prüfausschuss in
seiner Prüfentscheidung vom 15. Juni 2011 (Bl. 34ff. VV) keine Argumente
sah, die die Verweigerung einer Ausstrahlung im Hauptabendprogramm ab
20.00 Uhr rechtfertigen könnten (Bl. 40 VV). Zur Begründung heißt es im
Rahmen der Bewertung (Bl. 38 VV):
„Die vorrangige Frage, ob durch die vorliegende Sendung die
Menschenwürde nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 des Staatsvertrages über
den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk
und Telemedien - JMStV - bzw. nach § 29 Abs. 8 PrO-FSF verletzt sein
könnte, wurde vom FSF-Prüfausschuss verneint. Die Personen werden
weder in Situationen dargestellt, in denen sie sterben oder schweren
körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, noch
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werden sie durch die Darstellung ihrer Persönlichkeitsrechte beraubt.
Zwar wird ihre persönliche Misere eindringlich geschildert sowie ihr
Unvermögen, im Alltag bzw. mit Fragen der Erziehung/mit
Familienkonflikten zurecht zu kommen, gleichwohl steht von Anfang an
der pädagogische Wille im Vordergrund, den Teilnehmern zu helfen.
Intensive Leidensbilder von Kindern werden zudem nicht in spekulativer
Weise gezeigt, die Erziehungspraxis der Mutter wird deutlich kritisiert und
kommentiert. Ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV bzw. § 29
Abs. 8 PrO-FSF war somit nicht festzustellen. Der Prüfausschuss gab
dennoch zu bedenken, dass eine Stigmatisierung der Familie
(insbesondere der Kinder, die selbst keinen Einfluss auf ihre Teilnahme
haben können) durch die Art der Berichterstattung nicht gänzlich
auszuschließen ist. Insofern blieb zu prüfen, inwiefern ein Verstoß gegen
§ 5 Abs. 1 JMStV vorliegend einschlägig ist. Aber auch hier kam der
Prüfausschuss einstimmig zu dem Ergebnis, dass dies - zumindest für
die Altersgruppe der ab 12-Jährigen - nicht der Fall ist“.
Nach der Ausstrahlung legte die Beklagte aufgrund von
Zuschauerbeschwerden und Presseberichterstattung die Sendung der
Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) vor. Deren Prüfgruppe empfahl in
ihrer Sitzung vom 22. November 2011 (Bl. 62-78R VV) mit 4:1 Stimmen, einen
Verstoß gegen § 4 Abs. 1 [Satz 1] Nr. 8 JMStV festzustellen und die Sendung
zu beanstanden, weil nach Auffassung der Mehrheit der Prüfgruppe durch die
Ausstrahlung der Sendung die Menschenwürde der dargestellten Kinder
verletzt worden sei. Zugleich empfahl die Prüfgruppe, von der Durchführung
eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens abzusehen, weil die Sendung vor der
Ausstrahlung durch die Klägerin der FSF vorgelegt worden sei, die ihrerseits
keine Bedenken hinsichtlich eines Menschenwürdeverstoßes formuliert hatte.
Von einem fahrlässigen oder vorsätzlichen Begehen des Verstoßes könne
daher nicht ausgegangen werden (Bl. 78, 78R VV). Zur Begründung der
Entscheidung wird ausgeführt, dass die vorrangige - für die Klägerin günstige -
Entscheidung der FSF die KJM nicht hindere, einen Verstoß gegen die
Menschenwürde festzustellen. Die Sperrwirkung des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV
trete nicht ein, weil die Vorschrift eine Befassung der KJM in einem solchen
Fall nur in Fällen des Verstoßes gegen den Jugendschutz verbiete, nicht
jedoch bei Verstößen gegen die Menschenwürde. Dies folge bereits aus dem
Titel des Staatsvertrages, der zwischen Jugendschutz und Menschenwürde
unterscheide. Zudem sei der Entfall der Sperrwirkung im Falle eines Verstoßes
gegen die Menschenwürde auch von Verfassungs wegen geboten. Außerdem
bestehe in Fragen der Menschenwürde kein Beurteilungsspielraum der FSF.
Deshalb sei auch unerheblich, ob die FSF im streitbefangenen Fall gegen
einen Beurteilungsspielraum verstoßen habe, der eine Befassung der KJM
auch nach dem Wortlaut des Staatsvertrages mit der Sendung zulasse (Bl.
75R-76 VV). Zur Begründung des gerügten Verstoßes gegen die
Menschenwürde der gezeigten Kinder wird ausgeführt (Bl. 72-74R VV):
„Zunächst handelt es sich bei dem Dargestellten um ein tatsächliches
Geschehen, das wiedergegeben wird. Es werden Kinder dargestellt,
denen seelisches und körperliches Leid angetan wird und - und das ist
das Entscheidende - die Darstellungen von seelischer und körperlicher
Gewalt bzw. Leid werden wiederholt und zusätzlich durch den
erheblichen Einsatz von formalen Gestaltungsmitteln dramatisiert und
emotionalisiert. Ein Teilnehmer der Prüfgruppe sah allerdings die in § 4
Abs. 1 [Satz 1] Nr. 8 JMStV vorausgesetzte Leidensintensität (schweres
körperliches und seelisches Leiden) nicht erreicht. Die Mehrheit der
Prüfgruppenteilnehmer war jedoch der Meinung, dass die Intensität des
vor allem seelischen Leidens durchaus als hoch angesehen werden
kann. Hier galt vor allem zu berücksichtigen, dass es sich bei den
dargestellten Kindern um kleine Kinder handelt, die deutlich intensiver an
den Gewalttätigkeiten leiden, als dies ältere Personen tun würden, was
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aus Sicht der Mehrheit der Prüfgruppenteilnehmer auch durchaus
objektiv erkennbar ist. Hinzu kommt, dass kaum davon auszugehen ist,
dass die Kinder selbst darüber bestimmt haben, ob sie in den gewalt-
und leidvollen Situationen gefilmt werden möchten und/oder welche
Bilder des entwürdigenden Umgangs mit ihnen veröffentlicht werden
sollen. Auch ist nicht davon auszugehen, dass sie die Situation der
massenmedialen Präsentation, in der sie sich befinden, sowie die
Folgen, die diese haben, richtig einschätzen und überschauen können.
Die Prüfgruppenteilnehmer waren sich auf der anderen Seite darüber
einig, dass die Darstellung von familiären Missständen bzw.
Gewalthandlungen an Kindern an sich noch nicht als
Menschenwürdeverstoß zu werten ist. Im Gegenteil kann es nach
Auffassung der Prüfgruppe sogar durchaus von gesellschaftlichem
Interesse sein, diese Themen kritisch und auch emotional
nachvollziehbar zu präsentieren. Sendungen wie ‚Die Super Nanny‘
erreichen andere Milieus als reine Informationssendungen oder der
oftmals eher akademisch öffentliche Diskurs der Tages- und
Wochenpresse und können diese Bevölkerungsgruppen für die Themen
familiäre Missstände und häusliche Gewalt sensibilisieren und einer
Verharmlosung oder Tabuisierung entgegenwirken. Die Prüfgruppe geht
also durchaus vom Vorliegen eines berechtigten Interesses an der
Darstellung solcher Themen auch in einer Sendung wie ‚Die Super
Nanny‘ aus.
Allerdings ist gemäß § 4 Abs. 1 [Satz 1] Nr. 8 JMStV immer zu
berücksichtigen, ob auch für die gewählte Form der Darstellung ein
berechtigtes Interesse vorliegt. Ein Prüfgruppenteilnehmer hielt die Form
der Darstellung nicht für derart reißerisch, um ihr das berechtigte
Interesse abzusprechen. Nach Meinung der Mehrheit der
Prüfgruppenteilnehmer lag bei der Form der Darstellung aber kein
berechtigtes Interesse vor, da mit der Vielzahl der dargestellten
Gewalthandlungen, der reißerischen formalen Gestaltung und der
mehrfachen Wiederholung der Menschenwürde tangierenden Szenen
deutlich über das Maß dessen hinausgegangen wurde, was zur
Verdeutlichung der problematischen Familiensituation notwendig
gewesen wäre. Im Folgenden wird näher auf die angesprochenen
Punkte eingegangen. (…)
a) Vielzahl der dargestellten Gewalt- und Leidensbilder
Zwar sind in der Sendung keine einzelnen langen ausgespielten
Gewaltszenen wie in der beanstandeten Super Nanny Sendung vom
…….. zu sehen, dafür wird dem Zuschauer eine Vielzahl von kurzen
Gewalthandlungen präsentiert. Im ersten Teil der Sendung, in dem den
Zuschauern die problematische Familiensituation verdeutlicht werden
soll, und der auch anschließenden Sequenz, in der die Super Nanny den
Umgang der Mutter mit ihren Kindern beobachtet (insgesamt ca. 10 Min.),
sind ausschließlich Szenen im Kontext von physischer und/oder
psychischer Gewalt zu sehen. Allein in den ersten fünf Minuten der
Sendung (ohne Teaser) werden über zehn kurze (physische)
Gewalthandlungen der Mutter gegenüber ihren Kindern dargestellt.
Oftmals werden die Reaktionen der Kinder (Weinen, Schock) ins Bild
gesetzt. Neben der physischen Gewalt ist der Zuschauer Zeuge der
psychischen Grausamkeit der Mutter gegenüber ihren Kindern.
Ständiges Androhen von Gewalt (z.B. ‚[B.], ich klatsch dich gleich weg
Alter, wenn du das noch mal machst‘) und lautes Schimpfen wechselt mit
Szenen der Missachtung und Abweisung. Auch sind oftmals Szenen zu
sehen, in denen die Kinder verängstigt vor ihrer Mutter zurückweichen.
b) Reißerische formale Gestaltung der Gewalt- und Leidensszenen
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Um die emotionale Wirkung und die Dramatik der Gewalt- und
Leidensszenen zu verstärken, wurden diese erheblich mit formalen
Mitteln bearbeitet, was den Darstellungen einen reißerischen Charakter
verleiht. Je nachdem welche emotionale Wirkung geweckt bzw. verstärkt
werden soll, wird spannungssteigernde bedrohliche Musik (bei
gewalthaltigen Situationen) oder traurige Musik (bei Bildern der Trauer
und des Leids der Kinder) unterlegt. Die geschlagenen, weinenden
und/oder verängstigten Kinder werden dabei immer wieder in
Großaufnahmen und teilweise in Zeitlupe präsentiert. Die Kamera
befindet sich oft auf der Augenhöhe der Kinder und lässt den Zuschauer
das Geschehen immer wieder aus der Perspektive der Kinder erleben.
Schnitttechnisch fallen vor allem die ersten Bilder des Teasers auf. Zu
sehen ist eine rasante Schnittfolge von Gewalt- und Leidensszenen mit
(teilweise blitzartigen) Schwarzblenden gefolgt von einem Statement von
[D.] (‚Mama darf nicht mehr hauen. Es tut so weh‘). Auch die zwei schnell
geschnittenen Gewaltsequenzen ab 20:18:31 Uhr, die mit den dazu
passenden Statements der Mutter kombiniert werden, fallen ins Auge
(‚Dann - duff - hau ich ihnen eine rein‘ - schneller Zusammenschnitt dreier
kurzer Gewaltszenen - ‚Entweder hier oder hier oder hier‘ ((Mutter zeigt
auf Stellen, wo sie ihre Kinder schlägt)) - schneller Zusammenschnitt
weiterer kurzer Gewaltszenen und einer längeren Gewaltszene).
Zusätzlich dramatisiert werden die Szenen des ersten Teils der Sendung
durch den Off-Kommentar (z.B. ‚Ein extremer Einsatz für Katia T.‘ oder
‚Einen solch drastischen Tonfall hat sie lange nicht erlebt‘), die
Statements der Mutter und der Kinder sowie der Super Nanny während
der Beobachtungssituation (z.B. ‚Es liegt Gewalt in der Luft. Das ist schon
sehr massiv‘ oder ‚Ich weiß nicht, ob es hier noch eskaliert. Das ist meine
Sorge‘).
c) Mehrfache Wiederholung von Gewalt- und Leidensszenen
Die ohnehin schon zahlreichen Gewalt- und Leidensbilder aus dem
ersten Teil der Sendung (siehe a]) werden sowohl im Teaser der
Sendung, als auch in der Szene, in der die Mutter zusammen mit der
Super Nanny ihr gewalttätiges Verhalten gegenüber den Kindern auf
dem Laptop betrachtet (ab 20:26:47 Uhr), wiederholt. Besonders
problematisch wertet die Prüfgruppe die wiederholten (und reißerisch
gestalteten) Gewalt- und Leidensbilder im Teaser, da dieser die Funktion
hat, den Zuschauer neugierig auf die Sendung zu machen und ihn zum
Anschauen der Sendung zu bewegen. Die ersten Bilder des Teasers
und damit der Einstieg in die Sendung sind Bilder der Gewalt und des
Leids (siehe unter b]), was als Indiz für die Absicht der kommerziellen
Ausnutzung eben dieses Leids zu werten ist.
An dieser Form der Gestaltung der Menschenwürde tangierenden Inhalte
besteht nach Meinung der Mehrheit der Prüfgruppe kein berechtigtes
Interesse. Es wurde eine reißerische Darstellung gewählt, die nur noch
am Rande der Information und Aufklärung dient und primär auf die
Schaulust der Zuschauer abzielt. Das Leiden der Kinder wurde
ausgenutzt, um eine möglichst dramatische und emotionale Wirkung zu
erzielen und damit die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu gewinnen
und ihn zum ‚Dranbleiben‘ zu motivieren. Damit wurden die Kinder in für
sie leidvollen Situationen für kommerzielle Zwecke instrumentalisiert, zu
Objekten der Zurschaustellung herabgewürdigt und in ihrem sozialen
Achtungsanspruch verletzt. Somit wurde nach Meinung der Mehrheit der
Prüfgruppe die Menschenwürde der Kinder durch die reißerische
Darstellung und Ausstrahlung der physischen und psychischen
Gewalthandlungen der Mutter und deren Folgen verletzt. Diese
Einschätzung konnte ein Prüfgruppenmitglied jedoch nicht teilen. Da von
Anfang an eine Distanzierung und eine kritische
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Einordnung/Kommentierung erfolgte und auch Kommentare der Kinder
und selbstkritische Kommentare der Mutter mit einbezogen wurden, war
nach der Meinung des Prüfers keine abwertende Haltung des Kindern
gegenüber zu erkennen. Der soziale Achtungsanspruch der Kinder sei
nicht verletzt worden. Die kritische Einordnung und Kommentierung
sowie das Bessern der Situation durch die Hilfe der Super Nanny ändert
für die Mehrheit der Prüfgruppe allerdings nichts an der Einschätzung,
dass hier ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 [Satz 1] Nr. 8 JMStV vorliegt. Im
Gegenteil sah es ein Prüfgruppenteilnehmer als hochproblematisch an,
dass die kleinen Kinder vor die Kamera ‚gezerrt‘ wurden, um ein
Statement zum gewaltvollen Verhalten der Mutter in die Gewaltsequenz
zu Anfang der Sendung einfügen zu können, um so die Dramatik der
Geschehnisse weiter zu steigern. Die Mehrheit der Prüfgruppe vertrat
überdies ganz allgemein die Ansicht, dass eine
Menschenwürdeverletzung nicht dadurch ‚aufgehoben‘ oder zulässig
wird, wenn sie in ‚guter Absicht‘ geschieht. Oder um es anders
auszudrücken: Der Zweck (Aufklärung, Information, Hilfe) heiligt in
diesem Fall nicht die Mittel (reißerische Darstellungsform).“
Hierauf gab die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 4. Januar 2012
Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägerin äußerte sich mit Schreiben vom
6. Februar 2012 (Bl. 126-169 VV) dahingehend, dass das KJM-Plenum mit
dem Fall befasst werden solle, um die Fehleinschätzung der KJM-Prüfgruppe
zu korrigieren. Zur Begründung führte die Klägerin aus, es liege (1.) keine
Menschenwürdeverletzung vor. Es würden keine schwer leidenden Menschen
im Sinne des Tatbestands von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV gezeigt. Auch
bestehe kein Menschenwürdeverstoß durch das Angebot der Sendung. Es sei
per se nicht ausreichend, dass lediglich Menschenwürdeverletzungen im
Rahmen eines Angebots gezeigt würden. Es finde keine Kommerzialisierung
zugunsten von Zuschauerinteressen statt. Es sei versäumt worden, die
gesamte Sendung zu bewerten. Die kritischen Aussagen von Frau T. würden
in diesem Zusammenhang ca. 86% der Sendung ausmachen. Dieser
dominierende Teil der Fernsehsendung werde in der Bewertung der KJM-
Prüfgruppe unterschlagen. Die KJM-Prüfgruppe missachte außerdem den
Grundsatz der restriktiven Auslegung, der es gebiete, den Vorwurf des
Menschenwürdeverstoßes auf Extremfälle zu reduzieren. Ein solcher liege
nicht vor. Das Abstellen auf eine fehlende Einwilligung der Kinder sei
unsachgemäß und es liege ein berechtigtes Darstellungsinteresse im Sinne
des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 vorletzter Halbsatz JMStV vor. Außerdem bestehe
(2.) gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV ein Vorrang der FSF-Entscheidung. Der
Vorrang der Selbstregulierung umfasse die Verbotstatbestände des gesamten
§ 4 Abs. 1 JMStV und untersage der KJM Maßnahmen gegen die Klägerin,
weil die FSF den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten
habe. Gerade bei dem Rechtsbegriff der „Menschenwürde“ stehe der FSF ein
Beurteilungsspielraum zu.
Hierauf erstellte die Beklagte unter dem 10. April 2012 eine Beschlussvorlage
für das KJM-Plenum mit der Empfehlung, festzustellen, dass die Klägerin
durch die Ausstrahlung der streitbefangenen Sendung gegen § 4 Abs. 1 Satz
1 Nr. 8 JMStV verstoßen habe, sowie eine Beanstandung auszusprechen und
eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 500,00 € festzusetzen sei (Bl. 171-192
VV). In der Vorlage bezieht sich die Beklagte zum Inhalt der Sendung und zur
vorläufigen Bewertung auf ihre als Anlage 1 zur Beschlussvorlage beigefügte
Prüfvorlage für die Prüfgruppe (Nr. II.2 der Beschlussvorlage). Zu den
Angaben zum Prüfergebnis und zur Beschlussempfehlung der KJM-
Prüfgruppe verweist die Beklagte auf die als Anlage 2 zur Beschlussvorlage
beigefügte Prüfbegründung der Prüfgruppe (Nr. II.3 der Beschlussvorlage, die
auszugsweise im Tatbestand dieses Urteils oben wiedergegeben ist). Sodann
setzt sich die Beklagte unter II.5 der Beschlussvorlage mit der Stellungnahme
der Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung auseinander (Bl. 173-187 VV) und
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gelangt zu der Feststellung, dass die Ausstrahlung der Sendung einen
Verstoß der Menschenwürde der gezeigten Kinder begründe (1.). Auch
bestehe (2.) kein Ausschluss von Maßnahmen der KJM nach § 20 Abs. 3 Satz
1 JMStV, weil andernfalls eine gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des
verfassungsrechtlichen Grundwerts nicht mehr gegeben sei (Bl. 187-190 VV).
Schließlich setzt sich die Vorlage mit der gegenteiligen Auffassung der FSF
auseinander (Bl. 190-192 VV) und hält ihr vor, die eigenen FSF-Kriterien zur
Bewertung der Coaching-Sendung „Die Super Nanny“ (Bl. 162-165 VV) nicht
angewandt zu haben, in denen es u.a. heißt (Bl. 165 VV):
„Im Sinne der teilnehmenden Kinder und zum Schutz ihrer
Persönlichkeitsrechte sollten entsprechende Leidensbilder und Szenen
von Misshandlung, Vernachlässigung oder Demütigung
- nicht dazu dienen, die Sendung anzuteasern und nicht wiederholt
werden, um für die Sendung zu werben;
- in ihrer Ausführlichkeit auf das dramaturgisch Notwendige
beschränkt bleiben; (…)“
Daraufhin lud die KJM zur Sitzung ihres Plenums auf den 18. April 2012 (1.
Sitzung/3. Amtsperiode) und Befassung mit der Sendung unter
Tageordnungspunkt (TOP) 11. Mit Schreiben vom 13. April 2012 an die
Mitglieder der KJM und nachrichtlich an ihre Stellvertreter wurden die
Sitzungsunterlagen versandt, und zwar u.a. ein DVD-Sendemit-schnitt, die
FSF-Prüfentscheidung, die Prüfbegründung der Prüfgruppe, die
Stellungnahme der Klägerin und die Beschlussvorlage der Beklagten jeweils
als Anlagen (Bl. 442 d.A.). Die Befassung des Tagesordnungspunktes wurde
in der Sitzung jedoch auf den 23. Mai 2012 (2. Sitzung/3. Amtsperiode) vertagt.
Zu dieser Sitzung wurden die Mitglieder und nachrichtlich ihre Stellvertreter mit
einem weiteren Schreiben vom 16. Mai 2012 geladen (Bl. 486 d.A.) und die
streitbefangene Sendung nebst anderen Beanstandungsverfahren auf TOP 6
gesetzt. Im ergänzenden Schreiben an die KJM-Mitglieder und nachrichtlich an
ihre Stellvertreter vom 18. Mai 2012 (Bl. 487 d.A.) heißt es:
„Weitere Sitzungsunterlagen zu TOP 6 wurden Ihnen bereits mit den
Sitzungsunterlagen zur (…) 1. KJM-Sitzung/3. Amtsperiode übermittelt.“
In dem Protokoll der Sitzung des KJM-Plenums vom 23. Mai 2012 heißt es
sodann (Bl. 201, 201 R VV):
[Frau X. von der KJM-Stabsstelle] „führt in den Sach- und
Diskussionsstand des Prüffalls ein. Nach eingehender Erörterung
schließen sich die Sitzungsteilnehmer unter ausführlicher Würdigung der
FSF-Prüfentscheidung sowie der weiteren Sitzungsunterlagen der
Beschlussvorlage an und fassen nachstehenden Beschluss:
1. Es wird festgestellt, dass [die Klägerin] mit der Sendung ‚Super
Nanny‘, ausgestrahlt am ………. um 20.15 Uhr, gegen § 4 Abs. 1 Satz
1 Nr. 8 JMStV verstoßen hat.
2. Es ist eine Beanstandung gegen die Veranstalterin gemäß § 20
Abs. 2 JMStV i.V.m. § 11 Abs. 3 des [Niedersächsischen
Mediengesetzes -] NMedienG auszusprechen.
3. Gemäß § 35 Abs. 11 [des Rundfunkstaatsvertrages -] RStV i.V.m.
§§ 1, 2 Abs. 1 der Satzung zur Erhebung von Kosten des
bundesweiten privaten Rundfunks vom 02.09.2009 sowie Nr. IV.8 des
Gebührenverzeichnisses (Anlage zur Kostensatzung) sind für das
Beanstandungsverfahren Gebühren in Höhe von 500,00 € zu
erheben.
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4. Von der Durchführung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens wird
abgesehen.
Abstimmungsergebnis: 8:0:0“
Hierauf erließ die Beklagte gegen die Klägerin unter dem 10. Juli 2012 den
streitbefangenen Beanstandungs- und Anordnungsbescheid mit folgenden
Regelungen:
1. Die Beklagte stellt gemäß § 11 Abs. 3 NMedienG i.V.m. § 20 Abs. 2,
Abs. 6 Satz 1 JMStV fest, dass die Klägerin durch die Ausstrahlung
der Sendung „Die Super Nanny“ am ……… ab ca. 20.15 Uhr gegen §
4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV verstoßen hat.
2. Die Klägerin und die programmverantwortliche Geschäftsführerin
Y.werden nach § 11 Abs. 3 NMedienG aufgefordert, den unter Ziffer 1)
genannten Verstoß künftig zu unterlassen. Die möglichen Folgen
einer Nichtbeachtung ergeben sich aus § 11 Abs. 4 NMedienG.
3. Für dieses Verfahren werden Kosten (Gebühren und Auslagen) in
Höhe von 500,00 € erhoben. Der Betrag ist innerhalb eines Monats
nach Zustellung dieses Bescheides auf folgendes Konto der
Beklagten einzuzahlen (…).
Zur Begründung des Vorwurfs, die gewählte Form der Darstellung in der
Sendung verstoße gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV, wird die oben im
Tatbestand dieses Urteils wiedergegebene Begründung der KJM-Prüfgruppe,
auf die in der Beschlussvorlage für das KJM-Plenum Bezug genommen wird,
übernommen (Seite 10-12 des Bescheidabdrucks). Außerdem wird die
Auffassung der Prüfgruppe übernommen, dass der in § 20 Abs. 3 Satz 1
JMStV normierte Vorrang der Selbstkontrolle im vorliegenden Fall nicht greife
und der FSF in Fragen der Menschenwürde kein Beurteilungsspielraum
zustehe (S. 12-14 des Bescheidabdrucks). Entsprechendes gilt für die
Auseinandersetzung mit der gegenteiligen FSF-Entscheidung (S. 14-15 des
Bescheidabdrucks). Sodann enthält die Begründung des Bescheides auf Seite
16 bis 35 die in der Beschlussvorlage auf Seite 3 bis 23 oben (Bl. 172-192 VV)
vorgenommene Auseinandersetzung mit dem Ergebnis der Anhörung der
Klägerin.
Gegen diesen Bescheid erhob zunächst die FSF eine gegen die KJM
gerichtete Feststellungs- und Leistungsklage beim VG Berlin mit dem Ziel,
festzustellen, dass die in dem Bescheid der Beklagten (dort: Beigeladenen)
aufgestellte Behauptung, Bewertungen der FSF von vorab vorgelegten
Sendungen zu Unzulässigkeitstatbeständen nach § 4 Abs. 1 JMStV könnten
nicht der Privilegierung des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV unterfallen und könnten
Maßnahmen der KJM generell nicht beschränken, rechtswidrig sei, sowie die
KJM zu verpflichten, Bewertungen der FSF von vorab vorgelegten Sendungen
zur Frage des Vorliegens einer Verletzung der Menschenwürde im Sinne des
§ 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV zu berücksichtigen und Maßnahmen nur zu
ergreifen, wenn die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums durch die
FSF überschritten worden seien. Diese Klage wurde mit Urteil des VG Berlin
vom 11.12.2012 - 27 K 170.12 - (tv-diskurs 2013, S. 110) abgewiesen.
Mit ihrer am 1. August 2012 beim Verwaltungsgericht Hannover erhobenen
Klage wendet sich die Klägerin als Rundfunkveranstalterin gegen den an sie
adressierten Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2012. Zur Begründung führt
sie aus: (1.) Die Beklagte sei zu Ziffer 2) der Entscheidungsformel des
Bescheides vom 10. Juli 2012 nicht berechtigt, weil die KJM in ihrer Sitzung
am 23. Mai 2012 eine entsprechende Unterlassungsaufforderung nicht
beschlossen habe. Hieran sei die Beklagte gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 5 und 6
JMStV gebunden (2.) Der Bescheid beruhe auf einer verfahrensfehlerhaften
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Beschlussfassung durch das KJM-Plenum am 23. Mai 2012. Der Klägerin sei
von einer dritten Person zugetragen worden, dass zwei stellvertretende KJM-
Mitglieder (Herr L. und Frau M.), die an der Beschlussfassung mitgewirkt
hätten, die Sendung nicht persönlich in Augenschein genommen hätten (Bl.
492 d.A.). Die Unterlagen zur Vorbereitung der ausschlaggebenden Sitzung
am 23. Mai 2012 seien den Stellvertretern nur „nachrichtlich“ übersandt
worden; dies schließe eine Übersendung des Sendemitschnitts auf DVD aus.
Zudem sei der Beschluss des KJM-Plenums unter Verstoß gegen § 17 Abs. 1
Sätze 3 und 4 JMStV nicht begründet. Eine Kettenverweisung auf die Vorlage
und andere Unterlagen sei unzulässig. (3.) Es bestehe ein
Verfahrenshindernis. Die Maßnahmen der KJM seien gemäß § 20 Abs. 3 Satz
1 JMStV unzulässig, weil die Beklagte die Sendung vor ihrer Ausstrahlung der
FSF vorgelegt und deren Vorgaben beachtet habe. Die FSF habe ihren
Beurteilungsspielraum auch nicht überschritten, so dass der KJM ein weiteres
Tätigwerden gegen die Klägerin untersagt sei. (4). Die Ausstrahlung der
Sendung verstoße auch nicht gegen die Menschenwürde, zumal erkennbar
das erziehungspädagogische Ziel der Sendung sowie der Kinderschutz im
Vordergrund gestanden hätten. Die Klägerin habe § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8
JMStV nicht verletzt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihren Bescheid. (1.) Die Anordnung der Unterlassung stelle eine
zwingende gesetzliche Folge der Feststellung des Programmverstoßes dar.
(2.) Die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe seien mitgeteilt
worden, welche die KJM als Organ der Beklagten zu ihrer Entscheidung
bewogen hätten. (3.) Eine Bindungswirkung der Tätigkeit der FSF für den
Medienschutz bestehe nur für den Jugendschutz, nicht hingegen bei der
Frage der Menschenwürde. (4.) Es liege auch ein Menschenwürdeverstoß vor,
weil die beanstandete Sendung Darstellungen von Kindern enthalte, die
schweren seelischen und körperlichen Leiden ausgesetzt seien. Ein
berechtigtes Interesse der Klägerin gerade an dieser von ihr gewählten Form
der Darstellung bestehe nicht.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gestellte
Beweisanträge im Zusammenhang mit der Sitzung des KJM-Plenums am 23.
Mai 2012 als unzulässigen Ausforschungsbeweis abgelehnt. Wegen der
Beweisanträge und der Gründe für ihre Ablehnung wird auf die
Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Klage muss der Erfolg versagt bleiben.
Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2012 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat
die Ausstrahlung der Fernsehsendung „Die Super Nanny“ durch die Klägerin
am …….. zu Recht beanstandet (I.). Dieser Beanstandung liegen keine
Verfahrensfehler zugrunde (I.1.) und die Beklagte war auch nicht gehindert, die
Beanstandung auszusprechen, obwohl die Klägerin die Sendung vor der
Ausstrahlung der FSF vorgelegt und deren Vorgaben beachtet hatte (I.2.). Die
beanstandete Sendung verletzt zur Überzeugung der Kammer auch die
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Menschenwürde der in der Sendung gezeigten Kinder, insbesondere des im
Zeitpunkt der Ausstrahlung vierjährigen D. (I.3.). Die Beklagte ist schließlich
auch berechtigt, die Klägerin und die für das Rundfunkprogramm
Verantwortliche aufzufordern, den entsprechenden Verstoß zukünftig zu
unterlassen (II.) sowie Verwaltungskosten in Höhe von 500,00 € festzusetzen
(III.).
I. Die Beklagte hat die Ausstrahlung der Fernsehsendung „Die Super Nanny“
durch die Klägerin am ……. zu Recht beanstandet (Ziffer 1] der
Entscheidungsformel des streitbefangenen Bescheides vom 10. Juli 2012).
Die Beanstandung beruht auf § 11 Abs. 3 NMedienG i.V.m. § 20 Abs. 1, Abs.
2, Abs. 6 Satz 1, § 17 Abs. 1 Sätze 5 und 6 sowie § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8
JMStV.
Stellt die Beklagte fest, dass durch eine Sendung gegen Bestimmungen des
JMStV verstoßen wurde, so beanstandet sie diesen Verstoß. Die Beklagte
entscheidet durch die KJM. Die Beschlüsse der KJM sind gegenüber den
anderen Organen der Beklagten bindend. Sie sind deren Entscheidungen
zugrunde zu legen. Das KJM-Plenum hat in seiner Sitzung am 23. Mai 2012
einen Verstoß der Klägerin gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV festgestellt
und angeordnet, dass eine Beanstandung auszusprechen ist (Ziffern 1] und 2]
des Beschlusses der KJM gemäß Sitzungsprotokoll). Hieran ist die Beklagte
gebunden.
1. Der Beschluss des KJM-Plenums am 23. Mai 2012 ist nicht
verfahrensfehlerhaft zustande gekommen (a.) und ist auch ausreichend
begründet (b.).
a. Die Behauptung der Klägerin, zwei stellvertretende Mitglieder der KJM, die
für die regulären Mitglieder nachgerückt waren und an der Beschlussfassung
mitgewirkt hatten, hätten die streitbefangene Sendung selbst nicht in
Augenschein genommen, entbehrt einer substantiierten Grundlage. Die in der
mündlichen Verhandlung hierzu gestellten Beweisanträge stellten sich als
unzulässige Beweisausforschungsanträge dar und wurden noch in der
mündlichen Verhandlung durch einen mit Gründen versehenen Beschluss
abgelehnt. Die Behauptung der Klägerin kann nicht darauf gestützt werden,
dass die stellvertretenden Mitglieder der KJM die Sitzungsunterlagen vorab
einschließlich des Sendemitschnitts auf DVD nur „nachrichtlich“ erhalten
hätten. „Nachrichtlich“ bedeutet lediglich, dass der Empfänger nicht der primäre
Adressat der Nachricht ist, die Mitteilung jedoch gleichwohl zur eigenen
Unterrichtung erhält, was bei Ladungen zu Sitzungen auch sinnvoll ist, um den
Stellvertreter für den Vertretungsfall auf den gleichen Informationsstand zu
bringen wie das originäre Mitglied des Gremiums. Hieraus zu folgern, der
Sendemitschnitt auf DVD sei den Stellvertretern nicht übersandt worden und
sie hätten sich von dem Gegenstand der späteren Beschlussfassung im KJM-
Gremium mithin keinen eigenen Eindruck verschaffen können, ist nicht
nachvollziehbar. Folgt - wie hier - aus der an die Mitglieder der KJM und
nachrichtlich deren Stellvertreter gerichteten Einladung zur Sitzung, dass in der
Anlage zu dieser Einladung der Mitschnitt der beanstandeten Sendung auf
DVD beigefügt ist, besteht für das Gericht kein Anlass aufzuklären, ob alle bei
der Beschlussfassung mitwirkenden Mitglieder der KJM sowie deren zur
Sitzung herangezogene Stellvertreter den Sendemitschnitt tatsächlich in
Augenschein genommen haben.
Die Behauptung der Klägerin kann auch nicht darauf gestützt werden, dass
der DVD-Mitschnitt allenfalls der Ladung zu der KJM-Sitzung am 18. April 2012
(1. Sitzung/3. Amtsperiode, TOP 11, sodann vertagt), nicht hingegen der
Ladung für die hier entscheidende nachfolgende Sitzung am 23. Mai 2012 (2.
Sitzung/3. Amtsperiode, TOP 6) beigefügt war. Denn in dem ergänzenden, an
die KJM-Mitglieder und wiederum „nachrichtlich“ an ihre Stellvertreter
gerichteten Schreiben vom 18. Mai 2012 (Bl. 487 d.A.) heißt es:
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„Weitere Sitzungsunterlagen zu TOP 6 wurden Ihnen bereits mit den
Sitzungsunterlagen zur (…) 1. KJM-Sitzung/3. Amtsperiode übermittelt.“
Dies genügt. Die Klägerin kann sich danach zur Begründung ihrer
abweichenden Rechtsauffassung auch nicht auf das Urteil des VG Berlin vom
25.9.2012 - VG 27 K 139.09 - (Urteilsabdruck S. 12; juris Rdnr. 48f.; MMR
2013, S. 410 = ZUM 2013, S. 595) berufen, weil anders als in dem
vorliegenden Fall dort kein Hinweis auf eine Übersendung des
Sendemitschnitts an die KJM-Mitglieder vorlag.
b. Der Beschluss des KJM-Plenums in der Sitzung am 23. Mai 2012 ist auch
ausreichend begründet.
Gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV sind die Beschlüsse der KJM zu
begründen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und
rechtlichen Gründe mitzuteilen. Nach der Rechtsprechung kann der
Begründungspflicht auch eine Verweisung auf die oder Bezugnahme auf eine
Beschlussvorlage oder -empfehlung genügen. Allerdings müssen eine solche
Verweisung und der Wille, sich die Begründung zu eigen zu machen, aus der
Niederschrift klar und unmissverständlich hervorgehen (BayVGH, Urteil vom
19.9.2013 - 7 B 12.2358 -, Rdnr. 26, u.a. DVBl. 2014, S. 108, 109; ebenso VG
Berlin, Urteil vom 3.5.2012 - VG 27 A 341.06 - und Urteil vom 19.6.2012 - 27 A
71.08 - Rdnr. 20, ZUM 2013, S. 236). Dies ist vorliegend der Fall. In dem
Protokoll der Sitzung des KJM-Plenums vom 23. Mai 2012 heißt es (Bl. 201,
201 R VV):
[Frau X. von der KJM-Stabsstelle] „führt in den Sach- und
Diskussionsstand des Prüffalls ein. Nach eingehender Erörterung
schließen sich die Sitzungsteilnehmer unter ausführlicher Würdigung der
FSF-Prüfentscheidung sowie der weiteren Sitzungsunterlagen der
Beschlussvorlage an und fassen nachstehenden Beschluss: (…)“
Dies genügt. Es ist nicht erforderlich, den kompletten Inhalt der
Beschlussvorlage einschließlich der dort enthaltenen Bezugnahme auf die
Prüfbegründung der Prüfgruppe nochmals in das Sitzungsprotokoll zu
kopieren oder mit anderen Worten erneut wiederzugeben. Dies gilt zur
Überzeugung der Kammer jedenfalls im Falle eines - wie vorliegend -
einstimmig (8:0:0) gefassten Beschlusses. Zudem wird aus der
Sitzungsniederschrift deutlich, dass sich die Mitglieder der KJM insbesondere
mit der gegenteiligen Auffassung der FSF in ihrer Prüfentscheidung vom 15.
Juni 2011 auseinandergesetzt haben, die der Beschlussvorlage ebenfalls als
Anlage 6 beigefügt war (Bl. 192 VV). Bei einer derart umfassenden
Beschlussvorlage einschließlich der Beifügung von sieben Anlagen, auf die
nach Auffassung der Kammer auch innerhalb der Beschlussvorlage Bezug
genommen werden darf, kann von einer unzulässigen Kettenverweisung keine
Rede sein. Es muss nicht Gleiches ständig wiederholt werden. Für die
Kammer ist damit die Begründung des vom KJM-Plenum gefassten
Beschlusses hinreichend klar (a.A. ersichtlich BayVGH, ebd.). Dass die
Begründung klar genug ist, folgt auch aus dem den Beschluss umsetzenden
Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2012. Denn dieser übernimmt
entsprechend des Beschlusses des KJM-Plenums vom 23. Mai 2012 die
Beschlussvorlage einschließlich der bereits dort in Bezug genommenen
Bewertung durch die vorgeschaltete Prüfgruppe, die in dem Bescheid selbst -
wie oben im Tatbestand dieses Urteils - wiedergegeben wird.
2. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Klägerin war die KJM - und ihr
nachfolgend die hieran gebundene Beklagte - auch nicht aufgrund § 20 Abs. 3
Satz 1 JMStV gehindert, einen Verstoß der Klägerin durch die Ausstrahlung
der streitbefangenen Sendung gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV
festzustellen und diesen Verstoß zu beanstanden. § 20 Abs. 3 JMStV normiert
zwar einen partiellen Vorrang der Selbstkontrolle (Schulz/Held: in
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Hahn/Vesting, RundfunkR, 3. Aufl., § 20 JMStV Rdnr. 17; Erdemir in:
Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl., § 20 JMStV
Rdnr. 6), von dem die Klägerin im streitbefangenen Fall mit der Vorlage der
Sendung vor Ausstrahlung an die FSF Gebrauch gemacht hat. Die FSF hat die
Sendung unbeanstandet gelassen und mit einer von der Klägerin beachteten
Maßgabe zur Ausstrahlung freigegeben. Bei der Sendung handelt es sich - wie
die zeitliche Abfolge belegt - auch um eine vorlagefähige Sendung, für die
sodann die Rechtsfolge des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV eintritt, weil Satz 2 der
Vorschrift nichtvorlagefähige Sendungen, z.B. Live-Sendungen, betrifft (zu
letzterem: Schulz/Held in: Hahn/Vesting, aaO, Rdnr. 21; Erdemir in:
Spindler/Schuster, aaO, Rdnr. 9; Liesching/Schuster, JugendschutzR, 5. Aufl.,
§ 20 JMStV, Rdnr. 29). Gleichwohl löst die Vorlage der streitbefangenen
Sendung an die FSF keine Sperrwirkung zu Lasten der KJM aus. Der Wortlaut
von § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV
habe gegen Bestimmungen dieses Staatsvertrages verstoßen, und weist
der Veranstalter nach, dass er die Sendung vor ihrer Ausstrahlung einer
anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Sinne dieses
Staatsvertrages vorgelegt und deren Vorgaben beachtet hat, so sind
Maßnahmen durch die KJM im Hinblick auf die Einhaltung der
Bestimmungen zum Jugendschutz durch den Veranstalter nur dann
zulässig, wenn die Entscheidung oder die Unterlassung einer
Entscheidung der anerkannten Einrichtung der Freiwilligen
Selbstkontrolle die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums
überschreitet.>
lässt allerdings bereits offen, ob er sich nur auf „Bestimmungen zum
Jugendschutz“ im engen Sinne, z.B. entwicklungsbeeinträchtigende Angebote
im Sinne der §§ 5 Abs. 1 und 6 Abs. 3 JMStV bezieht oder auch die absolut
unzulässigen Angebote nach § 4 Abs. 1 JMStV einschließlich der dort
genannten Straftaten und des in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV geregelten
Verstoßes gegen die Menschenwürde umfasst. Der Auffassung der Klägerin,
aus dem Wortlaut und einer systematischen Auslegung unter Heranziehung
von § 20 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 1 JMStV ergebe sich zwingend, dass
die Sperrwirkung zu Lasten einer Befassung der KJM mit einem Sachverhalt
auch die vorrangige Äußerung der Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle
zu § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV umfasse und Maßnahmen der KJM nur
erlaube, wenn die Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle auch bei einem
vorgeworfenen Verstoß gegen die Menschenwürde die rechtlichen Grenzen
des Beurteilungsspielraums überschritten habe (Liesching, BPJM-Aktuell
4/2011, S. 3, 5ff.), folgt die Kammer nicht. § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV ist
vielmehr jedenfalls verfassungskonform dahin auszulegen, dass die von der
Vorschrift vermittelte Sperrwirkung jedenfalls bei dem hier streitbefangenen
Verstoß gegen die Menschenwürde nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV
entfällt, ohne dass es auf die Frage ankommt, ob die Einrichtung der
Freiwilligen Selbstkontrolle ihren Beurteilungsspielraum überschritten habe.
Diese verfassungskonforme Auslegung des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV wird
auch im Schrifttum vertreten (Schulz/Held in: Hahn/Vesting, aaO, Rdnr. 24;
Erdemir in: Spindler/Schuster, aaO, Rdnrn. 2 und 17; zu Straftatbeständen des
§ 4 Abs. 1 JMStV: Hartstein u.a., JMStV, § 20 Rdnrn. 19f.). Ihr schließt sich die
Kammer an. Danach gebietet bereits der Schweregrad der in § 4 Abs. 1 JMStV
aufgelisteten Verstöße, selbige insgesamt von der Sperrwirkung des § 20 Abs.
3 Satz 1 JMStV auszunehmen. Für die Kammer ist hierbei bezogen auf § 4
Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV entscheidend, dass Art. 1 Abs. 1 des
Grundgesetzes - GG - die Würde des Menschen als unantastbar garantiert
und alle staatliche Gewalt verpflichtet, sie zu achten und zu schützen. An
diesem obersten Verfassungswert hat sich auch die Auslegung des § 20 Abs.
3 Satz 1 JMStV zu orientieren und staatliche Verantwortung bei einem
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möglichen Verstoß gegen die Menschenwürde nicht erst dann zu ermöglichen,
wenn „die Entscheidung oder die Unterlassung einer Entscheidung der
anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle die rechtlichen
Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet“, zumal ein solcher
Beurteilungsspielraum bei einem Menschenwürdeverstoß nicht besteht. Denn
nach ständiger Rechtsprechung sowohl des erkennenden Gerichts (Urteil vom
9.2.1995 - 6 A 205/92 - AfP 1996, S. 201 ; Urteil vom
28.3.1996 - 6 A 2032/93 - ZUM 1996, S. 610 ) als auch des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 20.10.2008 - 10
LA 101/07 - Rdnr. 8, u.a. AfP 2009, S. 186 )
ist geklärt, dass bei der Beurteilung der Frage, ob durch eine
Rundfunksendung gegen die Menschenwürde verstoßen wurde, den Gremien
des Rundfunkrechts kein Beurteilungsspielraum eröffnet ist (s. auch
Liesching/Schuster, JugendschutzR, 5. Aufl., § 4 JMStV Rdnr. 19), mithin auch
nicht einer zuvor vom Rundfunkveranstalter angerufenen Einrichtung der
Freiwilligen Selbstkontrolle. Wollte man bei dem Vorwurf einer
Menschenwürdeverletzung insoweit die Einschätzungen der Freiwilligen
Selbstkontrolle der Aufsichtskompetenz der Landesmedienanstalten über § 20
Abs. 3 Satz 1 JMStV teilweise entziehen, wäre diesbezüglich auch eine
verwaltungsgerichtliche Verifizierung der Angebotsinhalte nicht denkbar. Eine
derart faktisch eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit der Verletzung der
Menschenwürde wäre mit dem höchstrangigen Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 1
Satz 2 GG unvereinbar (so noch Liesching, Jugendschutz, 4. Aufl., § 20 JMStV
Rdnr. 10). Dies gilt auch dann, wenn man den „Beurteilungsspielraum“ der FSF
„untechnisch“ lediglich als „Entscheidungsspielraum“ sehen will (s. hierzu
Altenhain in: Beck'scher Kommentar zum Recht der Telemediendienste, § 20
JMStV Rdnr. 20), weil auch insoweit der FSF kein Entscheidungsspielraum bei
einem in Rede stehenden Menschenwürdeverstoß zusteht.
Auch eine historische Auslegung des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV (s. hierzu
Liesching/Schuster, JugendschutzR, 5. Aufl., § 20 JMStV, Rdnr. 18) vermag zu
keinem anderen Ergebnis zu führen und die von Verfassungs wegen
gebotene Auslegung zu verdrängen. Zutreffend ist, dass durch Art. 1 Nr. 16 lit.
a) des 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrages (Gesetz vom 6.10.2010, Nds.
GVBl. S. 451, 452, 454) in § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV der Halbsatz „mit
Ausnahme von Verstößen gegen § 4 Abs. 1“ eingefügt und damit der
Regelung in Satz 2 der Vorschrift angepasst werden sollte. Dieser
Staatsvertrag ist jedoch gemäß seines Art. 4 Abs. 4 gegenstandslos
geworden, weil nicht alle Ratifikationsurkunden hinterlegt wurden
(Bekanntmachung vom 21.1.2011, Nds. GVBl. S. 14). Ausweislich der
Gesetzesmaterialien (Nds. LT-Drs. 16/2653, S. 26) sollte durch die Änderung
in § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV jedoch lediglich klargestellt werden, dass die KJM
bei Verstößen gegen das Verbot der Verbreitung und Zugänglichmachung von
absolut unzulässigen Angeboten nach § 4 Abs. 1 JMStV auch dann
Maßnahmen ergreifen kann, wenn die vorangegangene Entscheidung der
Freiwilligen Selbstkontrolle im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums gefallen
ist. Die Kammer sieht deshalb die gescheiterte Änderung des § 20 Abs. 3 Satz
1 JMStV nicht als Beleg für eine fortbestehende Sperrwirkung staatlichen
Eingreifens auch bei von der Freiwilligen Selbstkontrolle verneinten
Menschenrechtsverstößen an, sondern als aus anderen Gründen
gescheiterter Versuch einer einfachgesetzlichen Klarstellung der
verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung der Vorschrift.
3. Die beanstandete Sendung verletzt zur Überzeugung der Kammer auch die
Menschenwürde der in der Sendung gezeigten Kinder, insbesondere des im
Zeitpunkt der Ausstrahlung vierjährigen D.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV sind unbeschadet strafrechtlicher
Verantwortlichkeit Angebote unzulässig, die gegen die Menschenwürde
verstoßen, insbesondere durch die Darstellung von Menschen, die sterben
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oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder
waren; wobei ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben wird, ohne dass
ein berechtigtes Interesse gerade für diese Form der Darstellung oder
Berichterstattung vorliegt; eine Einwilligung ist unbeachtlich.
Die Menschenwürde als solche ist betroffen, wenn der konkrete Mensch zum
Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.
Die Verletzung der Menschenwürde ist insbesondere dann gegeben, wenn
Menschen nicht mehr als eigenständige, willensbestimmte Wesen
wahrgenommen, sondern für einen bestimmten Zweck instrumentalisiert
werden, beispielsweise um durch die Herabwürdigung eine hohe
Zuschauerquote und dadurch Einnahmen zu erzielen (vgl. Hartstein u.a., aaO,
§ 4 JMStV Rdnrn. 35f. mwN). Grundsätzlich setzt die Objektformel im Hinblick
auf eine die Menschenwürde verletzende Kommerzialisierung des Menschen
voraus, dass der Mensch zunächst einer überlegenen Macht ausgeliefert ist
und diese überlegene Macht ihn dabei in seinem Achtungsanspruch auf
fundamentale Weise beeinträchtigt, indem er etwa erniedrigt wird. Es muss
demnach ein entwürdigender Zusammenhang hinzutreten und nach außen
sichtbar werden. Die unzulässige Kommerzialisierung hat daher zwei
unterschiedliche Voraussetzungen: Einmal ist erforderlich, dass der
betroffenen Mensch von einem überlegenen Akteur aus Gründen
wirtschaftlichen Erwerbsstrebens in eine für ihn unentrinnbare Situation
gebracht wird, die er weder vollständig durchschauen, noch als freier Akteur
beherrschen kann, er der Situation quasi ausgeliefert ist. Zum anderen
müssen die Gesamtumstände den ausgelieferten Menschen in seinem
sozialen Achtungsanspruch verletzen, weil er zum Gegenstand der
Schaustellung herabgewürdigt wird (vgl. Hartstein u.a., aaO, § 4 JMStV Rdnr.
38 mwN auf Di Fabio; s. auch Abschnitt C.1 der Kriterien der Kommission für
Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten für die Aufsicht im
Rundfunk und in den Telemedien, Bl. 344ff. d.A.).
Die in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV mit dem Wort „insbesondere“
dargestellten Regelbeispiele (Darstellung von Menschen, die sterben oder
schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren)
schließen nicht aus, dass auch neben diesen Beispielen oder auch unterhalb
der Intensität dieser Beispiele eine Menschenwürdeverletzung festzustellen ist.
So hat die erkennende Kammer die ausgedehnte Darstellung von
Misshandlungen und Demütigungen eines pflegebedürftigen und hilflosen 91-
jährigen Mannes durch die Tochter seiner verstorbenen Lebensgefährtin, der
seine Pflege und Betreuung übertragen war, als Verstoß gegen § 4 Abs. 1
Satz 1 Nr. 8 JMStV gewertet (Urteil vom 6.2.2007 - 7 A 5470/06 - u.a. AfP
2007, S. 293; nachfolgend, Nds. OVG, Beschluss vom 20.10.2008, aaO).
§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 vorletzter Halbsatz JMStV erklärt ein Angebot für nicht
unzulässig, wenn ein berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der
Darstellung vorliegt. Die gesetzgeberische Formulierung indiziert einen
Abwägungsvorgang zwischen den Interessen des Betroffenen einerseits und
der Berichterstattungs- und Informationsfreiheit andererseits. Dabei ist jedoch
zu berücksichtigen, dass in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts geklärt ist, dass die Menschenwürde als
Fundament aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist
(u.a. BVerfG, Beschluss vom 11.3.2003 - 1 BvR 426/02 - BVerfGE 107, S. 275
= NJW 2003, S. 1303, 1304; Beschluss vom 25.3.2008 - 1 BvR 1753/03 - NJW
2008, S, S. 2907, 2909). Deshalb kann das in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 vorletzter
Halbsatz JMStV erwähnte „berechtigte Interesse“ nur ein Kriterium dafür sein,
ob überhaupt eine Menschenwürdeverletzung vorliegt oder nicht. Keinesfalls
handelt es sich hierbei um einen Rechtfertigungsgrund, weil eine Verletzung
der Menschenwürde als höchstrangiges Verfassungsgut in jedem Fall
unzulässig ist (Erdemir in: Spindler/Schuster, aaO, § 4 JMStV Rdnr. 19 mwN;
Liesching/Schuster, JugendschutzR, 5. Aufl., § 4 JMStV Rdnr. 29; Hartstein
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u.a., aaO, § 4 JMStV Rdnr. 44; vgl. auch Hertel in: Hahn/Vesting, aaO, § 4
JMStV Rdnrn. 59ff.). So hat die erkennende Kammer die Darstellung von
Misshandlungen und Demütigungen des bereits erwähnten pflegebedürftigen
und hilflosen 91-jährigen Mannes in ausgedehnter Länge im Rahmen von
Nachrichten- und Magazinsendungen auch dann als Verstoß gegen § 4 Abs. 1
Satz 1 Nr. 8 JMStV gewertet, wenn inhaltliches Ziel der Sendungen war,
bestehende Missstände im Altenpflegebereich aufzuzeigen und zu kritisieren
(Urteil vom 6.2.2007, aaO; nachfolgend: Nds. OVG, Beschluss vom
20.10.2008, aaO).
Entgegen der vorausgegangenen Prüfentscheidung der FSF verstößt die
Ausstrahlung der streitbefangenen Sendung tatsächlich gegen die
Menschenwürde der in der Sendung gezeigten Kinder, insbesondere des im
Zeitpunkt der Ausstrahlung vierjährigen D.
In der Fernsehsendung wird ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben, in
dem die erziehungsberechtigte Mutter gegen das einfachgesetzlich von §
1631 Abs. 2 BGB garantierte Recht ihrer Kinder auf gewaltfreie Erziehung
sowie das Verbot körperlicher Bestrafungen, seelischer Verletzungen und
anderer entwürdigender Maßnahmen verstößt (vgl. Palandt-Götz, BGB, 73.
Aufl., § 1631 Rdnr. 7). Es werden neben zahlreichen Beschimpfungen und
Bedrohungen der Mutter gegen ihre schutzbefohlenen Kinder insgesamt zehn
Gewalthandlungen gezeigt, die teilweise bis zu dreimal wiederholt werden (=
viermal dargestellt) und auch in dem sogenannten „Teaser“ als für die
Sendung werbendem Vorspann in schneller Schnittfolge eingebunden sind.
Insgesamt sind in unterschiedlicher Schnittfolge die im Tatbestand
aufgelisteten 22 Gewalthandlungen der - nach dem weiteren Inhalt der
Sendung - einer Psychotherapie bedürftigen Mutter zu sehen. 14 dieser
Gewaltszenen richten sich gegen den damals vierjährigen D., der in insgesamt
neun Szenen weint bzw. sich über Schläge beklagt. Die ebenfalls
geschlagene dreijährige Tochter weint in drei Szenen. Auch der u.a.
geschlagene siebenjährige Sohn beklagt sich im Gespräch mit Frau T. über
fortgesetzte Schläge.
In dem streitbefangenen Bescheid der Beklagten wurde ein Verstoß gegen die
Menschenwürde der gezeigten Kinder u.a. aufgrund der Vielzahl der
dargestellten Gewalt- und Leidensbilder sowie der mehrfachen Wiederholung
dieser Szenen und deren Verwendung in dem sogenannten „Teaser“
festgestellt. Die Kammer beanstandet diese Wertung der Aufsichtsgremien
nicht.
Nach Auffassung auch der Kammer verbietet die Menschenwürde der
beteiligten Kinder vielmehr das wiederholte Darstellen einzelner an ihnen
begangener Gewalthandlungen und insbesondere die Zusammenstellung
einzelner dieser Handlungen in einem „Teaser“, um Zuschauer anzulocken.
Aus dem Gesamtzusammenhang der Sendung folgt zudem, dass neun
Gewalthandlungen der Mutter von dem Aufnahmeleiter hingenommen wurden
und erst eine in Gegenwart von Frau T. von der Mutter begangene zehnte
Gewalthandlung zu einem Einschreiten führte. Die Präsenz des
Aufnahmeteams bei neun Gewalthandlungen ohne Einschreiten muss nach
Auffassung der Kammer den Kindern als ein „Ausgeliefertsein“ nicht nur
gegenüber der therapiebedürftigen Mutter, sondern auch gegenüber dem
Aufnahmeteam vorgekommen sein.
Das erkennbare erziehungspädagogische Ziel der Sendung, die Situation der
Familie positiv zu verändern und die dargestellten Erziehungspraktiken
zukünftig zu verhindern, begründet kein „berechtigtes Interesse“ an dieser
Form der Darstellung und ist nicht geeignet, den Tatbestand des
Menschenwürdeverstoßes entfallen zu lassen. Der Ausstrahlung von bis zu
vier Wiederholungen der Gewalthandlungen sowie deren Aufnahme in den
„Teaser“ bedarf es nicht einmal zum Beweis dafür, dass solche Handlungen
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tatsächlich stattgefunden haben, geschweige denn, um im Verlauf der
Sendung einen erziehungspädagogisch positiven Prozess zu belegen (vgl. zu
ähnlichen Wiederholungen von Misshandlungsszenen im Fall des 91-jährigen
Mannes: Nds. OVG, Beschluss vom 20.10.2008, aaO).
II. Die Beklagte hat die Klägerin und die programmverantwortliche
Geschäftsführerin auch zu Recht gemäß § 11 Abs. 3 NMedienG aufgefordert,
den oben unter I) abgehandelten Verstoß künftig zu unterlassen, und sie auf
die möglichen Folgen einer Nichtbeachtung nach § 11 Abs. 4 NMedienG
hingewiesen (Ziffer 2] der Entscheidungsformel des streitbefangenen
Bescheides vom 10. Juli 2012). § 11 Abs. 3 NMedienG lautet:
Rundfunkprogramm, durch eine Sendung oder durch einen Beitrag oder
in sonstiger Weise gegen Rechtsvorschriften oder behördliche
Entscheidungen verstoßen wurde, so beanstandet sie den Verstoß und
ordnet zugleich gegenüber dem Rundfunkveranstalter, dem Anbieter von
vergleichbaren Telemedien oder dem Plattformanbieter und den für das
Rundfunkprogramm, die Sendung oder den Beitrag Verantwortlichen
unter Hinweis auf die möglichen Folgen einer Nichtbeachtung der
Anordnung an, den Verstoß zu beheben oder künftig zu unterlassen.>
Danach gebietet der Verstoß gegen Rechtsvorschriften (hier: des JMStV) auf
der Rechtsfolgenseite nicht nur die Beanstandung, sondern zugleich auch die
für die Zukunft wirkende Unterlassungsaufforderung. Die durch das Wort „und“
gekennzeichnete kombinierte Rechtsfolge, untersagt es der
Landesmedienanstalt, sich auf eine Beanstandung zu beschränken. Dies ist
aus der Sicht des Landesgesetzgebers auch denklogisch, weil eine
Beanstandung nur sinnvoll ist, wenn die Wiederholung des Anlasses der
Beanstandung zukünftig unterlassen wird.
Der Rüge der Klägerin, Ziffer 2) der Entscheidungsformel des streitbefangenen
Bescheides der Beklagten vom 10. Juli 2012 sei rechtswidrig, weil die
entsprechende Unterlassungsaufforderung nicht in dem Beschluss der KJM
vom 23. Mai 2012 enthalten sei und die Beklagte deshalb von der
Aufforderung zur Unterlassung wegen der in § 17 Abs. 1 Satz 5 und 6 JMStV
geregelten Bindungswirkung der Beklagten an die Beschlüsse der KJM hätte
absehen müssen, überzeugt nicht. Zwar ist zutreffend, dass der Beschluss der
KJM der Entscheidung der Beklagten gemäß § 17 Abs. 1 Satz 6 JMStV
zugrunde zu legen ist und die Beklagte gemäß § 20 Abs. 2 JMStV durch die
KJM entsprechend den landesrechtlichen Regelungen bei
Rundfunkveranstaltern die jeweilige Entscheidung trifft. Zu berücksichtigen ist
jedoch, dass die KJM im fraglichen Zusammenhang gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1
und Satz 2 Nrn. 1 und 8 JMStV für die abschließende Beurteilung von
Angeboten nach diesem Staatsvertrag sowie insbesondere zuständig für die
Überwachung der Bestimmungen des JMStV und die Entscheidung über
Ordnungswidrigkeiten nach diesem Staatsvertrag zuständig ist. Würde man
die streitbefangene Unterlassungsaufforderung - wie die Klägerin - als weitere
Sanktion ansehen, so wäre die KJM nicht verpflichtet, die Einzelheiten
festzulegen, auch wenn § 20 Abs. 3 JMStV („Maßnahmen der KJM“, s.o. I.2)
nahelegt, dass die KJM dies im Regelfall übernimmt. Deshalb bliebe der
Landesmedienanstalt sogar bei Qualifizierung der Unterlassungsaufforderung
als weiterer Sanktion ein Entscheidungsspielraum (vgl. Held in: Hahn/Vesting,
aaO, § 17 JMStV Rdnr. 14 und auch Erdemir in: Spindler/Schuster, aaO; § 14
Rdnr. 10 u.a. zur Frage der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die
Landesmedienanstalt und die Möglichkeiten verwaltungsrechtlichen Handelns
je nach divergierendem Landesrecht). Die Kammer wertet die streitbefangene
Unterlassungsaufforderung jedoch nicht als weitere Sanktion oder
selbständige Entscheidung, sondern sieht sie - wie in § 11 Abs. 3 NMedienG
angelegt - als unselbständige und integrierte Folge der Beanstandung an.
Deshalb bedurfte es hierzu nicht eines ausdrücklichen vorausgegangenen
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Beschlusses der KJM.
III. Die Kostenfestsetzung in Höhe von 500,00 € (Ziffer 3] der
Entscheidungsformel des streitbefangenen Bescheides vom 10. Juli 2012)
beruht auf § 35 Abs. 1 RStV i.V.m. §§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 2 Abs. 1 der
Satzung der Beklagten zur Erhebung von Kosten im Bereich des
bundesweiten privaten Rundfunks vom 2.9.2009 (Nds. MBl. S. 847) und Nr.
IV.8 des Kostentarifs als Anlage zur Satzung. Die Festsetzung einer Gebühr in
Höhe von 500,00 € hält sich am unteren Rand des zulässigen Rahmens von
250,00 € bis 5.000,00 € und ist bereits deshalb nicht zu beanstanden.
IV. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO
abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der
Kosten folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
V. Die Berufung war durch das Verwaltungsgericht gemäß § §§ 124a Abs. 1
Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Kammer der Rechtsfrage,
ob bei einem Verstoß gegen die Menschenwürde im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz
1 Nr. 8 JMStV ein Einschreiten der KJM gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV
gesperrt ist, wenn der Rundfunkveranstalter die Vorgaben einer
vorausgegangenen für ihn günstigen Prüfentscheidung der FSF beachtet,
grundsätzliche Bedeutung beimisst.