Urteil des VG Göttingen vom 16.04.2014

VG Göttingen: aufschiebende wirkung, konsum, cannabis, blutprobe, entziehen, einfluss, entziehung, vollziehung, erstmaliger, rechtsmedizin

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Entziehung der Fahrerlaubnis wegen
Cannabiskonsum
Ein sich über ein gesamtes Wochenende erstreckender Konsum mehrerer
Joints ist nicht als einheitlicher Konsumakt, sondern als mehrfacher und
damit gelegentlicher Cannabiskonsum zu qualifizieren.
VG Osnabrück 6. Kammer, Beschluss vom 16.04.2014, 6 B 11/14
§ 46 Abs 1 FeV, Anl 4 Nr 9.2.2 FeV, § 3 Abs 1 StVG
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte
Entziehung seiner Fahrerlaubnis (u.a. Klasse B).
Am 05.08.2013 um 10:35 Uhr wurde der Antragsteller als Fahrer eines Pkw im
Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle in E. überprüft. Wegen des
Verdachts des Führens eines Fahrzeugs unter dem Einfluss von
Betäubungsmitteln wurde ihm auf Anordnung der kontrollierenden
Polizeibeamten um 10:57 Uhr eine Blutprobe entnommen, in der anschließend
ein THC-Wert von 3,9 ng/ml, ein THC-COOH-Wert von 33 ng/ml und ein 11-
Hydroxy-delta-9-tetrahydrocannabinol-Wert von 2,5 ng/ml festgestellt wurden
(Befundbericht des Instituts für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule
F. vom 20.08.2013).
Nachdem der Antragsgegner von diesem Sachverhalt erfahren hatte, wies er
den Antragsteller mit Schreiben vom 31.10.2013 darauf hin, dass aufgrund des
genannten Vorfalls Bedenken an seiner Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen bestünden und forderte ihn auf, zur Klärung dieser Frage,
insbesondere seines aktuellen Konsumverhaltens, ein fachärztliches
Gutachten beizubringen. Dieser Aufforderung kam der Antragsteller nach und
unterzog sich am 25.11.2013 einer entsprechenden Begutachtung beim TÜV
Nord (Begutachtungsstelle für Fahreignung G.). In dem diesbezüglichen
Gutachten vom 28.11.2013 wurde zusammenfassend ausgeführt, dass beim
Antragsteller kein aktueller Cannabiskonsum vorliege und die Untersuchung
auch keine Hinweise auf einen gelegentlichen oder regelmäßigen Konsum
ergeben habe. Im Rahmen der Drogenanamnese habe der Antragsteller
erklärt, ausschließlich am 03. und 04.08.2013 mehrere Joints geraucht und
einen Haschbrownie gegessen zu haben; zuvor und danach habe er
Cannabis oder andere Drogen nie konsumiert.
Mit Bescheid vom 14.02.2014 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller
nach vorheriger Anhörung und unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die
Fahrerlaubnis. Zur Begründung führte er aus, dass der Antragsteller, der
aufgrund seiner Angaben im Rahmen der fachärztlichen Begutachtung als
gelegentlicher Cannabiskonsument anzusehen sei, am 05.08.2013 „gegen
0:00 Uhr“ unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug im
Straßenverkehr geführt und damit gezeigt habe, dass er den Konsum von
Cannabis und die Teilnahme am Straßenverkehr nicht trennen könne.
Angesichts dessen sei er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet, so
dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen sei.
Der Antragsteller hat hiergegen am 17.03.2014 Klage erhoben (6 A 47/14) und
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gleichzeitig die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Er macht
geltend, dass der Antragsgegner bei Erlass des angefochtenen Bescheides
insofern von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei, als er (der
Antragsteller) am 05.08.2013 nicht gegen 0:00 Uhr, sondern erst um 10:35 Uhr
von der Polizei kontrolliert worden sei. Auch die Annahme des
Antragsgegners, er sei gelegentlicher Cannabiskonsument, treffe nicht zu.
Vielmehr habe er am 03. und 04.08.2013 ein überregional bekanntes und
jährlich stattfindendes Musikfestival in E. besucht und - wie bereits im Rahmen
der fachärztlichen Untersuchung angegeben - lediglich an diesen beiden
Tagen Cannabis in Form mehrerer Joints und eines Haschbrownies
konsumiert. Dieser Konsum habe sachlich und zeitlich allein im
Zusammenhang mit dem Musikfestival gestanden und stelle deshalb
gewissermaßen eine Handlungseinheit dar. Daher könne er lediglich als über
einen gewissen Zeitraum andauernder erstmaliger, nicht aber als
gelegentlicher Konsum gewertet werden, weil es insoweit an mindestens zwei
voneinander unabhängigen Konsumakten fehle. Dementsprechend habe auch
die anschließende fachärztliche Untersuchung keine Hinweise auf einen
gelegentlichen Cannabiskonsum ergeben. Unter diesen Umständen seien
sowohl die Entziehung der Fahrerlaubnis als auch der angeordnete
Sofortvollzug unverhältnismäßig.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des
Antragsgegners vom 14.02.2014 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt aus den Gründen des angefochtenen
Bescheides,
den Antrag abzulehnen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende
Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt, dessen
sofortige Vollziehung die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO
angeordnet hat, wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und das private Interesse an
der Aussetzung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über dessen Rechtmäßigkeit andererseits gegeneinander
abzuwägen, wobei insbesondere auch die bereits überschaubaren
Erfolgsaussichten des im Hauptsacheverfahren eingelegten Rechtsbehelfs zu
berücksichtigen sind. Diese Interessenabwägung fällt zu Lasten des
Antragstellers aus, weil der angefochtene Bescheid bei der im vorliegenden
Verfahren gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig ist.
Nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist, ohne dass der
Behörde insoweit Ermessen eingeräumt ist, die Fahrerlaubnis zu entziehen,
wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen
erweist. Ungeeignet in diesem Sinne ist gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV
insbesondere derjenige, bei dem Erkrankungen oder Mängel nach den
Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Gemäß Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und
14 FeV fehlt die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen regelmäßig dann,
wenn der Fahrerlaubnisinhaber gelegentlich Cannabis konsumiert und den
Konsum dieses Betäubungsmittels und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht
trennen kann. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Antragstellers derzeit
erfüllt.
Aufgrund des Befundberichts des Instituts für Rechtsmedizin der
Medizinischen Hochschule F. vom 20.08.2013 über die Untersuchung der dem
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Antragsteller entnommenen Blutprobe steht fest, dass der Antragsteller am
05.08.2013 unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug im
Straßenverkehr geführt hat. Dies wird vom mittlerweile überwiegenden Teil der
obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. - seitdem in ständiger Rechtsprechung
- OVG Lüneburg, B. v. 11.07.2003 -12 ME 287/03 -, DAR 2003, 480; VGH
Mannheim, U. v. 13.12.2007 - 10 S 1272/07 -, Blutalkohol 2008, 210 m.w.N.),
der sich die Kammer angeschlossen hat, bereits dann angenommen, wenn in
der Blutprobe des Betroffenen ein THC-Wert von mindestens 1,0 ng/ml
festgestellt worden ist; der im vorliegenden Fall in der dem Antragsteller
entnommenen Blutprobe festgestellte THC-Wert von 3,9 ng/ml liegt deutlich
darüber. Gegen diese Einschätzung hat der Antragsteller im Übrigen selbst
keine Einwände erhoben. Dass der Zeitpunkt der Verkehrskontrolle im
angefochtenen Bescheid - wohl versehentlich - unzutreffend angegeben
worden ist, ändert daran ebenfalls nichts.
Nach Aktenlage ist ferner davon auszugehen, dass der Antragsteller jedenfalls
in der Vergangenheit gelegentlicher Cannabiskonsument war. Hierfür reicht es
nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung bereits aus, wenn
der Betroffene mehr als einmal in zwei voneinander unabhängigen
Konsumakten Cannabis konsumiert hat (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 02.05.2013
- 12 LA 179/12 -; B. v. 04.12.2008 - 12 ME 298/08 -, jew. juris, m.w.N). Dies ist
hier schon nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers, wonach er am
03. und 04.08.2013 auf einem Musikfestival mehrere Joints und einen
Haschbrownie konsumiert hat, anzunehmen. Ein derartiger Konsum ist nicht
mehr als ein einmaliger Probier- oder Experimentierkonsum bzw. als - wie es
der Antragsteller formuliert hat - „über einen gewissen Zeitraum andauernder
erstmaliger Konsum“, sondern als ein aus zwei oder mehr voneinander
unabhängigen Konsumakten bestehender und damit gelegentlicher Konsum
zu qualifizieren. Insbesondere bestehen nach dem Vorbringen des
Antragstellers keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dieser Konsum der
Aufrechterhaltung eines über zwei Tage andauernden - nicht einmal etwa
durch Phasen der Nachtruhe unterbrochenen - Rauschzustands gedient hat
und deshalb ggf. lediglich als einheitlicher Konsumakt zu werten wäre (vgl.
dazu OVG Münster, B. v. 18.02.2014 - 16 B 116/14 -; VGH München B. v.
18.06.2013 - 11 CS 13.882 -, jew. juris, m.w.N.).
Abgesehen davon spricht angesichts des in der Blutprobe des Antragstellers
festgestellten THC-Wertes Überwiegendes dafür, dass es wenige Stunden vor
der Verkehrskontrolle am 05.08.2013 und der aus diesem Anlass um 10:57
Uhr erfolgten Blutentnahme - mithin nach dem vom Antragsteller angegebenen
letzten Konsumzeitpunkt - zu einem weiteren Konsumakt gekommen ist. Da
der Cannabiswirkstoff THC bei vereinzeltem oder gelegentlichem Konsum
lediglich bis zu 4 bis 6 Stunden im Blutserum nachweisbar ist (vgl.
Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Kommentar zu den
Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Aufl., Kap. 3.12.1, S. 178)
bzw. jedenfalls nach 6 Stunden in der Regel auf einen Wert von unter 1 ng/ml
sinkt (vgl. OVG Münster, aaO; Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und
Straßenverkehr, 2. Aufl., § 3 Rn. 109), lässt sich der festgestellte THC-Wert
von immerhin 3,9 ng/ml einstweilen nur damit erklären, dass der Antragsteller
am 05.08.2013 etwa gegen 5:00 Uhr oder später ein weiteres Mal Cannabis
konsumiert hat. Andernfalls wäre angesichts der insoweit längeren
Nachweiszeiten ggf. zu seinen Lasten davon auszugehen, dass er zuvor
regelmäßiger Cannabiskonsument war; in diesem Fall wäre ihm die
Fahrerlaubnis gemäß §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V.m.
Ziff. 9.2.1 der Anlage 4 ebenfalls zu entziehen gewesen.
Besondere Umstände, die Anlass zu einer Abweichung von der in Ziff. 9.2.2
der Anlage 4 aufgestellten Regelvermutung geben könnten (vgl. Nr. 3 der
Vorbemerkung zu Anlage 4), sind nicht ersichtlich, so dass der Antragsgegner
dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen hat. Angesichts
dessen ist nach den eingangs dargestellten Abwägungsgrundsätzen auch der
angeordnete Sofortvollzug nicht zu beanstanden. Die damit verbundenen
persönlichen Nachteile muss der Antragsteller im Interesse der allgemeinen
Verkehrssicherheit hinnehmen.