Urteil des VG Göttingen vom 21.01.2014

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Entziehung der Fahrerlaubnis: Keine Erklärung des
THC-Werts durch Abbau von Körperfett bei
erheblicher Gewichtsabnahme
VG Osnabrück 6. Kammer, Beschluss vom 21.01.2014, 6 B 85/13
Anl 4 Nr 9.2.2 FeV
Gründe
I.
Der Antragsteller wehrt sich gegen die unter Anordnung der sofortigen
Vollziehung erfolgte Entziehung seiner Fahrerlaubnis (Klasse 3 -alt-).
Im Rahmen einer polizeilichen Sachverhaltsaufnahme wurde der Antragsteller
am 31.8.2013 zu dem von einem Zeugen telefonisch erhobenen Vorwurf
befragt, er fahre seinen Pkw ständig unter Einfluss von Marihuana. Daraufhin
gab der Antragsteller ausweislich des polizeilichen Reports vom 1.9.2013 an,
„dass er in regelmäßigen Abstand Marihuana zu sich nehme“. Er konsumiere
„seit Jahren“ und erwerbe alle vier Wochen für 50 Euro Marihuana. Er inhaliere
Marihuana aus einem Glasbong (Wasserpfeife). Ein Drogenschnelltest verlief
positiv. Die dem Antragsteller daraufhin entnommene Blutprobe wies laut
Untersuchungsbefund des Instituts für Rechtsmedizin der Medizinischen
Hochschule F. vom 9.9.2013 8,8 ng/ml THC und 43 ng/ml THC-COOH auf.
Bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 13.9.2013 gab der Antragsteller
ausweislich der polizeilichen Niederschrift an, er habe in der Vergangenheit
Marihuana geraucht und damit aufgehört. Er habe in unregelmäßigen
Abständen konsumiert und sei nicht abhängig gewesen. Es sei so im letzten
dreiviertel Jahr gewesen. In neun Monaten habe er etwa 60 Gramm Marihuana
für sich erworben. Auch sein Arbeitskollege, mit dem er auch gemeinschaftlich
konsumiert habe, habe zu der Zeit ungefähr diese Menge für sich erworben.
Am 26.9.2013 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten
Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Hierauf machte der Antragsteller geltend,
die im Untersuchungsbefund festgestellten Werte für THC und THC-COOH
hätten ihre Ursache in einer in seinem Fettgewebe im Verlauf der ca. acht bis
zehn Monate vor der Kontrolle bei extremer Gewichtsreduzierung
stattgefundenen Anreicherung im verbleibenden Fettgewebe. Ende November
2012 habe er ein Gewicht von 106 Kilogramm, zum Zeitpunkt der
Blutentnahme von nur 78 Kilogramm gehabt. Auch leide er unter operativ
behandelten Herz-/Kreislaufstörungen und habe blutdrucksenkende und
blutverdünnende Medikamente eingenommen; ihm sei eine GdB von 30%
zuerkannt. Ein Beleg für das Fahren unter Einfluss von Betäubungsmitteln
(Cannabis) sei nicht gegeben. Zuletzt habe er vor der Probenahme am 18.8.
Cannabis konsumiert und an diesem Tag und den beiden Folgetagen kein
Kraftfahrzeug geführt. Er habe sich in Ansehung der Werte und seines
Gesundheitszustandes entschieden, strikt auf Cannabiskonsum zu verzichten
und in geregelten Abständen Blutuntersuchungen durchführen zu lassen. Eine
Entziehung der Fahrerlaubnis verletze angesichts dessen das
Übermaßverbot, da er seine Abstinenz über einen Zeitraum von sechs bis
zwölf Monaten durch regelmäßige Blutanalyseergebnisse gegenüber der
Antragsgegnerin belegen wolle.
Mit Bescheid vom 11.12.2013 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller
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wegen gelegentlichen Cannabiskonsums und fehlenden
Trennungsvermögens hinsichtlich des Führens von Kraftfahrzeugen dessen
Fahrerlaubnis; auf diesen Bescheid wird wegen der Einzelheiten Bezug
genommen.
Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid am 16.12.2013 Klage erhoben
und die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Er macht in
Weiterverfolgung seines bisherigen Vorbringens geltend, nach dem 16.8.2013
bis zum 31.8.2013 und seitdem keine Cannabisprodukte konsumiert zu haben.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 11.12.2013 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie hält an der getroffenen Entscheidung fest und macht geltend, die durch
Untersuchungsbefund nachgewiesenen THC-Werte seien allein mit dem
Abbau von Körperfett nicht erklärbar, da dieser kontinuierlich erfolge und frei
werdende kleine Mengen sofort wieder verstoffwechselt würden. Die
erforderlichen Mengen könnten im Übrigen allenfalls infolge eines
regelmäßigen, täglichen Konsums im Körperfett eingelagert worden sein, so
dass dem Antragsteller bereits deswegen die Fahrerlaubnis zu entziehen
gewesen sei.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze,
wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer
Klage anordnen oder wiederherstellen. Diese Entscheidung erfolgt aufgrund
einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen
Vollziehung einerseits und dem Interesse des Rechtsschutzsuchenden an der
vorläufigen Aussetzung des angefochtenen Verwaltungsakts andererseits. Im
Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten der Klage zu
berücksichtigen. Bei offensichtlicher Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsakts überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung, während bei ernstlichen Zweifeln an der
Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts regelmäßig dem Aussetzungsinteresse
des Rechtsschutzsuchenden Vorrang einzuräumen ist. Unter
Berücksichtigung dieser Grundsätze verbleibt es bei der von der
Antragsgegnerin angeordneten sofortigen Vollziehung, weil der angefochtene
Bescheid aller Voraussicht nach rechtmäßig ist und das öffentliche Interesse
an einer sofortigen Gewährleistung der Verkehrssicherheit, insbesondere zum
Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer,
das private Interesse des Antragstellers, einstweilen weiterhin ein
Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führen zu dürfen, überwiegt.
Nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist, ohne dass der
Behörde insoweit Ermessen eingeräumt ist, die Fahrerlaubnis zu entziehen,
wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen
erweist. Ungeeignet in diesem Sinne ist gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV
insbesondere derjenige, bei dem Erkrankungen oder Mängel nach den
Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Nach Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und
14 FeV fehlt die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen regelmäßig dann,
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wenn der Fahrerlaubnisinhaber gelegentlich Cannabis konsumiert und den
Konsum dieses Betäubungsmittels und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht
trennen kann. Diese Voraussetzungen sind beim Antragsteller nach
gegenwärtiger Sachlage gegeben.
Ausweislich der bei den beigezogenen Verwaltungsvorgängen befindlichen
polizeilichen Unterlagen hat der Antragsteller eingeräumt, über einen längeren
Zeitraum von ihm geübten Gepflogenheiten entsprechend einen zumindest
gelegentlichen Konsum von Marihuana praktiziert zu haben. Unstreitig hatte er
am Vorfallstag entsprechend den im Untersuchungsbefund ausgewiesenen
Analyseergebnissen mit 8,8 ng/ml THC im Blutserum eine den nach ständiger
Verwaltungsrechtsprechung maßgebenden Wert von 1,0 ng/ml (so OVG
Schleswig-Holstein, U. v. 17.2.2009 - 4 LB 61/08 -, juris; Nds. OVG, B. v.
11.9.2008 - 12 ME 227/08 – www.rechtsprechung.niedersachsen.de, ; VGH
Mannheim, U. v. 13.12.2007 - 10 S 1272/07 -, Blutalkohol 2008, 210 = juris; B.
v. 27.3.2006 - 10 S 2519/05 -, NJW 2006, 2135) um ein Vielfaches
übersteigende Menge THC im Körper. Dennoch hat er in diesem Zustand ein
Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt und damit wohl ein fehlendes
Trennungsvermögen gezeigt, weil er trotz der auch aus seiner Sicht nicht
ausgeschlossenen Möglichkeit, noch große Mengen THC im Körper zu haben,
diese Teilnahme am Straßenverkehr nicht unterlassen hat.
Der Antragsteller ist als Fahrerlaubnisinhaber verantwortlich dafür, dass er -
sofern er auf den Konsum von Cannabis nicht verzichten will - Konsumfolgen
und Verkehrsteilnahme wirksam trennt. Insoweit trifft ihn grundsätzlich eine von
allgemeinen Verschuldensmaßstäben unabhängige Ergebnisverantwortung,
so dass der Nachweis fehlenden Trennungsvermögens auch dann gegeben
ist, wenn dem Fahrerlaubnisinhaber keine subjektive Sorgfaltswidrigkeit
vorgeworfen werden kann, er aber nach objektiven Maßstäben nicht alles
gebotene getan hat, um von seinem Konsumverhalten ausgehende potentielle
Gefahren für den Straßenverkehr und andere Verkehrsteilnehmer
auszuschließen. Ihm obliegt es insoweit, sich in seiner Verkehrsteilnahme so
einzurichten, dass die gebotene „Trennung“ erfolgt, sich das ggf. erforderliche
Wissen zu verschaffen und etwaigen Unwägbarkeiten im Zweifel durch einen
weitergehenden Verzicht auf eine Verkehrsteilnahme Rechnung zu tragen und
dadurch seine fortbestehende Fahreignung unter Beweis zu stellen.
Anderenfalls fehlt ihm das Vermögen zur Trennung von Konsumfolgen und
Verkehrsteilnahme im Sinne vorstehend angeführter Rechtsvorschriften.
Dass der Antragsteller angesichts des von ihm eingeräumten
Konsumverhaltens keine genügenden Vorkehrungen zur Trennung getroffen,
vielmehr zur Unzeit als Führer eines Kraftfahrzeugs am Straßenverkehr
teilgenommen hat, weisen die polizeilichen Feststellungen und der
Untersuchungsbericht aus. Seine Behauptung, jedenfalls in den fünf Tagen
vor der Probenahme nicht konsumiert zu haben, wird ihn insoweit aller
Voraussicht nach nicht entlasten, wie seine Einwände auch im Übrigen ein
ausreichendes Trennungsvermögen nicht belegen dürften.
Zunächst ist diese Behauptung des Antragstellers bei Annahme von
gelegentlichem Cannabiskonsum mit der naturwissenschaftlichen
Erkenntnislage wohl nicht zu vereinbaren und deshalb unglaubhaft. THC ist
bei normalem Konsum im Blut regelmäßig nur bis zu 6 Stunden nach dem
Konsum nachweisbar (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 11.07.2003 - 12 ME 287/03 -,
DAR 2003, 480 unter Bezugnahme auf die Anlage 3 zum Erlass des
Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Verkehr
„Drogenkonsum und Fahreignung“ vom 19.12.1997 - 402.3-30013/31 -;
Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Kommentar zu den
Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Aufl., S.178). Deshalb
spricht angesichts eines THC-Befundes von 8,8 ng/ml derzeit alles für einen
zeitnahen Konsum des Antragstellers am Vorfallstag (vgl. Hettenbach u.a.,
Drogen und Straßenverkehr, 2. Auflage, § 3 Rn. 208). Für eine maßgebende
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Beeinflussung dieses THC-Befundes durch blutdrucksenkende und
blutverdünnende Medikamente ist nichts ersichtlich und auch vom
Antragsteller nicht dargetan. Auch würde man von „blutverdünnenden“
Medikamenten wohl eher eine Absenkung, nicht aber eine Steigerung der
THC-Konzentration im Blut erwarten. Die diesbezüglichen
naturwissenschaftlichen Erkenntnisse beruhen zudem maßgeblich auf
wissenschaftlichen Studien, bei denen die Korrelation des Körpergewichts zur
Konsummenge in die zugrundeliegenden Untersuchungen Berücksichtigung
gefunden hat, so dass die Ergebnisse insoweit von umfassender Aussagekraft
sind (vgl. Hettenbach u.a., a.a.O., § 3 Rn. 109 ff zu den sog. 1. und 2.
Maastricht-Studien). Zutreffend wird sein, dass in der Folge von
Cannabiskonsum Stoffwechselprodukte wie THC-COOH im Fettgewebe des
Körpers eingelagert und bei Abbau des Fettgewebes eingelagerte Substanzen
sukzessive wieder dem körpereigenen Stoffwechsel zugeführt werden. Sofern
dabei messbares THC anfiele, bliebe dies wie angeführt regelmäßig nur bis zu
6 Stunden nachweisbar. Dass sich aber innerhalb eines demgemäß kurzen
Zeitintervalls die beim Antragsteller festgestellte vergleichsweise hohe THC-
Konzentration von 8,8 ng/ml im Blutserum einfinden könnte, erscheint allenfalls
unter der Voraussetzung vorstellbar, dass das Fettgewebe des Antragstellers
eine ungewöhnlich hohe Konzentration der THC-Stoffwechselprodukte
aufgewiesen hätte, die nach naturwissenschaftlichem Erfahrungswissen Folge
eines auch im rechtlichen Sinne „regelmäßigen“ Konsums von Cannabis sein
muss (vgl. Hettenbach u.a., a.a.O., § 3 Rn. 204 ff, 207). Gemäß Ziff. 9.2.1 der
Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV fehlt die Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen aber gerade auch dann, wenn der Fahrerlaubnisinhaber
regelmäßig Cannabis konsumiert. Deshalb begründen die Einwände des
Antragstellers aller Voraussicht nach „erst recht“ die Annahme einer fehlenden
Fahreignung, ohne dass es danach auf den Gesichtspunkt des
Trennungsvermögens überhaupt ankäme.
Aus vorstehenden Gründen fehlt es auch an einer hinreichenden
Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs i.S.d. § 114 ZPO, so dass auch der Antrag
auf Gewährung von Prozesskostenhilfe keinen Erfolg hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG (entspr. Ziffer
1.5, 46.3 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, Beilage
2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).