Urteil des VG Göttingen vom 17.09.2013

VG Göttingen: aufschiebende wirkung, gebäude, bisherige nutzung, druckerei, genehmigung, baurecht, unterbringung, niedersachsen, grundstück, zustand

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--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
Die Einbringung einer verfahrensfreien Anlage (hier: Blockheizkraftwerk) in
ein Gebäude nach § 60 Abs. 1 Satz 1 NBauO führt nicht zur
Verfahrensfreiheit der damit verbundenen erstmaligen Nutzung des
Gebäudes oder der damit verbundenen Änderung der Nutzung des
Gebäudes.
VG Göttingen 2. Kammer, Beschluss vom 17.09.2013, 2 B 754/13
§ 60 Abs 1 BauO ND, § 79 Abs 1 Nr 5 BauO ND
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes wird
abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Antrag der
Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung ihres unter dem 01.08.2013 eingelegten
Widerspruchs gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom
01.07.2013 verfügte Nutzungsuntersagung wiederherzustellen, ist
unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt das Verwaltungsgericht auf Antrag die
aufschiebende Wirkung eines eingelegten Widerspruchs wieder her, wenn
die im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung zu treffende
Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, einstweilen vom
Vollzug eines belastenden Bescheides verschont zu bleiben, gegenüber
dem vom Antragsgegner vertretenen öffentlichen Interesse an der
sofortigen Vollziehung dieser Verfügung überwiegt. Dies ist in der Regel der
Fall, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache Erfolg verspricht. Das ist hier
nicht der Fall. Der von der Antragstellerin gegen die vom Antragsgegner
verfügte Untersagung der Nutzung des Gebäudes auf dem Grundstück E. 8
in F. als Aufstellungsort für ein Blockheizkraftwerk eingelegte Widerspruch
wird bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen
Rechtmäßigkeitsprüfung aller Voraussicht nach erfolglos bleiben.
Der Antragsgegner stützt die angefochtene Nutzungsuntersagung zu Recht
auf § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NBauO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde
zur Wiederherstellung eines baurechtmäßigen Zustands insbesondere die
Benutzung von Anlagen untersagen. Das Gericht folgt dem Antragsgegner
in seiner – allein entscheidungstragenden - Einschätzung, dass die von der
Antragstellerin beabsichtigte Nutzung deshalb gegen Vorschriften des
öffentlichen Baurechts verstößt, weil sie formell illegal ist. Entgegen der
Auffassung der Antragstellerin bedarf das Aufstellen eines
Blockheizkraftwerks in dem streitbefangenen Grundstück einer
Baugenehmigung. Dieses Aufstellen besteht baurechtlich aus zwei
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Maßnahmen, dem Errichten des Blockheizkraftwerks und der Nutzung des
Gebäudes E. zur Aufstellung dieses Kraftwerks; nur das Errichten des
Blockheizkraftwerks ist genehmigungs- bzw. verfahrensfrei.
Die Genehmigungsfreiheit der Errichtung des Blockheizkraftwerks folgt aus
§ 60 Abs. 1 NBauO i.V.m. Nr. 2.4. des Anhangs zu dieser Vorschrift. Es
handelt sich nicht um einen Sonderbau im Sinne von § 2 Abs. 5 Satz 2
NBauO i.V.m. § 4 Abs. 1 BImSchG i.V.m. Nr. 1.1 des Anhangs zur 4.
BImschV, weil die streitbefangene Anlage mit 750 kW die dort genannte
Grenze von 50 MW nicht erreicht. Diese Verfahrensfreiheit erstreckt sich nur
auf die technische Einrichtung und nicht das Gebäude, in dem sie
untergebracht ist (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8.
Aufl. zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängervorschrift Nr. 2.5. des
Anhangs zu § 69 Rn. 26).
Nicht verfahrensfrei ist jedoch die mit der Einbringung dieser Anlage in das
Gebäude E. 5 in F. verbundene Nutzung dieses Gebäudes. Die
Antragstellerin kann sich für die Verfahrensfreiheit der Gesamtmaßnahme
nicht auf § 60 Abs. 1 Satz 1 NBauO berufen. Danach dürfen die im Anhang
genannten baulichen Anlagen nicht nur errichtet, sondern auch in bauliche
Anlagen eingefügt werden. Dies bedeutet jedoch nur, dass die
verfahrensfreie Anlage auch verfahrensfrei bleibt, wenn sie in ein Gebäude
eingefügt wird; für das Gebäude selbst trifft die Vorschrift indes keine
Regelung, es sei denn, es besteht – was hier nicht der Fall ist – eine
räumlich funktionale Einheit zwischen Gebäude und verfahrensfreier
Anlage. Hier erfüllen das Blockheizkraftwerk einerseits und das Gebäude
andererseits ihre Zwecke je unabhängig voneinander. Nicht gemeint ist mit
der Vorschrift, dass eine mit der Maßnahme verbundene, ansonsten
genehmigungsbedürftige Nutzung des Gebäudes gleichsam ebenfalls
verfahrensfrei ist. Würde man dies anders sehen, ließen sich ohne
Probleme Schwarzbauten durch das Einbringen von verfahrensfreien
Anlagen jedenfalls formell legalisieren.
Die Antragstellerin kann für sich auch nicht § 60 Abs. 2 Nr. 1 NBauO in
Anspruch nehmen. Danach ist verfahrensfrei auch die Änderung der
Nutzung einer baulichen Anlage, wenn das öffentliche Baurecht an die neue
Nutzung weder andere noch weitergehende Anforderungen stellt oder die
Errichtung oder Änderung der baulichen Anlage nach Absatz 1
verfahrensfrei wäre. Es handelt sich bei dem Aufstellen des
Blockheizkraftwerks in dem fraglichen Gebäude nicht um eine
Nutzungsänderung. Denn die bisher genehmigte Nutzung ist erloschen,
sodass von ihr Bestandskraftwirkung nicht ausgeht und sich die
Genehmigungsfrage für die Nutzung des Gebäudes völlig neu stellt.
Für das streitbefangene Bauwerk liegen zwei Baugenehmigungen aus den
Jahren 1925 und 1947 für den Betrieb einer Druckerei vor. Der letzte
baurechtliche Nachweis der Nutzung als Druckerei stammt aus dem Jahre
1956. 1961 wurde eine Genehmigung zur teilweisen Nutzung als
Möbellager erteilt und auch ausgenutzt. Seit 1981 wurde das Gebäude
nach gewerberechtlichen Unterlagen der Stadt F. im Harz bis 2008 als
Groß- und Einzelhandel der Schuh-Branche genutzt. In dem Gebäude
befand sich eine Schuhhalle bzw. ein Schuhlager. Für diese Nutzung ist
eine Baugenehmigung nach Aktenlage nicht vorhanden. Aus der letzten,
1981 erteilten Genehmigung lassen sich heute Rechtsfolgen nicht mehr
herleiten. Selbst wenn es für die Einzelhandelsnutzung eine Genehmigung
gegeben hätte, könnte von einer Nutzungsänderung fünf Jahre nach
Aufgabe dieser Nutzung nicht mehr gesprochen worden. Zwar hält das
Niedersächsische Oberverwaltungsgericht nicht mehr an seiner früheren
Rechtsauffassung fest, wonach in Anwendung des Rechtsgedankens aus §
71 Abs. 1 NBauO (Erlöschen der Baugenehmigung 3 Jahre nach Erteilung,
wenn mit dem Bau nicht begonnen wurde) nach Ablauf von drei Jahren aus
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einer alten Nutzung für die Gegenwart Ansprüche nicht mehr abgeleitet
werden können (vgl. Beschluss vom 3.1.2011 -1 ME 209/10-, zitiert nach
juris). Ein Bestandsschutz besteht in dieser Weise jedoch nur, wenn die
bisherige Nutzung in ihrer genehmigten Bandbreite auf Dauer nicht durch
eine – insbesondere funktional andere – Nutzung ersetzt wird (so auch
schon: BVerwG, Urt. v. 15.11.1974 -- IV C 32.71 -- BRS 28 Nr. 34 m.w.N.).
Die Unterbringung eines Blockheizkraftwerks ist jedoch funktional etwas
völlig anderes als Einzelhandel.
Selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin von einer
Nutzungsänderung im Sinne von § 60 Abs. 2 Nr. 1 NBauO ausgehen wollte,
bliebe der Antrag erfolglos. Denn auch dann bedürfte die Antragstellerin
einer Baugenehmigung für diese Nutzungsänderung, weil die Nutzung zur
Unterbringung eines Blockheizkraftwerkes gegenüber einer Druckerei oder
einem Einzelhandel andere und weitergehende Anforderungen an das
öffentliche Baurecht stellt. Insbesondere bauordnungsrechtlich werden an
die neue Nutzung als Aufstellort für ein Blockheizkraftwerk andere
Anforderungen gestellt. Aus. § 10 Abs. 3 DVO-NBauO ergeben sich für das
Aufstellen eine Blockheizkraftwerkes andere Deckenhöhen als an die
Nutzung als Druckerei bzw. Schuhhalle oder Lager. Auch die
Feuerverordnung des Landes Niedersachsen (FeuVO Nds.) stellt in § 10
i.V.m. §§ 3, 4 besondere Anforderungen an Räume, in denen sich
Blockheizkraftwerke befinden. Auch bauplanungsrechtlich sind
möglicherweise andere Anforderungen vorhanden. Dies abschließend zu
entscheiden, fehlt dem Gericht allerdings die Kenntnis des
Gebietscharakters des Aufstellungsortes der Anlage. In Anbetracht der
unterschiedlichen bauordnungsrechtlichen Anforderungen, ist eine
weitergehende Sachverhaltsaufklärung hierzu entbehrlich.
Der Nutzungsuntersagung heften nach Ansicht des Gerichts auch keine
Ermessensfehler an. Insbesondere hat der Antragsgegner den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit beachtet. Die Nutzungsuntersagung ist geeignet,
den baurechtswidrigen Zustand in Form der formellen Baurechtswidrigkeit
zu beseitigen. Auch ist die Nutzungsuntersagung erforderlich, da ein
milderes Mittel nicht ersichtlich ist. Die bloße Aufforderung zur Vorlage von
prüffähigen Bauvorlagen reicht nicht aus, um die von dem Schwarzbau
ausgehende Gefahr zu beseitigen, zumal die Antragstellerin die Vorlage
von Bauvorlagen nach wie vor ablehnt.
Die Nutzungsuntersagung ist auch angemessen, d.h. verhältnismäßig im
engeren Sinne.
Soweit die Antragstellerin der Ansicht ist, dass eine nicht abschließend
festgestellte materielle Illegalität der baulichen Anlage, wenn schon nicht auf
Tatbestandsebene, dann zumindest im Rahmen der Ermessensausübung
zu berücksichtigen sei, wenn eine Nutzungsuntersagung ähnliche
irreparable Folgen zu verursachen drohe wie eine Beseitigungsanordnung,
folgt das Gericht dieser Rechtsauffassung nicht. Zum einen ist dies bei
jeglicher, eine gewerbliche Nutzung betreffende Nutzungsuntersagung der
Fall. Zum anderen hat die Antragstellerin diese Situation durch Beharren auf
einem unrichtigen Rechtsstandpunkt zur Verfahrensfreiheit ihrer
Baumaßnahmen selbst geschaffen. Schließlich ist es der Antragstellerin
zuzuschreiben, dass die materielle Baurechtmäßigkeit nicht geprüft werden
kann, denn hierzu fehlen prüffähige Bauvorlagen. Es besteht daher kein
Anlass, von der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung
abzuweichen, dass bei formeller Illegalität einer baulichen Anlage in aller
Regel die Nutzungsuntersagung die ermessensgerechte
Bauordnungsmaßnahme ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1
GKG.