Urteil des VG Göttingen vom 06.11.2013

VG Göttingen: recht auf bildung, einstellung des verfahrens, rücknahme der klage, betroffene person, demonstration, verdacht, gewalt, hausdurchsuchung, ermittlungsverfahren, zeitung

1
2
3
4
5
6
7
8
9
Anspruch auf Löschung von Daten des
Verfassungsschutzes
1. Führt eine rechtmäßige Sperrerklärung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO
dazu, dass ein konkreter Klageantrag nicht gestellt werden kann und eine
Klage auf Löschung von Daten deshalb unzulässig ist, so ist dies auch im
Lichte der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG hinzunehmen.
2. Besteht infolge einer rechtmäßigen Sperrerklärung keine Möglichkeit,
Anhaltspunkte für den Inhalt der nicht offengelegten Unterlagen zu
erlangen, so lassen sich aus diesen Unterlagen keine für den Kläger
nachteiligen Schlussfolgerungen ziehen.
VG Göttingen 1. Kammer, Urteil vom 06.11.2013, 1 A 246/11
§ 10 Abs 2 S 1 VerfSchG ND, § 11 Abs 2 S 2 VerfSchG ND, § 3 Abs 1 S 1 Nr 1
VerfSchG ND, § 5 Abs 1 VerfSchG ND, § 8 Abs 1 S 1 Nr 1 VerfSchG ND, § 82 Abs 1
S 2 VwGO
Tatbestand
Der Kläger ist freier Journalist und Redakteur bei dem Lokalsender „Stadtradio
E.“.
Mit Schreiben vom 27.06.2011 beantragte er bei dem Beklagten als
niedersächsischer Verfassungsschutzbehörde die Erteilung einer Auskunft
über die dort zu seiner Person gespeicherten Daten. Mit undatiertem, bei dem
Prozessbevollmächtigten des Klägers am 15.09.2011 eingegangenem
Schreiben teilte der Beklagte mit, dass neben allgemeinen biographischen
Daten folgende Erkenntnisse über den Kläger gespeichert seien:
- „Ihr Mandant B. C. wurde am 07. April 1997 bei der Durchsuchung der
Redaktionsräume der Zeitung „P.“ in E. durch die Polizei als eines der
mutmaßlichen Redaktionsmitglieder festgestellt.“
- „Nach Erkenntnissen der Polizei vom 10.07.2000 war Ihr Mandant
Mitarbeiter des Q. „Stadtradio“.“
- „Am 18. August 2007 befand sich Ihr Mandant unter den Personen, die
sich im Hinterhof eines Wohnhauses direkt neben der Demonstrationsroute
einer R. -Veranstaltung sammelten, und beteiligte sich an den
Protestaktionen. Dabei wurde gegen Ihren Mandanten ein Platzverweis
ausgesprochen.“
- „Am 30. Januar 2010 hat Ihr Mandant an einer Demonstration in E., die
unter dem Motto „S.“ stand, teilgenommen.“
- „Ihr Mandant nahm am 15. Januar 2011 in E. an einer Demonstration
gegen die Ermordung des U. V. (20. Todestag) durch Rechtsextremisten in
der damaligen regionalen Szene teil.“
- „Am 19. März 2011 war Ihr Mandant, aufgrund der Ereignisse in Japan,
Teilnehmer einer Anti-Atom Demonstration in E..“
Darüber hinaus wies der Beklagte darauf hin, dass er Erkenntnisse über
linksextremistische Aktivitäten des Klägers habe, über die er aus den in § 13
Abs. 2 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG)
10
11
12
13
genannten Gründen jedoch keine Auskunft erteile.
Hierauf beantragte der Kläger mit Schreiben vom 10.10.2011 bei dem
Beklagten die Löschung der zu seiner Person gespeicherten Daten, da die
Voraussetzungen für eine Speicherung nicht vorlägen. Zeitgleich wandte er
sich an den niedersächsischen Landesbeauftragten für den Datenschutz und
bat diesen um Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Auskunftssperre,
Anforderung der geheim gehaltenen Akten und Vermittlung bei der
angestrebten vollständigen Auskunftserteilung. Hierauf teilte der
Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen mit Schreiben vom
26.10.2011 mit, dass der Beklagte zu zwei weiteren Sachverhalten Auskunft
erteilen werde. Darüber hinaus sei die Verarbeitung der Daten, die
Verweigerung der Auskunft und die mangelnde Angabe der
Weigerungsgründe datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden. Mit Schreiben
vom 11.11.2011 ergänzte der Beklagte seine Auskunft über die zur Person
des Klägers gespeicherten Daten um folgende Erkenntnisse:
- „Bei Ihrem Mandanten wurde im August 1998 in einem Verfahren des
Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof eine Hausdurchsuchung
durchgeführt. Im Rahmen der Durchsuchung wurden diverse Gegenstände
wie etwa Präzisionsschleudern, Stahlmuttern sowie ein
Signalabschussgerät sichergestellt. Dem Verfahren lagen Brandanschläge
auf das Amtsgericht E., auf eine Baufirma sowie auf das W. Arbeitsamt
zugrunde. Dabei bestand gegen Ihren Mandanten sowie andere Personen
der Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung.“
- „Am 6. September 2010 nahm Ihr Mandant in E. an einer Protestaktion
gegen den T. 2010 teil. Grundsätzlich unterliegen Demonstrationen und
deren Teilnehmer nicht der Beobachtung durch den Verfassungsschutz und
begründen daher auch aus sich heraus nicht die Speicherung
personenbezogener Daten. Erst wenn extremistische
Personenzusammenschlüsse diese Demonstrationen anmelden, zur
Teilnahme aufrufen und/oder selbst daran teilnehmen, werden sie für die
Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes relevant. Unter dieser
Voraussetzung ist auch die Teilnahme von Personen, die einer
extremistischen Bestrebung angehören, eine Information, die für die Arbeit
des Verfassungsschutzes im Einzelfall erforderlich sein kann.“
Am 10.10.2011 erhob der Kläger Klage, mit der er die Verurteilung des
Beklagten zur Erteilung vollständiger Auskunft über die zu seiner Person
gespeicherten personenbezogenen Daten begehrte (1 A 192/11). Zur
Begründung führte er unter anderem aus, sämtliche gegen ihn geführten
Ermittlungsverfahren seien gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, weil
er weder Mitglied der Redaktion der „P.“ gewesen sei noch etwas mit
irgendeinem Brandanschlag zu tun gehabt habe. Nach Anforderung der
vollständigen Akten durch das Gericht legte der Beklagte lediglich einen Teil
der bei ihm zur Person des Klägers geführten Verwaltungsvorgänge (Beiakten
A und B zum Verfahren 1 A 192/11) vor und erklärte, dass die Vorlage der
vollständigen bei ihm geführten Vorgänge nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht
erfolgen dürfe (Sperrerklärung). Daraufhin beantragte der Kläger, im Verfahren
nach § 99 Abs. 2 VwGO die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des
Beklagten und der damit verbundenen Weigerung der Vorlage der vom
Verwaltungsgericht angeforderten Akten festzustellen. Mit Beschluss vom
23.03.2012 (14 PS 1/12) entschied das Niedersächsische
Oberverwaltungsgericht, die Weigerung des Beklagten zur Vorlage der
vollständigen Akten sei rechtmäßig, und führte zur Begründung aus, ein
Bekanntwerden des Inhalts der nicht vorgelegten Aktenteile würde dem Wohl
des Landes Niedersachsen Nachteile bereiten, da durch die Bekanntgabe des
Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der
Verfassungsschutzbehörde einschließlich der Zusammenarbeit mit anderen
Behörden erschwert würde. Der Schutz verfassungsschutzdienstlicher
14
15
16
17
18
19
20
Informationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der
Erkenntnisgewinnung rechtfertige es, die fraglichen Dokumente geheim zu
halten, und die Beklagte habe im Rahmen der zu treffenden
Ermessensentscheidung den Interessen des Landes an der Geheimhaltung
gegenüber den gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen an
effektivem Rechtsschutz und umfassender Aufklärung des Sachverhalts
beanstandungsfrei den Vorrang eingeräumt. Die Beschwerde des Klägers
gegen die Entscheidung des Nds. OVG wurde durch Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 21.08.2012 (20 F 5.12) zurückgewiesen. Auf
den Inhalt der Beschlüsse wird Bezug genommen. Nach Rücknahme der
Klage stellte das Gericht das Verfahren 1 A 192/11 durch Beschluss vom
29.10.2012 ein.
Mit Bescheid vom 20.12.2011 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf
Löschung der über ihn gespeicherten Daten ab und führte zur Begründung
aus, die Speicherung der Daten sei rechtmäßig gewesen und die
vorhandenen Erkenntnisse würden weiterhin zur Aufgabenerfüllung der
Niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde benötigt, sodass ihre
Löschung derzeit nicht in Betracht komme.
Am 23.12.2011 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben. Zur Begründung
macht er geltend, eine Speicherung von Personendaten sei nur zulässig, wenn
tatsächliche Anhaltspunkte vorlägen, die darauf schließen ließen, dass der
Betroffene verfassungsfeindlichen Bestrebungen oder Tätigkeiten nachgehe.
Hierfür treffe den Beklagten die Darlegungs- und Beweislast. Der Beklagte
habe jedoch nur eine lose Zusammenstellung von Informationen geliefert, die
jeglichen Bezug zu ihm - dem Kläger - vermissen ließen. Bei der
Durchsuchung am 07.04.1997 habe er nicht an einem Redaktionstreffen der
„P.“, sondern an einem Arbeitskreis zum Thema Asyl teilgenommen. Das
gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren sei ebenso gemäß § 170 Abs. 2 StPO
eingestellt worden wie das Verfahren im Zusammenhang mit der im August
1998 bei ihm durchgeführten Hausdurchsuchung. Seine Teilnahme an
Demonstrationen sei grundgesetzlich geschützt und nicht für die Bewertung
geeignet, dass er damit verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt habe.
Dies gelte insbesondere, wenn die Teilnahme zum Zweck seiner
journalistischen Tätigkeit erfolgt sei. Eine Unterstützung der „Autonomen
Szene“ durch ihn sei nicht belegt. Die Frage der Löschung von Daten sei
anhand der vom Beklagten offengelegten Unterlagen und Einträge zu
beurteilen. Diese rechtfertigten nicht den Verdacht verfassungsfeindlicher
Bestrebungen, zumal er im Rahmen der dort genannten Aktivitäten seinen
„verfassungsrechtlichen Aufgaben als Journalist“ nachgekommen sei. Weil der
Inhalt der Unterlagen, deren Vorlage der Beklagte verweigert habe, nicht
bekannt sei, dürften aus ihnen keine für den Kläger negativen
Schlussfolgerungen gezogen werden. Soweit die vollständige Löschung und
damit auch die Löschung der vom Beklagten nicht offengelegten Daten
beantragt werde, sei dieser Antrag hinreichend bestimmt, da er die einzige
Möglichkeit biete, effektiven Rechtsschutz zu erlangen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 20.12.2011 zu
verpflichten,
a. folgende über den Kläger in Dateien gespeicherte Daten zu löschen
bzw. - soweit die Daten in Akten enthalten sind - hierfür einen
Sperrvermerk einzutragen:
- Daten im Zusammenhang mit der Durchsuchung der
Redaktionsräume der Zeitung „P.“ am 07.04.1997;
- Daten im Zusammenhang mit einer beim Kläger im August 1998
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
durchgeführten Hausdurchsuchung;
- Daten im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers für den Q.
„Stadtradio“;
- Daten im Zusammenhang mit der Teilnahme des Klägers an
Protestaktionen gegen eine R. -Veranstaltung am 18.08.2007;
- Daten im Zusammenhang mit der Teilnahme des Klägers an einer
Demonstration „S.“ am 30.01.2010;
- Daten im Zusammenhang mit der Teilnahme des Klägers an einer
Protestaktion gegen den T. 2010 am 06.09.2010;
- Daten im Zusammenhang mit der Teilnahme des Klägers an einer
Demonstration am 15.01.2011 zum Jahrestag der Ermordung des U.
V. und
- Daten im Zusammenhang mit der Beteiligung des Klägers an einer
Anti-Atomdemonstration in E. am 19.03.2011 und
b. im Übrigen alle ansonsten über den Kläger in Dateien
gespeicherten Daten zu löschen bzw. Daten - soweit sie in Akten
enthalten sind - mit einem Sperrvermerk zu versehen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält den Antrag für unzulässig, weil er zu unbestimmt sei. Eine Überprüfung
der Unterlagen, die nicht offen gelegt werden müssten, durch die Kammer
komme nicht in Betracht und eine Verpflichtung zur Löschung sämtlicher
Daten scheide daher aus. Die Speicherung der über den Kläger geführten
Daten sei zulässig gewesen, weil sie auf tatsächlichen Anhaltspunkten dafür
beruht habe, dass der Kläger an extremistischen Bestrebungen beteiligt
gewesen sei. Der Begriff der tatsächlichen Anhaltspunkte sei im Hinblick auf
die Funktion der Verfassungsschutzbehörde als „Frühwarnsystem“ weit
auszulegen, sodass eine Beobachtung bereits zulässig sei, wenn objektive
Umstände und Indizien den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung
aufkommen ließen. Es komme nicht darauf an, ob die maßgeblichen
Verhaltensweisen erlaubt seien oder nicht. Insofern könne die Teilnahme an
Demonstrationen, bei denen extremistische Personenzusammenschlüsse zur
Teilnahme aufriefen oder an denen sie selbst teilnähmen, in Verbindung mit
weiteren Umständen zur Begründung tatsächlicher Anhaltspunkte
herangezogen werden. Für die Erstspeicherung sei daher noch keine feste
Gewissheit einer Beteiligung an verfassungsfeindlichen Bestrebungen oder
Tätigkeiten erforderlich. Es müssten vielmehr Umstände vorliegen, die bei
vernünftiger Betrachtung auf eine derartige Bestrebung oder Tätigkeit
hindeuteten und deshalb weiterer Klärung bedürften. Derartige Umstände
hätten hier in den Sachverhalten aus den Jahren 1997 (Durchsuchung der
Redaktionsräume der „P.“) und 1998 (Hausdurchsuchung/Auffinden
verdächtiger Gegenstände) gelegen. In den Folgejahren habe man weitere -
offen gelegte oder aus Geheimschutzgründen nicht offenzulegende -
Erkenntnisse gewonnen. Insbesondere habe der Kläger an mehreren
Demonstrationen und Protestaktionen teilgenommen, an denen maßgeblich
Gruppierungen beteiligt gewesen seien, die der W. autonomen Szene
zugerechnet würden. Darüber hinaus seien über den Kläger weitere
Erkenntnisse angefallen, die in einer Gesamtschau seine Zugehörigkeit zur W.
linksextremistischen Szene belegten. Eine Speicherung der Daten sei daher
weiterhin erforderlich. Eine Personenakte werde über den Kläger nicht geführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die
32
33
34
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt
der Gerichtsakten des vorliegenden und des Verfahrens 1 A 192/11 sowie der
zu beiden Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet, soweit sie sich auf die im Tatbestand
genannten, bekannten Daten bezieht. Dagegen ist sie abzuweisen, soweit der
Kläger die Löschung von Daten begehrt, die infolge der Sperrerklärung des
Beklagten nicht bekannt sind.
Hinsichtlich der weder dem Kläger noch dem Gericht bekannten Daten ist die
Verpflichtungsklage (mit der ein solches Begehren geltend zu machen ist, vgl.
Nds. OVG, Urteil vom 30.01.2013 - 11 LC 470/10 -, NdsVBl. 2013, 248)
mangels eines hinreichend bestimmten Antrags unzulässig. Gemäß § 82 Abs.
1 Satz 2 VwGO soll die Klage einen bestimmten Antrag enthalten. Damit wird
der Streitgegenstand abgegrenzt und zugleich eine Voraussetzung für die
etwa erforderlich werdende Zwangsvollstreckung geschaffen. Daran
gemessen ist ein Klageantrag grundsätzlich nur dann hinreichend bestimmt,
wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen
der richterlichen Entscheidungsbefugnis (§ 88 VwGO) absteckt, Inhalt und
Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 121
VwGO) erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch
vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und schließlich eine
Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im
Vollstreckungsverfahren erwarten lässt (Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010,
§ 82 Rn. 10; vgl. auch BGH, Urteil vom 14.12.1998 - II ZR 330/97 -, NJW 1999,
954 m.w.N. sowie Urteil vom 10.07.1986 - IX ZR 138/85 -, NJW 1986, 3142).
Ein in dieser Weise bestimmter Antrag muss spätestens in der mündlichen
Verhandlung gestellt werden; andernfalls ist die Klage unzulässig
(Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: August 2012, § 82 Rn. 7; Eyermann,
a.a.O., Rn. 9; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 82 Rn. 10).
Der Antrag, den Beklagten zur Löschung aller über den Kläger dort
vorhandenen Daten zu verpflichten, ist unbestimmt und kann auch nicht in
hinreichend bestimmter Weise gestellt werden, weil es dem Kläger aufgrund
der Sperrerklärung des Beklagten unmöglich ist, die konkret zu löschenden
Daten im Einzelnen zu bezeichnen. Weder dem Kläger noch dem Gericht ist
bekannt, um welche Daten es sich handelt. Würde das Gericht zu einer
entsprechenden Verurteilung gelangen, wäre ein solcher Tenor nicht
vollstreckbar, was zur Unzulässigkeit eines solchen Antrags führt. Dieses
Ergebnis mag unbefriedigend erscheinen, ist jedoch notwendige Folge des
Umstands, dass das Nds. OVG und das Bundesverwaltungsgericht im
Zwischenverfahren gemäß § 99 Abs. 2 VwGO die vom Beklagten
ausgesprochene Sperrerklärung für rechtmäßig erachtet haben. Obwohl das
Grundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG vorbehaltlos formuliert ist, schließt es
Einschränkungen nicht von vornherein aus. So ist anerkannt, dass Ansprüche
auf Aktenvorlage, die sich dem Grunde nach aus der Rechtsschutzgarantie
ergeben, eingeschränkt werden können, wenn das Bekanntwerden der Akten
dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten
würde. Hierzu gehören auch der Schutz nachrichtendienstlicher Informationen,
Informationsquellen und Arbeitsweisen sowie die Einhaltung von
Vertraulichkeitszusagen an Informanten. Wird im Zwischenverfahren nach § 99
Abs. 2 VwGO festgestellt, dass die Sperrerklärung rechtmäßig ist, so steht
damit für das Hauptsacheverfahren bindend fest, dass die Aktenvorlage oder
Auskunftserteilung aus Rechtsgründen nicht möglich ist, ohne dass es auf die
Gründe hierfür noch ankäme (BVerwG, Urteil vom 27.09.2006 - 3 C 34/05 -,
BVerwGE 126, 365). Einen solchen Sachverhalt haben die vorliegend im
Zwischenverfahren befassten Gerichte bejaht. Führt der Umstand, dass die
35
36
37
Aktenvorlage aus Rechtsgründen nicht möglich ist, zu der Folge, dass es dem
Kläger im Hauptsacheverfahren nicht möglich ist, einen bestimmten Antrag zu
stellen, so ist dies auch im Lichte der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4
Satz 1 GG hinzunehmen. Dies gilt auch für das Gericht, das keine Möglichkeit
gesehen hat, dem Kläger in der mündlichen Verhandlung einen ausreichend
bestimmten Antrag nahezulegen.
Soweit in dem vom Kläger formulierten Verpflichtungsantrag ein
Anfechtungsantrag auf Aufhebung des Bescheids vom 20.12.2011 enthalten
ist, hat der Kläger zwar einen bestimmten Antrag gestellt. Ein
Rechtsschutzbedürfnis für eine bloße Bescheidaufhebung kann das Gericht
jedoch - bezogen auf die nicht bekannten Daten - nicht erkennen, sodass die
Klage insoweit gleichfalls unzulässig ist. Schwerpunkt des Begehrens des
Klägers ist es, eine Löschung der über ihn gespeicherten Daten zu erreichen.
Ihm ist in keiner Weise damit gedient, wenn das Gericht einen diese Löschung
ablehnenden Bescheid lediglich aufheben würde, ohne den Beklagten zu
einer entsprechenden Leistung zu verpflichten. Im Übrigen wäre eine solche
Anfechtungsklage auch unbegründet, weil es dem Gericht nicht möglich wäre,
zu beurteilen, ob die Speicherung der über den Kläger vorhandenen, nicht
offen gelegten Daten zulässig war und weiterhin zulässig ist. Auch insoweit
steht die Sperrerklärung des Beklagten entgegen, die es verhindert, dass das
Gericht überhaupt Kenntnis von Art und Umfang der vorhandenen Daten
erhält.
Hinsichtlich der im Verfahren bekannt gewordenen, den Kläger betreffenden
personenbezogenen Daten hat die Klage Erfolg. Der Kläger hat einen
Anspruch auf Löschung dieser Daten, soweit diese in Dateien gespeichert
sind, bzw. auf Eintragung eines Sperrvermerks (siehe sogleich); der
angefochtene Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in
seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ein Anspruch des
Klägers auf Löschung von Daten bzw. Eintragung eines Sperrvermerks ergibt
sich im Hinblick auf eine Verletzung seines Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung als Teil seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2
Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) aus § 10 Abs. 2 Satz 1 bzw. aus § 11 Abs. 2
Sätze 2 und 3 NVerfSchG.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG ist Aufgabe der
Verfassungsschutzbehörde die Sammlung und Auswertung von
Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften,
Nachrichten und Unterlagen, über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des
Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Sie darf die zur Erfüllung ihrer
Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener
Daten erheben und weiterverarbeiten, soweit dieses Gesetz oder andere
Rechtsvorschriften nicht besondere Regelungen treffen (§ 5 Abs. 1 Satz 1
NVerfSchG). Voraussetzung für die Sammlung von Informationen im Sinne
des § 3 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG ist das Vorliegen tatsächlicher
Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung
nachrichtendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht einer der in § 3 Abs. 1 Satz
1 genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen (§ 5 Abs. 1 Satz 2
NVerfSchG). Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG - ausschließlich diese
Norm wird in dem angefochtenen Bescheid vom 20.12.2011 als
Rechtsgrundlage für die Speicherung der den Kläger betreffenden Daten
genannt - darf die Verfassungsschutzbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben
nach § 3 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG personenbezogene Daten speichern,
verändern und nutzen, wenn (u. a.) tatsächliche Anhaltspunkte für den
Verdacht bestehen, dass die betroffene Person an Bestrebungen oder
Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG beteiligt ist, und dies für die
Beobachtung der Bestrebung oder Tätigkeit erforderlich ist. Nach § 10 Abs. 2
Satz 1 NVerfSchG hat die Verfassungsschutzbehörde die in Dateien
38
39
gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung
unzulässig war (Nr. 1) oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr
erforderlich ist (Nr. 2). Sind personenbezogene Daten in Akten gespeichert, so
gilt § 10 Abs. 2 und 3 NVerfSchG für Akten, die zu einer bestimmten Person
geführt werden, entsprechend (§ 11 Abs. 2 Satz 1 NVerfSchG; diese Norm
kommt vorliegend nicht zur Anwendung, weil zum Kläger keine Personenakte
geführt wird). Im Übrigen hat die Verfassungsschutzbehörde
personenbezogene Daten zu sperren, wenn sie bei der Einzelfallbearbeitung
feststellt, dass ohne die Sperrung schutzwürdige Interessen von Betroffenen
beeinträchtigt würden, und die Daten für die künftige Aufgabenerfüllung nicht
mehr erforderlich sind. Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden
Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr weiterverarbeitet werden (§ 11
Abs. 2 Sätze 2 und 3 NVerfSchG).
Nach den genannten Vorschriften setzt eine Datenerhebung und -speicherung
Bestrebungen des Betroffenen voraus, die gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des
Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Bestrebungen gegen die Sicherheit
des Bundes oder eines Landes sind solche, die darauf gerichtet sind, den
Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu
beeinträchtigen (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 NVerfSchG). Die Kammer kann nicht
erkennen, dass die dem Kläger vorgehaltenen Aktivitäten eine derartige
Zielrichtung haben bzw. dass der Beklagte ihm dies überhaupt substanziiert
vorwirft. Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 3
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG zählen gemäß § 4 Abs. 3 NVerfSchG das
Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch
besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der
Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner,
unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen (Nr. 1), die
Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die
Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und
Recht (Nr. 2), das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen
Opposition (Nr. 3), die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit
gegenüber der Volksvertretung (Nr. 4), die Unabhängigkeit der Gerichte (Nr. 5),
der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (Nr. 6) und die im
Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (Nr. 7). Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung sind solche, die darauf gerichtet
sind, einen der vorgenannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder
außer Geltung zu setzen (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 NVerfSchG). Bestrebungen im
Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG sind nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des
Gesetzes politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in
einem oder für einen Personenzusammenschluss. Für einen
Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen
nachdrücklich unterstützt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 NVerfSchG). Verhaltensweisen
von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen
Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne des § 3
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet
oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses
Gesetzes erheblich zu beschädigen.
Unter „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“
sind danach Aktivitäten zu verstehen, die auf die Umgestaltung der Staats-
und Gesellschaftsordnung gerichtet sind. Das Tatbestandsmerkmal einer
„politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweise“ erfordert
über das bloße Vorhandensein bestimmter Bestrebungen hinaus ein aktives,
nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives Vorgehen zu deren
Realisierung. Bestrebungen müssen also politisch determiniert, folglich objektiv
geeignet sein, über kurz oder lang politische Wirkungen zu entfalten. Erfasst
werden somit Verhaltensweisen, die über rein politische Meinungen
hinausgehen und auf Durchsetzung eines Ziels ausgerichtet sind. Neben der
40
41
Durchsetzung des politischen Hauptziels müssen die Aktivitäten auf die
Beeinträchtigung eines der vom Gesetz geschützten Rechtsgüter abzielen und
somit ein maßgeblicher Zweck der Bestrebung sein. Die bloße Inkaufnahme
einer entsprechenden Gefährdung ist nicht ausreichend. Die bloße
Übereinstimmung oder Sympathie mit den Zielen einer verfassungsfeindlichen
Organisation reicht ebenso wenig wie die wissenschaftliche Beschäftigung mit
einer extremistischen Theorie. Die Grenze liegt dort, wo die betrachtend
gewonnenen Erkenntnisse von einer politischen Partei, also einer ihrem
Wesen nach zu aktivem Handeln im staatlichen Leben entschlossenen
Gruppe, in ihren Willen aufgenommen, zu Bestimmungsgründen ihres
politischen Handelns gemacht werden. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung
mit § 3 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG reichen für das Tätigwerden des
Verfassungsschutzamts „tatsächliche Anhaltspunkte“ für verfassungsfeindliche
Bestrebungen, konkret für Gefährdungen der gesetzlich näher beschriebenen
Verfassungsrechtsgüter aus. Die Regelung verlangt keine Gewissheit darüber,
dass Bestrebungen vorliegen, die gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung gerichtet sind. Das Tatbestandsmerkmal „tatsächlicher
Anhaltspunkt“ verlangt allerdings mehr als bloße Vermutungen. Es müssen
konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis
für den Verdacht vorliegen (BVerwG, Urteil vom 21.07.2010 - 6 C 22/09 -,
BVerwGE 137, 275).
Das Gericht kann nicht feststellen, dass im Fall des Klägers über bloße
Vermutungen hinausgehende tatsächliche Anhaltspunkte für
verfassungsfeindliche Bestrebungen des Klägers in der Vergangenheit
vorlagen bzw. heute noch vorliegen. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Über den Kläger ist bei der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde
gespeichert, er sei am 07.04.1997 bei der Durchsuchung der
Redaktionsräume der Zeitung „P.“ in E. durch die Polizei als eines der
mutmaßlichen Redaktionsmitglieder festgestellt worden. Der Durchsuchung
lag ein Artikel des linksgerichteten „Wöchentlichen Stadtinfos“ „P.“ zugrunde,
der die Staatsanwaltschaft E. zur Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen
öffentlicher Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) bzw. wegen Verbreitens
von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB)
veranlasste. Im Zuge der Ermittlungen wurde bekannt, dass sich die Redaktion
der „P.“ jeweils montags in den Schulungsräumen der Bildungsvereinigung „X.“
in der Y. in E. zur Redaktionssitzung treffe. Bei der Durchsuchung wurden die
Personalien von fünf Personen festgestellt, bei denen die „hiesige Dienststelle“
davon ausging, dass „es sich hier um die Redaktionsmitglieder der P.“
handele. Diese Personen, zu denen der Kläger gehörte, seien zu einer Zeit
angetroffen worden, zu der normalerweise die Redaktionssitzung für die „P.“
stattfinde. Sie hätten sich im Besitz von Schriftstücken befunden, die an die
„P.“ gerichtet gewesen seien. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, er sei als
Teilnehmer eines Arbeitskreises für Asylangelegenheiten von den damaligen
Maßnahmen betroffen gewesen. Nähere Belege dafür, dass er seinerzeit in
der Redaktion der „P.“ mitgearbeitet hat, hat der Beklagte nicht vorgelegt.
Soweit er im gerichtlichen Verfahren vorträgt, der Kläger sei „bei einer
Durchsuchung der Redaktionsräume der P. festgestellt worden“, erscheint
bereits fragwürdig, ob es besondere „Redaktionsräume der P.“ überhaupt gab;
der Kläger wurde in Räumen der Organisation „X.“ angetroffen, die wohl von
verschiedensten Gruppierungen zu verschiedensten Zwecken genutzt
wurden. Wenn der Beklagte in seiner Klageerwiderung weiter ausführt,
aufgrund der Anwesenheit des Klägers in den Räumen sei man davon
ausgegangen, dass er Redaktionsmitglied der „P.“ gewesen sei, beruht dies
auf einer reinen Vermutung. Diese hat sich offenbar später nicht bestätigt,
denn nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers ist das
Ermittlungsverfahren gegen ihn gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
Letzteres gilt auch für ein Strafverfahren gegen den Kläger wegen des
Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Soweit der Beklagte
42
sich darauf beruft, bei einer Durchsuchung der Wohnung des Klägers im
August 1998 seien „diverse Gegenstände, wie etwa Präzisionsschleudern,
Stahlmuttern sowie ein Signalabschussgerät“ sichergestellt worden, bestreitet
der Kläger dies und sind keine weiteren Erkenntnisse hierüber vorhanden;
auch trägt der Beklagte nichts dazu vor, dass diese Gegenstände im Rahmen
von Straftaten genutzt worden sind oder werden sollten. Die Einstellung des
Verfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO spricht gegen einen derartigen
Zusammenhang. Selbst wenn man aber in diesem Einzelereignis einen Grund
dafür sehen würde, zunächst Daten über den Kläger zu speichern, so müsste
der Beklagte belegen, dass die weitere Speicherung nach 15 Jahren für die
Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde noch erforderlich ist. Einen
solchen Beleg ist er schuldig geblieben. Derartige Gesichtspunkte ergeben
sich insbesondere nicht aus der Tätigkeit des Klägers für den Radiosender
„Stadtradio E.“. Zwar hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung
behauptet, die entsprechende Eintragung im Juli 2000 sei durch die
Radiosendung „Z.“ veranlasst worden, die ein Forum für Linksextremismus
geschaffen habe. Der Kläger hat jedoch überzeugend dargelegt, das staatlich
geförderte Stadtradio stelle neben dem redaktionellen Rundfunk unter
anderem auch einen sog. Bürgerfunk zur Verfügung, der ehrenamtlich
betrieben werde und in dem die Sendung „Z.“ seinerzeit ausgestrahlt worden
sei. Die Mitarbeiter des redaktionellen Zweigs des Senders, zu denen er selbst
gehöre, hätten auf den Inhalt des Bürgerfunks keinen Einfluss. Einen Bezug
zwischen evtl. politisch links gerichteten Sendebeiträgen und dem Kläger
konnte der Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung nicht ansatzweise
herstellen. Auch die Teilnahme des Klägers an Demonstrationen am
18.08.2007, am 30.01.2010, am 06.09.2010, am 15.01.2011 und am
19.03.2011 bietet keinen Anlass, dem Kläger verfassungsfeindliche
Bestrebungen zu unterstellen. Ungeachtet der Frage, ob sich der Kläger unter
Nutzung seines Grundrechts auf Versammlungsfreiheit oder unter Ausübung
seines Berufs als Journalist an diesen Demonstrationen beteiligt hat, ergeben
sich aus der bloßen Teilnahme keine Anhaltspunkte dafür, dass er sich in
einem oder für einen Personenzusammenschluss im Sinne der oben
genannten Normen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
betätigt hat. Warum es verwerflich und darauf gerichtet sein soll, die
freiheitliche demokratische Grundordnung außer Kraft zu setzen, wenn sich
ein politisch interessierter Bürger - ob beruflich oder privat - an einer gegen die
R. gerichtete Demonstration, an einer Demonstration „S.“, an einer
Kundgebung im Hinblick auf die Ermordung eines Menschen durch
Rechtsextremisten, an einer Protestaktion gegen einen T. (ohne dass sich in
irgendeiner Weise ergibt, dass er an rechtswidrigen Handlungen beteiligt war)
oder an einer durch die Ereignisse in Fukushima/Japan veranlassten Anti-
Atom-Demonstration beteiligt, hat der Beklagte nicht substanziiert oder belegt.
Er beschränkt sich auf die allgemeine Bemerkung, der Kläger werde der
linksextremistischen Szene in E. zugerechnet, die durch eine zum Teil
hasserfüllte Ablehnung des politischen Systems der Bundesrepublik
Deutschland, ihrer Institutionen und Repräsentanten gekennzeichnet sei.
Brandanschläge auf Kraftfahrzeuge und Verbindungshäuser sowie auf das W.
Landkreisgebäude würden der linksextremistischen Szene zugerechnet und
spiegelten die ausgeprägte Gewaltbereitschaft von Mitgliedern dieser Szene
wider. Auch hierdurch wird in keiner Weise ein tatsächlicher, belegbarer Bezug
zum Kläger hergestellt. Vielmehr wird versucht, einen solchen Zusammenhang
durch nicht näher begründete Hinweise wie denjenigen auf den
Brandanschlag auf das W. Landkreisgebäude herzustellen, der unaufgeklärt
geblieben ist.
Zusammengefasst nennt der Beklagte im Wesentlichen die Ereignisse der
Jahre 1997 und 1998 als Anhaltspunkte für den Verdacht einer Beteiligung
des Klägers an extremistischen Bestrebungen. Wie vorstehend ausgeführt,
waren diese Ereignisse allenfalls geeignet, einen Anfangsverdacht für
strafrechtliche Ermittlungen gegen den Kläger zu rechtfertigen. Nachdem sich
43
44
45
46
die Vorwürfe im Strafverfahren offensichtlich als haltlos erwiesen haben, sind
sie jedoch nicht geeignet, verfassungsfeindliche Bestrebungen des Klägers zu
belegen. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der
Kläger in diesem Sinne ziel- und zweckgerichtet in einem oder für einen
Personenzusammenschluss betätigt oder dass ihm - außerhalb der Tätigkeit in
einem oder für einen Personenzusammenschluss - Bestrebungen vorzuwerfen
sind, die auf Anwendung von Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer
Wirkungsweise geeignet sind, eines der im Nds. Verfassungsschutzgesetz
genannten Schutzgüter erheblich zu beschädigen. Dasselbe gilt - wie
dargelegt - für die Tätigkeit des Klägers beim „Stadtradio E.“ und für seine
Teilnahme an Demonstrationen und Kundgebungen.
Soweit der Beklagte ausführt, in den Folgejahren seien weitere, aus
Geheimschutzgründen nicht offenzulegende Erkenntnisse hinzugekommen,
ist infolge der ausgesprochenen Sperrerklärung unklar, welche Anhaltspunkte
dies sein sollten. Nach Auffassung des Gerichts sind Erkenntnisse des
Verfassungsschutzamts, die im vorliegenden Verfahren nicht offen gelegt
werden, nicht geeignet, Bestrebungen des Klägers gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung zu belegen. Dies gilt auch unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den
Konsequenzen der Nichtvorlage von Akten gemäß § 99 Abs. 1 VwGO
(BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 6 C 13/07 -, NVwZ 2008, 1371). Danach darf
die Nichtvorlage von Aktenteilen im Hinblick auf ein Geheimhaltungsinteresse
für sich gesehen nicht im Sinne einer Beweisvereitelung zum Nachteil für die
Behörde gewertet werden, da die Nichtvorlage der Akten durch die genannte
Vorschrift gedeckt ist. Andererseits führt die berechtigte Verweigerung der
Aktenvorlage nicht zu einer Umkehr der materiellen Beweislast oder zu einer
Verringerung des Beweismaßes auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit
oder gar auf eine bloße Glaubhaftmachung. Vielmehr besagen die aus der
Anwendung des § 99 VwGO resultierenden Beweisschwierigkeiten nichts für
die Frage der vom Gericht zu gewinnenden Überzeugungsgewissheit. Soweit
keine Möglichkeiten bestehen, Anhaltspunkte für den Inhalt der als
geheimhaltungsbedürftig eingeschätzten Unterlagen zu erhalten, kann sich
dieser Umstand daher in der Form auswirken, dass das Gericht nicht die
nötige Überzeugung gewinnen kann, dass verfassungsfeindliche
Bestrebungen vorliegen (VG Köln, Urteil vom 20.01.2011 - 20 K 2331/08 -,
juris). Da sich im vorliegenden Fall aus der Sperrerklärung, aus dem
Vorbringen des Beklagten und aus sonstigen Umständen keine Hinweise auf
den konkreten Inhalt der nicht offengelegten Unterlagen ergeben, lassen sich
daraus jedenfalls keine für den Kläger nachteiligen Schlussfolgerungen
ziehen.
Da somit nur auf die bekannten Daten abzustellen ist, sich aus diesen jedoch
keine Hinweise auf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
gerichtete Bestrebungen des Klägers ergeben, sind die Daten zu löschen.
Soweit es sich um Daten handelt, die in Akten gespeichert sind, hat der Kläger
Anspruch auf Eintragung eines Sperrvermerks. Im Hinblick auf den Umstand,
dass ihn die gespeicherten Daten aus Sicht eines Nutzers des Datenbestands
in die Nähe linksextremistischer Kreise rücken können, ohne dass nach dem
Vorstehenden hierfür eine tragfähige rechtliche Grundlage besteht,
beeinträchtigt die Vorhaltung des Datenbestands das Grundrecht des Klägers
auf informationelle Selbstbestimmung und damit schutzwürdige Interessen im
Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 2 NVerfSchG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 711 ZPO.