Urteil des VG Göttingen vom 11.03.2014

VG Göttingen: genehmigung, baurecht, gebäude, vollstreckung, werbung, grundstück, ortschaft, vollstreckbarkeit, vervielfältigung, datenschutz

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Erzeugt eine Werbeanlage eine in der näheren Umgebung beispiellose
Barrierewirkung, fügt sie sich ihrem Maß nach nicht in die nähere
Umgebung ein.
VG Göttingen 2. Kammer, Urteil vom 11.03.2014, 2 A 449/12
§ 34 Abs 1 BauGB
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der
vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin ist ein Unternehmen der Außenwerbung.
Am 24. September 2011 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf
Errichtung einer Werbeanlage auf dem von ihr anzumietenden Grundstück G.
Straße xx in E. /H., Flurstück xxx/x der Flur xx in der Gemarkung H.. Die
Werbeanlage, die für Fremdwerbung gedacht ist, soll eine Größe von 2,8 m x
3,8 m haben und quer zu der durch H. führenden B 3 direkt an der Grenze zum
Straßengrundstück stehen.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. Januar 2012 ab. Zur
Begründung führte sie im Wesentlichen an, die Anlage füge sich nicht in die
nähere Umgebung ein. Die nähere Umgebung stelle sich als Dorfgebiet dar. In
einem solchen Gebiet sei Werbung nach dem niedersächsischen
Bauordnungsrecht nur an der Stätte der Leistung erlaubt. Eine derartige
Werbung wolle die Klägerin nicht betreiben.
Hiergegen legte die Klägerin am 13. Januar 2012 Widerspruch ein und hat am
11. Mai 2012 (Untätigkeits-) Klage, nachdem über ihren Widerspruch – wie bis
jetzt – nicht entschieden worden war.
Sie ist der Auffassung die nähere Umgebung der Werbeanlage stelle sich als
Mischgebiet dar; in der Nähe seien zahlreiche Gewerbebetriebe neben
Wohnnutzung zu finden. Ferner gebe es schon Werbeanlagen auf privaten wie
auch auf öffentlichen Flächen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 3. Januar 2012 zu
verpflichten, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung für die
Errichtung einer Werbeanlage auf dem Grundstück G. Straße xx,
Flurstück xxx/x der Flur xx in der Gemarkung H. zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihre im angefochtenen Bescheid vertretene
Auffassung. Hierzu legt sie eine Liste und Karte vor, aus der sich die in H.
gelegenen landwirtschaftlichen Hofstellen ergeben, die bei der
Landwirtschaftskammer Hannover als solche geführt werden.
Das Gericht hat in mündlicher Verhandlung Beweis über die nähere
Umgebung des geplanten Standorts der streitbefangenen Werbeanlage durch
Einnahme des Augenscheins erhoben. Wegen der Ergebnisse der
Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die
Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen
sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist gemäß § 75 VwGO zulässig, weil die Beklagte bis heute ohne
zureichenden Grund über den Widerspruch der Klägerin vom 13. Januar 2012
nicht entschieden hat. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der
Beklagten vom 3. Januar 2012 ist rechtmäßig und die Klägerin hat einen
Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO).
Gemäß § 75 NBauO in der gemäß § 86 Abs. 1 NBauO vom 2. April 2012 hier
noch anzuwendenden Fassung vom 10. Februar 2003 ist eine
Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie
genehmigungsbedürftig ist und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem
öffentlichen Baurecht entspricht.
Da es sich bei der zur Genehmigung gestellten Werbeanlage, die fest mit dem
Boden verbunden werden soll gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2
NBauO um eine bauliche Anlage handelt, stellt ihre Errichtung gemäß § 2 Abs.
5 NBauO eine Baumaßnahme dar; diese ist gemäß § 68 Abs. 1 NBauO
genehmigungsbedürftig. Sie ist jedoch nicht genehmigungsfähig, weil sie nicht
dem öffentlichen Baurecht entspricht.
Zum öffentlichen Baurecht gehören gemäß § 2 Abs. 10 NBauO u.a. auch die
Vorschriften des städtebaulichen Planungsrechts; gegen diese Vorschriften
verstößt die von der Klägerin geplante Aufstellung der Werbeanlage.
Da die Werbeanlage in einer auf Dauer gedachten Weise fest mit dem
Erdboden verbunden werden soll und städtebauliche Relevanz besitzt, handelt
es sich bei ihr um ein Vorhaben im Sinne von § 29 BauGB. Dessen
bauplanungsrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich folglich nach §§ 30 bis 37
BauGB. Da es einen Bebauungsplan für die Ortschaft H. auf dem Gebiet der
Beklagten nicht gibt, richtet sich die Zulässigkeit der Werbeanlage
bauplanungsrechtlich hier nach § 34 BauGB. Danach ist ein Vorhaben
innerhalb bebauter Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der
baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut
werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Unabhängig von
der zwischen den Beteiligten umstrittenen (wegen des einschlägigen
Anwendungsbereichs des § 49 Abs. 4 NBauO bauordnungsrechtlichen)
Frage, ob sich die nähere Umgebung des Aufstellungsortes als Dorfgebiet
oder als Mischgebiet darstellt, fügt sich die Anlage nach ihrem Maß nicht wie
von § 34 Abs. 1 BauGB verlangt, in die nähere Umgebung ein.
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Über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Werbeanlage für Zwecke
der Fremdwerbung ist nicht schon dann abschließend entschieden, wenn sie
in einem unbeplanten Gebiet errichtet werden soll, das – dies zugunsten der
Klägerin unterstellt – durch eine gewerbliche Nutzung geprägt ist. Vielmehr
muss sich die Anlage gemäß § 34 Abs. 1 BauGB auch ihrem Maß nach in die
nähere Umgebung einfügen. Dies ist hier nicht der Fall.
Für das Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung kommt es, wie bei der
Art der Nutzung auch, ebenfalls auf die gesamte in der Nachbarschaft
vorhanden Bebauung an, soweit sie für die Eigenart der näheren Umgebung
von Bedeutung ist; hält sich ein Vorhaben hinsichtlich seines Maßes innerhalb
des sich aus seiner näheren Umgebung hervorgehenden Rahmens, so fügt es
sich im Regelfall seinem Maße nach ein; überschreitet es diesen Rahmen, so
ist es nur (ausnahmsweise) zulässig, wenn es nicht selbst oder infolge seiner
Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu
begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen. Städtebauliche
Spannungen wegen des Maßes der baulichen Nutzung können nur dann
auftreten, wenn das Vorhaben unabhängig von seiner Nutzungsart, die die
Kammer hier ausdrücklich offen lässt, den vorhandenen Rahmen in
unangemessener Weise überschreitet. Bei der Beurteilung, ob sich eine
großflächige Werbetafel nach dem Maß ihrer baulichen Nutzung in die
Eigenart der näheren Umgebung einfügt, sind demgemäß nicht nur
Werbeanlagen, sondern alle vorhandenen baulichen Anlagen, insbesondere
auch Gebäude, zu berücksichtigten (zum Ganzen, BVerwG, Urteil vom
15.12.1994 -4 C 19.93-, BauR 1995, 506). Gemessen hieran vermag das
Gericht nach der Augenscheinseinnahme nicht festzustellen, dass sich die von
der Klägerin zur Genehmigung gestellte Werbeanlage nach ihrem Maß in die
nähere Umgebung einfügt.
Die Werbeanlage ist mit einer Gesamtfläche von 10,64 m2 ohne weiteres für
jeden Betrachter, insbesondere Verkehrsteilnehmer, weithin sichtbar; das ist
gerade der ihr innewohnende Zweck. Nach den von der Klägerin vorgelegten
Bauantragsunterlagen soll die Anlage quer zur Straßenführung, und damit
nicht, wie im o.a. vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall an einer
Hauswand, errichtet werden. Damit ist die klägerische Werbeanlage in der
gesamten Ortschaft H. ohne Beispiel. Sämtliche bauliche Anlagen, seien es
Gebäude, Werbeanlagen oder sonstige Anlagen, stehen parallel zur
Bundesstraße 3. Dies ergibt sich schon aus der von der Beklagten vorgelegten
Lageskizze wie auch aus der eingereichten Luftbildaufnahme, und fand sich
auch im Rahmen des Ortstermins bestätigt. Von der beabsichtigten
Werbeanlage geht daher, zumal sie direkt an der Bundesstraße errichtet
werden soll, eine Barrierewirkung aus, wie sie in H. ohne Vorbild ist. Dadurch
fügt sie sich ihrem Maße nach nicht in die vorhandene Bebauung ein und
erzeugt infolge ihrer Vorbildwirkung (unerwünschte) städtebauliche
Spannungen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167
VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.