Urteil des VG Göttingen vom 17.10.2013

VG Göttingen: bundesamt, klagefrist, hauptsache, verordnung, abschiebung, entscheidungsformel, entscheidungsbefugnis, asylbewerber, bekanntgabe, akte

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Dublin II Verfahren - Abschiebungsanordnung
Schweden
1. Über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine
Abschiebungsandrohung ist nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in der ab 6.
September 2013 geltenden Fassung im Wege einer reinen
Interessenabwägung zu entscheiden.
2. Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens in Schweden
liegen nicht vor.
3. Eine fehlende oder mangehafte Übersetzung von Entscheidungsformel
oder Rechtsbehelfsbelehnung des Bescheides des Bundesamtes hat keine
Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung.
VG Göttingen 2. Kammer, Beschluss vom 17.10.2013, 2 B 844/13
§ 27a AsylVfG, § 31 Abs 1 S 3 AsylVfG, § 34a AsylVfG, Art 3 Abs 2 EGV 343/2003,
Art 16 Abs 1e EGV 343/2003, § 80 Abs 5 VwGO
Gründe
Gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG in der hier anzuwendenden Fassung des Art. 1
Nr. 27 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (sog.
Qualifikationsrichtlinie) vom 28. August 2013 (BGBl. I Nr. 54 vom 5. September
2013, S. 3474), die nach Art. 7 Satz 2 dieses Gesetzes am Tag nach der
Verkündung - somit dem 6. September 2013 - in Kraft getreten ist, ordnet das
Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG)
oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§
27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an,
sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der
Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften
der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die
Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der
Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen
Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Absatz 2 der geänderten
Fassung des § 34a AsylVfG sind Anträge nach § 80 Absatz 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb
einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei
rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig.
Das Bundesamt hat vorliegend mit Bescheid vom 23. September 2013, der
dem Antragsteller am 26. September 2013 ausgehändigt wurde, entschieden,
dass der vom Antragsteller in Deutschland am 27. August 2013 gestellte
Asylantrag gem. § 27a AsylVfG unzulässig ist (Ziffer 1.) und die Abschiebung
des Antragstellers nach Schweden angeordnet wird (Ziffer 2.). Hiergegen
wendet sich der Antragsteller mit seiner in der Hauptsache - 2 A 843/13 -
anhängigen Klage, die am 2. Oktober 2013 beim erkennenden Gericht
eingegangen ist. Zeitgleich hat er um Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seiner Klage nachgesucht. Die Klage ist somit innerhalb der 2-wöchigen Frist
des § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylVfG erhoben worden; ob eine Verkürzung der
Klagefrist auf eine Woche gem. § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylVfG seit Inkrafttreten
der Änderung des § 34a Abs. 2 AsylVfG mit Wirkung vom 6. September 2013
erfolgt ist, kann die erkennende Kammer im vorliegenden Verfahren offen
lassen. Das Bundesamt gibt seinen Außenstellen für die
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Rechtsbehelfsbelehrung ersichtlich eine zweiwöchige Klagefrist vor (vgl.
Rundschreiben des Bundesamtes an alle Innenministerien der Bundesländer
vom 17. Juli 2013 - 430-93604-01/13-05 - zur Änderung der Verfahrenspraxis
des Bundesamtes im Rahmen des Dublinverfahrens im Hinblick auf § 34a
AsylVfG n.F.); die Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Bescheides
verhält sich dementsprechend. Wäre dagegen eine einwöchige Klagefrist
zugrunde zu legen, was nach dem Wortlaut des § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylVfG
jedenfalls nicht von vorn herein auszuschließen ist, käme dem Antragsteller
jedenfalls die Unrichtigkeit der vom Bundesamt erteilten
Rechtsbehelfsbelehrung gem. § 58 Abs. 2 VwGO hier zugute.
Das erkennende Gericht folgt der bislang zu § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F.
ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung
der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an
der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes
erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrages als
unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1
AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Das VG Trier hat hierzu in seinem
Beschluss vom 18. September 2013 - 5 L 1234/13.TR -, zit. nach juris,
eingehend dargelegt, dass eine derartige Einschränkung der gerichtlichen
Entscheidungsbefugnis in Anlehnung an § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG gerade
nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprach; eine entsprechende Initiative
zur Ergänzung des § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. fand im Bundesrat keine
Mehrheit (a.a.O., Rn. 7 ff.). Dementsprechend ist vorliegend eine reine
Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Beklagten mit dem privaten
Aussetzungsinteresse des Antragstellers vorzunehmen, die sich maßgeblich -
aber nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache
orientiert, soweit diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abschätzen lassen. Diese
Interessenabwägung fällt vorliegend zulasten des Antragstellers aus, denn der
angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet keinen durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
Der Antragsteller hat im Rahmen seiner Befragung durch das Bundesamt am
27. August 2013 eingeräumt, bereits im März 2013 – und damit vor seiner
Einreise in das Bundesgebiet am 19. August 2013 – in Schweden einen
Asylantrag gestellt zu haben. Hiermit korrespondiert die Erklärung der
schwedischen Behörden vom 19. September 2013 gegenüber dem
Bundesamt, den Antragsteller gem. Art. 16 Abs. 1 e) VO (EG) 343/2003 des
Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und des Verfahrens
zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem
Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrags
zuständig ist (ABl. EU L 50 vom 25. Februar 2003, S. 1) - sog. Dublin-II-
Verordnung -, geändert durch VO (EG) 1103/2008 vom 22. Oktober 2008 (ABl.
EU L 304 vom 14. November 2008, S. 80), nach Maßgabe des Artikels 20
dieser Verordnung wiederaufzunehmen, weil sich der Antragsteller nach
Ablehnung seines Asylantrages in Schweden unerlaubt im Bundesgebiet
aufhält. Die Zuständigkeit Schwedens für den Antragsteller nach Maßgabe der
Dublin-II-Verordnung kann somit nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden.
Der Antragsteller wendet zur Begründung seines Antrags auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung seiner Klage lediglich ein, der angefochtene
Bescheid des Bundesamtes sei ihm unter Verletzung des § 31 Abs. 1 Satz 3
AsylVfG ohne Übersetzung der Entscheidungsformel und der
Rechtsbehelfsbelehrung in die georgische Sprache ausgehändigt worden.
Blatt 52 und 53 der beigezogenen Akte des Bundesamtes bestätigen diesen
Vortrag; die Akte enthält lediglich Übersetzungen in die russische Sprache, die
der Antragsteller nicht beherrscht. Von mangelnder Bekanntgabe des
angefochtenen Bescheides kann hier nicht ausgegangen werden. Der
Antragsteller trägt selbst vor, er habe sich von einem russisch sprechenden
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Freund den angefochtenen Bescheid erklären lassen; dieser Freund habe
auch den Kontakt zum Prozessbevollmächtigten hergestellt und im Termin zur
Mandatsübernahme gedolmetscht. Die Verletzung der Pflicht zur Übersetzung
gem. § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG rechtfertigt auch nicht die Annahme formeller
Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides etwa im Hinblick auf das
Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG oder das Begründungserfordernis
des § 39 Abs. 1 VwVfG, denn die insoweit verbindliche Urschrift des
Bescheides in deutscher Sprache weist derartige formelle Mängel ersichtlich
nicht auf. Die fehlende oder nur mangelhafte Übersetzung von
Entscheidungsformel und/oder Rechtsbehelfsbelehrung führen lediglich dazu,
dass dem betroffenen Asylbewerber eine etwaige Versäumung der
gesetzlichen Klagefrist gem. § 74 Abs. 1 AsylVfG oder der Antragsfrist des §
34a Abs. 2 AsylVfG n.F. - die vorliegend aus den eingangs genannten
Gründen ohnehin nicht in Rede steht - nicht als schuldhaft anzulasten ist, mit
der Folge, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch des betroffenen Asylbewerbers
gem. § 60 VwGO begründet wäre (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 17. Mai
2011 - A 4 K 634/11 -, InfAuslR 2011, S. 311 ff., zit. nach juris Rn. 4). Im
Hinblick auf die Entscheidungsbefugnis des Bundesamtes gem. Art. 3 Abs. 2
VO (EG) 343/2003 sind hieraus ebenfalls keine Weiterungen zu ziehen.
Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin gem. Art. 3 Abs. 2 VO(EG) 343/2003
besteht nicht; das Selbsteintrittsrecht der Antragsgegnerin hat sich nicht zu
einer Selbsteintrittspflicht verdichtet. Der Antragsteller hat weder vorgetragen,
noch bestehen für die erkennende Kammer Anhaltspunkte, dass in Schweden
systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für
Asylbewerber im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 21.
Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 -, InfAuslR 2012, S. 108 ff., zit. nach
juris) bestehen (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 13. April 2011 – A 3 K 2110/10 –,
zit. nach juris Rn. 32 m.w.N.).
Da der (weitere) Asylantrag des Antragstellers gem. § 27a AsylVfG unzulässig
ist, kann er eine Sachprüfung durch das Bundesamt mit dem Ziel der
Zuerkennung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG
nicht beanspruchen und damit auch nicht im vorliegenden gerichtlichen
Verfahren erstreiten. Er ist vielmehr darauf zu verweisen, im Zuge seiner
Überstellung an die schwedischen Behörden gegenüber denselben ggf. einen
Asylfolgeantrag mit dem Ziel der Zuerkennung subsidiären Schutzes zu
stellen.
Gemäß §§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO ist Prozesskostenhilfe demjenigen zu
gewähren, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten
aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn der Antrag des
Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner in der
Hauptsache anhängigen Klage hat aus den vorstehenden Gründen keine
hinreichenden Erfolgsaussichten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden
gem. § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).