Urteil des VG Göttingen vom 06.02.2014

VG Göttingen: aufschiebende wirkung, pfändung, vwvg, verfügung, öffentlich, erbengemeinschaft, auszahlung, grundbuch, eigentumswohnung, vollstreckung

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--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
Die Pfändung von Ansprüchen, die durch (Eigentümer-) Grundschulden
gesichert sind, ist rechtswidrig, wenn diese Grundschulden nach § 92 ZVG
erloschen sind.
Der Anspruch auf Auskehrung eines hinterlegten Versteigerungserlöses
kann nach § 45 NVwVG gepfändet werden. Steht der Anspruch jedoch einer
ungeteilten Erbengemeinschaft zu und besitzt die Vollstreckungsbehörde
Titel nicht gegen alle Miterben, ist die Pfändungs- und
Einziehungsverfügung nach § 18 Abs. 1 NVwVG i.V.m. § 747 ZPO
rechtswidrig.
VG Göttingen 2. Kammer, Beschluss vom 06.02.2014, 2 B 989/13
§ 18 VwVG ND, § 45 VwVG ND, § 46 VwVG ND, § 57 Abs 6 VwVG ND, § 92 ZVG
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 29. November
2013 – 2 A 988/13 - gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen der
Antragsgegnerin vom 28. Oktober und 28. November 2013 wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.497,26 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen zwei Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen der Antragsgegnerin vom 28. Oktober und 28.
November 2013.
Der Antragsteller war Eigentümer einer Eigentumswohnung in D., E. x, Blatt F.
des Grundbuches von D.. In Abteilung G. waren unter laufenden Nummern y
bis z jeweils auf den Antragsteller bezogene Grundschulden eingetragen. Die
nominellen Werte betrugen 35.000,00 DM (Nr.y), 25.000,00 DM (Nr. w) und
12.500,00 DM (Nr. z). Die Eigentümergrundschuld zu lfd. Nr. y hatte der
Antragsteller am 28. August 2001 an seine Mutter, Frau H. B., abgetreten. Frau
B. verstarb am xx.xx.xxx. Erben sind der Antragsteller und seine Schwester,
über deren derzeitigen Aufenthalt nichts bekannt ist. Für diese Wohnung
wurde unter dem Az. 75 K 38/12 beim Amtsgericht C. ein
Versteigerungsverfahren durchgeführt. Mit Zuschlagsbeschluss vom 25.
Oktober 2013 wurde der Grundbesitz für einen zu zahlenden Betrag von
14.100,00 Euro dem neuen Eigentümer zugeschlagen.
Mit Bescheid vom 28. Oktober 2013 vollstreckte die Antragsgegnerin wegen
Forderungen in Höhe von 29.989,06 Euro. Sie pfändete
1. den Anspruch des Vollstreckungsschuldners aus der an die H. B.
abgetretenen Eigentümergrundschuld des Grundbuches von D., Blatt
F., laufende Nr. y der Abteilung G. als Erbe der H. B.,
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2. die mögliche Forderung des Vollstreckungsschuldners gegen das
Amtsgericht C. – Vollstreckungsgericht – auf Auszahlung des
Erlösüberschusses bzw. der durch die Verteilung des
Versteigerungserlöses auf die o.g. Grundschulden entfallenden
Gelder aus dem Zwangsversteigerungsverfahren 75 K 38/12 und
3. die Ansprüche aus den Eigentümergrundschulden in Abteilung G.
des Grundbuchs von D., Blatt F. lfd. Nr. w und z sowie das Recht auf
Zustimmungserteilung zur Verteilung der Gelder unter den
Berechtigten.
Diesem Bescheid lagen im Einzelnen aufgeschlüsselte öffentlich-rechtliche
Forderungen in Höhe von 29.989,06 Euro zugrunde. Darunter befinden sich
985,44 Euro wegen Rückforderung von SGB II-Leistungen; ferner diverse
Bußgeldforderungen. Aufgrund eines Amtshilfeersuchens des Landkreises I.
vom 26. September 2013 vollstreckt die Antragsgegnerin auch dessen
Forderungen in Höhe von 27.605,08; diese Forderungen resultieren aus
baurechtlichen Maßnahmen des Landkreises I. gegen den Antragsteller. Mit
Ausnahme einer Bußgeldforderung vom 29. Juli 2013 in Höhe von 79,90 Euro
gibt es in den Akten für alle Forderungen Vollstreckungsaufträge für den
Vollstreckungsbeamten der Antragsgegnerin. Vollstreckungsversuche
verliefen trotz einer am 13. November 2013 beim Antragsteller aufgrund
Beschlusses des Amtsgerichts C. vom 23. Mai 2013 durchgeführten
Hausdurchsuchung fruchtlos.
Mit weiterem Pfändungs- und Einziehungsbescheid vom 28. November 2013
pfändete die Antragsgegnerin wegen einer weiteren Forderung aus einem
Kostenfestsetzungsbeschluss des beschließenden Gerichts in Höhe von
51,00 Euro dieselben Forderungen wie mit Verfügung vom 28. Oktober 2013.
Auf Antrag des Vollstreckungsgerichts beim Amtsgericht C. vom 9. Januar
2014 wurde Mitte Januar 2014 ein Betrag in Höhe von 11.425,56 Euro für die
Antragsgegnerin aus dem oben genannten Versteigerungserlös hinterlegt.
Gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 28. Oktober 2013 hat
der Antragsteller am 29. November 2013 Klage erhoben und gleichzeitig um
die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Die
Verfügung vom 28. November 2013 hat er mit Schriftsatz vom 30. Dezember
2013 in die Verfahren einbezogen.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens führt der Antragsteller im
Wesentlichen aus, es lägen der Vollstreckung keine vollstreckbaren Titel
zugrunde; das Amtshilfeersuchen des Landkreises I. entspreche nicht den
gesetzlichen Anforderungen; die Vollstreckungsklausel sei zu unbestimmt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 29. November 2013 in der
Fassung vom 30. Dezember gegen die Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen der Antragsgegnerin vom 28. Oktober und 28.
November 2013 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt, dem Vortrag des Antragstellers in der Sache
entgegentretend,
den Antrag abzulehnen.
II.
Der Antrag ist statthaft, weil die Klage gegen die auf §§ 45 ff. Nds.
Verwaltungsvollstreckungsgesetz - NVwVG -gestützten Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 66 NVwVG
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keine aufschiebende Wirkung hat.
Der Antrag ist auch begründet.
Die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen der Antragsgegnerin vom 28.
Oktober und 28. November 2013 sind rechtswidrig.
Soweit mit ihnen in den Regelungspunkten 1. und 3. Ansprüche des
Antragstellers aus den unter den laufenden Nummern y bis z in Abteilung G.
des Grundbuchblattes F. von D. eingetragenen Eigentümergrundschulden
gepfändet werden, ergibt sich das aus folgenden Erwägungen:
Die den vermeintlichen Ansprüchen zugrunde liegenden Grundschulden
bestanden im Zeitpunkt der Bekanntgabe der angegriffenen Verfügung gemäß
§§ 91 Abs. 1, 90 Abs. 1 ZVG nicht mehr. Bestehen die Grundschulden nicht
mehr, lassen sich aus ihnen Ansprüche auch nicht ableiten.
Gemäß § 91 Abs. 1 ZVG erlöschen durch den Zuschlag unter den in § 90 Abs.
1 ZVG bestimmten Voraussetzungen die Rechte, welche nicht nach den
Versteigerungsbedingungen bestehen bleiben sollen. Der Zuschlag für die
Eigentumswohnung E. xx in D. an den neuen Eigentümer erfolgte am 25.
Oktober 2013. Die unter den laufenden Nummern y bis z eingetragenen
Eigentümergrundschulden sollten nach den Versteigerungsbedingungen nicht
bestehen bleiben. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 1 ZVG sind ebenfalls
erfüllt, da der Zuschlag nicht im Beschwerdeverfahren rechtskräftig
aufgehoben worden ist. Folglich bestanden Grundschulden, aus denen
irgendwelche Ansprüche abgeleitet werden könnten, im Zeitpunkt des
Erlasses der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen nicht – mehr -.
Selbst wenn sie noch bestanden hätten, wären die Bescheide rechtswidrig.
Denn die Pfändung eines Anspruchs, der durch eine Grundschuld gesichert
ist, setzt gemäß § 57 Abs. 6 i.V.m. § 46 Abs. 1 NVwVG nicht nur die Pfändung
der Geldforderung nach § 45 NVwVG voraus, sondern auch die Aushändigung
des Grundschuldbriefes bzw. die Eintragung der Pfändung im Grundbuch. Erst
durch den Besitz des Grundschuldbriefes bzw. die Eintragung im Grundbuch
wird die Pfändung wirksam (Engelhardt/App, VwVG/VwZG 9. Aufl. § 310 AO
Rn. 3; Klein, AO, 8. Aufl. § 310 Rn. 2). Beides ist hier nicht erfolgt, was das
Vollstreckungsgericht im Übrigen veranlasst hat, die Hinterlegung des
Versteigerungserlöses zu beantragen.
Auch soweit die Antragsgegnerin mit dem jeweils zweiten Punkt ihrer
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen Ansprüche des Antragstellers auf
Auszahlung der auf die unter laufender Nummer y in Abteilung G. des
Grundbuchblattes F. von D. über 35.000,00 DM eingetragene
Eigentümergrundschuld entfallenden Erlösanteile aus dem Verfahren 75 K
38/12 pfändet, entbehren die Verfügungen der Rechtsgrundlage. Sie
verstoßen gegen § 18 Abs. 1 NVwVG i.V.m. § 747 ZPO.
Die genannte Eigentümergrundschuld war vom Antragsteller 2001 an seine
Mutter abgetreten worden. Nach deren Tod xxx bilden nach Aktenlage der
Antragsteller und seine Schwester eine ungeteilte Erbengemeinschaft. Für die
Vollstreckung gegen Erben gelten gemäß § 18 Abs. 1 NVwVG die Vorschriften
der ZPO entsprechend. Gemäß § 747 ZPO ist zur Zwangsversteigerung in
einen Nachlass, wenn mehrere Erben vorhanden sind, bis zur Teilung ein
gegen alle Erben ergangenes Urteil – entsprechend hier ein öffentlich-
rechtlicher Titel – erforderlich. Die Antragsgegnerin vollstreckt indes nur aus
Titeln, die sie gegen den Antragsteller erwirkt hat.
Die Kammer hat erwogen, ob sich die oben in Nr. 2 genannte Pfändung eines
Erlösüberschusses auch auf die Eigentümergrundschulden der laufenden Nr.
w und z beziehen soll, die allein dem Antragsteller zustehen dürften. Dies hat
sie verneint. Aus der deutlichen Bezugnahme der Anspruchspfändung auf die
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„o.g. Grundschulden“ lässt sich eine Bezugnahme nur zu der in Nr. y der
Abteilung G. des Grundbuchblattes F. von D. genannten Grundschuld, nicht
jedoch auf die – in Anbetracht einer Hinterlegungssumme von 11.425,56 Euro
wohl auch wertlosen – Grundschulden Nr. w und z herleiten, die erst an dritter
Stelle der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen auftauchen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts stützt sich auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1
GKG und orientiert sich an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (hier Tz. 1.7.1).