Urteil des VG Göttingen vom 06.11.2013

VG Göttingen: versammlungsfreiheit, gerichtsakte, erfüllung, feststellungsklage, leiter, polizeibeamter, meinungsfreiheit, dokumentation, beweissicherung, rechtswidrigkeit

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Zur Rechtmäßigkeit der Anwesenheit von
Polizeibeamten bei Versammlungen unter freiem
Himmel
Nach § 11 Satz 2 NVersG müssen sich bei Versammlungen unter freiem
Himmel anwesende Polizeibeamte in Zivilkleidung individuell gegenüber
dem Versammlungsleiter zu erkennen geben.
VG Göttingen 1. Kammer, Urteil vom 06.11.2013, 1 A 98/12
Art 8 GG, § 11 S 2 VersammlG ND, § 11 S 1 VersammlG ND
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Anwesenheit von
Polizeibeamten in Zivil bei ihren Versammlungen vom 05.09. und 10.10.2011
rechtswidrig war.
Sie ist Mitglied der Anti-Atom-Initiative E. und veranstaltet seit März 2011
abwechselnd mit anderen monatliche Mahnwachen zur Atompolitik
(„Mahnwache N.“) im Freien. Bei den o. g. Mahnwachen waren sowohl
uniformierte als auch Polizeibeamte in Zivil anwesend.
Die Klägerin hat am 28.03.2012 Klage erhoben.
Sie trägt vor, die Polizeibeamten in Zivil hätten sich ihr gegenüber als
Versammlungsleiterin nicht zu erkennen gegeben, obwohl sie hierzu nach §
11 Satz 2 Niedersächsisches Versammlungsgesetz verpflichtet gewesen
seien. Bei keiner der streitgegenständlichen Versammlungen habe es im
Vorfeld Kooperationsgespräche zwischen ihr und der Polizei gegeben. Sie sei
lediglich jeweils vor Versammlungsbeginn von dem polizeilichen Einsatzleiter
zu dem geplanten Ablauf befragt und polizeilich belehrt worden. Bei dem
Gespräch vom 05.09.2011 sei von zivilen Einsatzkräften der Polizei nicht die
Rede gewesen. Erst nachdem sie während der Versammlung von einem
Vertreter der Organisation „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ auf die
Anwesenheit ziviler Polizeibeamter hingewiesen worden sei und den
Einsatzleiter hierauf angesprochen habe, habe dieser die Anwesenheit von
Polizeibeamten in Zivil bestätigt. Am 10.10.2011 habe sie aufgrund ihrer
Erfahrung vom 05.09.2011 kurz vor Versammlungsbeginn von sich aus den
Polizeieinsatzleiter aufgefordert, zivile Einsatzkräfte zu erkennen zu geben.
Der Einsatzleiter habe zwar bestätigt, dass auch Polizeikräfte in Zivil im Einsatz
seien, weitere Angaben hierzu habe er jedoch verweigert. Die
Legitimationspflicht für Polizeibeamte nach § 11 Satz 2 Niedersächsisches
Versammlungsgesetz bestehe für jeden nach Satz 1 dieser Vorschrift bei
Versammlungen unter freiem Himmel anwesenden Polizeibeamten. Soweit
Polizeibeamte durch das Tragen einer Uniform als solche erkennbar seien, sei
die Legitimationspflicht hierdurch erfüllt. Polizeibeamte in Zivil müssten sich
dagegen von sich aus gegenüber dem Versammlungsleiter als Polizisten zu
erkennen geben. Sie seien auch nicht dann als Polizeibeamte erkennbar,
wenn sie mit uniformierten Polizisten in einer Gruppe zusammenständen. Es
gebe keinen Erfahrungssatz, wonach jede Zivilperson, die sich in der Nähe
von Polizeibeamten aufhält, selbst Polizist sei. Durch die Anwesenheit ziviler
Polizeibeamter bei Versammlungen, die sich nicht als Polizisten zu erkennen
gäben, werde das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Artikel 8
Grundgesetz verletzt. Durch die heimliche Observation werde von der
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Teilnahme an Demonstrationen abgeschreckt und die
Versammlungsteilnehmer würden darin beeinträchtigt, ihre Meinungsfreiheit
unbeschwert auszuüben.
Sie verfüge über das notwendige Feststellungsinteresse für die Klage, da sie
auch in Zukunft ähnliche Versammlungen wie die Mahnwachen in E.
veranstalten wolle und befürchten müsse, hierbei erneut durch verdeckte zivile
Polizeikräfte beobachtet zu werden. Sie müsse auch befürchten, dass wegen
der abschreckenden Wirkung der heimlichen polizeilichen Beobachtung ihrer
Versammlungen weniger Menschen daran teilnähmen und der Erfolg somit
geschmälert werde. Damit bestehe auch für die Zukunft die Gefahr, dass sie in
ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Grundgesetz verletzt werde.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen,
1. dass die Anwesenheit von zwei Polizeibeamten in Zivilkleidung bei
der von ihr am 05.09.2011 veranstalteten Versammlung („Mahnwache
N.“), die sich ihr gegenüber als Versammlungsleiterin nicht als
Polizeibeamte zu erkennen gegeben haben, rechtswidrig war,
2. dass die Anwesenheit von Polizeibeamten in Zivilkleidung bei der
von ihr am 10.10.2011 veranstalteten Versammlung („Mahnwache
N.“), die sich ihr gegenüber als Versammlungsleiterin nicht als
Polizeibeamte zu erkennen gegeben haben, rechtswidrig war.
Einen weiteren, entsprechenden Feststellungsantrag zu einer Versammlung
vom 07.11.2011 hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung
zurückgenommen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat Zweifel an der Zulässigkeit der Klage, da der Klägerin die notwendige
Klagebefugnis fehle. Der Klägerin sei die Anwesenheit von Polizeibeamten in
Zivil bei ihren Versammlungen bekannt gewesen, sodass sie eine
Beeinträchtigung ihrer Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 Grundgesetz nicht
geltend machen könne. Soweit Zivilbeamte bei ihr nicht vorstellig geworden
seien, habe sie diese selbst als Polizisten erkannt. Die
Versammlungsteilnehmer seien in ihrer Versammlungsfreiheit nicht
beeinträchtigt worden, weil ihnen bereits durch die Anwesenheit uniformierter
Beamter die Anwesenheit der Polizei bekannt gewesen sei. Es sei nicht
ersichtlich, inwiefern sie darüber hinaus durch die Anwesenheit ziviler
Polizeibeamter beeinträchtigt worden seien, ihre Meinungsfreiheit nicht oder
nur eingeschränkt auszuüben.
Die Klage sei auch unbegründet. Wie die Klägerin selbst einräume, hätten vor
den streitbefangenen Versammlungen Gespräche zwischen ihr und der
Einsatzleitung der Polizei stattgefunden. Im Rahmen dieser Gespräche, an
denen teilweise zivile Kräfte beteiligt gewesen seien, sei die Klägerin auf die
Anwesenheit ziviler Polizeikräfte hingewiesen worden. Nach § 11 Satz 2
Niedersächsisches Versammlungsgesetz bestehe keine Legitimationspflicht
für jeden einzelnen Polizeibeamten. Die Verpflichtung bestehe nur für den
Beamten oder die Beamtin, der bzw. die mit dem Versammlungsleiter
unmittelbar Kontakt aufnehme. Eine persönliche Vorstellungspflicht jedes
einzelnen Polizeibeamten sei praxisfremd. Die Einsatzleitung könne nicht im
Vorfeld einer Versammlung punktgenau angeben, welcher Beamte zu
welchem Zeitpunkt an welcher Stelle eingesetzt werde. Im Übrigen sei Sinn
und Zweck des § 11 Satz 2 Niedersächsisches Versammlungsgesetz nicht in
erster Linie, Spekulationen über eventuell anwesende Zivilbeamte zu
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vermeiden, sondern die Kooperation zwischen Versammlungsleiter und Polizei
während der Versammlung zu erleichtern. Bei der Beobachtung einer
Demonstration handele es sich darüber hinaus um einen geringen Eingriff. Ein
Verstoß gegen die Legitimationspflicht nach § 11 Satz 2 Niedersächsisches
Versammlungsgesetz sei lediglich ein Ordnungsverstoß, der nicht zur
Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme führe.
Das Gericht hat schriftliche Auskünfte der Beklagten eingeholt zu den Fragen,
wie viele Polizeibeamte in Zivil bei den streitbefangenen Versammlungen
jeweils anwesend waren, welche Aufgaben sie hatten und welchen Inhalt die
Gespräche mit der Klägerin vor Versammlungsbeginn hatten, insbesondere ob
die Klägerin über die Anwesenheit ziviler Polizeibeamter informiert wurde.
Insoweit wird auf die von der Beklagten vorgelegten schriftlichen Aussagen
von EPHK K. vom 25.09.2013 (Bl. 38 ff. Gerichtsakte) und 28.10.2013 mit
Anlage (Bl. 97 f. Gerichtsakte), KOK O. vom 25.09.2013 (Bl. 42 f. Gerichtakte),
PHK P. vom 10.10.2013 (Bl. 61 f. Gerichtsakte) und 24.06.2012 (Bl. 65
Gerichtsakte), EKHK Q. vom 04.04.2012 (Bl. 63 f. Gerichtsakte),
Fachoberschulpraktikantin R. vom 23.06.2012 (Bl. 66 ff. Gerichtakte) und die
polizeilichen Verlaufsberichte über die streitbefangen Mahnwachen (Bl. 49 ff.
Gerichtsakte) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß
§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Im Übrigen hat die Klage Erfolg.
Sie ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Die Klägerin
begehrt die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne
dieser Vorschrift. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts sind unter einem feststellungsfähigen
Rechtsverhältnis die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus
einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für
das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder
einer Person zu einer Sache ergeben. Ein feststellungsfähiges
Rechtsverhältnis setzt voraus, dass zwischen den Parteien dieses
Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine
Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite
verlangen zu können (BVerwG, Urteil vom 28.01.2010 – 8 C 38/09 – mit
weiteren Rechtsprechungshinweisen, Rn. 32, zitiert nach juris). Vorliegend
geht es um die rechtlichen Beziehungen zwischen der Klägerin als
Versammlungsleiterin und der Beklagten, die von ihrer hoheitlichen Befugnis
nach § 11 Satz 1 Niedersächsisches Versammlungsgesetz – NVersG –
Gebrauch gemacht hat. Zwischen den Beteiligten besteht ein Meinungsstreit
darüber, ob nach § 11 Satz 1 NVersG bei den Versammlungen der Klägerin
anwesende Polizeibeamte in Zivil sich nach Satz 2 gegenüber der Klägerin als
Versammlungsleiterin individuell zu erkennen geben mussten. Da es sich bei
der Anwesenheit der Polizei bei öffentlichen Versammlungen um einen
Realakt handelt, ist die Feststellungsklage nicht durch § 43 Abs. 2 VwGO
ausgeschlossen.
Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung
der Rechtswidrigkeit, da sie einen Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 8
Abs. 1 Grundgesetz – GG – geschützten Versammlungsfreiheit durch die
Anwesenheit von Polizeibeamten in Zivil bei ihren Mahnwachen vom 05.09.
und 10.10.2011 geltend machen kann. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit,
mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe
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an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung
örtlich zusammenzukommen. Der Schutzbereich ist nicht nur dann betroffen,
wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wird, sondern auch dann,
wenn die Art und Weise ihrer Durchführung durch staatliche Maßnahmen
beschränkt wird (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 –, Rn.
14, zitiert nach juris). Das in § 11 NVersG enthaltene Anwesenheitsrecht der
Polizei bei Versammlungen unter freiem Himmel berührt den Schutzbereich
des Art. 8 GG. Die Polizeipräsenz kann Personen von der Teilnahme an einer
Versammlung abschrecken oder zur Folge haben, dass
Versammlungsteilnehmer ihre Meinungsfreiheit in der Versammlung nicht oder
nicht in vollem Umfang ausüben (Bay. VGH, Urteil vom 15.07.2008 – 10 BV
07.2143 –, Rn. 23 unter Hinweis auf BVerfG vom 14.05.1983 – BVerfGE 65
1/43 –, zitiert nach juris). Die Polizeipräsenz beeinträchtigte die Klägerin nicht
nur als Versammlungsteilnehmerin, sondern auch als Veranstalterin der
Versammlungen, da sie befürchten muss, dass durch eine heimliche
Polizeipräsenz potentielle Versammlungsteilnehmer von der weiteren
Teilnahme an ihren Versammlungen abgeschreckt werden. Demnach besteht
für die Klägerin die Möglichkeit, dass sie in ihrer Versammlungsfreiheit verletzt
ist. Es kann dahinstehen, ob sich diese Möglichkeit aus der systematischen
Auslegung des in § 43 Abs. 1 VwGO normierten Tatbestandsmerkmals eines
streitigen Rechtsverhältnisses oder aus einer analogen Anwendung des
unmittelbar nur für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden § 42 Abs.
2 VwGO („Klagebefugnis“) ergibt. Für die Zulässigkeit der Feststellungsklage
reicht es aus, wenn von Rechts wegen die Möglichkeit ernsthaft in Betracht
kommt, dass die streitige Berechtigung oder Verpflichtung besteht (BVerwG,
Urteil vom 28.01.2010, a.a.O., Rn. 36; s. auch Urteil vom 29.06.1995 – 2 C
32/94 –, Rn. 18, zitiert nach juris; danach ist auf die Feststellungsklage nach §
43 VwGO zur Vermeidung der dem Verwaltungsprozess fremden
Popularklage die Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO über die Klagebefugnis
entsprechend anzuwenden). Darüber hinaus hat die Klägerin auch unter dem
Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse an der
Feststellungsklage, da sie auch zukünftig Mahnwachen veranstalten möchte.
Die Klage ist begründet. Die Anwesenheit von Polizeibeamten in Zivil bei den
Versammlungen der Klägerin vom 05.09. und 10.10.2011 war rechtswidrig,
weil die Zivilbeamten ihrer Legitimationspflicht nach § 11 Satz 2 NVersG nicht
nachgekommen sind. Hierdurch wurde die Klägerin in ihrem Grundrecht aus
Art. 8 Abs. 1 GG verletzt.
Bei den Veranstaltungen der Klägerin in E. handelte es sich um öffentliche
Versammlungen unter freiem Himmel. Sie standen damit unter dem Schutz
von Art. 8 Abs. 1 GG, der das Recht aller Deutschen anerkennt, sich ohne
Anmeldung oder Erlaubnispflicht und ohne Waffen zu versammeln. Das
Versammlungsrecht unter freiem Himmel kann nach Art. 8 Abs. 2 GG nur
durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Es darf
Beschränkungen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG nur unterworfen werden, wenn
diese dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Einschränkungen
müssen zum Schutz eines mit der Versammlungsfreiheit kollidierenden
Rechtsguts geeignet, erforderlich und angemessen sein, weil der Schutz des
anderen Rechtsguts gegenüber der Versammlungsfreiheit im konkreten Fall
vorrangig ist (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2007 – 1 BvR 943/02 – unter
Hinweis auf weitere Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen, juris). Diese
allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen sind auch für die
Auslegung und Anwendung des in § 11 NVersG geregelten
Anwesenheitsrechts der Polizei maßgebend, das eine Beschränkung des
Grundrechts der Versammlungsfreiheit durch ein Gesetz unterhalb der
Verfassungsebene darstellt. Das Anwesenheitsrecht der Polizei wirkt sich
mittelbar einschränkend auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit aus und
unterliegt deshalb eigenständig zu bestimmenden Anforderungen des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.10.2007,
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a.a.O., Rn. 39).
Nach § 11 Satz 1 NVersG kann die Polizei bei Versammlungen unter freiem
Himmel anwesend sein, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem
Gesetz erforderlich ist. Die polizeilichen Aufgaben nach dem
Niedersächsischen Versammlungsgesetz sind der Schutz der Versammlung
(§§ 4, 8 Abs. 3 NVersG) und die Abwehr von Gefahren, die von einer
Versammlung ausgehen (§ 8 Absätze 1, 2 und 4 und § 10 NVersG). Die
Anwesenheit der Polizei bei Versammlungen dient der Erfüllung dieser
Aufgaben (vgl. Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, Komm., § 11
Rn. 1). Das Anwesenheitsrecht der Polizei bei öffentlichen Versammlungen ist
deshalb ein erforderliches, geeignetes und angemessenes Mittel, damit die
Polizei ihre Aufgaben nach dem Versammlungsgesetz erfüllen kann.
Nach § 11 Satz 2 NVersG haben sich nach Satz 1 anwesende
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte der Leiterin oder dem Leiter zu
erkennen zu geben. Diese Legitimationspflicht dient dazu, die Kooperation von
Versammlungsleiter und Polizei als zuständiger Behörde während der
Versammlung zu erleichtern, indem dem Leiter eindeutig erkennbare
Ansprechpartner zur Verfügung gestellt werden (Wefelmeier/Miller,
Niedersächsisches Versammlungsgesetz, Komm., § 11 Rn. 4). Mit dem
Erkennengeben soll erreicht werden, dass der Versammlungsleiter die Polizei
gegebenenfalls um Hilfe angehen kann, wenn es ihm nicht gelingt, mit eigenen
Mitteln die Ordnung in der Versammlung sicherzustellen
(Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, Komm., 15. Auflage, § 12 Rn.
19). Die Legitimationspflicht ist darüber hinaus unter dem Blickwinkel von Art. 8
Abs. 1 GG zu betrachten. Sie soll einer Unsicherheit der
Versammlungsteilnehmer darüber vorbeugen, ob sie während der
Versammlung unwissentlich der Beobachtung durch die Polizei ausgesetzt
sind; sie dient damit der Versammlungsfreiheit. Es ist nicht zu beanstanden,
dass die Legitimationspflicht der Polizei nur gegenüber dem Leiter der
Versammlung besteht. Eine Legitimationspflicht gegenüber jedem einzelnen
Versammlungsteilnehmer wäre praktisch kaum durchführbar und deshalb
unverhältnismäßig. Insofern ist es ausreichend, wenn der Versammlungsleiter
umfassend über die Anwesenheit von Polizisten in der Versammlung informiert
wird und er die erhaltenen Informationen an die Versammlungsteilnehmer
weitergeben kann. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift besteht die
Pflicht, sich zu erkennen zu geben, für jeden einzelnen Polizeibeamten. Es
genügt nicht, wenn der Einsatzleiter dem Versammlungsleiter lediglich die
Anzahl der anwesenden Beamten mitteilt (vgl. Wefelmeier/Miller, a.a.O., § 11
Rn. 5; Ullrich, a.a.O., § 11 Rn. 6; a. A. wohl Dietel/Ginzel/Kniesel, a.a.O., § 12
Rn. 16). Dabei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Pflicht, sich
zu erkennen zu geben, insbesondere bei Großveranstaltungen, auch dadurch
genüge getan wird, dass die Einsatzkräfte durch Tragen einer Uniform als
Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamte erkennbar sind (LT-Drs. 16/2075, S. 23;
so auch Ullrich, a.a.O., § 11 Rn. 6; Wefelmeier/Miller, a.a.O., § 11 Rn. 4).
Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen in
Zivil, die nicht bereits anhand ihrer Uniform als Polizisten zu erkennen sind,
sich individuell gegenüber dem Versammlungsleiter bzw. der
Versammlungsleiterin zu erkennen geben müssen. Entscheidend bleibt die
jederzeitige Unterscheidbarkeit von Versammlungsteilnehmern und
Polizeibeamten (Ridder/Breitbach/ Rühl/ Steinmeier, Versammlungsrecht,
Komm., 1. Auflage, § 12 Rn. 23).
Die Legitimationspflicht besteht nur für die Polizeibeamten und
Polizeibeamtinnen, die nach Satz 1 zur Erfüllung versammlungsgesetzlicher
Aufgaben anwesend sind. Die Offenbarungspflicht gilt somit nicht für Beamte,
die aus sonstigen Gründen der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung
zugegen sind (vgl. LT-Drs. 16/2913, S. 13); bei diesen könnte die Offenbarung
im Einzelfall die erfolgreiche Wahrnehmung ihrer Aufgaben gefährden
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(Wefelmeier/Miller, a.a.O., § 11 Rn. 5; Ullrich, a.a.O., § 11 Rn. 7). Nach diesem
Maßstab war die Anwesenheit von Polizeibeamten bei den Versammlungen
der Klägerin vom 05.09. und 10.10.2011 rechtswidrig, da einzelne Zivilbeamte
ihrer Legitimationspflicht nach § 11 Satz 2 NVersG nicht nachgekommen sind.
Der Polizeieinsatz bei der Versammlung vom 05.09.2011 wurde von KOK O.
geleitet, der laut schriftlicher Aussage von EPHK K., Leiter Einsatz und
Streifendienst 1, in seiner Eigenschaft und Funktion als Kriminalbeamter im
Einsatz gewesen sei und deshalb Zivil getragen habe. Laut schriftlicher
Stellungnahme von KOK O. vom 25.09.2013 hat dieser kurz vor Beginn der
Mahnwache mit der Klägerin ein Kooperationsgespräch geführt, an welchem
auch POK Ka., der uniformiert gewesen sei, teilgenommen habe. Demnach
war der Klägerin aufgrund dieses Gesprächs - dass überhaupt ein Gespräch
vor Versammlungsbeginn stattgefunden hat, hat die Klägerin nicht bestritten -
zwar bekannt, dass ein Polizist in Zivil, nämlich KOK O., bei der Versammlung
anwesend war. Lt. Aussage von KOK O. wurde der Klägerin jedoch nicht
mitgeteilt, dass bei der Versammlung noch zwei weitere Polizeibeamte in Zivil
anwesend waren. KOK O. hat nach seinen eigenen Angaben die Klägerin
lediglich allgemein auf die Anwesenheit von Polizeieinsatzkräften hingewiesen.
Als die Klägerin ihn zehn Minuten nach Versammlungsbeginn aufgesucht und
sich darüber beschwert habe, dass sie nicht über die Anwesenheit weiterer
Polizeibeamten in Zivil informiert worden sei, habe er der Klägerin entgegnet,
dass die Anwesenheit von Zivilbeamten dadurch konkludent angezeigt worden
sei, dass er als Einsatzleiter Zivilkleidung trage. Er habe die Klägerin darauf
hingewiesen, dass ihr kein Auskunftsrecht über die Anwesenheit jedes
einzelnen Zivilbeamten zustehe. Demnach hat KOK O. selbst eingeräumt,
dass die weiteren zwei anwesenden Polizeibeamten in Zivil sich nicht im Sinne
des § 11 Satz 2 NVersG gegenüber der Klägerin zu erkennen gegeben haben.
Diese Polizeibeamten waren auch gemäß Satz 1 zur Erfüllung von Aufgaben
nach dem Versammlungsgesetz anwesend, wie sich ebenfalls aus den
Stellungnahmen von EPHK K. und KOK O. ergibt. Danach hatten die
Zivilbeamten die Aufgabe, Informationen über die Versammlung zu gewinnen
und im Vorfeld aufzuklären, ob Lageänderungen (z.B. spontane oder geplante
Änderungen des angemeldeten Versammlungsverlaufs) zu erwarten seien, auf
die polizeilich zu reagieren sei, um einen reibungslosen Versammlungsverlauf
auch in solchen Fällen zu gewährleisten. Gegebenenfalls sollten sie dann
erforderliche Beweissicherungs- und Dokumentationsmaßnahmen
vornehmen, z.B. ggfs. nach § 12 NVersG Video- und Fotoaufnahmen fertigen.
Demnach war es ihre Aufgabe, für einen störungsfreien Verlauf der
Versammlung zu sorgen.
Der Verstoß gegen die Legitimationspflicht nach § 11 Satz 2 NVersG hat die
Rechtswidrigkeit der Anwesenheit dieser beiden Polizeibeamten in Zivil zur
Folge. Soweit der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass es sich bei der
Anwesenheit der Polizei bei Versammlungen unter freiem Himmel um einen
verhältnismäßig geringfügigen Grundrechtseingriff handele (LT-Drs. 16/2913,
S. 13), begründet dies lediglich die niedrige Eingriffsschwelle nach § 11 Satz 1
NVersG (vgl. Wefelmeier/Miller, a.a.O. § 11 Rn. 2). Die Legitimationspflicht ist
wesentliche Ausgestaltung der Art und Weise des Zutrittsrechts. Ein Verstoß
hiergegen macht den Zutritt der Polizei ebenfalls rechtswidrig (so
Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, a.a.O., § 12 Rn. 16). Der Auffassung der
Beklagten, die Missachtung der Legitimationspflicht sei ein bloßer
Ordnungsverstoß und mache die Anwesenheit der betroffenen Polizeibeamten
nicht rechtswidrig (so auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 12 Rn. 20), wird
nicht gefolgt.
Der Polizeieinsatz bei der Versammlung vom 10.10.2011 wurde von PHK P.
geleitet. Bei dieser Versammlung waren laut schriftlicher Aussage von PHK P.
vom 10.10.2013 vier Polizeibeamte in Zivil und eine
Fachoberschulpraktikantin, Fachrichtung Polizei (wohl auch in Zivil),
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eingesetzt. Die Fachoberschulpraktikantin R. und zwei Polizeibeamte der
Tatortgruppe in Zivil hätten sich bei ihm am und im Funkstreifenwagen
befunden. Die Beamten der Tatortgruppe seien für die Beweissicherung und
Dokumentation bei entsprechender Lageänderung vorgesehen gewesen.
Zwei weitere Polizeibeamte in Zivil des Fachkommissariats 4 seien mit dem
Auftrag Aufklärung unterwegs gewesen. Bei seinem Kooperationsgespräch mit
der Klägerin habe diese verlangt, dass sich Polizisten in Zivil ihr gegenüber zu
erkennen geben. Dem habe er nicht entsprochen, da er bereits allgemein auf
die Anwesenheit von Zivilbeamten hingewiesen gehabt habe (s.
Verlaufsbericht zur Mahnwache vom 10.10.2011, Bl. 53 Gerichtsakte). Diese
Angaben hat Fachoberschulpraktikantin R., die bei dem
Kooperationsgespräch dabei war (Stellungnahme P. vom 24.06.2012), in ihrer
schriftlichen Stellungnahme vom 23.06.2012 bestätigt. Demnach waren für die
Klägerin PHK P. und Fachoberschulpraktikantin R. als Polizeibeamte in Zivil
erkennbar. Das Gleiche gilt für denjenigen Zivilbeamten der Tatortgruppe, der
mit einer Filmkamera im Funkstreifenwagen saß, und den die Klägerin gebeten
hatte, nicht zu filmen, denn für die Klägerin dürfte aufgrund dessen erkennbar
gewesen sein, dass es sich bei dieser Person um einen Polizisten in Zivil
handelte. Anders verhält es sich bei dem Zivilbeamten der Tatortgruppe, der
beim Funkstreifenwagen in der Nähe von KHK P. stand. Entgegen der
Auffassung der Beklagten musste die Klägerin nicht davon ausgehen, dass es
sich auch bei ihm um einen Polizeibeamten handelte. Nicht jeder Mensch in
Zivil, der sich in der Nähe von Polzisten aufhält, ist auch selbst ein Polizist. Die
Zivilbeamten der Tatortgruppe waren auch im Sinne des § 11 Satz 1 NVersG
zur Erfüllung von Aufgaben nach dem Versammlungsgesetz anwesend. Ihr
Auftrag „Beweissicherung und Dokumentation“ beinhaltete, alle rechtlichen
Möglichkeiten zur Beweissicherung und Dokumentation in Ton, Bild und Schrift
auszuschöpfen (s. Stellungnahme EPHK K. vom 28.10.2013, Bl. 98 f.
Gerichtsakte); er diente sowohl dem Schutz der Versammlung als auch dazu,
Gefahren, die von der Versammlung selbst ausgehen, zu unterbinden, und
setzte eine Beobachtung der Versammlung voraus. Die beiden weiteren
Polizeibeamten in Zivil mit dem Auftrag „Aufklärung“, der eine anlassbezogene,
offene Aufklärung im Stadtgebiet, insbesondere am Veranstaltungsort bzgl.
Anzahl und Absicht der Teilnehmer beinhaltete (s. Stellungnahme EPHK K.
vom 28.10.2013, Bl. 98 f. Gerichtsakte), waren ebenfalls zur Erfüllung
versammlungsspezifischer Aufgaben nach § 11 Satz 1 NVersG anwesend. Da
sie sich der Klägerin gegenüber nicht zu erkennen gegeben haben, war ihre
Anwesenheit bei der Versammlung ebenfalls rechtswidrig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 155 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.