Urteil des VG Göttingen vom 24.09.2013

VG Göttingen: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, allgemein zugängliche informationsquelle, aufschiebende wirkung, verbundenes unternehmen, echte rückwirkung, vertrauensschutz, verkündung

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Verfassungsrechtliche Bedenken an der
Übergangsregelung des § 29 Abs. 4 Satz 2 und 3
GlüStV für Mehrfachspielhallen hinsichtlich des
gesetzlichen Stichtages
Die Stichtagsregelung des § 29 Abs. 4 Satz 2 und 3 GlüStV begegnet
verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Spielhallen, denen eine
Erlaubnis zwischen der Beschlussfassung der
Ministerpräsidentenkonferenz (28.10.2011) und der Einbringung des
Entwurfs des Zustimmungsgesetzes im Niedersächsischen Landtag
(22.05.2012) erteilt worden ist.
Bei einer unechten Rückwirkung erschüttert die Einbringung eines
Gesetzentwurfs im Landtag das Vertrauen in den zukünftigen Bestand einer
Rechtslage. Mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs im Landtag durch ein
initiativberechtigtes Organ werden geplante Gesetzesänderungen durch die
allgemein zugänglichen Parlamentsdrucksachen öffentlich. (vgl. BVerfG, B.
v. 10.10.2012, 1 BvL 6/07, juris Rn. 55 56)
Die Beschlussfassung der Ministerpräsidentenkonferenz ist damit nicht
vergleichbar, weil sie nicht die notwendige gleichsam amtliche Öffentlichkeit
aller zu erwartenden Regelungen im Detail herstellt.
VG Osnabrück 1. Kammer, Beschluss vom 24.09.2013, 1 B 36/13
§ 29 GlSpielWStVtr, § 25 GlSpielWStVtr
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens
über die Untersagung des Betriebs einer Verbundspielhalle.
Die Antragsgegnerin erteilte der D. GmbH mit drei Bescheiden vom 24.09.2009
Erlaubnisse nach § 33i GewO für drei in einem Gebäude untergebrachte
Spielhallen. Nachdem die E. GmbH die Spielhallen übernommen hatte, erteilte
die Antragsgegnerin dieser durch drei Bescheide vom 19.12.2011 Erlaubnisse
nach § 33i GewO für die drei Spielhallen.
Die Antragstellerin beantragte mit am 14.03.2012 unterschriebenen und am
16.03.2012 bei der Antragsgegnerin eingegangen Anträgen, die Erteilung von
Erlaubnissen nach § 33i GewO für die drei zwischenzeitlich von ihr
übernommenen Spielhallen. Die Antragsgegnerin erteilte die Erlaubnisse nach
§ 33i GewO für die drei Spielhallen mit drei Bescheiden vom 25.04.2012. Bei
deren Übergabe wies der Sachbearbeiter der Beklagten laut einer
Gesprächsnotiz vom 30.04.2012 die Geschäftsführerin der Antragstellerin auf
den Entwurf des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen und die darin
enthaltenen möglichen Abstandsregelungen hin.
Laut einer Vereinbarung vom 01.07.2012, die den Übergang des
Untermietvertrags zwischen der D. GmbH als Hauptmieterin und der E. GmbH
als bisheriger Untermieterin auf die Antragstellerin als neue Untermieterin
regelt, wurde ein Rücktritt oder eine Kündigung wegen Wegfalls der
Geschäftsgrundlage auf Grund des am gleichen Tag in Kraft getretenen
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Glücksspielstaatsvertrags ausgeschlossen.
Mit Schreiben vom 13.03.2013 wies die Antragsgegnerin auf die
Erforderlichkeit einer Erlaubnis gemäß § 24 GlüStV nach Ablauf der
einjährigen Übergangsfrist sowie auf die Beschränkungen von Spielhallen in §
25 GlüStV hin. Durch Schreiben vom 26.04.2013 beantragte die Antragstellerin
eine Erlaubnis zum Betrieb ihrer Spielhallen im bestehenden Umfang über den
30.06.2013 hinaus. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag durch Bescheid
vom 28.05.2013 mit der Begründung ab, dass die Erteilung einer Erlaubnis für
eine Spielhalle, die in einem baulichen Verbund mit weiteren Spielhallen stehe,
nach § 25 Abs. 2 GlüStV ausgeschlossen sei. Die Spielhallen der
Antragstellerin fielen unter die einjährige Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 3
GlüStV. Die Härtefallregelung des § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV sei in ihrem Fall
nicht anwendbar, weil sich diese nur auf die fünfjährige Übergangsregelung für
vor dem 28.10.2011 erteilte Erlaubnisse beziehe.
Die Antragstellerin erhob am 01.07.2013 Klage (1 A 154/13) mit dem
Rechtsschutzziel der Feststellung, dass sie ihre Spielhallen bis zum Jahr 2017
im bestehenden Umfang betreiben dürfe, hilfsweise der Verpflichtung zur
Erlaubniserteilung zum Betrieb einer Spielhalle unter Aufhebung des
Bescheides vom 28.05.2013.
Durch drei Bescheide vom 05.08.2013 untersagte die Antragsgegnerin der
Antragstellerin den Betrieb der drei Spielhallen, setzte ihr eine Frist zur
Schließung bis zum 31.08.2013 um 24.00 Uhr, ordnete insoweit die sofortige
Vollziehung an, drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 € an und setzte
Kosten in Höhe von 84 € fest.
Die Antragstellerin hat am 29.08.2013 einen Antrag auf vorläufigen
Rechtsschutz gestellt und am 30.08.2013 Klage (1 A 196/13) gegen die
Untersagungsverfügungen erhoben.
Sie trägt vor, dass die E. GmbH ein mit ihr gesellschaftsrechtlich verbundenes
Unternehmen sei. § 24 Abs. 4 GlüStV knüpfe nach seinem Wortlaut an die
Spielhalle und deren erstmalige Lizensierung an. Andernfalls wären
Spielhallen spätestens nach Inkrafttreten des GlüStV unverkäuflich und
Erlaubnisinhaber wären gezwungen, ihre Spielhallen selbst weiter zu betreiben
oder endgültig unentgeltlich aufzugeben. Auch würde es andernfalls zu einer
Ungleichbehandlung zwischen dem Unternehmensverkauf in Form eines sog.
Asset-Deals (Verkauf der einzelnen Wirtschaftsgüter des Unternehmens) und
einem solchen in Gestalt eines sog. Share-Deals (Verkauf der Anteile eines
Unternehmens) kommen, weil im letzteren Falle die behördliche Erlaubnis
miterworben werde. Sie könne sich, obwohl ihr die Erlaubnisse erst nach dem
28.10.2011 erteilt worden seien, auf Vertrauensschutz berufen, weil der an
diesem Tag gefasste Beschluss der Ministerpräsidenten keine öffentliche
Entscheidung gewesen sei, die ihr Vertrauen hätte beeinflussen können. Eine
rückwirkende Übergangsfrist könne nur an einen Zeitpunkt anknüpfen, in dem
in verfassungskonformer Weise das Vertrauen in die Fortgeltung der
bisherigen Rechtslage bereits beseitigt worden sei. Dies sei frühestens der
Beginn des Gesetzgebungsprozesses, die Einbringung des Gesetzentwurfs in
den Niedersächsischen Landtag am 22.05.2013. Da ihr die Erlaubnisse davor
erteilt worden seien, falle sie unter die fünfjährige Übergangsfrist des § 29 Abs.
4 Satz 2 und 4 GlüStV. Ferner seien die von der Schließung bedrohten
Spielhallen ihre einzige Betriebsstätte. Bei einer Schließung habe sie keine
Einnahmen mehr, jedoch Kosten für Miete, sechs festangestellte Mitarbeiter,
Geschäftsleitung und Geräteleasing.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, dass die Regelungen des §§ 24 und 25 GlüStV formell und
materiell verfassungsmäßig seien. Auch die Übergangsregelung des § 29 Abs.
4 Satz 3 GlüStV halte einer rechtlichen Prüfung stand. Die Differenzierung
danach, ob die Spielhallenerlaubnis bis zum oder nach dem 28.10.2011 erteilt
worden sei, sei sachgerecht, weil nach der Beschlussfassung der
Ministerpräsidenten in informierten Kreisen mit dem Inkrafttreten des
Staatsvertrags zu rechnen gewesen sei. Der Entwurf des Staatsvertrags sei
bereits mehrere Wochen zuvor öffentlich zugänglich gewesen. Die
Übergangsregelung knüpfe auch nicht an den Bestand der Spielhalle -
unabhängig von Betreiberwechseln - an, weil Spielhallenerlaubnisse sach- und
personenbezogen erteilt würden. Unerheblich sei dabei auch, ob die
Antragstellerin in einer Verbindung zu einem früheren Erlaubnisinhaber stehe.
Mangels unbeabsichtigter Regelungslücke scheide auch einen analoge
Anwendung des § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV aus. Im Hinblick auf ihre
Investitionsentscheidungen könne sich die Antragstellerin zudem nicht auf
einen besonderen Vertrauensschutz berufen. In dem Nachtrag zum
Untermietvertrag vom 01.07.2012 bestätige die Antragstellerin ausdrücklich,
dass sie den am 01.07.2012 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrag zur
Kenntnis genommen habe.
Die Kammer hat am 04.09.2013 einen Tenorbeschluss erlassen.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze,
wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
A. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5
Satz 1 Alt. 2 VwGO) bezüglich der von der Antragsgegnerin für sofort
vollziehbar erklärten Betriebsschließung ist zulässig und begründet. Im
Rahmen der Interessensabwägung überwiegt das Aussetzungsinteresse der
Antragstellerin das öffentliche Vollziehungsinteresse, weil nach summarischer
Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide
vom 05.08.2013 bestehen.
1. Rechtsgrundlage für die Schließungsverfügungen ist § 15 Abs. 2 Satz 1
GewO. Danach kann die Fortsetzung des Betriebes von der zuständigen
Behörde verhindert werden, wenn ein Gewerbe, zu dessen Ausübung eine
Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung (Zulassung)
erforderlich ist, ohne diese Zulassung betrieben wird. Ein solcher Fall der
Gewerbeausübung ohne die erforderliche Zulassung ist hier nicht gegeben.
Nach § 24 Abs. 1 GlüStV bedürfen unbeschadet sonstiger
Genehmigungserfordernisse die Errichtung und der Betrieb einer Spielhalle
einer Erlaubnis nach dem GlüStV. Zwar verfügt die Antragstellerin nicht über
derartige Erlaubnisse für die drei streitgegenständlichen in einem baulichen
Verbund stehenden Spielhallen. Auch wären diese auf Grund des Verbots von
Mehrfachkonzessionen in § 25 Abs. 2 GlüStV nicht erlaubnisfähig. Danach ist
die Erteilung einer Erlaubnis für eine Spielhalle, die in einem baulichen
Verbund mit weiteren Spielhallen steht, insbesondere in einem gemeinsamen
Gebäude oder Gebäudekomplex untergebracht ist, ausgeschlossen.
Jedoch sind entweder die Spielhallen der Antragstellerin so zu behandeln, als
ob sie unter die noch nicht abgelaufene fünfjährige Übergangsfrist des § 29
Abs. 4 Satz 2 GlüStV mit der anschließenden Befreiungsmöglichkeit nach § 29
Abs. 4 Satz 4 GlüStV fallen, oder das Verbot von Mehrfachkonzessionen in §
25 Abs. 2 GlüStV stellt sich im Falle der Antragstellerin mangels hinreichender
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Übergangsregelungen als verfassungswidrig dar.
Nach § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV gelten Spielhallen, die zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens des GlüStV bestehen und für die bis zum 28.10.2011 eine
Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden ist, deren Geltungsdauer nicht
innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des GlüStV endet, bis zum Ablauf
von fünf Jahren nach Inkrafttreten des GlüStV als mit §§ 24 und 25 GlüStV
vereinbar. Gemäß § 29 Abs. 4 Satz 3 GlüStV gelten Spielhallen, für die nach
dem 28. Oktober 2011 eine Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden ist, bis
zum Ablauf von einem Jahr nach Inkrafttreten dieses Staatsvertrags als mit §§
24 und 25 GlüStV vereinbar. Die für die Erteilung einer Erlaubnis nach § 24
GlüStV zuständigen Behörden können nach Ablauf des in § 29 Abs. 4 Satz 2
GlüStV bestimmten Zeitraums eine Befreiung von der Erfüllung einzelner
Anforderungen des § 24 Abs. 2 sowie § 25 GlüStV für einen angemessenen
Zeitraum zulassen, wenn dies zur Vermeidung unbilliger Härten erforderlich ist;
hierbei sind der Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis gemäß § 33i GewO
sowie die Ziele des § 1 GlüStV zu berücksichtigen (§ 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV).
Die Erlaubnisse nach § 33i GewO für die Spielhallen der Antragstellerin sind
am 25.04.2012 gefertigt und am 30.04.2012 übergeben worden, mithin erst
nach dem Stichtag „28.10.2011“ erteilt worden.
2. Die daraus nach dem Wortlaut des § 29 Abs. 4 Satz 2 bis 4 GlüStV folgende
Anwendung der einjährigen Übergangsfrist ohne Verlängerungsmöglichkeit
verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des
Vertrauensschutzes. Der früheste Zeitpunkt für die verfassungsgemäße
Festsetzung des Stichtags ist nach Auffassung der Kammer der 22.05.2012,
der Tag der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Niedersächsischen
Landtag.
a. Eine Rechtsnorm entfaltet eine - grundsätzlich unzulässige - „echte“
Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem
Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten
soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Erst mit der Verkündung, das heißt,
mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm
rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum
endgültigen Gesetzesbeschluss, muss der von einem Gesetz Betroffene
grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht
gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung
der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (BVerfG, B.
v. 07.07.2010, 2 BvL 1/03, juris Rn. 67). Das schutzwürdige Vertrauen in den
Bestand der bisherigen Rechtsfolgenlage entfällt allerdings in der Regel schon
im Zeitpunkt des endgültigen Gesetzesbeschlusses über die Neuregelung. Mit
dem Tag des Gesetzesbeschlusses müssen die Betroffenen mit der
Verkündung und dem Inkrafttreten der Neuregelung rechnen; es ist ihnen von
diesem Zeitpunkt an zuzumuten, ihr Verhalten auf die beschlossene
Gesetzeslage einzurichten. Der Gesetzgeber ist deshalb berechtigt, den
zeitlichen Anwendungsbereich einer Regelung auch auf den Zeitpunkt von
dem Gesetzesbeschluss bis zur Verkündung zu erstrecken (BVerfG, B. v.
03.12.1997, 2 BvR 882/97, juris Rn. 42; BVerfG, B. v. 10.10.2012, 1 BvL 6/07,
juris Rn. 57).
Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung
eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten
Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“), liegt eine
„unechte“ Rückwirkung vor. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht
grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes
zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem
Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und
den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der
Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der
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Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der
Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche
Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder
Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der
Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das
geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen
verfassungsrechtlichen Schutz. Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für
künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem
verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß
Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung
verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der
Rechtslage sind abzuwägen. Eine unechte Rückwirkung ist mit den
Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes
daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet
und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem
Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit
der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit
gewahrt bleibt (BVerfG, B. v. 07.07.2010, 2 BvL 1/03, juris Rn. 68-69). Der
Gesetzgeber muss daher bei der Aufhebung oder Modifizierung geschützter
Rechtspositionen - auch dann, wenn der Eingriff an sich verfassungsrechtlich
zulässig ist - aufgrund des rechtsstaatlichen Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit eine angemessene Übergangsregelung treffen. Für die
Überleitung bestehender Rechtslagen, Berechtigungen und
Rechtsverhältnisse steht dem Gesetzgeber ein breiter Gestaltungsspielraum
zur Verfügung. Zwischen der sofortigen, übergangslosen Inkraftsetzung des
neuen Rechts und dem ungeschmälerten Fortbestand begründeter subjektiver
Rechtspositionen sind vielfache Abstufungen denkbar. Der gerichtlichen
Nachprüfung unterliegt nur, ob der Gesetzgeber bei einer Gesamtabwägung
zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der
ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung aller Umstände die
Grenze der Zumutbarkeit überschritten hat (BVerfG, U. v. 08.02.1977, 1 BvR
79/70, juris Rn. 129-130). Bei einer unechten Rückwirkung erschüttert die
Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Bundes- bzw. Landtag das
Vertrauen in den zukünftigen Bestand einer Rechtslage, der endgültige
Beschluss des Bundes- bzw. Landtages über das rückwirkende Gesetz
zerstört es grundsätzlich. Mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs im
Bundes- bzw. Landtag oder im Bundesrat durch ein initiativberechtigtes Organ
werden geplante Gesetzesänderungen durch die allgemein zugänglichen
Parlamentsdrucksachen öffentlich. Ab diesem Zeitpunkt sind mögliche
zukünftige Gesetzesänderungen in konkreten Umrissen allgemein
vorhersehbar. Deshalb können Betroffene regelmäßig nicht mehr darauf
vertrauen, das gegenwärtig geltende Recht werde auch in Zukunft unverändert
fortbestehen; es ist ihnen vielmehr grundsätzlich möglich, ihre wirtschaftlichen
Dispositionen durch entsprechende Anpassungsklauseln auf mögliche
zukünftige Änderungen einzustellen (BVerfG, B. v. 10.10.2012, 1 BvL 6/07,
juris Rn. 55-56). Das Bekanntwerden von Gesetzesinitiativen und die
öffentliche Berichterstattung über die Vorbereitung einer Neuregelung durch
die gesetzgebenden Körperschaften lassen die Schutzwürdigkeit des
Vertrauens in die bisherige Rechtslage hingegen noch nicht entfallen (BVerfG,
B. v. 14.05.1986, 2 BvL 2/83, juris Rn. 136). Ihnen fehlt die verlässliche,
gleichsam amtliche Vermittlung der anstehenden Rechtsänderung.
b. Hier handelt es sich um einen Fall der unechten Rückwirkung, weil die
Rechtsfolgen der geänderten Regelungen erst ab dem Zeitpunkt des
Inkrafttretens des geänderten Staatsvertrags eintreten (§ 29 Abs. 4 Satz 1
GlüStV) und damit lediglich an in der Vergangenheit ins Werk gesetzte
Sachverhalte angeknüpft wird, indem für bereits vorhandene Spielhallen, für
die zuvor eine Erlaubnis nach § 33i GewO ausreichte, eine weitere Erlaubnis
nach § 24 Abs. 1 GlüStV verlangt wird.
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Die Entscheidung des Landesgesetzgebers, unterschiedliche
Übergangsregelungen und -fristen in § 29 Abs. 4 Satz 2 bis 4 GlüStV für
solche Spielhallenbetreiber, die ein schutzwürdiges Vertrauen in die bisherige
Rechtslage vorweisen können, und solchen, die dies nicht können,
vorzusehen, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Laut der
Gesetzesbegründung (LT-Drs. 16/4795, S. 94) soll die Stichtagsregelung
„Vorratserlaubnisse in Kenntnis der beabsichtigten Änderung der Rechtslage
verhindern“. Die darin erkennbare Intention der Vermeidung von
Mitnahmeeffekten vor Auslaufen der Altregelung stellt ein legitimes
gesetzgeberisches Ziel dar (BVerfG, e. A. v. 23.09.2010, 1 BvQ 28/10, juris Rn.
41) und rechtfertigt die kurze Übergangsfrist von einem Jahr ohne
Verlängerungsmöglichkeit in denjenigen Fällen, in denen tatsächlich kein
schutzwürdiges Vertrauen besteht, ohne weiteres.
Jedoch trägt die Festsetzung des Stichtages auf den 28.10.2011 den
erläuterten verfassungsrechtlichen Grundsätzen im Hinblick auf den Zeitpunkt,
in dem der Vertrauensschutz entfällt, nicht ausreichend Rechnung (aA. vgl.:
VG Freiburg, B. v. 25.04.2013, 5 K 212/13, juris Rn. 22-23; Bay. VerfGH, E. v.
28.06.2013, Vf. 10-VII-12, juris Rn. 96; VG Würzburg, B. v. 02.07.2013, W 5 E
13.522, juris Rn. 41; VG Stade, B. v. 01.07.2013, 6 B 2788/13). Der 28.10.2011
ist der Tag, an dem die Ministerpräsidentenkonferenz die Änderung des
Glücksspielstaatsvertrags beschlossen hat; unterzeichnet wurde der
Änderungsstaatsvertrag am 15.12.2011. Das Zustimmungsgesetz ist am
22.05.2012 (vgl. LT-Drs. 16/4795) in den Niedersächsischen Landtag
eingebracht, von diesem am 21.06.2012 beschlossen und am 27.06.2012 (vgl.
Nds. GVBl. 2012,190ff.) verkündet worden.
Die Beschlussfassung der Ministerpräsidentenkonferenz ist nicht vergleichbar
mit der parlamentarischen Einbringung eines Gesetzentwurfs. Ein
Staatsvertrag stellt lediglich eine „inter partes“, zwischen den beteiligten
Bundesländern - als Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts - geltende
Vereinbarung dar, die um Gesetzeskraft gegenüber dem Bürger erlangen zu
können, der Umsetzung durch Zustimmungsgesetze der beteiligten Länder
bedarf. Letztlich entfaltet der GlüStV in den einzelnen beteiligten
Bundesländern gesetzliche Wirkung jeweils als Landesrecht. Auch wenn der
Erlass der entsprechenden Zustimmungsgesetze durch die Landesparlamente
auf Grund dessen, dass die unterzeichnenden Ministerpräsidenten im
Regelfall von parlamentarischen Mehrheiten getragen werden, sehr
wahrscheinlich ist, mangelt es der Beschlussfassung der Ministerpräsidenten
an der notwendigen gleichsam amtlichen Öffentlichkeit aller zu erwartenden
Regelungen im Detail. Während Gesetzesinitiativen als Bundes- bzw.
Landtagsdrucksachen amtlich bekannt und damit allgemein zugänglich
gemacht werden, trifft dies auf Beschlüsse der - nicht einmal öffentlich
tagenden - Ministerpräsidentenkonferenz nicht zu. Für die Beseitigung des
verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes in eine bestehende Gesetzeslage
genügt nicht jede beliebige Informationsmöglichkeit über eine geplante
Gesetzesänderung, vielmehr muss es sich um eine verlässliche und öffentlich
allgemein zugängliche Informationsquelle handeln, die den Gesetzesentwurf
zum Zwecke der Bekanntmachung mit Wissen und Wollen des Gesetzgebers
enthält. Diesen Anforderungen genügen - im Gegensatz zu Bundes- bzw.
Landtagsdrucksachen - weder Veröffentlichungen in der Presse bzw. im
Internet noch Verbandsbeteiligungen. Im konkreten Fall wird der Grund hierfür
besonders deutlich. Für die betroffenen Spielhallenbetreiber ist zur Ausrichtung
ihrer wirtschaftlichen Dispositionen - abgesehen vom Wissen um die
Einführung des Verbots von Mehrfachkonzessionen als solches - die Kenntnis
der konkreten Übergangsregelungen von entscheidender Bedeutung. Ohne
verlässliche Kenntnis des differenziert ausgestalteten § 29 Abs. 4 GlüStV im
genauen Wortlaut, lässt sich der gesetzlich vorgesehene Übergangszeitraum,
in dem - je nach Zeitpunkt der Erlaubniserteilung - die nach bisherigen Recht
erteilten Mehrfachkonzessionen zulässig bleiben, nicht bestimmen.
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Ob sich die konkreten Umrisse einer Neuregelung Presseinformationen
entnehmen lassen, kann nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall bezüglich
einer konkreten Pressemitteilung festgestellt werden. Hinzu kommt, dass
derartige Presseinformationen an die Medien gerichtet sind und erst von
diesen - oftmals in verkürzter oder veränderter, ggf. kommentierender Form -
weitergegeben werden. Auch Verbandsbeteiligungen im Vorfeld des
Abschlusses eines Staatsvertrags sind nicht geeignet, die erforderliche
Öffentlichkeit herzustellen. Dabei mögen zwar Entwürfe des späteren
Vertragstextes übermittelt werden. Jedoch werden diese gerade nicht
jedermann, sondern nur den beteiligten Verbänden zur Verfügung gestellt.
Selbst wenn daraufhin - wie hier geschehen (vgl. AWI Automaten-
Wirtschaftsverbände-Info vom 02.05.2011, „Novelle des
Glücksspielstaatsvertrags gefährdet Existenz von 6.000 Unternehmen und
70.000 Arbeitsplätzen“, www.presseportal.de/pm/42934/2036221/novelle-des-
gluecksspielstaatsvertrags-gefaehrdet-existenz-von-6-000-unternehmen-und-
70-000) - Pressemitteilungen durch einen beteiligten Verband erfolgen, die auf
den Inhalt der beabsichtigen Neuregelung einschließlich der geplanten
Übergangsfristen hinweisen, handelt es sich dabei nicht um eine Bundes- bzw.
Landtagsdrucksachen vergleichbar zuverlässige amtliche Quelle. Letztlich
hängt es von Zufälligkeiten - wie dem im Nachhinein nur schwer
nachvollziehbaren Umfang und der regionalen bzw. überregionalen
Verbreitung der Medienberichterstattung oder der nachträglich gerichtlich
kaum überprüfbaren Weitergabe von Informationen durch Interessenverbände
an ihre Mitglieder - ab, ob die Betroffenen durch die Beschlussfassung der
Ministerpräsidentenkonferenz ausreichend Kenntnis von der beabsichtigten
Änderung eines Staatsvertrags erhalten haben, um ihre wirtschaftlichen
Dispositionen entsprechend auszurichten. Das gleiche gilt für von
privatrechtlichen Organisationen oder Personen ins Internet eingestellte
Informationen - wie beispielsweise den Blog „chriszim.com - Medien, Politik,
Internet und eine Prise Verschwörungstheorien“
(www.chriszim.com/2011/gluecksspielstaatsvertrag-entwurf-geleaked; vgl. VG
Ansbach, B. v. 09.08.2013, AN 4 E 13.01186, juris Rn. 41). Derartige
Informationen sind ihrer Natur nach flüchtig und besitzen auch nicht die
erforderliche Verlässlichkeit. Es lässt sich regelmäßig weder feststellen, wann
Informationen auf derartige Internetseiten eingestellt worden sind, noch, aus
welchen Quellen sie stammen.
Auch dem Wortlaut des Zustimmungsgesetzes zufolge ist der
Staatsvertragstext erst als Anlage zu Art. 1 Abs. 2 „Gesetz zur Änderung von
Vorschriften über das Glücksspiel“ (LT-Drs. 16/4795, S. 2; Nds. GVBl. 2012,
190) „veröffentlicht“ worden. Insgesamt handelt es sich sowohl bei
Verbandsbeteiligungen im Vorfeld als auch bei der Beschlussfassung und
Unterzeichnung eines Staatsvertrags durch die Ministerpräsidenten lediglich
um vorbereitende Verfahrensschritte vor Einleitung des formalen
Gesetzgebungsverfahrens.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es in diesem Zusammenhang nicht
darauf ankommt, dass der Antragstellerin bei Abschluss des Nachtrags zum
Untermietvertrag am 01.07.2012 die Problematik der Übergangsfristen für
Bestandsspielhallen offenbar bekannt gewesen ist. Dieser Nachtrag ist sowohl
nach der Ausstellung der Spielhallenerlaubnisse am 25.04.2012 und deren
Übergabe am 30.04.2012 - d.h. nach Schaffung der den Vertrauensschutz
begründenden Rechtspositionen - als auch nach der Einbringung des
Gesetzentwurfs in den Niedersächsischen Landtag am 22.05.2012 - mithin zu
einem Zeitpunkt, in dem eine sichere Kenntnis der geänderten Regelungen
des GlüStV aus einer verlässlichen und allgemein öffentlich zugänglichen
Quelle möglich gewesen ist - unterzeichnet worden.
3. Ob sich die verfassungsrechtlichen Bedenken durch Anwendung der
fünfjährigen Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV auf die
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streitgegenständlichen Spielhallen der Antragstellerin - entgegen dessen
eindeutigen Wortlauts (vgl. BVerfG, U. v. 30.03.2004, 2 BvR 1520/01, juris Rn.
145; BVerfG, U. v. 20.03.2002, 2 BvR 794/95 juris Rn. 79; BVerfG, B. v.
27.01.1998, 1 BvL 22/93 juris Rn. 34) und trotz der gebotenen Zurückhaltung
bei der gerichtlichen Anpassung gesetzlicher Übergangsregelungen (vgl.
BVerfG, B. v. 08.12.1976, 1 BvR 810/70, juris Rn. 73) - im Wege der
verfassungskonformen Auslegung der Stichtagsreglung des § 29 Abs. 4 Satz
2 und 3 GlüStV beseitigen lassen oder ob es einer Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG bedarf, weil
sich das Verbot von Mehrfachkonzessionen mangels verfassungsrechtlich
hinreichender Übergangsregelungen für bestimmte Altfälle als
unverhältnismäßig erweist, kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren
dahingestellt bleiben. Selbst wenn eine verfassungsgerichtliche Vorlage
erforderlich sein sollte, wäre das erkennende Fachgericht nicht an der
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gehindert. Das dem
Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Verwerfungsmonopol hat zwar zur
Folge, dass ein Gericht Folgerungen aus der (von ihm angenommenen)
Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes - jedenfalls im
Hauptsacheverfahren - erst nach deren Feststellung durch das
Bundesverfassungsgericht ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch
Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren
einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der
Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren,
wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven
Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch
nicht vorweggenommen wird (BVerfG, B. v. 24.06.1992, 1 BvR 1028/91, juris
Rn. 29; BVerfG, B. v. 14.08.2013, 2 BvR 1601/13, juris Rn. 3). Diese
Voraussetzungen sind hier gegeben. Angesichts der andernfalls von der
Antragstellerin vorzunehmenden Betriebsschließung überwiegt hier das Gebot
effektiven Rechtsschutzes die teilweise Vorwegnahme der Hauptsache in
Bezug auf den in § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV geregelten fünfjährigen
Übergangszeitraum.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 53 Abs. 2 Nr.2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m.
Nr. 1.5 Satz 1 Alt. 1, Nr. 54.2.1 Streitwertkatalog (3 x 15.000 € / 2).