Urteil des VG Göttingen vom 17.02.2014

VG Göttingen: aufschiebende wirkung, verordnung, europäische menschenrechtskonvention, subjektives recht, mitgliedstaat, asylbewerber, überstellung, abschiebung, wiederaufnahme, emrk

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Art. 16 Abs. 3 Dublin II Verordnung (jetzt: Art. 19 Abs. 2 Dublin III
Verordnung) verleiht dem Asylbewerber kein subjektives öffentliches Recht.
VG Göttingen 2. Kammer, Beschluss vom 17.02.2014, 2 B 31/14
Art 16 Abs 3 EGV 343/2003
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes wird
abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht
erhoben.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 28. Januar 2014 gegen die in
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Januar 2014 enthaltene
Abschiebungsanordnung anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 AsylVfG zulässig,
aber unbegründet.
Die angegriffene Abschiebungsanordnung stellt sich unter Zugrundelegung
der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Sach- und Rechtslage bei
der Prüfung im Eilverfahren als offensichtlich rechtmäßig dar. Denn nach der
vorliegenden Aktenlage hat das Bundesamt zu Recht entschieden, dass der
am 18.November 2013 in der Bundesrepublik Deutschland gestellte
Asylantrag des Antragstellers unzulässig ist, und dessen Abschiebung nach
Schweden angeordnet. Daher hat das Aussetzungsinteresse des
Antragstellers hinter das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der
Abschiebungsanordnung zurückzutreten.
Gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in
einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung
des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden
soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie
durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag
in einem anderen aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union
oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des
Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des
Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und
Fristsetzung bedarf es nicht.
Die Klage des Ausländers gegen die Abschiebungsanordnung hat gem. § 75
AsylVfG keine aufschiebende Wirkung. In Verfahren dieser Art kann
einstweiliger Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nach Maßgabe des
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§ 34a Abs. 2 AsylVfG gewährt werden. Hiernach sind Anträge nach § 80 Abs.
5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach
Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung
vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig.
Maßgeblich für die Frage der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags ist
hier noch allein die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar
2003 (Dublin II-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO finden nach
Art. 49 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) auf Asylanträge, die vor
dem 01. Januar 2014 gestellt worden sind, weiterhin Anwendung. Die
unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung ab dem 01. Januar 2014
vorgesehene Anwendbarkeit der Dublin III-VO für Aufnahme- und
Wiederaufnahmegesuche bezieht sich jedenfalls nicht auf - wie hier - bereits
vor diesem Stichtag gestellte und beantwortete Gesuche (vgl. VG Hannover,
Beschluss vom 9. Januar 2014 - 1 B 7895/13 -, juris; VG Oldenburg,
Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 B 7136/13 -, juris).
Die Zuständigkeit Schwedens für die Durchführung des Asylverfahrens des
Antragstellers ergibt sich somit vorliegend aus Art. 13 Dublin II-VO
(Generalklausel). Hiernach ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag
gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig, sofern sich anhand der Kriterien
dieser Verordnung nicht bestimmen lässt, welchem Mitgliedstaat die Prüfung
des Asylantrags obliegt. Der Antragsteller hat am 14. Januar 2008 in
Schweden einen Asylantrag gestellt. Dieser Antrag ist bestandskräftig
abgelehnt worden, woraufhin der Antragsteller eigenen Angaben zufolge
Schweden im November 2010 freiwillig verlassen hat, um in sein Heimatland
Irak zurückzukehren. Auf das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom
27. November 2013 hat Schweden unter dem 03. Dezember 2013 seine
Zuständigkeit für das Asylverfahren des Klägers erklärt.
Mit seinem Vortrag, der Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Januar 2014
sei deshalb rechtswidrig, weil Schweden eine Zustimmungserklärung zu seiner
Wiederaufnahme nicht habe abgeben dürfen, vermag der Antragsteller nicht
durchzudringen. Wenn der Vortrag des Antragstellers zutreffen sollte,
Schweden im Jahr 2010 verlassen zu haben und in den Irak gereist zu sein,
wäre allerdings die Verpflichtung Schwedens zur Wiederaufnahme nach Art.
16 Abs. 3 Dublin II-VO erloschen, weil sich der Antragsteller länger als drei
Monate außerhalb des Hoheitsgebiets von Schweden aufgehalten hätte. Indes
verleiht diese Bestimmung dem Antragsteller ein subjektives öffentliches
Recht, auf das er sich in diesem Verfahren berufen könnte, nicht. Die Kammer
schließt sich der in der Literatur vertretenen Auffassung an, wonach ein
Asylbewerber im Verfahren nach § 34 a Abs. 2 AsylVfG mit Erfolg nur Gründe
geltend machen kann, die die Überstellung in einen Mitgliedstaat als
Verletzung der EMRK erscheinen lässt. Ansonsten ist es mit dem
völkerrechtlichen System der Dublin II- Verordnung unvereinbar, die Richtigkeit
einer Zustimmungserklärung durch einen Mitgliedstaat im zwischenstaatlichen
Verfahren nach Art. 17 und 18 Dublin II-VO durch nationale
Rechtsmittelinstanzen neu aufzurollen. Derartige Fragen lassen sich aber
allenfalls im europarechtlichen Vertragsverletzungsverfahren durch den EuGH
entscheiden, nicht aber durch nationale Gerichte. Die Dublin II-Verordnung
kennt ihrem System nach nicht das Recht des Einzelnen, wonach bei jeder
fehlerhaften Anwendung der Verordnung ein subjektives Recht des Einzelnen
entstünde, dass sein Verfahren im Antragstaat durchgeführt wird. Umgekehrt
ist die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, sich darüber zu vergewissern, ob sich
die schwedischen Behörden zurecht für zuständig erachtet haben (VG
Hamburg, Beschluss vom 22.09.2005 -13 AE 555/05-, allerdings ohne nähere
Begründung; Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung, 3. Aufl., Art. 19 Anm. K
10; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27 a Rn. 40 ff. und § 34 a Rn. 39). Etwas
anderes mag gelten, wenn das Konsultationsverfahren und die daraus
folgende Zustimmung grob fehlerhaft gewesen ist, etwa, weil der anfragende
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Staat, hier die Antragsgegnerin, dem ersuchten Staat wichtige Informationen
vorenthalten hat; hierfür ist hier nichts ersichtlich.
Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Januar 2014 und
die darin vorgesehene Abschiebung des Antragstellers nach Schweden,
verletzt ihn nicht in Rechten, die durch die Europäische
Menschenrechtskonvention geschützt sind.
Gesundheitliche, oder sonstige individuelle Gründe die einer Überstellung
nach Schweden entgegenstehen könnten, hat der Antragsteller nicht geltend
gemacht und sind für das Gericht auch nicht ersichtlich.
Dem Antragsteller steht auch kein Anspruch auf Ausübung des
Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zu. Danach kann jeder
Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag
prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht
für die Prüfung zuständig ist. Eine Verpflichtung zur Ausübung des
Selbsteintrittsrechts kommt in Betracht, wenn die Überstellung eines
Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedstaat mit Art. 4 der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) bzw. dem gleichlautenden Art. 3
der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unvereinbar wäre.
Denn es obliegt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
den Mitgliedsstaaten wie den nationalen Gerichten, einen Asylbewerber nicht
in einen nach der Dublin II-VO zuständigen Mitgliedsstaat zu überstellen, wenn
die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen
für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen
bestätigte Gründe für die Annahme geben, dass der Asylbewerber im Falle
einer Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden
Behandlung ausgesetzt zu werden (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-
411/10 u. a. -, NVwZ 2012, 417). Derartige systemische Mängel des
Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Schweden sind nicht
feststellbar und werden auch von dem Antragsteller nicht geltend gemacht
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
Da der Antrag keinen Erfolg hat, war der darauf gerichtete
Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).