Urteil des VG Gießen vom 11.01.2011

VG Gießen: aufschiebende wirkung, steuerpflicht, hundesteuer, magistrat, meldepflicht, geburt, stadt, satzung, halter, rasse

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 L 5126/10.GI
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 80 VwGO
Hundesteuer
Leitsatz
Zum Entstehen der Steuerpflicht für Welpen, die dem Halter durch Geburt von einer
von ihm gehaltenen Hündin zuwachsen.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.06.2010 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 71,67 EUR festgesetzt.
Gründe
Der am 21.10.2010 bei Gericht eingegangene Antrag des Antragstellers,
die Vollstreckung der Hundesteuer …für die Gemeindekasse A-Stadt
einstweilen einzustellen, bis über den Rechtsbehelf entschieden wurde, hilfsweise
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen,
ist sinngemäß dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller begehrt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Hundesteuerbescheid
der Antragsgegnerin vom 30.06.2010 anzuordnen.
Aus dem gesamten Vorbringen des Antragstellers wird ersichtlich, dass dieser sich
im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen Vollzug des Bescheides vom
30.06.2010 wendet, so dass ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO der hierfür
einschlägige Rechtsbehelf ist.
Dieser Antrag ist zulässig; insbesondere ist er im Hinblick auf die Regelung des §
80 Abs. 6 VwGO auch statthaft, weil eine Vollstreckung des Bescheides vom
30.06.2010 droht.
Dem Antragsteller fehlt nicht das Rechtsschutzinteresse. Der Bescheid vom
30.06.2010 ist - entgegen der Annahme der Antragsgegnerin - nicht in
Bestandskraft erwachsen. Der Antragsteller hat im vorliegenden Verfahren mit
seiner Antragsschrift vom 19.10.2010 zugleich noch fristgerecht Widerspruch
erhoben, der der Antragsgegnerin mit Zustellung der Antragsschrift auch
zugegangen ist.
Der Bescheid vom 30.06.2010 wurde dem Antragsteller am 02.07.2010
ausweislich der hierüber aufgenommenen Zustellungsurkunde zugestellt. Die dem
Bescheid beigegebene Rechtsbehelfsbelehrung ist aber fehlerhaft, so dass ein
Fristenlauf für die Einlegung eines Widerspruchs (§ 70 Abs. 1 VwGO) nicht in Gang
gesetzt worden ist.
In der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 30.06.2010 ist die Behörde,
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In der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 30.06.2010 ist die Behörde,
bei welcher der Rechtsbehelf einzulegen war, nicht richtig angegeben. Nach § 58
Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für einen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der
Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei
denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist
schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Die Rechtsbehelfsbelehrung zu
dem Bescheid vom 30.06.2010 führt aus, dass gegen diesen Bescheid innerhalb
eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift bei
dem „Magistrat“ der Gemeinde A-Stadt, C-Straße, A-Stadt erhoben werden kann.
Während im Kopf des Bescheides der Gemeindevorstand als die den Bescheid
erlassende Behörde zutreffend ausgewiesen wird, ist mit der Angabe, Widerspruch
könne beim Magistrat eingelegt werden, die zur Entgegennahme des Widerspruchs
zuständige Behörde nicht richtig bezeichnet worden. Zwar ist auch der Magistrat
ein Gemeindevorstand, denn dieser führt in Städten die Bezeichnung Magistrat (§
9 Abs. 2 HGO). Eine solche Rechtskenntnis kann aber von einem
durchschnittlichen Empfänger eines gemeindlichen Steuerbescheides nicht
erwartet werden. Insoweit besteht vielmehr die Gefahr, dass dieser durch die
unterschiedlichen Behördenbezeichnungen in ein und demselben Bescheid irritiert
und von der Einlegung eines Rechtsbehelfs abgehalten wird. Im Ergebnis jedenfalls
erschwert die fehlerhafte Bezeichnung der Behörde das Einlegen eines
Rechtsbehelfs, so dass die Belehrung im Sinne des § 58 Abs. 1 VwGO als nicht
ordnungsgemäß erfolgt zu qualifizieren ist. Ist aber die Belehrung unrichtig erteilt,
so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung
zulässig (§ 58 Abs. 2 VwGO).
Der Antrag ist auch begründet.
In Abgabesachen kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines
erhobenen Widerspruchs und einer nachfolgenden Anfechtungsklage gemäß § 80
Abs. 5 VwGO nur in Betracht, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und
Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg.
Dies folgt aus der Wertung des Gesetzgebers, der mit dem in § 80 Abs. 2 Nr. 1
VwGO geregelten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und
Klage bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben - um eine solche handelt es
sich vorliegend - zum Ausdruck gebracht hat, dass eine solche Abgabe im Zweifel
zunächst zu erbringen ist und dass das Risiko, im Ergebnis möglicherweise zu
Unrecht in Vorleistung treten zu müssen, den Zahlungspflichtigen trifft.
Dementsprechend ist ein Aussetzungsantrag gemäß der Norm des § 80 Abs. 4 S.
1 VwGO, die vorliegend entsprechend anzuwenden ist, nur dann erfolgreich, wenn
der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ernstliche Zweifel begegnen
oder die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Bei Beachtung dieses Maßstabes ist im Rahmen des nur eine kursorische Prüfung
der Sach- und Rechtslage zulassenden vorliegenden Eilverfahrens festzustellen,
dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Hundesteuerbescheides bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit sind
dann anzunehmen, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache
wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg (vgl. Hess. VGH, B. v. 26.03.2008 - 8 TG
2493/07 -, LKRZ 2008, 186). Dies ist vorliegend der Fall, weil der Bescheid vom
30.06.2010 offensichtlich rechtswidrig ist.
Rechtsgrundlage für den Abgabenbescheid ist die Satzung der Antragsgegnerin
über die Erhebung einer Hundesteuer in der Fassung vom 07.12.1998, zuletzt
geändert durch 3. Änderungssatzung vom 26.04.2010. Auf der Grundlage dieser
Satzung konnte der Antragsteller nicht zu der angegriffenen Hundesteuer
veranlagt werden. Nach den im vorliegenden Eilverfahren gewonnenen
Erkenntnissen ist eine steuerpflichtige Hundehaltung durch den Antragsteller
entsprechend der steuerlichen Veranlagung im Bescheid vom 30.06.2010 nämlich
nicht feststellbar.
Gemäß § 3 der Hundesteuersatzung entsteht die Steuerpflicht bei Hunden, die
dem Halter durch Geburt von einer von ihm gehaltenen Hündin zuwachsen, mit
dem Ersten des Monats, in dem der Hund drei Monate alt wird. Ausweislich des
Schreibens der Antragsgegnerin vom 28.07.2010 bezieht sich die
Steuerfestsetzung vom 30.06.2010 (in diesem Schreiben als „amtsseitige
Festsetzung vom 29.06.2010“ bezeichnet) auf drei Hunde der Rasse „Perro de
Presa Canario“, und zwar für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.12.2010.
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Für diese Hunde bestand am 30.06.2010 noch keine Steuerpflicht. Die durch den
Bescheid veranlagten Hunde, die dem Antragsteller durch Haltung einer Hündin
zugewachsen sind (vgl. Bl. 57 d. GA, Vermerk der Antragsgegnerin vom
19.07.2010), waren zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch keine drei Monate
alt. Dies ergibt sich aus der Begutachtung der Tiere am 19.07.2010. Hierbei wurde
festgestellt, dass die Hunde zu diesem Zeitpunkt erst ca. zehn Wochen alt waren.
Die Antragsgegnerin kann in diesem Zusammenhang zur Verteidigung ihres
Bescheides auch nicht damit gehört werden, dass wegen einer zu früh erfolgten
Festsetzung die Aufhebung des Bescheides nicht verlangt werden könne, weil die
Steuer zwischenzeitlich jedenfalls entstanden sei.
Abgesehen davon, dass bei einer mittlerweile entstandenen Steuerpflicht der
Antragsteller nur zu einer anteiligen Jahressteuer hätte veranlagt werden können
(vgl. § 4 Abs. 2 der Hundesteuersatzung der Antragsgegnerin), ist für die Kammer
bereits nicht feststellbar, dass die Steuerpflicht des Antragstellers nach Erlass des
Bescheides vom 30.06.2010 entstanden ist.
Der Antragsteller hat hierzu vorgetragen, die besagten Hunde vor Entstehen der
Steuerpflicht veräußert zu haben. Diese Angabe vermochte die Antragsgegnerin
im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht zu widerlegen. Soweit sie in
diesem Zusammenhang darauf verweist, der Antragsteller sei zur Meidung einer
Steuerpflicht gehalten gewesen, die Veräußerung der Hunde ihr gegenüber
anzuzeigen und deren Erwerber mit Namen und Anschrift zu benennen, ist dies
nicht zutreffend. Eine solche Mitteilungspflicht dürfte vorliegend nicht bestanden
haben.
Die Veräußerungsanzeige, die in § 10 Satz 3 der Hundesteuersatzung der
Antragsgegnerin geregelt ist, steht im Zusammenhang mit der in § 10 Satz 1 der
Satzung normierten Meldepflicht für gehaltene Hunde. Ein Hund, der dem
Hundehalter durch Geburt von einer von ihm gehaltenen Hündin zuwächst, ist
hiernach erst innerhalb von zwei Wochen, nachdem der Hund drei Monate alt
geworden ist, bei der Antragsgegnerin unter Angabe der Rasse und der
Abstammung des Tieres schriftlich anzumelden.
Vorliegend ist nicht feststellbar, dass die besagten Hunde in dem Zeitraum ihrer
Haltung durch den Antragsteller dieses meldepflichtige Alter erreicht haben und
der Antragsteller deshalb der Meldepflicht hätte nachkommen müssen. Bestand
aber gegenüber der Antragsgegnerin bereits keine Meldepflicht für diese Hunde,
dann ist auch deren Veräußerung nicht mitzuteilen.
Erkenntnisse darüber, dass der Antragsteller die Hunde erst nach Entstehen der
Meldepflicht (und damit auch der Steuerpflicht) veräußert hat, liegen nicht vor. Mit
bei der Antragsgegnerin am 25.08.2010 eingegangenem Schreiben teilte der
Antragsteller dieser mit, die im Juli 2010 sichergestellten und anschließend wieder
herausgegebenen Hunde befänden sich nicht mehr in seinem Besitz. Weiter führte
er aus, nicht vorgehabt zu haben, diese zu behalten, so dass auch kein Anlass
bestanden habe, die Hunde anzumelden. Anhaltspunkte dafür, dass diese
Angaben des Antragstellers unzutreffend sind, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende
Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wurde gemäß §§ 52, 53 GKG festgesetzt, wobei
die Kammer ein Drittel der angegriffenen Steuerforderung für das vorliegende
Verfahren zugrunde gelegt hat.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.