Urteil des VG Gießen vom 22.06.2004

VG Gießen: gerichtshof für menschenrechte, stadt, passives wahlrecht, einspruch, bekanntmachung, wahlergebnis, zustellung, wiederholung, inhaber, wahlberechtigter

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 E 268/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 30 GemO HE, § 50 KomWG
HE, § 25 KomWG HE, § 27
KomWG HE
Klage gegen Gültigkeit einer Bürgermeisterwahl durch
Inhaber einer Nebenwohnung
Leitsatz
Zur Erhebung einer Klage gegen die Gültigkeit einer Bürgermeister-Direktwahl sind nur
Wahlberechtigte des Wahlkreises berechtigt. Das Innehaben einer Nebenwohnung
genügt hierfür nicht.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, falls die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in
entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger hat einen Nebenwohnsitz in A-Straße, A-Stadt. Mit Schreiben vom
15.01.2004 begehrte der Kläger von der Beklagten, der Stadt A-Stadt, die
Mitteilung, aufgrund welcher Rechtsgrundlagen die Bürgermeisterwahl in A-Stadt
vom 25.01.2004 durchgeführt werde. Am 25.01.2004 teilte der Kläger der
Beklagten mit, er werde eine Völkerrechtsbeschwerde zum Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte erheben.
Die Direktwahl des Bürgermeisters der Stadt A-Stadt fand am 25.01.2004 statt.
Gewählt wurde der Bewerber J. Das Wahlergebnis wurde am 04.02.2004 bekannt
gemacht.
In der Sitzung vom 29.03.2004 wies die Stadtverordnetenversammlung der
Beklagten die als Einspruch gegen die Gültigkeit der Bürgermeisterwahl
gewerteten Schreiben des Klägers zurück und erklärte die Direktwahl des
Bürgermeisters vom 25.01.2004 für gültig.
Mit Verfügung vom 31.03.2004 teilte die Beklagte dem Kläger den Beschluss der
Stadtverordnetenversammlung vom 29.03.2004 mit. Die Rechtsbehelfsbelehrung
enthielt folgenden Zusatz: „Die Klage ist gegen die
Stadtverordnetenversammlung der Stadt A-Stadt zu richten.“
Am 22.01.2004 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Ansicht, die
Bundesrepublik Deutschland sei untergegangen und ihr Rechtssystem nicht
anwendbar. Er habe zudem unabhängig von der Frage, an welchem Ort er einen
Hauptwohnsitz begründet habe, das Recht der Anfechtung der genannten
Bürgermeisterwahl. Für die vorliegende Streitigkeit sei ferner nicht das
Verwaltungsgericht Gießen, sondern der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte zuständig.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Wahl des Bürgermeisters der Stadt A-Stadt vom 25.01.2004 für ungültig zu
erklären und die Wiederholung der Wahl im ganzen Wahlkreis anzuordnen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Beklagte sei nicht passivlegitimiert. Richtiger Beklagter sei
ausschließlich die Stadtverordnetenversammlung. Darauf sei der Kläger auch
ausdrücklich hingewiesen worden. Zudem sei der Kläger nicht wahlberechtigter
Einwohner der Stadt A-Stadt. Er sei dort nämlich lediglich mit Nebenwohnsitz
gemeldet. Der Kläger habe schließlich substantiiert keine Wahlanfechtungsgründe
vorgetragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese ist ebenso wie die Behördenakte (2
Hefter) Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Das Verwaltungsgericht Gießen ist für die Entscheidung der vorliegenden
Wahlanfechtungsstreitigkeit zuständig. Nach §§ 41, 27 KWG ist das
Verwaltungsgericht für eine Klage gegen die Gültigkeit einer Bürgermeisterwahl zur
Entscheidung berufen.
Der Kläger hat auch die Einspruchsfrist gemäß §§ 41, 25 KWG gewahrt. Hiernach
kann jeder Wahlberechtigte des Wahlkreises binnen einer Ausschlussfrist von zwei
Wochen nach der Bekanntmachung des Wahlergebnisses Einspruch gegen die
Gültigkeit der Wahl erheben. Unschädlich ist insofern, dass der Kläger seinen
Einspruch bereits vor der Bekanntmachung des Wahlergebnisses erhob. Die als
Einspruch gewerteten Schreiben des Klägers datieren nämlich vom 15.01.2004
bzw. vom 25.01.2004, während die Bekanntmachung des Wahlergebnisses erst
am 04.02.2004 bzw. am 31.03.2004 erfolgte. Ein Einspruch gegen die Gültigkeit
einer Wahl kann nämlich bereits vor der Bekanntmachung des Wahlergebnisses
erhoben werden (Hess. VGH, U. v. 12.06.2003 - 8 UE 2250/02 -, HSGZ 2003, 435,
437).
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Kläger ist für die vorliegende Klage nicht aktivlegitimiert. Nach §§ 41, 25 Abs. 1
KWG sind - neben den Sonderfällen des § 49 KWG, die hier aber ersichtlich nicht
vorliegen - nur Wahlberechtigte des Wahlkreises zur Erhebung eines Einspruchs
gegen die Gültigkeit einer Wahl und somit auch zur Klage legitimiert.
Wahlberechtigt ist gemäß § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 HGO, wer am Wahltag seit
mindestens drei Monaten in der Gemeinde seinen Wohnsitz hat. Nach § 30 Abs. 1
S. 2 HGO gilt bei Inhabern von Haupt- und Nebenwohnungen der Ort der
Hauptwohnung als Wohnsitz. Hierbei beurteilt sich nach den Vorschriften des
Melderechts, welche von mehreren Wohnungen die Hauptwohnung ist
(Hannappel/Meireis, Leitfaden für die Vorbereitung und Durchführung der
Direktwahlen im Lande Hessen, Ausgabe 2003, Rdnr. 45). Ausweislich der
Aufenthaltsbescheinigung der Beklagten vom 19.02.2004 (Bl. 124 d. BA) hat der
Kläger in der beklagten Stadt jedoch nur eine Nebenwohnung inne und ist daher
vorliegend nicht Wahlberechtigter. Die Beschränkung der
Anfechtungsberechtigung in § 25 Abs. 1 KWG auf Wahlberechtigte dient dem
Zweck, eine so genannte Popularwahlanfechtung auszuschließen. Nur natürliche
Personen, deren aktives oder passives Wahlrecht während einer Wahlhandlung
berührt sein kann, sollen mit ihrem Namen und Ansehen für eine Anfechtung der
Wahl einstehen (Saftig, Kommunalwahlrecht in Deutschland, 1990, S. 413 f.).
Zudem ist die Beklagte für das vorliegende Verwaltungsstreitverfahren nicht
passivlegitimiert. Nach §§ 41, 27 S. 2 KWG ist eine Wahlanfechtungsklage gegen
die Vertretungskörperschaft und nicht gegen die Stadt selbst zu richten. Hierüber
ist der Kläger auch in dem Schreiben der Beklagten vom 31.03.2004 (Bl. 120 d.
BA) ausdrücklich belehrt worden. So enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung folgenden
Zusatz: „Die Klage ist gegen die Stadtverordnetenversammlung der Stadt A-Stadt
zu richten.“ Gleichwohl erhob der Kläger seine Klage ausdrücklich gegen die Stadt
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zu richten.“ Gleichwohl erhob der Kläger seine Klage ausdrücklich gegen die Stadt
A-Stadt (vgl. Bl. 2 d. A.). Eine Auslegung oder Umdeutung dahingehend, der Kläger
habe die Klage dennoch gegen die Stadtverordnetenversammlung der Stadt A-
Stadt richten wollen, scheidet folglich aus. Trotz Belehrung über den richtigen
Beklagten hat der Kläger nämlich einen anderen Beklagten gewählt und diesen
auch eindeutig bezeichnet.
Schließlich sind Wahlanfechtungsgründe weder substantiiert vorgetragen worden
noch ersichtlich. Nach §§ 41, 27 i.V.m. 50 Nr. 2 KWG ist die Wiederholung der Wahl
anzuordnen, wenn beim Wahlverfahren Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind,
die auf das Ergebnis von Einfluss gewesen sein können. Eine Unregelmäßigkeit
beim Wahlverfahren im Sinne des § 50 Nr. 2 KWG ist gegeben, wenn gegen
Bestimmungen des Kommunalwahlgesetzes oder der zur Ausführung dieses
Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen oder gegen allgemeine Wahlgrundsätze
verstoßen wird. Zum Wahlverfahren gehören der eigentliche Wahlakt sowie die
Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane und Wahlbehörden bei
Erledigung ihrer Aufgaben der Vorbereitung, Überwachung, Durchführung und
Auswertung der Wahl. Eine Unregelmäßigkeit beim Wahlverfahren führt zur
Ungültigerklärung der Wahl, wenn sie auf das Wahlergebnis von Einfluss gewesen
sein kann, was dann der Fall ist, wenn unter den im Einzelfall gegebenen
Umständen nicht nur eine theoretische, sondern eine konkrete und nach der
Lebenserfahrung nicht ganz fernliegende Möglichkeit bestand, dass es ohne die
Unregelmäßigkeit zu einem anderen Wahlergebnis gekommen wäre. Erst die
Möglichkeit der Auswirkung eines Wahlfehlers auf das Ergebnis, wer gewählt ist,
führt somit zur Aufhebung der Wahl (vgl. VG Gießen, U. v. 30.07.1997 - 8 E
1773/96 -, S. 8 UA). Wahlanfechtungsgründe in diesem Sinne sind hier weder
geltend gemacht noch vorgetragen worden, noch sonstwie ersichtlich. Dass die
Bundesrepublik Deutschland untergegangen und ihr Rechtssystem nicht
anwendbar sei, ist abwegig, was die Kammer dem Kläger bereits mit Beschluss
vom 22.01.2004 - 8 G 267/04 -, S. 3 BA, dargelegt hat.
Der Kläger hat als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154
Abs. 1 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre rechtliche
Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung
Die Beteiligten können die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil
beantragen. Der Antrag muss durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an
einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit
Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten gestellt werden. Juristische
Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte
oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren
Dienst, Gebietskörperschaften auch durch entsprechend befähigte Beamte oder
Angestellte der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen
Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In
Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie
der damit in Zusammenhang stehenden Angelegenheiten des Sozialhilferechts
sind vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof als Prozessbevollmächtigte auch
Mitglieder und Angestellte von Verbänden im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 3
Sozialgerichtsgesetz und von Gewerkschaften zugelassen, sofern sie kraft Satzung
oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind. In Abgabenangelegenheiten
sind vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof als Prozessbevollmächtigte auch
Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zugelassen. In Angelegenheiten, die
Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung betreffen,
in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem
Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von
Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen einschließlich
Prüfungsangelegenheiten, sind vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof als
Prozessbevollmächtigte auch Mitglieder und Angestellte von Gewerkschaften
zugelassen, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugt
sind.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach
Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht
Gießen, Marburger Str. 4, 35390 Gießen zu stellen. Er muss das angefochtene
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Gießen, Marburger Str. 4, 35390 Gießen zu stellen. Er muss das angefochtene
Urteil bezeichnen.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die
Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei
dem Verwaltungsgericht Gießen einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen,
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten
aufweist,
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des
Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe
des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser
Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender
Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer mangels
anderer Anhaltspunkte den gesetzlich bestimmten Auffangstreitwert zugrunde
gelegt hat.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen die Streitwertfestsetzung steht den Beteiligten die Beschwerde zu, wenn
der Wert des Beschwerdegegenstandes 50,-- € übersteigt.
Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Gießen, Marburger Str. 4, 35390
Gießen schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
einzulegen.
Sie ist nur innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der
Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat,
zulässig.
Soweit der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt
wird, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Streitwertfestsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.