Urteil des VG Gießen vom 01.02.2011

VG Gießen: schutz der ehe, europäisches recht, gleichstellung, vollstreckung, verfassungsrecht, rechtfertigung, anpassung, hessen, eugh, einzelrichter

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Gericht:
VG Gießen 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 K 1336/09.GI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 40 Abs 1 Nr 1 BBesG, Art 17
LPartG, Art 2 Abs 2a EGRL
78/2000
Familienzuschlag der Stufe 1 für in eingetragener
Lebenspartnerschaft lebende Beamte
Leitsatz
In Hessen steht Beamten und Beamtinnen, die in einer eingetragenen
Lebenspartnerschaft leben, seit dem 01.07.2009 ein Anspruch auf Familienzuschlag der
Stufe 1 zu (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 28.10.2010 - 2 C 21.09).
Tenor
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Gewährung des
Familienzuschlags der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG für die Zeit ab
01.04.2010 begehrt hat.
2. Der Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des
Regierungspräsidiums Kassel vom 02.08.2010 verpflichtet, der Klägerin auch für
den Zeitraum vom 01.07.2009 bis 31.03.2010 den Familienzuschlag der Stufe 1
nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens haben die Klägerin zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3 zu
tragen.
4. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung nach Maßgabe
der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die am 13.02.1943 geborene Klägerin stand bis zu ihrer mit Ablauf des 31.07.2006
auf eigenen Antrag erfolgten Versetzung in den Ruhestand in dem Schuldienst des
Beklagten. Am 27.01.2005 begründete sie eine eingetragene
Lebenspartnerschaft.
Mit Bescheid vom 08.06.2006 setzte das Regierungspräsidium Kassel die der
Klägerin ab dem 01.08.2006 zustehenden Versorgungsbezüge fest. Hierbei
berücksichtigte die Behörde keinen Familienzuschlag. Mit Bescheid vom
16.10.2006 teilte das Regierungspräsidium Kassel der Klägerin mit, der
Berechnung ihrer Versorgungsbezüge werde ab dem 01.08.2006 der
Familienzuschlag der Stufe 1 wegen Haushaltsaufnahme ihrer Lebenspartnerin
zugrunde gelegt. Der Anspruch entfalle, sobald die Einkünfte der Lebenspartnerin
das Sechsfache des Familienzuschlags der Stufe 1 überschritten. Mit Bescheid
vom 02.08.2010 teilte das Regierungspräsidium Kassel der Klägerin unter Hinweis
auf das Gesetz zur Anpassung der Rechtsstellung von Lebenspartnerschaften und
zur Änderung des Hessischen Abgeordnetengesetzes vom 26.03.2010 mit, der
Berechnung ihres Ruhegehaltes werde ab dem 01.04.2010 der Familienzuschlag
der Stufe 1 zugrunde gelegt.
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Bereits mit bei Gericht am 14.11.2006 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin
mit dem Ziel Klage erhoben, ihr für die Dauer des Zusammenlebens mit ihrer
Lebenspartnerin Familienzuschlag nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG zu gewähren. Mit
Beschlüssen vom 04.01.2007 – 5 E 3876/06 – und vom 22.10.2008 – 5 K
1877/08.GI – hat das Gericht jeweils das Ruhen des Verfahrens angeordnet. In der
mündlichen Verhandlung am 04.10.2010 haben die Beteiligten die Hauptsache
übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit die Klägerin den Familienzuschlag der
Stufe 1 ab dem 01.04.2010 begehrt hat.
Die Klägerin trägt vor, der Bescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom
16.10.2006 sei rechtswidrig, da ihr aufgrund ihrer eingetragenen
Lebenspartnerschaft ein Anspruch auf den finanziell unbegrenzten
Familienzuschlag nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG zustehe. Andernfalls seien ihre
Grundrechte aus Gleichbehandlung und auf Schutz der Ehe und Familie berührt.
Zudem sei auch ein Verstoß gegen europäisches Recht aus der Richtlinie
2000/78/EG gegeben.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des
Regierungspräsidiums Kassel vom 02.08.2010 zu verpflichten, der Klägerin für die
Zeit vom 01.08.2006 bis 31.03.2010 den Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40
Abs. 1 Nr. 1 BBesG zu gewähren, hilfsweise,
festzustellen, dass die Nettoversorgungsbezüge der Klägerin aufgrund des in der
Zeit vom 01.08.2006 bis 31.03.2010 nicht berücksichtigten Familienzuschlags der
Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG zu niedrig bemessen waren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, nachdem die rechtlichen Voraussetzungen zur Berücksichtigung des
Familienzuschlags der Stufe 1 ab dem 01.04.2010 vorlägen, könne frühestens ab
diesem Zeitpunkt die Änderung berücksichtigt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte (ein Hefter)
Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO
einzustellen, soweit die Beteiligten es in der mündlichen Verhandlung vom 4.
Oktober 2010 übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Dies betrifft den
streitgegenständlichen Zeitraum ab 01.04.2010. Für diesen Zeitraum hat der
Beklagte durch Bescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 02.08.2010
festgestellt, der Berechnung des Ruhegehaltes der Klägerin werde nunmehr der
Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG zugrunde gelegt.
Über den anhängig gebliebenen Teil der Klage entscheidet der Einzelrichter gem. §
101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne (weitere) mündliche
Verhandlung.
Die Klage ist zulässig.
Insbesondere mangelt es ihr nicht an dem für eine Sachentscheidung des Gerichts
notwendigen Rechtsschutzinteresse. Der Klägerin steht der geltend gemachte
Anspruch auf Gewährung von Familienzuschlag der Stufe 1 für den Zeitraum vom
01.08.2006 bis 31.03.2010 nicht bereits nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 BBesG zu. Dies hat
das Regierungspräsidium Kassel mit Bescheid vom 12.03.2009 für den Zeitraum
vom 01.01.2007 bis 31.12.2007 festgestellt. Für eine Abweichung der
tatsächlichen Verhältnisse für den vorangegangenen und anschließenden
Zeitraum fehlen jegliche Anhaltspunkte.
Die Klage ist jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Klägerin steht Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG nur
für den noch streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.07.2009 bis 31.03.2010 zu.
Für den davor liegenden Zeitraum, also die Zeit vom 01.08.2006 bis 30.06.2009,
besteht hingegen ein diesbezüglicher Anspruch nicht. Soweit der angefochtene
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besteht hingegen ein diesbezüglicher Anspruch nicht. Soweit der angefochtene
Bescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 02.08.2010 dem dargestellten
Anspruch der Klägerin entgegensteht, erweist sich die Behördenentscheidung als
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 5 VwGO).
Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Familienzuschlag der Stufe 1 nach §
40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG ab dem 01.07.2009 folgt aus der Anwendung der Richtlinie
2000/78/EG. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 28.10.2010 –
2 C 21.09 – festgestellt hat, befinden sich Beamte und Beamtinnen, die in einer
eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, seit dem 01.07.2009 in Bezug auf den
Familienzuschlag der Stufe 1 in einer vergleichbaren Situation wie verheiratete
Beamte. Die unionsrechtlich durch die Richtlinie 2000/78/EG gebotene
Gleichstellung verlange nunmehr, die Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG auch
auf die in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten und Beamtinnen
anzuwenden.
Thesenartig zusammengefasst hat das Bundesverwaltungsgericht Folgendes
ausgeführt:
Der Bundesgesetzgeber habe bei der Regelung des Familienzuschlags in § 40 Abs.
1 BBesG bewusst von einer Gleichstellung von verheirateten und in
Lebenspartnerschaft lebenden Beamten Abstand genommen. Die ausdrücklich an
die Ehe anknüpfende Regelung des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG besitze in erster Linie
eine soziale, nämlich familienbezogene Ausgleichsfunktion. Durch den
Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG wolle der Gesetzgeber
Ehen auch im Hinblick auf daraus hervorgehende Kinder fördern. Der Regelung
liege eine familienpolitische, auf den Familienstand der Ehe zugeschnittene
Zielsetzung zugrunde.
Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 01.04.2008 - C-267/06 -, NJW
2008, 1649) sei es Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten, darüber zu befinden,
ob eine Person wegen eines der in Art. 1 Richtlinie 2000/78/EG genannten Gründe
in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfahre als
eine andere Person. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil vom
17.07.2002 – 1 BvF 1, 2/01 – (BVerfGE 105, 313) zur Verfassungsmäßigkeit des
Lebenspartnerschaftsgesetzes i. d. F. des Gesetzes vom 11.12.2001 (BGBl. I S.
3513) dargelegt, dem Gesetzgeber sei es wegen des verfassungsrechtlichen
Schutzes der Ehe aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht verwehrt, diese gegenüber anderen
Lebensformen zu begünstigen. Darauf gestützt habe das
Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung die Auffassung vertreten, der
Gesetzgeber sei zwar berechtigt, nicht aber verfassungsrechtlich verpflichtet, den
Familienstand der eingetragenen Lebenspartnerschaft der Ehe gleichzustellen (vgl.
Urteil vom 26.01.2006 - 2 C 43.04 -, BVerwGE 125, 79). Die zuständige Kammer
des Bundesverfassungsgerichts habe diese Rechtsprechung bestätigt (vgl.
Beschlüsse vom 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, DVBl. 2007, 1431 und vom
06.05.2008 - 2 BvR 1830/06 -, NJW 2008, 2325).
Mit seinem Beschluss vom 07.07.2009 – 1 BvR 1164/07 – (BVerfGE 124, 199) habe
das Bundesverfassungsgericht der bislang anerkannten Rechtfertigung für die
Ungleichbehandlung von verheirateten und in eingetragener Lebenspartnerschaft
lebenden Beamten und Beamtinnen bei der Gewährung des Familienzuschlags der
Stufe 1 die Grundlage entzogen. Es sehe nunmehr eine unterschiedliche
Behandlung wegen der Betreuung und Erziehung von Kindern und darauf
zurückzuführende Lücken in der Erwerbsbiografie nicht mehr als gerechtfertigt an,
weil es nicht in jeder Ehe Kinder gebe, nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet sei
und eine Rollenverteilung, bei der ein Ehegatte deutlich weniger berufsorientiert
sei, nicht unterstellt werden dürfe. Vielmehr entspreche es dem Recht der
Ehegatten aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 GG, über die Art und Weise ihres
ehelichen Zusammenlebens in gleichberechtigter Weise selbst zu entscheiden.
Befänden sich Beamte und Beamtinnen, die in einer eingetragenen
Lebenspartnerschaft lebten, in Bezug auf den Familienzuschlag der Stufe 1
nunmehr in einer vergleichbaren Situation wie verheiratete Beamte und
Beamtinnen, so seien sie schlechter gestellt, weil ihnen der Zuschlag der Stufe 1
nicht bereits aufgrund des Familienstandes gewährt werde. Diese Benachteiligung
stelle eine unmittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung i. S. d.
Art. 1 Richtlinie 2000/78/EG dar. Auf diese Richtlinie könne sich ein Kläger/eine
Klägerin auch unmittelbar berufen. Weder mit dem Allgemeinen
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Klägerin auch unmittelbar berufen. Weder mit dem Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz vom 14.08.2006 (BGBl. I S. 1897) noch mit späteren
Änderungen habe der nationale Gesetzgeber die Gleichstellung von verheirateten
und verpartnerten Beamten und Beamtinnen beim Familienzuschlag der Stufe 1
vorgenommen. Die unvollständige Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG führe zu
deren unmittelbarer Anwendbarkeit, weil nur auf diese Weise dem
Gemeinschaftsrecht volle Wirksamkeit verschafft werden könne. Die
unionsrechtlichen Regelungen seien auch geeignet, unmittelbare Rechtswirkungen
zu entfalten; sie seien inhaltlich unbedingt und hinreichend genau.
Der besoldungsrechtliche Gesetzesvorbehalt nach § 2 Abs. 1 BBesG stehe der
Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG seit
dem 01.07.2009 nicht (mehr) entgegen. Er nehme nicht an den
Verfassungsgrundsätzen teil, die den Anwendungsvorrang des Unionsrechts in
Frage stellen könnten.
Das Gericht schließt sich diesen in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen
des Bundesverwaltungsgerichts an. Dementsprechend ist der Beklagte auf den
Hauptantrag der Klägerin zu verpflichten, dieser (auch) für den Zeitraum vom
01.07.2009 bis 31.03.2010 den Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr.
1 BBesG zu gewähren. Die vom Beklagten durch Art. 17 des Gesetzes zur
Anpassung der Rechtsstellung von Lebenspartnerschaften und zur Änderung des
Hessischen Abgeordnetengesetzes vom 26.03.2010 mit Wirkung vom 01.04.2010
in Bezug auf den Familienzuschlag der Stufe 1 vorgenommene Gleichstellung von
verheirateten und in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamtinnen
und Beamten trägt den dargestellten unionsrechtlichen Vorgaben nicht in
ausreichendem Maße Rechnung. Anders als der Beklagte hat die Bundesrepublik
Deutschland aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.10.2010
bereits Konsequenzen gezogen. Das Bundesministerium des Innern hat mit Erlass
vom 17.12.2010 – D 3 – 221 400/45 – die für die Anweisung der Dienst- und
Versorgungsbezüge zuständigen Dienststellen des Bundes angewiesen,
Besoldungs- und Versorgungsempfängern in Lebenspartnerschaften den
Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG rückwirkend seit dem
01.07.2009 zu gewähren, falls bereits in der Vergangenheit die
Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen haben.
Die von dem Beklagten mit Schriftsatz vom 11.01.2011 vorgebrachten Einwände
rechtfertigen keine andere Beurteilung. Insbesondere greift nicht der Hinweis auf
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom
09.02.2010 - 1 BvL 1/09 -), nach der eine Pflicht des Gesetzgebers zur
rückwirkenden Beseitigung eines mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden
Rechtszustandes in den Fällen nicht besteht, in denen die Verfassungsrechtslage
bisher nicht hinreichend geklärt sei. Eine rückwirkende Beseitigung eines als
verfassungswidrig anerkannten Zustandes steht hier nicht zur Diskussion.
Vielmehr ist der Klägerin der von ihr verfolgte Anspruch in dem genannten Umfang
zuzubilligen, um den Anwendungsvorrang des Unionsrechts, hier der Richtlinie
2000/78/EG, sicherzustellen.
Der Hilfsantrag ist zulässig.
Er ist als Feststellungsantrag statthaft. Nach den hergebrachten Grundsätzen des
Berufsbeamtentums ist es grundsätzlich ausgeschlossen, einem Beamten/einer
Beamtin Besoldungsleistungen zuzusprechen, die gesetzlich nicht vorgesehen
sind. Auch im Falle einer feststellbaren Verfassungswidrigkeit des geltenden
Besoldungsrechts wird den Beamten und Beamtinnen zugemutet, die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten (vgl. BVerwG, Urteil
vom 19.12.2002 - 2 C 34/01 -, BVerwGE 117, 305).
Es fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Ausweislich der Entscheidung über
den von der Klägerin verfolgten Hauptantrag führt der Anwendungsvorrang des
Unionsrechts nur zur Gewährung des geltend gemachten Anspruchs auf
Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG seit dem 01.07.2009.
Für den darüber hinaus streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.08.2006 bis
30.06.2009 kann sich die Klägerin hingegen ausschließlich darauf berufen, die
Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG stehe mit Verfassungsrecht nicht in
Einklang.
Der Hilfsantrag ist jedoch unbegründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf die begehrte Feststellung zu, ihre
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Der Klägerin steht kein Anspruch auf die begehrte Feststellung zu, ihre
Nettoversorgungsbezüge seien aufgrund des in der Zeit vom 01.08.2006 bis
30.06.2009 nicht berücksichtigten Familienzuschlags der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1
Nr. 1 BBesG zu niedrig bemessen.
Wie bereits ausgeführt, hat die für Beamtenrecht zuständige Kammer des
Bundesverfassungsgerichts in ihren Beschlüssen vom 20.09.2007 – 2 BvR 855/06 –
(DVBl. 2007, 1431) und vom 06.05.2008 – 2 BvR 1830/06 – (NJW 2008, 2325)
festgestellt, die Beschränkung des Verheiratetenzuschlags auf verheiratete
Beamte sei nicht verfassungswidrig. Sie verstoße weder gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und finde ihre Rechtfertigung in Art. 6 Abs. 1
GG. Auch das Alimentationsprinzip sei nicht verletzt. Im Rahmen seiner
Verpflichtung zur amtsangemessenen Alimentation habe der Gesetzgeber dafür
Sorge zu tragen, dass jeder Beamte auch seine Unterhaltspflichten gegenüber
seiner Familie erfüllen könne. Zur Beamtenfamilie zählten dabei Ehegatten und die
Gemeinschaft eines Beamten mit seinen Kindern. Auch nach Einführung der
eingetragenen Lebenspartnerschaft als neuer Familienstand erfasse der Begriff
der Familie im Sinne des Alimentationsprinzips nicht den Lebenspartner des
Beamten. Eine grundlegende Aufgabe dieser Rechtsprechung ist erst durch den
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2009 eingetreten.
Unabhängig davon ist der Gesetzgeber, worauf der Beklagte zutreffend
hingewiesen hat, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
nicht verpflichtet, einen mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden
Rechtszustand auch in den Fällen rückwirkend zu beseitigen, in denen die
Verfassungsrechtslage bisher nicht hinreichend geklärt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Verfahrens, der
den in die Zukunft reichenden Zeitraum ab dem 01.04.2010 betrifft, trifft den
Beklagten die Kostenlast. Dieser hat die Klägerin insoweit durch den Bescheid des
Regierungspräsidiums Kassel vom 02.08.2010 klaglos gestellt. Im Übrigen hat das
Gericht den Anteil des Obsiegens und Unterliegens der Klägerin berücksichtigt.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708
Nr. 11, 711 ZPO.
Die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO kommt nicht in
Betracht, da die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.