Urteil des VG Gießen vom 06.05.1997

VG Gießen: meldung, verspätung, erlass, rechtsgrundlage, oberstufe, mitwirkungspflicht, schule, rechtsschutzinteresse, nichterfüllung, bankrecht

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Gericht:
VG Gießen 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 G 672/97
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 24 Abs 1 GymOV HE, § 28
Abs 1 GymOV HE
Leitsatz
Bei der Meldefrist des § 28 Abs 5 AbiturVO handelt es sich nicht um eine Ausschlußfrist.
Die Nichtzulassung zur Abiturprüfung wegen Versäumung dieser Meldefrist ist
rechtswidrig, wenn die für die Fristversäumung maßgeblichen Umstände bei der
Entscheidung keine Berücksichtigung gefunden haben.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens die
Teilnahme an der Abiturprüfung 1997 .
Der Antragsteller besucht die gymnasiale Oberstufe der E.-Schule in B. Zu dem
von der Schulleitung festgesetzten Meldetermin zum Abschluss der Kursphase am
30.4.1997 um 8.45 Uhr erschien er nicht, sondern erst verspätet um 10.45 Uhr.
Er entschuldigte sich mit akut aufgetretenen Migränebeschwerden. Ihm wurde
erklärt, er solle sich um 13.05 Uhr beim stellvertretenden Schulleiter melden.
Der Antragsteller erschien um 13.35 Uhr und erklärte, er sei verkehrsbedingt
aufgehalten worden. Daraufhin wurde dem Antragsteller mitgeteilt, nachdem er
erneut verspätet erschienen sei, könne eine endgültige Entscheidung über seine
Zulassung heute nicht mehr erfolgen. Das Ergebnis werde ihm am ersten
Klausurtag, den 5.5.1997 um 7.30 Uhr, mitgeteilt werden. Gegen 7.50 Uhr wurde
dem Antragsteller eröffnet, der Prüfungsausschuss habe beschlossen, ihn von der
diesjährigen Abiturprüfung auszuschließen.
Am 5.5.1997 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung
beantragt. Sein Ausschluss von der Abiturprüfung sei unzulässig. Da die zweite
Klausurprüfung am 7.5.1997 stattfinden werde, bestehe ein besonderes
Eilbedürfnis. Bei seinem Erscheinen am 30.4.1997 um 11.30 Uhr sei ihm eröffnet
worden, dass der Prüfungsausschuss ihn trotz Versäumens des Meldetermins zur
diesjährigen Abiturprüfung zugelassen habe. Am Nachmittag habe er den
Zulassungsantrag unterschreiben und das Halbjahreszeugnis im Empfang zu
nehmen sollen. Am Prüfungstag sei ihm erklärt worden, aufgrund seines
zweimaligen Zuspätkommens gehe die Schulleitung davon aus, dass er nicht
lernfähig sei. Auf telefonische Nachfrage des Gerichts erklärte der Bevollmächtigte
des Antragstellers, die Aufstellung der vom Antragsteller zu meldenden 22
Grundkurse für die Gesamtqualifikation liege der Schule vor. Es fehle nur die
Unterschrift. Die erforderlichen Punktzahlen würden vom Antragsteller problemlos
erbracht.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm
die Teilnahme an den festgesetzten Prüfungsterminen der laufenden
Abiturprüfung 1997 zu ermöglichen und ihm Gelegenheit zu geben, die bereits
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Abiturprüfung 1997 zu ermöglichen und ihm Gelegenheit zu geben, die bereits
versäumte schriftliche Prüfungsarbeit nachzuholen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsteller sei im Februar 1997 noch nicht endgültig zur Abiturprüfung
zugelassen worden. Der Prüfungsausschuss habe am 5.5.1997 die Zulassung des
Antragstellers vielmehr abgelehnt, nachdem dieser sowohl den ersten
Meldetermin am 30.4.1997 um 8.45 Uhr als auch den Nachtermin um 13.00 Uhr
versäumt habe und deshalb die Zulassungsvoraussetzungen nicht hätten geprüft
werden können. Diese Entscheidung sei dem Antragsteller zunächst mündlich und
unmittelbar darauf auch schriftlich bekanntgegeben worden. Darin sei wörtlich
ausgeführt: “Sie nehmen erst einmal nicht an der Abiturprüfung teil, da Sie keine
endgültige und vollständige Meldung zum Abitur vorgenommen haben, obwohl
Ihnen dazu sogar ein zweiter Termin eingeräumt worden war, den Sie wie den
ersten nicht wahrnahmen.” Für die Mitwirkungspflicht nach § 28 Abs. 5 Verordnung
über die gymnasiale Oberstufe und die Abiturprüfung (AbiturVO) gelte auch die
Vorschrift des § 29 Abs. 1 S. 2 AbiturVO, wonach Meldungen, die nach dem Termin
eingehen, in der Regel nicht berücksichtigt werden können. Nur bei dieser
Auslegung könnten die Mitwirkungspflichten erzwungen werden. Der Antragsteller
habe seine Mitwirkungspflicht bis heute nicht erfüllt, so dass bisher keine
abschließende Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen möglich gewesen sei. Der
Antragsteller sei auch über die Folgen einer Terminsversäumnis durch die
einschlägigen Mitteilungsblätter und Informationsbroschüren hinreichend
unterrichtet gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte Bezug genommen, die zum Gegenstand der Beratung und
Entscheidung gemacht wurde.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Der Antragsteller hat den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123
Abs.1 S.2 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs.3 VwGO
i.V.m. § 920 Abs.2 ZPO glaubhaft gemacht. Nach der im Anordnungsverfahren nur
gebotenen und möglichen summarischen Prüfung hat er einen Anspruch darauf,
dass ihm der Antragsgegner die Teilnahme an den festgesetzten
Prüfungsterminen der laufenden Abiturprüfung 1997 ermöglicht und ihm
Gelegenheit gibt, die bereits versäumte schriftliche Prüfungsarbeit nachzuholen.
Der vom Antragsteller ausdrücklich gestellte Antrag, ihn vorläufig zur
Abiturprüfung zuzulassen, ist im Eilverfahren entsprechend dem daraus
erkennbaren Rechtsschutzinteresse zu behandeln. Das Gericht kann und muss im
Rahmen dieses Verfahrens nicht das Vorliegen sämtlicher
Zulassungsvoraussetzungen selbst feststellen. Das Interesse des Antragstellers
ist in erster Linie auf die faktische Teilnahme am laufenden Prüfungsverfahren
gerichtet. Diese ist vom Gericht zum Schutz der Interessen des Antragstellers im
Eilverfahren anzuordnen, denn die Gründe, auf die der Antragsteller die Versagung
der Prüfungszulassung stützt, erweisen sich als rechtlich nicht haltbar.
Die Nichtzulassung des Antragstellers zur Abiturprüfung ist rechtswidrig, soweit sie
allein auf das verspätete Erscheinen am 30.4.1997 zu den festgesetzten Uhrzeiten
um 8.45 Uhr und 13.00 Uhr und die daraus sich ergebende Nichtmeldung der
erforderlichen 22 Grundkurse gestützt wird und verletzt den Antragsteller insoweit
in seinen Rechten.
Zwar waren die Zulassungsvoraussetzungen für den Antragsteller bei Beginn der
Abiturprüfung nicht erfüllt. Denn zur Abiturprüfung wird gem. § 24 Abs. 1 AbiturVO
nur zugelassen, wer sich gem. §§ 28 Abs. 2, 29 Abs. 1 S.1 AbiturVO zur Prüfung
meldet und gem. § 24 Abs. 1 Nr. 4, 26 Abs.1 Nr. 2, 22 Abs. 5 AbiturVO nach
Abschluss der Kursphase an einem 10 Tage vorher durch Aushang
bekanntgemachten Termin durch schriftliche Meldung beim Schulleiter die
erforderlichen Ergebnisse aus 22 Grundkursen nachweist. Eine solche vom
Antragsteller unterzeichnete Meldung lag bei Beginn der schriftlichen Prüfungen
nach übereinstimmender Darstellung der Beteiligten dem Antragsgegner nicht
vor.
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Dies kann indessen nicht zu Lasten des Antragstellers gehen, da die Nichterfüllung
der Zulassungsvoraussetzungen jedenfalls zunächst auf rechtswidrigem Verhalten
des Antragsgegners beruht. Dieser durfte allein das Zuspätkommen des
Antragstellers zu den ihm für die schriftliche Meldung seiner Grundkurse gesetzten
Uhrzeiten am Mittwoch, den 30.4.1997 um 8.45 Uhr und um 13.00 Uhr, nicht zum
Anlass nehmen, diesem die erforderliche Meldung nicht trotzdem noch zu
ermöglichen. Die dem gem. § 28 Abs.5 S. 3 AbiturVO vorgesehenen Meldetermin
vom Antragsgegner ohne hinreichende Würdigung aller Umstände beigelegte
absolute Ausschlusswirkung entbehrt der Rechtsgrundlage und verstößt gegen
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Die Vorschrift des § 29 Abs. 1 S. 2 AbiturVO, wonach “nach dem Termin
eingehende Meldungen” in der Regel nicht berücksichtigt werden können und über
Ausnahmen der Schulleiter entscheidet, bezieht sich nach ihrem Wortlaut und
ihrer Systematik nur auf die Meldung zur Prüfung am Anfang des zweiten
Schulhalbjahres gem. § 28 Abs. 2 AbiturVO und nicht auch auf die Meldung der 22
Grundkurse nach Abschluss der Kursphase gem. 28 Abs. 5 AbiturVO. Zum einen
nimmt S. 2 unmittelbar Bezug auf S. 1, der sich nur mit der Meldung gem. § 28
Abs. 2 S.1 AbiturVO befasst, zum anderen beinhaltet auch der systematisch
nachfolgende § 29 Abs.2 AbiturVO ausweislich Abs. 2 Nr. 2 allein die Meldung zur
Prüfung.
Die Auffassung des Antragsgegners, diese Regelung müsse zumindest
entsprechend gelten, denn ohne eine Ausschlussfrist könne die Mitwirkung der
Schüler nach § 28 Abs. 5 AbiturVO nicht wirksam erzwungen werden, vermag nicht
zu überzeugen.
Da die Teilnahme an der Prüfung die Zulassung und diese ihrerseits die Meldung
der Grundkurse voraussetzt, kommt – wie allgemein im Prüfungsrecht - bei
regelgerechtem Verfahrensablauf jedenfalls spätestens mit Prüfungsbeginn eine
Zulassung und damit auch eine Meldung normalerweise nicht mehr in Betracht.
Auch folgt aus der Nichtanerkennung einer absoluten Ausschlussfrist für die
Meldung der Grundkurse nicht, dass Terminversäumnisse grundsätzlich folgenlos
bleiben. Über die möglichen Folgen von Terminversäumnissen ist aber jedenfalls
unter Würdigung aller Umstände zu entscheiden. Dies wäre übrigens auch bei
Anwendung von § 29 Abs.1 S.2 AbiturVO der Fall, da dort ausdrücklich von
Ausnahmefällen die Rede ist, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen unter Abwägung
aller Umstände zu prüfen wäre.
Eine solche Abwägung ist hier nicht oder jedenfalls nicht in zutreffender Weise
erfolgt. Es ist nicht erkennbar, dass und in welcher Weise der Antragsgegner die
vom Antragsteller für seine Verspätung vorgetragenen Gründe gewichtet und
gewürdigt hätte. Soweit der Antragsteller sich zunächst auf Verhinderung wegen
Krankheit berief, gewährte der Antragsgegner – auch nach allgemeinen
prüfungsrechtlichen Grundsätzen zu Recht – eine weitere Meldemöglichkeit. Es ist
dann aber nicht nachvollziehbar, dass der ersten Verspätung von 1-½ Stunden
zunächst keine Ausschlusswirkung beigemessen, die neuerliche Verspätung um ½
Stunde dann aber zum Anlass genommen wurde, dem Antragsteller die
Möglichkeit der Meldung seiner Grundkurse nunmehr endgültig zu versagen.
Soweit sich der Antragsteller insoweit auf ein Problem mit seinem KFZ berief, wäre
– nachdem der Antragsgegner soweit ersichtlich den Vortrag an sich nicht in Frage
stellte – nach allgemeinen prüfungsrechtlichen Grundsätzen auch insoweit eine
Verspätung – zumal vergleichsweise geringem Umfangs – gerechtfertigt gewesen.
Der Antragsgegner hat indessen - so die mündliche und schriftliche Mitteilung an
den Antragsteller am 5.5.1997 - vielmehr allein auf die Tatsache der Verspätung
abgestellt, ohne die hierfür maßgeblichen Gründe angemessen zu würdigen. Falls
der vom Antragsgegner nicht bestrittene Ausspruch, der Antragsteller habe sich
durch seine zweimalige Verspätung “als nicht lernfähig” erwiesen, tatsächlich in
dieser Weise gefallen sein sollte, spricht dies eher dafür, dass dem Antragsteller
eine Lektion erteilt werden sollte, als für die Anstellung sachlicher und willkürfreier
Erwägungen. Falls der Prüfungsausschuss, wie vom Antragsteller vorgetragen,
tatsächlich schon am Vormittag erklärt hätte, der Antragsteller sei trotz
Verspätung “zugelassen” und müsse um 13.00 Uhr nur noch unterschreiben, wäre
eine tragfähige Rechtsgrundlage für eine spätere Abänderung dieser Entscheidung
ohnehin nicht gegeben.
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Für die Nichtentgegennahme der Meldung des Antragstellers sind im übrigen auch
zwingende tatsächliche Gründe weder erkennbar noch vorgetragen. Dies gilt umso
mehr, wenn - wie vom Antragsteller vorgetragen - nachmittags letztlich nur noch
seine Unterschrift erforderlich gewesen wäre. Es ist nicht ersichtlich, weshalb dies
nicht auch um 13.30 Uhr oder gegebenenfalls sogar am ersten Prüfungstag
ausnahmsweise noch hätte geschehen können. Dies gilt umso mehr, wenn die
nachhaltigen Folgen dieser Vorgehensweise für den Antragsteller - er könnte die
Abiturprüfung erst im nächsten Jahr ablegen - mit in die Betrachtung einbezogen
werden.
Für die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Antragsgegners ist es rechtlich auch
nicht erheblich, ob der Antragsteller – was zwischen den Parteien umstritten ist –
etwa noch erforderliche Unterlagen bei den beiden Gelegenheiten am 30.4.1997
mit sich führte. Nachdem der Antragsgegner das Erscheinen des Antragstellers als
verspätet bezeichnete und weder am 30.4.1997 noch am ersten Prüfungstag die
Bereitschaft erkennen ließ, seinerseits irgendwelche Handlungen zum Fortgang
des Zulassungsverfahrens vorzunehmen, bestand für den Antragsteller weder
damals noch später die Veranlassung oder überhaupt die Möglichkeit, etwa
erforderliche Unterlagen seinerseits trotzdem noch anzubieten.
Der Antragsteller hat auch den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
123 Abs.1 S.2 VwGO erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Da der
nächste Prüfungstermin im laufenden Abiturverfahren am 7.5.1997 stattfindet,
kann der Antragsteller seine Teilnahme nur im Wege des gerichtlichen
Eilverfahrens erreichen. Soweit die Teilnahme am regulären Prüfungsverfahren
faktisch noch möglich ist, kann der Antragsteller unter dem Gesichtspunkt des
effektiven Rechtsschutzes nicht auf mögliche Nachholtermine verwiesen werden.
Soweit der Antragsteller eine schriftliche Arbeit bereits versäumt hat, ist deren
Nachholung im Fortgang des Verfahrens möglich, so dass nicht etwa das
Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers aus diesem Grunde entfallen wäre. Da
aber ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antragsteller nur insoweit besteht, als er
die Voraussetzungen seiner Teilnahme an der laufenden Abiturprüfung nicht oder
nicht mehr allein selbst herbeiführen kann, erscheint es geboten, die im Tenor
ausgesprochene Verpflichtung des Antragsgegners von der vorherigen Erbringung
der vom Antragsteller erforderlichen Mitwirkungshandlung durch schriftliche
Meldung der erforderlichen 22 Grundkurse gem. § 28 Abs. 5 AbiturVO abhängig zu
machen - soweit diese nicht bereits erfolgt sein sollte. Damit kann sich auch der
Antragsgegner nicht mehr darauf berufen, die Prüfung der
Zulassungsvoraussetzungen sei für ihn nicht möglich bzw. der Antragsteller sei
möglicherweise überhaupt nicht gewillt, diese zu erfüllen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.