Urteil des VG Gießen vom 09.02.2010

VG Gießen: aufschiebende wirkung, stadt, akteneinsicht, hessen, firma, vertretungsmacht, vertreter, anfechtungsklage, gemeinde, vertretungsbefugnis

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 L 4138/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 58 Abs 7 GemO HE
(Hessen; Klageerhebung durch Vorsitzenden der
Gemeindevertretung ohne vorherige Beschlussfassung)
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Stadtverordnetenvorsteher der
Stadtverordnetenversammlung der Stadt A-Stadt, Herr …, zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Errichtung eines Akteneinsichtsausschusses.
Die Antragstellerin beschloss in ihrer Sitzung vom 09.07.2009 die Einsetzung eines
Akteneinsichtsausschusses. Der Ausschuss soll Einsicht in alle Akten nehmen, die
im Zusammenhang mit einem abgeschlossenen Rechtsstreit zwischen der Fa. B-
AG und dem Land Hessen, vertreten durch das Regierungspräsidium Darmstadt,
bei der Stadt A-Stadt vorliegen. Die Stadt A-Stadt war an diesem Verfahren
beteiligt. Mit Schreiben vom 10.07.2009 widersprach der Antragsgegner diesem
Beschluss und führte aus, Akteneinsicht könne nur in abgeschlossene Vorgänge
beantragt werden. Der Rechtsstreit zwischen der B-AG und dem Land Hessen sei
zwar abgeschlossen, nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof durch
Beschluss vom 28.05.2009 den von der Stadt A-Stadt als Beigeladene dieses
Verfahrens gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt habe. Dieser
Rechtsstreit könne aber nicht als ein in sich abgeschlossener und separater
Vorgang angesehen werden, sondern sei vielmehr Teil des
immissionsschutzrechtlichen Antragsverfahrens der B-AG beim
Regierungspräsidium Darmstadt zur Errichtung und zum Betrieb eines Windparks.
Damit sei der Rechtsstreit eingebettet in einen Gesamtkomplex, der das noch
nicht abgeschlossene Bebauungsplanverfahren der Stadt A-Stadt und das noch
laufende immissionsschutzrechtliche Verfahren beim Regierungspräsidium
Darmstadt umfasse.
Die Antragsgegnerin wies sodann in ihrer Sitzung vom 24.09.2009 den
Widerspruch des Antragsgegners zurück.
Diesen Beschluss beanstandete der Antragsgegner mit Schreiben vom
30.09.2009. Zur Begründung führte er aus, der Beschluss verletze das Recht. Aus
dem Wesen der Kontrollbefugnis der Antragstellerin ergebe sich, dass
Akteneinsicht nur in abgeschlossene Vorgänge beantragt werden könne. Der
Vorgang sei noch nicht abgeschlossen. Der Magistrat der Stadt A-Stadt habe in
seiner Sitzung vom 24.08.2009 vielmehr beschlossen, nunmehr das gemeindliche
Einvernehmen zu dem Vorhaben der Firma B-AG mit Nebenbestimmungen zu
erteilen. Solange das Regierungspräsidium Darmstadt bzw. die B-AG diese
Nebenbestimmungen zum Einvernehmen nicht abgearbeitet hätten, sei das
Verfahren - soweit die Rechtsstellung der Stadt A-Stadt berührt werde - noch nicht
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Verfahren - soweit die Rechtsstellung der Stadt A-Stadt berührt werde - noch nicht
abgeschlossen. Wegen der näheren Einzelheiten der Begründung wird auf die
Beanstandung vom 30.09.2009 Bezug genommen. Eine Rechtsbehelfsbelehrung
enthielt dieses Schreiben nicht.
Vertreten durch den Stadtverordnetenvorsteher hat die Antragstellerin mit
Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 28.11.2009 Klage erhoben und um
vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie trägt vor, ein Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung ihrer Klage sei zulässig. § 58 Abs. 7 HGO ermächtige den
Vorsitzenden der Gemeindevertretung zur Außenvertretung in den von der
Gemeindevertretung betriebenen oder gegen diese gerichteten Verfahren, wenn
die Gemeindevertretung nicht aus ihrer Mitte einen oder mehrere Beauftragte
bestelle. Das Gesetz mache die Vertretungsbefugnis nicht von einem
entsprechenden Beschluss im Innenverhältnis zwischen dem
Stadtverordnetenvorsteher und der Stadtverordnetenversammlung abhängig, so
dass es weder auf eine Beschlussfassung der Antragstellerin über die mit
Schriftsatz vom 28.11.2009 erhobene Klage noch über den vorliegenden Antrag
ankomme. Die begehrte Akteneinsicht beschränke sich ausweislich des Wortlautes
des hierzu von ihr gefassten Beschlusses ausdrücklich auf alle bei der Stadt A-
Stadt vorhandenen Akten im Zusammenhang mit dem abgeschlossenen
Rechtsstreit zwischen der Firma B-AG und dem Regierungspräsidium Darmstadt.
Dem könne der Antragsgegner nicht entgegenhalten, das von der Firma B-AG
eingeleitete immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren für den
projektierten Windpark sei noch nicht abgeschlossen. Nach Abschluss des
Rechtsstreits zwischen der Firma ABO Wind und dem Regierungspräsidium sei
auch die Funktion der Stadt A-Stadt als Beigeladene in diesem Verfahren beendet.
Es bestehe keine Möglichkeit mehr, dass die Antragstellerin versuchen könnte, auf
das Verhalten des Magistrats in diesem Rechtsstreit Einfluss zu nehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Bevollmächtigten
der Antragstellerin vom 18.12.2009 und 26.01.2010 Bezug genommen.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage vom 28.11.2009 gegen die
Beanstandungsverfügung des Antragsgegners vom 30.09.2009 gegen den
Beschluss der Antragstellerin vom 09.07.2009 über die Einsetzung eines
Akteneinsichtsausschusses anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er trägt vor, der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sei
weder zulässig noch begründet. Der Stadtverordnetenvorsteher allein sei in
diesem Organstreit zu einer unbedingten Klageerhebung ohne Beschlussfassung
der Antragstellerin nicht legitimiert. Eine Eilbedürftigkeit liege ebenfalls nicht vor.
Die Rechtsposition der Antragstellerin werde durch die Tatsache, dass die
erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung habe, nicht verschlechtert. Wenn im
Hauptsacheverfahren der Klage stattgegeben werden sollte, wäre der
Antragstellerin die geforderte Akteneinsicht möglich. Ein Rechtsverlust allein durch
den Zeitablauf sei nicht zu erkennen.
Die Antragstellerin habe auch keinen Anspruch auf Akteneinsicht durch Bildung
eines Akteneinsichtsausschusses. Denn der Vorgang, in den Einsicht begehrt
werde, sei noch nicht abgeschlossen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird
auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 14.01.2010 Bezug genommen.
Die Akte des Antragsgegners betreffend den Verwaltungsvorgang ist zum
Verfahren beigezogen worden und Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Antrag ist nicht zulässig.
Die Antragstellerin bedient sich vorliegend zwar der statthaften Antragsart. Denn
gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage in
den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Hier ist
ein Fall nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gegeben. Danach entfällt die aufschiebende
Wirkung einer Klage in für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen
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Wirkung einer Klage in für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen
Fällen. Diese Voraussetzung ist für eine Anfechtungsklage gegen eine
kommunalrechtliche Beanstandungsverfügung erfüllt. Gemäß § 63 Abs. 2 S. 6
HGO bleibt die aufschiebende Wirkung der Beanstandung von Beschlüssen der
Stadtverordnetenversammlungen durch den Bürgermeister bestehen, so dass
eine dagegen gerichtete Klage keinen Suspensiveffekt entfaltet (vgl. VG Gießen, B.
v. 25.01.2002 - 8 G 4058/01 -, HSGZ 2002, 129, 130).
Der Antrag ist aber unzulässig, weil er von einem Vertreter ohne
Vertretungsmacht eingereicht und von der Vertretenen, der Antragstellerin,
bislang nicht genehmigt worden ist.
Nach § 58 Abs. 7 HGO vertritt der Vorsitzende die Gemeindevertretung in den von
ihr betriebenen oder gegen sie gerichteten Verfahren, wenn die
Gemeindevertretung nicht aus ihrer Mitte einen oder mehrere Beauftragte
bestellt. Ausweislich des Gesetzeswortlautes setzt die Vertretungsmacht des
Vorsitzenden der Gemeindevertretung vorliegend mithin voraus, dass die
Gemeindevertretung ein Verfahren betreibt. Voraussetzung hierfür ist wiederum,
dass die Gemeindevertretung einen dahingehenden Beschluss fasst. Insoweit
entspricht § 58 Abs. 7 HGO nicht der Vorschrift des §§ 71 HGO, der die Vertretung
der Gemeinde durch den Gemeindevorstand regelt. Denn die in § 71 HGO
geregelte Außenvertretungskompetenz des Gemeindevorstands besteht
grundsätzlich unabhängig von der innergemeindlichen Willensbildung, so dass der
Gemeindevorstand prinzipiell auch bei Überschreitung seiner Kompetenzen
wirksam für die Gemeinde handelt.
Die Antragstellerin hat aber weder einen Beschluss zur Erhebung einer Klage und
zur Einreichung eines Eilantrages gefasst, noch hat sie die durch den
Stadtverordnetenvorsteher erhobene Klage und den vorliegenden Antrag bislang
nachträglich genehmigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 173 VwGO, 89 Abs. 1 S. 3 ZPO i.
V. m. § 179 BGB. Der Stadtverordnetenvorsteher war ohne Beschluss der
Antragstellerin nicht befugt, den vorliegenden Antrag rechtshängig zu machen,
weil seine Vertretungsmacht insoweit gemäß § 58 Abs. 7 HGO auf die von der
Gemeindevertretung betriebenen Verfahren beschränkt ist, so dass er als
vollmachtloser Vertreter gehandelt hat
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 53 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.