Urteil des VG Gießen vom 22.09.2000

VG Gießen: personenbeförderung, taxi, fahrzeug, stadt, kennzeichen, name, zustand, halter, abschleppen, registrierung

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Gericht:
VG Gießen 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 E 1651/96
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 8 SOG HE, § 49 SOG HE, §
23 Abs 6 StVZO, § 3 PBefG, §
11 PBefG
(Unverhältnismäßigkeit des Abschleppens eines Taxis)
Tatbestand
Mit der Klage wendet der Kläger sich gegen die Heranziehung zur Erstattung von
Abschleppkosten.
Der Kläger ist bzw. war Eigentümer und Halter eines Kraftfahrzeuges zur
Personenbeförderung (Taxi), Daimler Benz, mit dem amtlichen Kennzeichen ... .
Am 24.02.1996 stellten zwei Hilfspolizisten der Beklagten um 11.54 Uhr fest, dass
dieses Kraftfahrzeug ab 8.44 Uhr unerlaubt an der abgelaufenen Parkuhr Nr. 370
geparkt war und die zulässige Höchstparkzeit von einer Stunde dabei um mehr als
zwei Stunden überschritten war. Die Polizei wurde um 12.57 Uhr verständigt und
das Fahrzeug wurde im Auftrag der Beklagten von der Abschleppfirma A.-St.
abgeschleppt. Hierfür stellte die Abschleppfirma der Beklagten unter dem
28.02.1996 Abschleppkosten in Höhe von 172,50 DM in Rechnung.
Mit Bescheid vom 01.04.1996 forderte die Beklagte den Kläger auf, die
Abschleppkosten in Höhe von 172,50 DM zu erstatten.
Hiergegen erhob der Kläger am 30.04.1996 Widerspruch, den er im Wesentlichen
damit begründete, die zulässige Höchstparkzeit sei zu keinem Zeitpunkt
überschritten worden. Er habe das Fahrzeug an diesem Tag mehrfach kurzfristig
an der Parkuhr vor seiner Wohnung abgestellt. Den Mitarbeitern der Beklagten
hätte nicht entgehen können, dass es sich um ein Fahrzeug zur
Personenbeförderung gehandelt habe. In einem derartigen Fall sei davon
auszugehen, dass der Fahrer in unmittelbarer Nähe sei. Ein Abschleppen eines
derartigen Fahrzeuges sei unverhältnismäßig und rechtswidrig, weil dieses nicht
längerfristig parke. Die Parkuhr sei nicht einmal einhundert Meter vom Eingang
seiner Wohnung entfernt. Auf entsprechende Aufforderung wäre er ohne weiteres
in der Lage gewesen, das Fahrzeug wegzufahren. Erst als er das Fahrzeug bei der
Polizei als gestohlen gemeldet habe, habe er erfahren, dass es abgeschleppt
worden sei.
Unter dem 07.05.1996 legte die Beklagte dem Kläger die Rechtslage aus ihrer
Sicht nochmals dar.
Nachdem an der Verhandlung des Anhörungsausschusses bei der Stadt M. vom
02.07.1996 die Beteiligten nicht teilgenommen hatten, wies das
Regierungspräsidium Gießen den Widerspruch des Klägers mit
Widerspruchsbescheid vom 04.09.1996 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde
dem Kläger am 07.10.1996 mittels Postzustellungsurkunde durch Niederlegung
zugestellt.
Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid
verwiesen.
Am 07.11.1996 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er das Vorbringen aus dem
Verwaltungsverfahren. Darüber hinaus trägt er vor, in M. gebe es weniger als zehn
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Verwaltungsverfahren. Darüber hinaus trägt er vor, in M. gebe es weniger als zehn
Taxiunternehmen und jeder Hilfspolizist kenne selbstverständlich jedes derartige
Unternehmen und jeden Betriebssitz. Nach der BO-Kraft stehe bei jedem Taxi für
jeden Kunden und jeden Hilfspolizisten von außen sichtbar der Unternehmer und
der Betriebssitz des Taxibetriebes deutlich auf dem Armaturenbrett. Aufgrund des
Kennzeichens hätte jeder Hilfspolizist wissen müssen, dass es um das Taxi des
Klägers gehe.
Der Kläger beantragt,
den Kostenbescheid des Oberbürgermeisters der Stadt M. vom 01.04.1996 und
den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Gießen vom 04.09.1996
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide,
die Klage abzuweisen.
Mit Beschluss vom 14.06.2000 hat die Kammer, nachdem den Beteiligten zuvor
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist, den Rechtsstreit nach § 6
Abs. 1 VwGO dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenvorgänge der Beklagten (1
Hefter) Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandeln und entscheiden,
da die Beteiligten mit der Ladung darauf hingewiesen worden sind, dass bei ihrem
Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2
VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Kostenbescheid des Oberbürgermeisters der Stadt M. vom
01.04.1996 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Gießen vom
04.09.1996 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113
Abs. 1 Satz 1 VwGO), sie unterliegen deshalb der Aufhebung.
Die Voraussetzungen für die Verpflichtung des Klägers zum Ersatz der durch die
Bediensteten der Beklagten angeordneten Abschleppmaßnahme entstandenen
Kosten liegen nicht vor, unabhängig davon, ob es sich um eine Ersatzvornahme
nach § 49 Abs. 1 und 2 HSOG oder um eine unmittelbare Ausführung nach § 8
HSOG handelt.
Zwar mag nach den aktenkundigen Feststellungen der Hilfspolizeibeamten der
Beklagten, insbesondere aufgrund der notierten Reifenventilstände, noch davon
ausgegangen werden, dass das Taxi des Klägers unter eklatanter Überschreitung
der zulässigen Höchstparkdauer an dem streitbefangenen Tag an der Parkuhr Nr.
370 im Stadtgebiet der Beklagten geparkt war, so dass nach ständiger
Rechtsprechung des Hess. VGH und des erkennenden Gerichts die
Abschleppmaßnahme auf Kosten des Klägers grundsätzlich als rechtmäßig zu
qualifizieren wäre, indes kann aufgrund der besonderen Gegebenheiten des
Einzelfalles vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass die tätig
gewordenen Hilfspolizeibeamten der Beklagten das ihnen eingeräumte Ermessen
sachgerecht ausgeübt haben und auch nicht, dass die Abschleppmaßnahme dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Daraus folgt zugleich, dass der Kläger
nicht verpflichtet ist, die hierdurch entstandenen Kosten zu erstatten.
Diese Wertung des Gerichts ergibt sich aus Folgendem:
Bei dem angeschleppten PKW des Klägers handelte es sich um ein im
Pflichtfahrgebiet der Stadt M. zugelassenes Kraftfahrzeug zur
Personenbeförderung, ein Taxi. In dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten
Fahrzeugschein befindet sich die Eintragung des Landrates des Landkreises
Marburg-Biedenkopf, dass das Fahrzeug der Personenbeförderung gemäß § 23
Abs. 6 StVZO dient. Nach den unbestrittenen Angaben des Klägers befand sich
auf dem Armaturenbrett des streitbefangenen PKW, von außen gut lesbar, Name
und Anschrift des Taxiunternehmers sowie der Betriebssitz.
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und Anschrift des Taxiunternehmers sowie der Betriebssitz.
Darüber hinaus sind nach Kenntnis des erkennenden Gerichts zum öffentlichen
Personenverkehr zugelassene Taxis im Pflichtfahrgebiet auch dadurch registriert,
dass sie nach außen deutlich sichtbar ein gelbes Schild mit schwarzen Ziffern
tragen. Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 8 PBefG muss die Genehmigungsurkunde beim
Gelegenheitsverkehr mit Kraftfahrzeugen die amtlichen Kennzeichen der
einzusetzenden Kraftfahrzeuge enthalten.
Aufgrund der vorliegenden Ausführungen liegen die Voraussetzungen, unter denen
die Hilfspolizeibeamten der Beklagten das streitbefangene Kraftfahrzeug des
Klägers auf dessen Kosten abschleppen lassen durften, nicht vor; die angeordnete
Abschleppmaßnahme hält sich nicht im Rahmen des den Hilfspolizeibeamten nach
den Vorschriften des HSOG eingeräumten Ermessens und ist unverhältnismäßig.
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist das Abschleppen eines - auch über
einen längeren Zeitraum - ordnungswidrig im öffentlichen Verkehrsraum
abgestellten Kraftfahrzeuges zur Personenbeförderung (Taxi) im Bereich der
Beförderungspflicht nach § 47 Abs. 4 PBefG (Pflichtfahrbereich) zur Beseitigung
des ordnungswidrigen Zustandes weder erforderlich noch ermessensgerecht. Zwar
ist es den Hilfspolizeibeamten der Beklagten im Regelfall nicht zuzumuten,
zeitaufwändige Nachforschungen nach dem Halter des streitbefangenen
Kraftfahrzeuges und dessen Aufenthaltsort anzustellen, indes gilt dies in
vorliegendem Fall nicht. Ein durch die Straßenverkehrsbehörde zur
Personenbeförderung zugelassenes Kraftfahrzeug in Form eines Taxis ist bei der
Zulassungsstelle gemäß § 23 Abs. 6 StVZO und bei der Genehmigungsbehörde
nach § 11 PBefG registriert; die Genehmigungsurkunde nach § 17 PBefG muss
unter anderem Name, Wohn- und Betriebssitz des Unternehmers und bei Taxis die
amtlichen Kennzeichen der einzusetzenden Kraftfahrzeuge einhalten. Gemäß § 3
PBefG wird die Genehmigung dem Unternehmer für einen bestimmten Verkehr
und für seine Person erteilt. Damit liegt auf der Hand, dass die Hilfspolizeibeamten
der Beklagten die Person und den Betriebssitz des Taxiunternehmens S. durch ein
Telefonat mit der Zulassungsstelle oder der personenbeförderungsrechtlichen
Genehmigungsbehörde hätten erfahren können. Dieses Telefonat hätte nicht
länger gedauert als der Anruf beim Abschleppunternehmen. In diesem Fall wäre es
zudem zumutbar, angemessen und ermessensgerecht gewesen, den Kläger
entweder telefonisch oder persönlich darüber zu informieren, dass sein
Kraftfahrzeug verkehrsordnungswidrig abgestellt ist. Dass dies zur Beseitigung des
verkehrsordnungswidrigen Zustandes im konkreten Fall geradezu geboten war,
ergibt sich daraus, dass der verkehrsordnungswidrige Zustand bereits um 8.44
Uhr festgestellt worden war, das Abschleppunternehmen indes erst um 11.54 Uhr
beauftragt wurde. Im Falle einer sofortigen Rückfrage nach dem Halter des Taxis
und dessen Betriebssitz hätte der festgestellte verkehrsordnungswidrige Zustand
bereits wesentlich frühzeitiger beseitigt werden können. Von daher ist es
unverhältnismäßig, nahezu drei Stunden abzuwarten und sodann ein
Abschleppunternehmen zu beauftragen. Aufgrund der Registrierung des
streitbefangenen Taxis im Pflichtfahrbereich hätte die Beseitigung des
festgestellten ordnungswidrigen Zustandes durch Nachfrage bei den zuständigen
Behörden und zeitnaher Information des Klägers wesentlich früher erfolgen
können, unabhängig davon, dass ein Verwarnungs- oder Bußgeld ohnedies fällig
gewesen wäre. Weiter kommt im Falle des Klägers unbestritten hinzu, dass sein
Name und sein Betriebssitz von außen sichtbar am Armaturenbrett des
streitbefangenen Kraftfahrzeuges angebracht waren, so dass auch insoweit eine
frühere Informierung des Klägers und eine Aufforderung zur Beseitigung dieses
Zustandes wesentlich früher Erfolg gezeigt hätten. Zu Recht weist der Kläger
darauf hin, dass es im Zeitalter der EDV nahezu ohne zeitliche Verzögerung
möglich gewesen wäre, aufgrund des Kennzeichens und ggf. der
Registrierungsnummer seinen Namen, seine Anschrift und seinen Betriebssitz
ausfindig zu machen. Dass dies für die tätig gewordenen Hilfspolizeibeamten
unzumutbar oder unmöglich gewesen wäre, wird noch nicht einmal von der
Beklagten vorgetragen. Ist aber die einschlägige Ermächtigungsgrundlage darauf
zielgerichtet, bereits eingetretene Störungen der öffentlichen Sicherheit zeitnah zu
beseitigen, so musste es sich den Hilfspolizeibeamten der Beklagten aufdrängen,
zunächst zu versuchen, die eingetretene Verkehrsordnungswidrigkeit durch
unmittelbare Inanspruchnahme des Klägers zu beseitigen und nicht erst drei
Stunden später durch Beauftragung eines Abschleppdienstes auf Kosten des
Klägers. Damit liegt auf der Hand, dass die Hilfspolizeibeamten das ihnen
eingeräumte Ermessen überschritten haben, weil die angeordnete
Abschleppmaßnahme weder erforderlich noch zweckmäßig oder verhältnismäßig
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Abschleppmaßnahme weder erforderlich noch zweckmäßig oder verhältnismäßig
im engeren Sinne gewesen ist. Aufgrund der mannigfaltigen Registrierung eines
zur Personenbeförderung zugelassenen Taxis, des Halters und Unternehmers
sowie dessen Betriebssitzes war es aus Sicht des erkennenden Gerichts geradezu
geboten unmittelbar nach Feststellung des verkehrsordnungswidrigen Zustandes
den Kläger zu dessen Beseitigung aufzufordern; unabhängig davon, dass dies die
vorliegend streitbefangenen Kosten vermieden hätte, hätte der
verkehrsordnungswidrige Zustand wesentlich schneller beseitigt werden können
und wäre der geltenden Rechtsordnung wesentlich effektiver zum Erfolg verholfen
worden. Sowohl telefonisch unter der ohne Schwierigkeiten herauszufindenden
Telefonnummer des Taxiunternehmers als auch persönlich durch dessen
Aufsuchen in der - unbestritten - zum Standort des Fahrzeuges naheliegenden
Betriebsstätte wäre der Rechtsordnung Geltung verschafft worden, ohne dass dies
auf unzumutbare Schwierigkeiten auf Seiten der Hilfspolizeibeamten gestoßen
wäre oder zu einer Zeitverzögerung geführt hätte; im Gegenteil hätte der
Verkehrsverstoß wesentlich früher beseitigt werden können.
Nach alledem erscheint sowohl die angeordnete Abschleppmaßnahme als auch
die Belastung des Klägers mit deren Kosten ermessensfehlerhaft und
unverhältnismäßig. Damit erweisen die angefochtenen Bescheide sich als
rechtswidrig und sind aufzuheben.
Als unterliegende Beteiligte hat die Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten
des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und
Abwendungsbefugnis folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.